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Galtürthäli, zwei typische Karmulden. Zu den Quellthälern der Landquart zählt man auch das bei Novai von S. her mündende Vereinathal. Hinter einer langen und engen Schlucht weitet auch dieses sich zu einem Alpthal aus und verzweigt sich weiter in drei Arme. Die Gletscherwelt ist hier nicht so grossartig entwickelt wie im Sardascagebiet, indem sich nur kleinere Gehänge- und Terrassengletscher finden, so am Verstanklahorn und an den Plattenhörnern im Vernelathal und am Weisshorn im Jörithal.
Touristisch wichtig ist aber dieses Gebiet durch seine Pässe nach dem Unter Engadin: den Vernelapass oder die Fuorcla Zadrell (2753 m) aus dem Vernelathal, den Vereina- oder Valtortapass (2603 m) und den Flesspass (2452 m) aus dem Süserthal und den Jöriflesspass (2567 m) aus dem Jörithal. An der Ausmündung des Vernelathales steht die Vereinahütte des S. A. C., der vielbesuchte Ausgangspunkt für die genannten Pässe und für eine Reihe von Gipfeltouren (Piz Linard, Plattenhörner, Verstanklahorn, Weisshorn, Pischahorn etc.).
Die Seitenthäler des Prätigaus sind in ihren untern Teilen alle nur wilde, meist kaum gangbare Schluchten, durch welche die ungestümen Bergwasser oft genug gefahrdrohend ins Hauptthal hinaus treten. In ihren obern Teilen dagegen weiten sie sich, verzweigen sich und bilden ausgedehnte Wald- und Alpreviere. Nur wenige sind ständig bewohnt. Von diesen Thälern liegt das bei Klosters Dörfli mündende Schlappinthal noch im krystallinen Gebiet der Silvrettaruppe, während die andern alle dem Schiefergebirge angehören, so das Fiderisertobel, das Jenazertobel und das Valzeina demjenigen der Hochwanggruppe, das St. Antönierthal und die Thäler des Schraubaches (bei Schiers) und des Taschinesbaches (bei Grüsch) demjenigen der Vorberge des Rätikon.
Nur mit ihren obersten Verzweigungen reichen letztere auch noch in die Kalkmauer des Rätikon hinauf und sind nur spärlich oder gar nicht bewohnt. Blos das Thal von St. Antönien ist in seiner mittleren Partie einigermassen muldenförmig gestaltet und weist hier drei kleine Dörfchen mit zusammen 350 Ew. auf (Ascharina, Castels und Rüti). Schuders und Busserein im Gebiet des Schraubaches, Furna in demjenigen des Jenazerbaches und Valzeina in dem des Schrankenbaches sind keine eigentlichen Thalsiedelungen, sondern liegen an hohen Gehängen (Schuders und Furna) oder in Gehängemulden (Busserein) oder auch auf seitlichen Terrassen (Valzeina).
Der Prätigau hat ein relativ mildes Klima, da er vor N.- und O.-Winden geschützt ist, während W.-Winde freiern Zutritt haben und auch der Föhn ein wohlbekannter, manchmal recht unwirscher Gast ist, aber auch jeweilen im Frühling mit dem Schnee gehörig aufräumt. Die Niederschläge sind ziemlich stark und steigen durchschnittlich im Thal auf 100-125 cm per Jahr, d. h. beträchtlich höher als z. B. im Churer Rheinthal und in Davos, welche Gegenden vor W.-Winden besser geschützt sind.
Als Lokalwinde stellen sich im Sommer bei guter Wetterlage regelmässig der Thal- und Bergwind ein, jener am Tag thalaufwärts, dieser bei Nacht thalabwärts wehend. Nebel sind selten. Nur im Spätherbst und Winter lagert dann und wann ein dünner Frostnebel über der Landquart. Der Winter hat bei reichlichem Schnee viele helle, sonnige Tage, die oft wochenlang andauern, und zeigt also, besonders in den höhern Lagen (Schuders, Furna, St. Antönien, Klosters), schon manche Anklänge an den Davoser Winter.
Doch ist die mittlere Jahrestemperatur entsprechend der tiefern Lage natürlich höher und beträgt im untern Prätigau 7-8°, in Klosters etwa 5° C. Im untern Prätigau sieht man noch da und dort Rebenspaliere. Früher wurde hier ziemlich viel Mais angebaut, jetzt nur noch wenig. Der Getreidebau ist, wie überall in der Schweiz, aus wirtschaftlichen Gründen sehr zurückgegangen, doch trifft man Roggen- und Gerstenfelder noch bis Klosters. Obstbäume sind bei allen untern Dörfern bis über 1000 m zahlreich, Kirschbäume gehen bis Klosters Platz.
Das Prätigäu könnte, wenn man sich darauf verlegen wollte, feines Tafelobst in grosser Menge erzeugen. Einen besondern Schmuck dieses Thals bilden die zum Teil noch ausgedehnten Buchenwälder, die bis etwa 1300 m gehen, während einzelne Buchen hie und da 1500 m erreichen oder noch etwas überschreiten. Sehr hübsch machen sich an manchen Stellen kleinere Gruppen von Buchen, Ahornen, Eschen oder Birken, auch hie und da solche von Ulmen und Linden, die mitten in den Wiesen oder längs den sprudelnden Bächen stehen.
Zahlreich sind in höhern Lagen die Ebereschen, seltener dagegen und nur auf den untersten Stufen die Eichen (bei Furna jedoch bis 1400 m). An feuchten Stellen bis etwa 1400 m findet sich die Weisserle, in den höhern Regionen bis 2000 m dagegen die Grünerle. Die Nadelwälder gehen im vordern Prätigau bis etwa 1800 m, im hintern Prätigau bis 1900 m und hie und da noch höher. Sie bestehen vorherrschend aus Fichten (Rottannen), doch gibt es auch grössere reine Bestände von Lärchen.
Daneben sind letztere auch häufig mit Fichten oder Buchen gemischt. Die Verbindung von Lärchen- und Buchenwald ist eine viel beachtete Eigentümlichkeit, die der Prätigau nur mit wenigen andern Thälern der Schweiz, insbesondere mit den obern Stufen einiger Tessinerthäler gemeinsam hat und die den Uebergang vom mehr ozeanischen Buchenklima zum mehr kontinentalen Lärchenklima andeutet. Weisstannen sind im Prätigau nicht gerade häufig, gehen aber stellenweise doch bis 1700 m. Nur schwach vertreten ist die Arve am obern Waldrand etwa vom Kistenstein bis in die Silvrettagruppe.
Nicht ganz selten ist die Eibe von Grüsch und Seewis bis Küblis. Die Waldföhre (Pinus silvestris) findet sich vereinzelt an warmen Standorten (bis 1200 m), die baumförmige Bergföhre (Pinus montana var. uncinata) bei Laret und am Wolfgang, die Legföhre (Pinus montana var. Pumilio) stellenweise am obern Waldrand des Rätikon. Von den übrigen Strauchformen sei nur noch die Alpenrose genannt, die in den höhern Lagen überall reichlich vorhanden ist, im Schiefer- und Gneisgebirge als rostblätterige, im Kalkgebirge als gewimperte, in den Grenzgebieten auch in der Zwischenform (Rhododendron intermedium). Auch sonst bietet die alpine Pflanzenwelt dem Botaniker schöne Ausbeute. Einzelne Gegenden gehören zu den eigentlich reichen Bezirken, so der S.- und W.-Abhang der Madrishornkette (Saaseralp, Gafienthal, Partnun) und die Alpen am S.-Fuss des Rätikon. Näheres darüber siehe bei Imhof, Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. (Itinerar. S. A. C. für 1890-1891). Glarus 1890. ¶
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Die Bevölkerung des Prätigaus beträgt nach der Zählung von 1900 8850 Seelen, d. h. nur 14 per km2. Davon kommen aber auf das Hauptthal und dessen Gehänge etwa 8000 oder 100-200 per km2. Dieselben verteilen sich auf 16 Gemeinden, wovon Schiers (inkl. Schuders) mit 1654 und Klosters (inkl. Serneus) mit 1555 Ew. die grössten, die drei Gemeinden von St. Antönien (Rüti mit 83, Ascharina mit 95 und Castels mit 172 Ew.) die kleinsten sind. Ueber 500 Ew. haben nur noch Seewis (901), Grüsch (629), Jenaz (820) und Luzein (841). Dabei muss sehr auffallen, wie verschieden die Ausdehnung und Gliederung dieser Gemeinden ist.
Die drei politischen Gemeinden von St. Antönien z. B. erstrecken sich zusammen nur über eine Thalstrecke von 3 km und bilden auch nur eine einzige Kirchgemeinde, die Gemeinde Klosters dagegen nimmt eine Thalstrecke von 7-8 km ein und umfasst die Dörfer und Weiler Platz, Dörfli, Brücke, Selfranga, Aeuje, Monbiel und Serneus, letzteres mit eigener Kirche. Die Gemeinde Luzein erstreckt sich von Mittel und Inner Lunden über Buchen und Putz bis nach Pany, letzteres ebenfalls mit eigenem Kirchlein. Die Gemeinde Schiers gar zieht sich einerseits bis Vorder Lunden, Fajauna und Stels, andererseits über Maria-Montagna und Busserein bis inkl. das Berg- und Kirchdorf Schuders. Derartige Verschiedenheiten sind weniger geographisch begründet, als durch historisch-politische Entwicklungen meist sehr lokaler Art so geworden.
Die Prätigauer sind im ganzen ein kräftiger, gut gebauter Volksschlag, deutsch und reformiert mit ausgesprochenem Sinn für das Religiöse und mit grosser Anhänglichkeit an ihr Land und ihre politischen Einrichtungen, gerne festhaltend am Hergebrachten, doch auch Neuerungen nicht unzugänglich, sofern solche als gut und notwendig erkannt werden. Ihre Hauptbeschäftigung bildet natürlich die Viehzucht, die in den herrlichen Wiesen und ausgedehnten Alpweiden eine treffliche Grundlage hat.
Das Prätigauer Vieh gehört zu den grössten und schönsten Schlägen Graubündens. Es wird hauptsächlich auf Aufzucht von Jungvieh hin gearbeitet, das dann auf zahlreichen Märkten in und ausserhalb des Thals verkauft wird. Die Molkereiprodukte (Milch, Käse, Butter, Zieger) werden grösstenteils im Thal selbst konsumiert. Doch wird auch viel Butter an die eigenen und benachbarten Kurorte geliefert. Die Käserei erzeugt fast nur Magerkäse zum eigenen Verbrauch.
Acker- und Obstbau werden in allen hiezu geeigneten Strichen bis nach Klosters mehr oder weniger, doch nirgends in grösserem Mass betrieben, obwohl Boden und Klima vielorts dazu sehr geeignet und die Absatzverhältnisse (Kurorte, Eisenbahn) namentlich für Obst und Gemüse günstige wären. Obst allerdings wird in den guten Jahren aus dem untern Prätigau ziemlich viel ausgeführt, während Getreide und Mehl eingeführt werden müssen. Einen bedeutenden Reichtum des Prätigaus bilden die ausgedehnten Wälder, die 22% seiner Gesamtfläche einnehmen.
Namentlich die steileren Abhänge und die Schluchten und Tobel sind damit bedeckt. Der Holzhandel ist denn auch beträchtlich. Bei den Sägen und Bahnstationen sieht man oft mächtige Haufen von Fichten- und Lärchenstämmen zur Ausfuhr bereit gelegt, besonders bei Grüsch, Schiers, Jenaz und Küblis. Immer grössere Bedeutung erlangt ferner der Fremdenverkehr, der sich namentlich auf die Luftkurorte und Sommerfrischen Klosters, St. Antönien und Seewis und auf die Badeorte Serneus (Schwefelwasser) und Fideris (Eisensäuerling) konzentriert. Der früher ziemlich beträchtliche Bergbau - ums Jahr 1588 gab es im Prätigau 15 Bergwerke auf Eisen, Kupfer, Blei und Silber - ist gänzlich eingegangen.
Die vielen romanischen Lokalnamen (für Dörfer, Güter, Wälder, Alpen, Berge, Bäche etc.) lassen erkennen, dass die Bevölkerung des Prätigaus ursprünglich romanisch war. Das Deutsche ist seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts herrschend geworden. Doch finden sich im Prätigauer Dialekt noch manche romanische Ueberbleibsel. In der Geschichte tritt das Prätigäu namentlich seit 1436 hervor. In diesem Jahr starb nämlich der letzte Spross des Grafenhauses von Toggenburg, dem neben andern rätischen Thälern auch das Prätigäu gehört hatte.
Als nun über das Erbe blutige Kämpfe entbrannten, traten Abgeordnete der rätischen Besitzungen in Davos zusammen und gründeten den Zehngerichtebund, dem auch das Prätigäu mit seinen drei Gerichten Schiers, Castels und Klosters beitrat. Das Haus Montfort-Tettnang, dem Prätigau und Davos zugefallen waren, dann auch Herzog Sigismund von Oesterreich, der diese Thalschaften 1477 käuflich erworben hatte, anerkannten das Abkommen der Landleute, so dass die ersten Zeiten des Bundes ohne grössere Schwierigkeiten vorübergingen.
Auch die Reformation fand in Prätigau und Davos raschen Eingang, ebenfalls ohne grössere Streitigkeiten zu verursachen. Später aber suchte Oesterreich diese Thäler wieder zum katholischen Glauben zurück zu führen und zugleich unbedingte Herrschaftsrechte über sie zu erlangen. Im Oktober 1621 fiel Oberst Brion mit österreichischen Truppen über das Schlappinerjoch in den Prätigau ein und plünderte und verbrannte Klosters Dörfli, wurde dann aber durch die bei Klosters Platz vereinigten Prätigauer und Davoser wieder ins Montafun zurückgetrieben.
Allein gleichzeitig war Baldiron mit der österreichischen Hauptmacht ins Engadin eingefallen und zog nun über den Flüelapass nach Davos und ins Prätigäu, alles vor sich niederwerfend. Die Prätigauer mussten ihre Waffen nach der Burg Castels, dem Sitz des österreichischen Vogtes, abliefern. Castels erhielt eine starke Besatzung, und Fragstein in der Klus wurde befestigt. Die evangelischen Prädikanten wurden vertrieben, und Kapuziner, von einer rohen Soldateska unterstützt, suchten dem Land den Katholizismus wieder aufzuzwingen.
Dies führte im Frühling 1622 zu einer allgemeinen Erhebung. Des Nachts schnitzten die Prätigauer in den Wäldern Keulen, und am Palmsonntag brach der Aufstand los. Die Besatzung von Castels wurde zur Uebergabe gezwungen und erhielt freien Abzug. In Schiers wurden die Oesterreicher nach hartem Kampf, an dem sich auch Frauen beteiligten, überwältigt und gänzlich aus dem Thal vertrieben. In Seewis ward der fliehende Pater Fidelis erschlagen. Aber schon im September desselben Jahres fiel Baldiron aufs Neue durch das Engadin und über Davos ins Prätigäu ein, wobei in Klosters allein 330 Gebäude, darunter auch die Kirche, eingeäschert wurden.
Auf der Wiese Raschnals bei Saas kämpften die Prätigauer erfolgreich gegen die Oesterreicher, wurden dann aber gleich darauf nach verzweifelter Gegenwehr auf der Wiese Aquasana, ebenfalls bei Saas, überwältigt. Nun mussten sie sich einen harten Frieden gefallen lassen und im folgenden Frühling bei der Burg Castels, umringt von 1200 Reitern, knieend den Untertaneneid leisten. Zum Kriegsunglück kam noch eine schwere Hungersnot im Winter 1622/23 und dann der durch österreichische Soldaten eingeschleppte «schwarze Tod» (Pest), der besonders 1628 und 1629 in erschreckender Weise auftrat. 1649, als der 30 jährige Krieg Oesterreich geschwächt hatte, gelang es dann den Thälern Prätigau und Davos, sich um die Summe von 75000 Gulden (nach jetzigem Wert etwa ½ Million Franken) loszukaufen, worauf die alte Zwingburg Castels im Jahr 1652 gebrochen wurde. Seither blieb der Prätigau von Kriegsnöten verschont, ausgenommen eine kurze Zeit, 1799, als ¶