mehr
gehörten die schon erwähnten «freien Walser» und die «Grafschaft Laax», d. h. die Reichsvogtei über die im Oberland zerstreut wohnenden reichsfreien Bauern. Diese hielten alljährlich bei der Burg Langenberg (nö. Laax) unter Leitung eines Reichsvogtes ihr Landgericht ab, verbunden mit einem grossen Jahrmarkt. 1428 kauften sie sich von der Vogtei los und stellten sich unter den Schutz des Bistums. Leibeigene hat es im Oberland immer nur sehr wenige gegeben, und auch diese hatten verschiedene Rechte, durften z. B. Güter erwerben. So war im Oberland die Freiheit Regel, die Unfreiheit Ausnahme, selbst in der Blütezeit des Feudalismus.
Wichtig für die weitere freiheitliche Entwicklung war das allmählige Aufkommen der Gerichtsgemeinden auch in den Gebietsherrschaften. Ursprünglich übten die verschiedenen kleinern und grössern Herrschaften über ihre Leute wenigstens die niedere Gerichtsbarkeit, einige derselben zugleich auch die hohe Judikatur aus, und zwar durch einen Vogt, der zu bestimmten Zeiten Gerichtstage abhielt, wozu alle Leute seines Gebietes einzuladen waren. Die Gesamtheit dieser Leute, aus welchen auch die Beisitzer des Vogtes, die Geschwornen, genommen wurden, bildeten dann eine Gerichtsgemeinde.
Bald liess sich diese die Beisitzer des Vogtes nicht mehr geben, sondern wählte sie von sich aus, und mit der Zeit erlangte sie sogar Einfluss auf die Wahl des Vogtes selber, der dann den Namen Ammann erhielt. Die Kraft und Selbständigkeit der Gerichtsgemeinden wurde mächtig gefördert durch die Bündnisse, die sie miteinander und mit den Herrschaften zu gegenseitigem Rechtsschutz und gegenseitiger Hilfe eingingen, so in den ersten Anfängen schon 1374 und 1395. Am besten ausgeführt wurden die Grundsätze der Rechtssicherheit in dem 1424 erneuerten und erweiterten Bundesvertrag des «Grauen oder Oberen Bundes», der unter dem Vorsitz des Abtes von Disentis beim Ahorn zu Truns beschworen wurde. Es verbanden sich da die Abtei und Gemeinde Disentis, die Freiherren von Räzüns und ihre Leute, die Gemeinden Safien, Tenna und Obersaxen, der Graf von Sax-Misox mit den Gerichten und Gemeinden Ilanz, Gruob, Kästris, Lugnez, Vals und Flims, der Graf von Werdenberg mit Trins und Tamins, die Freien von Laax, die Gemeinden Rheinwald und Schams.
Später verband sich der Graue Bund mit den im übrigen Rätien entstandenen Bünden (dem Gotteshausbund und Zehngerichtebund). Die Reformationszeit ging verhältnismässig ruhig vorüber, obwohl die neue Lehre auch in diesem Bergland ihren Einzug hielt. Schon 1526 wurde nach einem Religionsgespräch in Ilanz die Religionsfreiheit proklamiert, früher als es sonst irgendwo geschehen ist. Verfolgungen um des Glaubens willen wurden bei Busse verboten, die politische Gewalt der Geistlichkeit beseitigt, den Klöstern die Novizenaufnahme untersagt, den Gemeinden die Wahl und Entlassung ihrer Geistlichen freigegeben etc. In der Folge blieben die meisten Gemeinden des Oberlandes beim alten Glauben.
Tamins, Trins, Flims, Safien, Tenna, Versam, Valendas, Kästris, Luvis, Flond, Riein, Pitasch, Duvin wurden reformiert, Ilanz und Sagens paritätisch. Später suchte das Kloster Disentis, begünstigt durch Carl Borromeo, der es 1584 besuchte, der Reformation entgegen zu arbeiten und gelangte unter gewandten Aebten zu neuer Blüte und Macht. Viel Unruhe und Not, manche bedauerlichen Ereignisse und Zustände brachten auch dem Oberland die Zeiten der fremden Kriegsdienste und der Bündnerwirren.
Der Einmarsch der Franzosen in die Schweiz, die Umgestaltung dieser letztern in die helvetische Republik und die darauffolgenden Kämpfe, insbesondere der Krieg der zweiten Koalition gegen Frankreich, zogen auch Graubünden und das Oberland in Mitleidenschaft. Die französischen Generale in Italien sollten die Verbindung mit der Schweiz herstellen. Während sich im untern Rheinthal (Luzisteig-Chur-Reichenau) Oesterreicher und Franzosen bekämpften, rückten französische Truppen auch vom Lukmanier und Gotthard her ins Oberland ein, im Medels und Tavetsch alles vor sich her zerstörend. Da brach der Landsturm los und erfocht (am mit seinen furchtbaren Schlagwaffen einen vollständigen Sieg.
Die Franzosen unter General Loison verloren 400 Tote, 40 Verwundete und 100 Gefangene und mussten sich nach Urseren zurückziehen. Aber bei Chur hatten die Franzosen unter Masséna und Demont (einem Bündner aus dem Lugnez) gesiegt. Demont rückte ins Oberland ein. Es kam zu einer Kapitulation, der Krieg schien zu Ende. Loison aber kehrte sich nicht daran, drang von Urseren wieder vor und legte dem Kloster Disentis eine Kontribution von 100000 Fr. auf. Auch die Gemeinden und Privaten wurden gebrandschatzt.
Anfangs Mai erhoben sich die Tavetscher und Medelser wieder, rückten gen Disentis, schlugen viele Franzosen nieder und machten die übrigen zu Gefangenen. Als von den diesen einige zu entfliehen suchten, wurden sie alle erschlagen. Der Landsturm wälzte sich nach Reichenau, wurde aber hier von den Franzosen unter General Menard besiegt und in die Flucht geschlagen. Menard zog ins Oberland ein und nahm furchtbare Rache. Disentis und die umliegenden Dörfer, auch das Kloster, wurden niedergebrannt und viele Einwohner umgebracht. Mit dem Kloster gingen wertvolle Altertümer, Bücher, Handschriften und Sammlungen unter, ein für die Landesgeschichte unersetzlicher Verlust. Französische Truppen blieben bis 1804 in Bünden, das dann durch die Mediationsverfassung endgiltig mit der Schweiz verbunden wurde.
Literatur:
Theobald, G. Naturbilder aus den Rätischen Alpen. 3. Aufl. von Chr. Tarnuzzer. Chur 1893; Theobald, G. Das Bündner Oberland. Chur 1861; Tarnuzzer, Chr. Illustr. Bündner Oberland. Zürich 1903; Heim, A. Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein. (Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. 25, 1891).
[Dr. E. Imhof.]