Von bemerkenswerten geschichtlichen Ereignissen im Oberland sind zu nennen: der anlässlich der gewaltsamen Einführung der
Reformation 1528 ausgebrochene und von Bern
mit
Härte unterdrückte Aufstand der der katholischen Kirche anhänglichen
Oberländer,
die Verheerungen durch die Pest 1565 und 1669, der Aufstand 1646 und die Beteiligung am Bauernkrieg 1653,
die Erhebung des
Oberlandes zu einem selbständigen Kanton mit
Thun als Hauptstadt durch die helvetische Konstitution von 1798,
die Unruhen im
Simmenthal 1799 und in
Interlaken 1814. Von Naturereignissen mögen erwähnt werden: die von dem fränkischen
Chronisten Fredegar (660) aufgezeichnete, fabelhafte Nachricht, dass 559 der «dunensische
See», in welchen der «Fluss Arula» einmündet, ins Sieden geraten
sei;
ferner das wahrscheinlich durch
Bergstürze oder Wasserverheerungen verursachte Verschwinden von Ortschaften (wie
Balm,
Grenchen u. a.) und endlich die grossen Brandkatastrophen von
Frutigen 1828,
Boltigen 1840,
Lenk 1878,
Meiringen 1879 und 1891 und
Grindelwald 1892.
Das Oberland weist eine ziemliche Zahl von Baudenkmälern aus dem Mittelalter auf. Es seien vor allem
erwähnt die wohlerhaltenen Burgen von
Thun,
Spiez,
Oberhofen,
Wimmis und die Burgruinen
Jagdburg,
Strättligen,
Unspunnen,
Resti,
Felsenburg und
Tellenburg. Viele oberländische Kirchen stammen noch aus der Zeit vor der Reformation und zeichnen sich durch
malerische Anlage und besonders durch die Konstruktion ihrer Türme aus, deren schlanker Helm nicht direkt
auf dem steinernen Unterbau, sondern auf der durchsichtigen und leichten hölzernen Glockenstube ruht.
Diese Bauweise findet sich übrigens auch noch im Oberwallis. Durch hohes
Alter und eigentümliche Bauart sind von Interesse
die romanischen Kirchen von
Amsoldingen, Spiez, Einigen und
Wimmis, sowie die an Glasgemälden und Holzschnitzereien
reiche Kirche von
Blumenstein. Das Aussehen der grössern
Dörfer zwar hat zumeist durch Um- und Neubau, namentlich infolge
von Brandkatastrophen und der durch den steigenden Fremdenverkehr notwendig gewordenen Gasthofbauten, eine gänzliche Modernisierung
erfahren, doch finden sich abseits der grossen Verkehrswege noch viele
Weiler,
Häuser und
Dörfer mit dem
so überaus malerischen Oberländertypus.
Das
Oberländer Bauernhaus weist trotz mancher örtlichen Besonderheiten doch einen im ganzen einheitlichen Stil auf. Ueber
dem gemauerten und weissgetünchten Unterbau erhebt sich der ein- oder zweigeschossige und fensterreiche hölzerne Oberbau
mit seinem nur mässig gefirsteten Dach, in dessen
Giebel sich meist zwei niedrige Schlafkammern
(Gaden
genannt) befinden. Der Dachgiebel ist namentlich bei grösseren Gebäuden mit einer rundbogigen Verschalung und mit dem sog.
Gerschild versehen. Die Stirnseite des
Hauses trägt als Hauptfassade etwa auch einen mehr oder weniger reichen Schmuck von
Holzschnitzereien und aufgemalten religiösen Sprüchen. Die beiden Längsseiten sind mit offenen
Lauben
versehen, von denen man in die die ganze Breite des
Hauses einnehmende Küche gelangt, nach welcher die
Türen zu den Wohnzimmern
sich öffnen.
Scheunen und Stallungen sind meist mit den Wohnräumen unter demselben Dach vereinigt.
Die Bewohner der einzelnen Thalschaften weisen unter sich grosse Verschiedenheiten auf, die sich namentlich
in der Sprache geltend machen. Immerhin haben die oberländischen Dialekte im
Vergleich zu den übrigen bernischen Mundarten
die gemeinschaftliche Eigenart einer feineren Aussprache, einer Mässigung der schweren alemannischen Kehllaute und einer
angenehmeren Betonung anderer Laute. Die alten Volkstrachten sind wie überall im Verschwinden begriffen.
Auch der Volkscharakter weicht von demjenigen der andern
Berner deutlich ab und ist übrigens im Oberland
selbst durchaus nicht an allen Orten gleichartig ausgeprägt. Der
Oberländer hat im allgemeinen eine hohe Statur und scharf
geprägte Gesichtszüge. Er hat gefällige Umgangsformen und ist von jeher körperlichen Uebungen, wie Schwingen und Steinstossen,
eifrig zugetan gewesen. Obwohl das Volkslied nicht mehr in seinem früheren Umfange gepflegt wird, hört
man doch noch viel singen (besonders jodeln) und zwar nicht nur auf der Alp, sondern auch bei häuslichen Arbeiten, beim
Melken etc. Wie alle Bergbewohner neigt auch der
Oberländer einigermassen zum Aberglauben und verfügt namentlich über eine
grosse Zahl von
Sagen aller Art. Im Ganzen genommen ist der
Oberländer trotz einiger mehr oder weniger
hervorstechenden Mängel ein starker, gesunder und durchaus sympathischer Volksschlag. In den letztvergangenen Jahren sind
mehrere Arbeiten über die Eigenart und die
Sitten und Gebräuche im Oberland veröffentlicht worden, haben aber den interessanten
und reichen
Stoff, den dieses Volk dem Forscher bietet, noch bei weitem nicht erschöpft.
Bibliographie.
Ueber die das Oberland im allgemeinen betreffende Literatur orientieren gut Edmund von Fellenberg's Kritisches Verzeichnisder Gesamtliteratur über dieBernerAlpen. (Itinerarium für das Exkurs. - Gebiet des S. A. C. 1885 und 1886. Bern 1886;
mit Nachtrag.Bern
1888) und A. Wäber's Landes- und Reisebeschreibungen. (Bibliogr. der schweizer. Landeskunde. 3. Fasz. Bern
1899).
Von Spezialarbeiten über einzelne Gebiete des
Oberlandes sind zu nennen: Stettler, Karl.
Das Frutigland.Bern
1887; Stettler, Karl. Des Frutiglands Geschichte.Bern
1901; Gempeler-Schletti, D. Heimatkunde desSimmenthales.
Bern
1904; die Monographien von R. Durrer über die Freiherren vonRinggenberg und über Opelingen im LandeUri
(im Jahrbuch für Schweizer Geschichte. Band 21 bezw. 24). Endlich sei hingewiesen auf: Wurstemberger, J. L. Geschichte deralten LandschaftBern.
2 Bände. Bern
1862; Wattenwyl, E. v. Geschichte der Stadt und LandschaftBern.
2 Bände.Bern
1872;
Fontesrerum Bernensium. Vol. 1-8. Bern
1877-1903.
Die genannten Gebirgsgruppen senden eine Menge längerer und kürzerer Zweige in das Gebiet des Bündner
Oberlandes hinein und gliedern es in zahlreiche
Thäler und Landschaften, die mit allen Reizen eines vielgestaltigen Berglandes
ausgestattet sind. Im N. stellt der
Tödi-Rusein mit 3623 m den höchsten Punkt des ganzen Gebietes dar, im S. strahlt das
Rheinwaldhorn (3406 m) im Glanze seines herrlichen Eismantels, und im W. begrüssen wir im
Badus (2931
m) den Hüter der Rheinquellen.
im Bündner Oberland nur etwa 6% der gesamten Bodenfläche ein oder also etwas über 90 km2, d. h. beträchtlich weniger
als etwa im Engadin, Berner Oberland oder Wallis.
Gleichwohl sind manche schöne Eisfelder von ansehnlicher Ausdehnung vorhanden, so
besonders in der Medelsergruppe (Medelsergletscher etc.) und in den obersten Verzweigungen des Valserthals
(Lentagletscher, Kanalgletscher etc). Aus der Tödikette gehören unserm Gebiet an die prächtige Zunge des Segnesgletschers,
der flachgelagerte Bündnerbergfirn am Vorab, die Eisbecken am Hausstock und Ruchi, der schön terrassierte Frisalgletscher und
der herrlich umrahmte Puntaiglasgletscher, der wie ein grosses Schulmodell alle Erscheinungen der Gletscherwelt in typischer
Ausbildung zeigt. Auch sonst sind noch Dutzende von kleinern Gletschern und Firnfeldern vorhanden.
Das Bündner Oberland blieb, besonders in seinen Seitenthälern, lange Zeit von dem sonst alles überflutenden Fremdenstrom
wenig berührt, obwohl es an guten Strassen und Postverbindungen nicht fehlte. So lange es keine Eisenbahn hatte, war es doch
immer eine weite Reise da hinein. Zudem müssen seine Reize abseits der Heerstrassen aufgesucht werden
und verlangen zu ihrem Verständnis ein sinniges Gemüt. Nun aber ist die Eisenbahn da und damit das sonst so abgeschiedene
Ländchen der übrigen Welt näher gerückt.
Eine Linie der Rätischen Bahn führt von Reichenau in kunstvoller Anlage durch die Rheinschluchten nach
Ilanz, dem Verkehrsmittelpunkt des Oberlandes, der von Chur aus in etwa einer Stunde erreicht wird. Dazu kommt ein doppelter
Strassenzug von Reichenau nach Ilanz: einerseits über Flims mit täglich mehrmaliger Postverbindung im Sommer und Winter, andererseits
über Bonaduz und Versam. Von Ilanz zieht eine grosse Poststrasse das ganze Rheinthal aufwärts mit Fortsetzung
über den Oberalppass zum Anschluss an die Gotthard- und Furkastrasse und an die Gotthardbahn.
Werfen wir einen Blick auf die Thalbildung des Oberlandes, so fällt eine grosse Aehnlichkeit desselben
mit dem Wallis
auf. Rhein- und Rhonethal bilden zusammen und mit dem Urserenthal eine einzige, durchgehende Thalfurche von Chur bis
Martinach und biegen an diesen Punkten nach N. ab, um in den grössten Seebecken der Schweiz zu endigen. Sie liefern so
das Bild einer am Gotthard befestigten Schalenwage. In den beiden grossen Thälern fliessen die Hauptflüsse, Rhein und Rhone,
hart am S.-Fuss der nördl. Bergwand hin, die in fast gerader Linie steil und wenig zerschnitten in die Höhe steigt, während
der Hauptgebirgszug im S. in grösserm Abstand und in mehrfach gebrochener Linie dahin zieht und zahlreiche,
oft wieder verzweigte Aeste nach N. sendet. Nur hier finden wir daher auch grössere und bewohnte Seitenthäler, während
die Thäler der N.-Seite durchweg kurz, meist schluchtartig und
unbewohnt sind (mit der einzigen Ausnahme von Panix). Wie in
der äussern Gestaltung, so zeigen das Bündner Oberland und das obere Wallis
auch manche Aehnlichkeiten im
geologischen Bau, in Klima, Pflanzen- und Tierleben, in der Besiedelungsweise etc.
Ein ähnlicher Schieferstreifen zieht zwischen Gotthard- und Aarmassiv vom obern Wallis
(Goms) über Furka, Urserenthal
und Oberalp ins Tavetsch herüber und erfüllt auch die vordern Teile von Val Nalps, ValMedels und Val Somvix, während die hintern
Teile dieser Thäler dem östl. Ausläufer des Gotthardmassivs angehören. Die Gesteine des Bündnerschieferkomplexes sind
sehr verschieden und daher schwer als zu einer Einheit zusammengehörig zu erkennen. Namentlich wo sie
in den genannten Streifen zwischen Zentralmassive eingeklemmt sind, erscheinen sie oft mehr oder weniger krystallinisch umgewandelt.
Dazu kommen häufig Kalk- und Dolomitgesteine, Sandstein- und Quarzitschiefer, Rauhwacken, Gipse, Marmore, Serpentine und
Grünschiefer, letztere besonders im hintern Safien- und im Valserthal und als durch Stauungsmetamorphose veränderte Diabasgesteine
erkannt. Nächst den Bündnerschiefern nimmt unter den Sedimenten der Verrucano, ebenfalls in verschiedener
Ausbildungsweise, den grössten Raum ein. Von Truns bis Ilanz erscheint er auf beiden Seiten des Rhein, doch in stärkerer Entwicklung
auf der N.-Seite, wo er bis hoch in die Seitenthäler und an die Abhänge hinauf geht (bis Val Frisal,
Panix, Alp Ruschein, Crap Ner an der Sether Furka etc.) Gegen den Bündnerschiefer ist er meist durch ein schmales Dolomitband
(Rötidolomit) begrenzt.
Beide treten auch im Wallis
wieder auf. In der Gipfelregion vom Tödi nach O. finden sich dann Jura-, Kreide- und Eocängesteine,
ähnlich wie auch in der N.-Wand des Wallis
vom Lötschenpass nach W. Dabei zeigt sich, dass im Rheinthal der Verrucano
über die jüngern Gesteine nordwärts übergeschoben ist, das Ganze (östl. vom Tödi) also eine nach N. übergelegte Falte
bildet. Südl. vom Rhein (wie auch südl. der Rhone) fehlen die Jura-, Kreide- und Eocängesteine ganz.
Den kleinern Raum nehmen im Bündner Oberland die krystallinen Gesteine ein, und diese gehören drei
Massiven an, dem Aar-, Gotthard- und Adulamassiv, die sowohl nach ihrem Gesteinsmaterial als nach ihrer Tektonik wesentlich
voneinander verschieden sind. Das O.-Ende des Aarmassivs, von Uri
herüberstreichend, bildet den Grenzkamm zwischen Graubünden
und Uri
und lässt
sich als Basis der Sedimente unter dem Tödi und weiter nach O. verfolgen. Es bildet einen nach N. geneigten
gewaltigen Fächer und besteht hauptsächlich aus Gneisen, Serizitgneisen, Protoginen, Hornblende-, Diorit-, Chlorit- und
Talkschiefern, sowie aus Graniten, Dioriten und Syeniten, unter welchen besonders die Rusein- und Puntaiglasdiorite («Puntaiglasgranite»)
hervorzuheben sind.
Das Gotthardmassiv greift über den Badus und Piz Alv herüber bis in die Medelsergruppe. Es bildet im
ganzen einen aufrechten Fächer und besteht vorherrschend aus Gneisen, Glimmergneisen, Quarzglimmerschiefern, Serizit-, Phyllit-,
Hornblende-, Chlorit- und Talkschiefern, dann aus Protogingranit, Cristallinagranit, Dioriten von Curaglia und Val d'Ufiern,
zeigt also noch manche Aehnlichkeiten mit dem Aarmassiv. Das Adulamassiv nimmt im Bündner Oberland nur
einen kleinen Raum ein, vom Rheinwaldhorn etwa bis Plattenberg, Vals und Valserberg. Es ist ein Teil des Tessinermassivs und
hat mit diesem das nordsüdl. Streichen seiner Schichten und Ketten gemein. Seine Hauptgesteine sind Antigorio- oder Tessinergneis,
undeutliche Glimmerschiefer, Adulagneis und verschiedene andere krystalline Schiefer; auch Kalk- und
Dolomitmarmore treten auf, während
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