mehr
Tunnel, dahinziehen. Diese Schlucht ist etwa 2 km lang und kann nach dem Dörfchen am innern Ende als Dalvazzerschlucht bezeichnet werden. Ihre Wände sind ungleich beschaffen. Auf Fideriserseite erhebt sich ein etwa 100 m hoher Waldhang, auf der andern Seite dagegen der bis 300 m hohe Putzer Stein, eine mächtige, von steilen Runsen durchrissene und nur spärlich bewachsene Felswand, deren höchster Punkt die Ruine der in der Geschichte des Prätigaus bedeutsamen Burg Castels krönt.
Diese beherrschte die alte, holperige, mehrfach auf- und absteigende Thalstrasse, die von Schiers über Lunden, Jenaz (bezw. Buchen), Putz und Luzein nach Dalvazza-Küblis zog, also sowohl den Fuchsenwinkel als die Dalvazzerschlucht vermied. Ein anderer Weg ging von Jenaz über Fideris und Strahlegg ebenfalls nach Dalvazza-Küblis. Diese Orte liegen auf der Sohle des dritten Thalbeckens, das wiederum kleiner ist als das zweite. Hier mündet von N. durch eine enge Schlucht das bis an die Sulzfluh reichende Thal von St. Antönien. An den sanfter ansteigenden N.-Gehängen des Kübliserbeckens liegen der Weiler Telfsch (mit Burgruine) und die Kirchdörfer Luzein und Pany, diese zwei an der neuen Strasse, die mit weit ausholender Schlinge nach St. Antönien führt. Telfsch, Luzein, Strahlegg, Fideris gehören wieder ein und demselben Terrassensystem an. Die S.-Seite des Beckens wird durch einen hohen und steilen Waldhang gebildet, der im Winter den Orten Dalvazza und Küblis längere Zeit die Sonne entzieht, ähnlich wie der Landquartberg einem Teil von Schiers.
Hinter Küblis folgt bis Klosters Brücke ein etwa 9 km langes Défilé, halb Thal, halb Schlucht mit enger, immer tiefer sich einschneidender Flussrinne und bald steileren, bald weniger steilen Wald- und Wiesenhängen, die von vielen kleinen Wildbächen durchschnitten werden und häufigen Erdabrutschungen ausgesetzt sind, und zwar umso mehr als sie aus leicht verwitterndem Schiefer bestehen. Auch hier fehlt es nicht an Terrassen. Auf einer solchen, die genetisch mit derjenigen von Luzein-Fideris zu verbinden sein dürfte, liegt gegenüber Konters hoch über dem Thal das Dorf Saas mit seiner weitblickenden Kirche.
Die ausgeprägteste Terrasse ist die von Serneus, die nur wenig über der Landquart liegt und zum grossen Teil die Schuttablagerung aus den darüber eingeschnittenen Tobeln darstellt. Nahe dabei steht im Thalgrund selber das Schwefelbad Serneus. Die Terrasse von Saas zieht sich, schmaler werdend aber nur wenig unterbrochen, über Mezzaselva bis nach Klosters Dörfli hinein. Ihr folgt die Strasse, die von Küblis an in steilem Anstieg Saas erreicht hat. Die langsamer ansteigende Eisenbahn jedoch erreicht die Terrasse erst bei Mezzaselva.
Zahlreiche schwierige und kostspielige Sicherungsarbeiten waren da in dem wasserzügigen, zu Abrutschungen geneigten und von Wildbächen durchschnittenen Boden notwendig. Mit Klosters Dörfli betreten wir das vierte Thalbecken, das selber wieder in zwei deutlich unterschiedene Teile zerfällt. Der äussere bildet eine prächtige, sanft nach O. und NO. ansteigende Haldenlandschaft, die sich zwischen der Landquart und dem Schlappinerbach auskeilt und von den Höhen des Kessigrates und Aelplispitz überragt wird.
Der romanische Name Bosca deutet wohl auf ehemalige Bewaldung dieser Halde. Jetzt ist sie ein schöner, von bunten Blumen durchwirkter Rasenteppich, über den zahllose Hütten zerstreut sind. Auch die beiden Hauptteile von Klosters, Dörfli und Platz, breiten sich hier aus. Thaleinwärts zieht diese Halde, wenn auch sehr verschmälert, noch bis gegen Monbiel. Im ganzen aber bildet der hintere Teil des Klosterserbeckens von der Brücke bis in die Alp Novai eine schöne Thalmulde mit einem langen Streifen ebenen Thalbodens, an den sich zu beiden Seiten sanft ansteigende Halden anlehnen, die dann bald in die einschliessenden hohen und steilen Bergwände übergehen.
Bis Monbiel (1313 m) ist diese Thalstrecke noch ständig bewohnt. Weiter hinten folgen herdenbelebte Alpen, von denen besonders Pardenn und Novai durch ihre landschaftlichen Reize, durch grüne Wiesenflächen, dunkle Wälder und rauschende Wasser hervorragen und deshalb von den Klosterser Kurgästen viel besucht werden. Ein hübsches Fahrsträsschen führt von Klosters Platz über Monbiel und diese Alpweiden bis zur Alp Sardasca, ein zweites von Klosters Brücke über Aeuje zum Anschluss an das vorige, ein Fussweg ausserdem von Aeuje auf der linken Seite der Landquart ebenfalls bis nach Novai. Da Klosters selber schon 1200 m hoch liegt, finden wir hier nicht wie in den früher genannten Thalbecken noch weitere Ortschaften auf höher gelegenen Terrassen, ausgenommen etwa der kleine Weiler Selfranga (1238 m) etwas über Klosters Brücke.
Von da geniesst man, wie übrigens noch von vielen andern Punkten, einen guten Ueberblick über das ganze Becken und über die es einschliessenden Gebirge. Einen besondern, vielbewunderten Reiz verleiht diesen Landschaftsbildern der Thalabschluss durch die Silvrettagruppe mit den schönen, regelmässigen Pyramiden des Canard- und Weisshorns, dem Silvretta- und Kammgletscher und einigen der umstehenden Gipfel. Klosters gehört unbestritten zu den schönsten Gegenden Graubündens und verdankt diesem Umstand nächst seiner Höhenlage und den damit verbundenen klimatischen Vorteilen sein Aufblühen als Kurort.
Namentlich bei Klosters Brücke drängt sich eine Reihe grösserer und kleinerer Kurhäuser und Hotels zusammen, während andere, meist bescheidenere, da und dort zerstreut sind und einige auch in Klosters Dörfli sich finden. Hinter der Alp Novai folgt die letzte Thalenge, eine Waldschlucht, durch welche die junge Landquart schäumend und brausend zwischen mächtigen Blöcken sich hindurcharbeitet. Ihr entlang führt das oben genannte Fahrsträsschen mit einigen Windungen hinauf auf die oberste Thalstufe, das Sardascathal, auf dessen Kiesboden die Landquart sich hin- und herschlängelt.
Hier findet man sich in einem weiten Felsenzirkus, auf den kühne Berggestalten, wie die Verstanklaköpfe, das Gross Seehorn, der Gross Litzner und andere herunterblicken. Das Sardascathal verzweigt sich in mehrere Arme, die steil in die Eiswelt der Silvrettagruppe hinauf greifen. Sie sind alle in ihren untern Teilen schlucht- oder tobelartig verengt und steil, während sie weiter oben sich zu Hochmulden erweitern. Drei von diesen letztern sind mit Gletschern erfüllt, deren grösster der breite, in sanften Wellen ansteigende und von einem wunderbar schönen Gipfelkranz umrahmte Silvrettagletscher ist. Zu ihm steigt man auf gutem Pfad durch das Medjethäli hinauf, in dem die Silvrettahütte des S. A. C. (2344 m) als Ausgangspunkt einer grossen Reihe herrlicher Gebirgstouren steht. In der Hochmulde des Verstanklathales liegt der Verstanklagletscher, gleichsam eine Seitenkammer des Silvrettagletschers, auf der obersten Stufe des Seethales der Seegletscher. Eisfrei, aber in ihren obern Teilen mit Moränen und Schneeflecken erfüllt, sind das Thälchen der Silvretta Alp und das ¶
mehr
Galtürthäli, zwei typische Karmulden. Zu den Quellthälern der Landquart zählt man auch das bei Novai von S. her mündende Vereinathal. Hinter einer langen und engen Schlucht weitet auch dieses sich zu einem Alpthal aus und verzweigt sich weiter in drei Arme. Die Gletscherwelt ist hier nicht so grossartig entwickelt wie im Sardascagebiet, indem sich nur kleinere Gehänge- und Terrassengletscher finden, so am Verstanklahorn und an den Plattenhörnern im Vernelathal und am Weisshorn im Jörithal.
Touristisch wichtig ist aber dieses Gebiet durch seine Pässe nach dem Unter Engadin: den Vernelapass oder die Fuorcla Zadrell (2753 m) aus dem Vernelathal, den Vereina- oder Valtortapass (2603 m) und den Flesspass (2452 m) aus dem Süserthal und den Jöriflesspass (2567 m) aus dem Jörithal. An der Ausmündung des Vernelathales steht die Vereinahütte des S. A. C., der vielbesuchte Ausgangspunkt für die genannten Pässe und für eine Reihe von Gipfeltouren (Piz Linard, Plattenhörner, Verstanklahorn, Weisshorn, Pischahorn etc.).
Die Seitenthäler des Prätigaus sind in ihren untern Teilen alle nur wilde, meist kaum gangbare Schluchten, durch welche die ungestümen Bergwasser oft genug gefahrdrohend ins Hauptthal hinaus treten. In ihren obern Teilen dagegen weiten sie sich, verzweigen sich und bilden ausgedehnte Wald- und Alpreviere. Nur wenige sind ständig bewohnt. Von diesen Thälern liegt das bei Klosters Dörfli mündende Schlappinthal noch im krystallinen Gebiet der Silvrettaruppe, während die andern alle dem Schiefergebirge angehören, so das Fiderisertobel, das Jenazertobel und das Valzeina demjenigen der Hochwanggruppe, das St. Antönierthal und die Thäler des Schraubaches (bei Schiers) und des Taschinesbaches (bei Grüsch) demjenigen der Vorberge des Rätikon.
Nur mit ihren obersten Verzweigungen reichen letztere auch noch in die Kalkmauer des Rätikon hinauf und sind nur spärlich oder gar nicht bewohnt. Blos das Thal von St. Antönien ist in seiner mittleren Partie einigermassen muldenförmig gestaltet und weist hier drei kleine Dörfchen mit zusammen 350 Ew. auf (Ascharina, Castels und Rüti). Schuders und Busserein im Gebiet des Schraubaches, Furna in demjenigen des Jenazerbaches und Valzeina in dem des Schrankenbaches sind keine eigentlichen Thalsiedelungen, sondern liegen an hohen Gehängen (Schuders und Furna) oder in Gehängemulden (Busserein) oder auch auf seitlichen Terrassen (Valzeina).
Der Prätigau hat ein relativ mildes Klima, da er vor N.- und O.-Winden geschützt ist, während W.-Winde freiern Zutritt haben und auch der Föhn ein wohlbekannter, manchmal recht unwirscher Gast ist, aber auch jeweilen im Frühling mit dem Schnee gehörig aufräumt. Die Niederschläge sind ziemlich stark und steigen durchschnittlich im Thal auf 100-125 cm per Jahr, d. h. beträchtlich höher als z. B. im Churer Rheinthal und in Davos, welche Gegenden vor W.-Winden besser geschützt sind.
Als Lokalwinde stellen sich im Sommer bei guter Wetterlage regelmässig der Thal- und Bergwind ein, jener am Tag thalaufwärts, dieser bei Nacht thalabwärts wehend. Nebel sind selten. Nur im Spätherbst und Winter lagert dann und wann ein dünner Frostnebel über der Landquart. Der Winter hat bei reichlichem Schnee viele helle, sonnige Tage, die oft wochenlang andauern, und zeigt also, besonders in den höhern Lagen (Schuders, Furna, St. Antönien, Klosters), schon manche Anklänge an den Davoser Winter.
Doch ist die mittlere Jahrestemperatur entsprechend der tiefern Lage natürlich höher und beträgt im untern Prätigau 7-8°, in Klosters etwa 5° C. Im untern Prätigau sieht man noch da und dort Rebenspaliere. Früher wurde hier ziemlich viel Mais angebaut, jetzt nur noch wenig. Der Getreidebau ist, wie überall in der Schweiz, aus wirtschaftlichen Gründen sehr zurückgegangen, doch trifft man Roggen- und Gerstenfelder noch bis Klosters. Obstbäume sind bei allen untern Dörfern bis über 1000 m zahlreich, Kirschbäume gehen bis Klosters Platz.
Das Prätigäu könnte, wenn man sich darauf verlegen wollte, feines Tafelobst in grosser Menge erzeugen. Einen besondern Schmuck dieses Thals bilden die zum Teil noch ausgedehnten Buchenwälder, die bis etwa 1300 m gehen, während einzelne Buchen hie und da 1500 m erreichen oder noch etwas überschreiten. Sehr hübsch machen sich an manchen Stellen kleinere Gruppen von Buchen, Ahornen, Eschen oder Birken, auch hie und da solche von Ulmen und Linden, die mitten in den Wiesen oder längs den sprudelnden Bächen stehen.
Zahlreich sind in höhern Lagen die Ebereschen, seltener dagegen und nur auf den untersten Stufen die Eichen (bei Furna jedoch bis 1400 m). An feuchten Stellen bis etwa 1400 m findet sich die Weisserle, in den höhern Regionen bis 2000 m dagegen die Grünerle. Die Nadelwälder gehen im vordern Prätigau bis etwa 1800 m, im hintern Prätigau bis 1900 m und hie und da noch höher. Sie bestehen vorherrschend aus Fichten (Rottannen), doch gibt es auch grössere reine Bestände von Lärchen.
Daneben sind letztere auch häufig mit Fichten oder Buchen gemischt. Die Verbindung von Lärchen- und Buchenwald ist eine viel beachtete Eigentümlichkeit, die der Prätigau nur mit wenigen andern Thälern der Schweiz, insbesondere mit den obern Stufen einiger Tessinerthäler gemeinsam hat und die den Uebergang vom mehr ozeanischen Buchenklima zum mehr kontinentalen Lärchenklima andeutet. Weisstannen sind im Prätigau nicht gerade häufig, gehen aber stellenweise doch bis 1700 m. Nur schwach vertreten ist die Arve am obern Waldrand etwa vom Kistenstein bis in die Silvrettagruppe.
Nicht ganz selten ist die Eibe von Grüsch und Seewis bis Küblis. Die Waldföhre (Pinus silvestris) findet sich vereinzelt an warmen Standorten (bis 1200 m), die baumförmige Bergföhre (Pinus montana var. uncinata) bei Laret und am Wolfgang, die Legföhre (Pinus montana var. Pumilio) stellenweise am obern Waldrand des Rätikon. Von den übrigen Strauchformen sei nur noch die Alpenrose genannt, die in den höhern Lagen überall reichlich vorhanden ist, im Schiefer- und Gneisgebirge als rostblätterige, im Kalkgebirge als gewimperte, in den Grenzgebieten auch in der Zwischenform (Rhododendron intermedium). Auch sonst bietet die alpine Pflanzenwelt dem Botaniker schöne Ausbeute. Einzelne Gegenden gehören zu den eigentlich reichen Bezirken, so der S.- und W.-Abhang der Madrishornkette (Saaseralp, Gafienthal, Partnun) und die Alpen am S.-Fuss des Rätikon. Näheres darüber siehe bei Imhof, Ed. Der Rätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer der Silvrettagruppe. (Itinerar. S. A. C. für 1890-1891). Glarus 1890. ¶