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Die Bevölkerung des Prätigaus beträgt nach der Zählung von 1900 8850 Seelen, d. h. nur 14 per km2. Davon kommen aber auf das Hauptthal und dessen Gehänge etwa 8000 oder 100-200 per km2. Dieselben verteilen sich auf 16 Gemeinden, wovon Schiers (inkl. Schuders) mit 1654 und Klosters (inkl. Serneus) mit 1555 Ew. die grössten, die drei Gemeinden von St. Antönien (Rüti mit 83, Ascharina mit 95 und Castels mit 172 Ew.) die kleinsten sind. Ueber 500 Ew. haben nur noch Seewis (901), Grüsch (629), Jenaz (820) und Luzein (841). Dabei muss sehr auffallen, wie verschieden die Ausdehnung und Gliederung dieser Gemeinden ist.
Die drei politischen Gemeinden von St. Antönien z. B. erstrecken sich zusammen nur über eine Thalstrecke von 3 km und bilden auch nur eine einzige Kirchgemeinde, die Gemeinde Klosters dagegen nimmt eine Thalstrecke von 7-8 km ein und umfasst die Dörfer und Weiler Platz, Dörfli, Brücke, Selfranga, Aeuje, Monbiel und Serneus, letzteres mit eigener Kirche. Die Gemeinde Luzein erstreckt sich von Mittel und Inner Lunden über Buchen und Putz bis nach Pany, letzteres ebenfalls mit eigenem Kirchlein. Die Gemeinde Schiers gar zieht sich einerseits bis Vorder Lunden, Fajauna und Stels, andererseits über Maria-Montagna und Busserein bis inkl. das Berg- und Kirchdorf Schuders. Derartige Verschiedenheiten sind weniger geographisch begründet, als durch historisch-politische Entwicklungen meist sehr lokaler Art so geworden.
Die Prätigauer sind im ganzen ein kräftiger, gut gebauter Volksschlag, deutsch und reformiert mit ausgesprochenem Sinn für das Religiöse und mit grosser Anhänglichkeit an ihr Land und ihre politischen Einrichtungen, gerne festhaltend am Hergebrachten, doch auch Neuerungen nicht unzugänglich, sofern solche als gut und notwendig erkannt werden. Ihre Hauptbeschäftigung bildet natürlich die Viehzucht, die in den herrlichen Wiesen und ausgedehnten Alpweiden eine treffliche Grundlage hat.
Das Prätigauer Vieh gehört zu den grössten und schönsten Schlägen Graubündens. Es wird hauptsächlich auf Aufzucht von Jungvieh hin gearbeitet, das dann auf zahlreichen Märkten in und ausserhalb des Thals verkauft wird. Die Molkereiprodukte (Milch, Käse, Butter, Zieger) werden grösstenteils im Thal selbst konsumiert. Doch wird auch viel Butter an die eigenen und benachbarten Kurorte geliefert. Die Käserei erzeugt fast nur Magerkäse zum eigenen Verbrauch.
Acker- und Obstbau werden in allen hiezu geeigneten Strichen bis nach Klosters mehr oder weniger, doch nirgends in grösserem Mass betrieben, obwohl Boden und Klima vielorts dazu sehr geeignet und die Absatzverhältnisse (Kurorte, Eisenbahn) namentlich für Obst und Gemüse günstige wären. Obst allerdings wird in den guten Jahren aus dem untern Prätigau ziemlich viel ausgeführt, während Getreide und Mehl eingeführt werden müssen. Einen bedeutenden Reichtum des Prätigaus bilden die ausgedehnten Wälder, die 22% seiner Gesamtfläche einnehmen.
Namentlich die steileren Abhänge und die Schluchten und Tobel sind damit bedeckt. Der Holzhandel ist denn auch beträchtlich. Bei den Sägen und Bahnstationen sieht man oft mächtige Haufen von Fichten- und Lärchenstämmen zur Ausfuhr bereit gelegt, besonders bei Grüsch, Schiers, Jenaz und Küblis. Immer grössere Bedeutung erlangt ferner der Fremdenverkehr, der sich namentlich auf die Luftkurorte und Sommerfrischen Klosters, St. Antönien und Seewis und auf die Badeorte Serneus (Schwefelwasser) und Fideris (Eisensäuerling) konzentriert. Der früher ziemlich beträchtliche Bergbau - ums Jahr 1588 gab es im Prätigau 15 Bergwerke auf Eisen, Kupfer, Blei und Silber - ist gänzlich eingegangen.
Die vielen romanischen Lokalnamen (für Dörfer, Güter, Wälder, Alpen, Berge, Bäche etc.) lassen erkennen, dass die Bevölkerung des Prätigaus ursprünglich romanisch war. Das Deutsche ist seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts herrschend geworden. Doch finden sich im Prätigauer Dialekt noch manche romanische Ueberbleibsel. In der Geschichte tritt das Prätigäu namentlich seit 1436 hervor. In diesem Jahr starb nämlich der letzte Spross des Grafenhauses von Toggenburg, dem neben andern rätischen Thälern auch das Prätigäu gehört hatte.
Als nun über das Erbe blutige Kämpfe entbrannten, traten Abgeordnete der rätischen Besitzungen in Davos zusammen und gründeten den Zehngerichtebund, dem auch das Prätigäu mit seinen drei Gerichten Schiers, Castels und Klosters beitrat. Das Haus Montfort-Tettnang, dem Prätigau und Davos zugefallen waren, dann auch Herzog Sigismund von Oesterreich, der diese Thalschaften 1477 käuflich erworben hatte, anerkannten das Abkommen der Landleute, so dass die ersten Zeiten des Bundes ohne grössere Schwierigkeiten vorübergingen.
Auch die Reformation fand in Prätigau und Davos raschen Eingang, ebenfalls ohne grössere Streitigkeiten zu verursachen. Später aber suchte Oesterreich diese Thäler wieder zum katholischen Glauben zurück zu führen und zugleich unbedingte Herrschaftsrechte über sie zu erlangen. Im Oktober 1621 fiel Oberst Brion mit österreichischen Truppen über das Schlappinerjoch in den Prätigau ein und plünderte und verbrannte Klosters Dörfli, wurde dann aber durch die bei Klosters Platz vereinigten Prätigauer und Davoser wieder ins Montafun zurückgetrieben.
Allein gleichzeitig war Baldiron mit der österreichischen Hauptmacht ins Engadin eingefallen und zog nun über den Flüelapass nach Davos und ins Prätigäu, alles vor sich niederwerfend. Die Prätigauer mussten ihre Waffen nach der Burg Castels, dem Sitz des österreichischen Vogtes, abliefern. Castels erhielt eine starke Besatzung, und Fragstein in der Klus wurde befestigt. Die evangelischen Prädikanten wurden vertrieben, und Kapuziner, von einer rohen Soldateska unterstützt, suchten dem Land den Katholizismus wieder aufzuzwingen.
Dies führte im Frühling 1622 zu einer allgemeinen Erhebung. Des Nachts schnitzten die Prätigauer in den Wäldern Keulen, und am Palmsonntag brach der Aufstand los. Die Besatzung von Castels wurde zur Uebergabe gezwungen und erhielt freien Abzug. In Schiers wurden die Oesterreicher nach hartem Kampf, an dem sich auch Frauen beteiligten, überwältigt und gänzlich aus dem Thal vertrieben. In Seewis ward der fliehende Pater Fidelis erschlagen. Aber schon im September desselben Jahres fiel Baldiron aufs Neue durch das Engadin und über Davos ins Prätigäu ein, wobei in Klosters allein 330 Gebäude, darunter auch die Kirche, eingeäschert wurden.
Auf der Wiese Raschnals bei Saas kämpften die Prätigauer erfolgreich gegen die Oesterreicher, wurden dann aber gleich darauf nach verzweifelter Gegenwehr auf der Wiese Aquasana, ebenfalls bei Saas, überwältigt. Nun mussten sie sich einen harten Frieden gefallen lassen und im folgenden Frühling bei der Burg Castels, umringt von 1200 Reitern, knieend den Untertaneneid leisten. Zum Kriegsunglück kam noch eine schwere Hungersnot im Winter 1622/23 und dann der durch österreichische Soldaten eingeschleppte «schwarze Tod» (Pest), der besonders 1628 und 1629 in erschreckender Weise auftrat. 1649, als der 30 jährige Krieg Oesterreich geschwächt hatte, gelang es dann den Thälern Prätigau und Davos, sich um die Summe von 75000 Gulden (nach jetzigem Wert etwa ½ Million Franken) loszukaufen, worauf die alte Zwingburg Castels im Jahr 1652 gebrochen wurde. Seither blieb der Prätigau von Kriegsnöten verschont, ausgenommen eine kurze Zeit, 1799, als ¶
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Oesterreicher und Franzosen sich auch in Graubünden herumschlugen und manche Gewalttat erlaubten.
Literatur:
Theobald, G. Naturbilder aus den rätischen Alpen. 3. Aufl. von Chr. Tarnuzzer. Chur 1893. - Hauri, J. Die Landquart-Davos-Bahn. (Europ. Wanderbilder. 183 und 184). Zürich 1891; Imhof, Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. (Itinerar. S. A. C. 1890-91). Glarus 1890; Imhof, Ed. Luftkurort Klosters. Klosters 1893; Ludwig, A. Der Prätigauer Freiheitskampf. Schiers 1901; Fient, G. Das Prätigau. 2. Aufl. Davos 1897.
[Dr. Ed. Imhof.]