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4. und 5. Jahrhundert eine römische Militärstrasse durch das Oberhalbstein und über den Septimer (im weitern Sinne) nach Cläven (Chiavenna). Es ist aber wahrscheinlich, dass der älteste Verkehrsweg sich nicht zum Silvaplanersee hinunterzog, sondern den Maloja erreichte, indem er sich in allmähliger Senkung um den Berg herumzog. Im Mittelalter wurde der Septimer stärker benutzt als der Julier. In den Alpen von Flex, bei Stalla, am Julier und am Septimer (besonders oberhalb Casaccia) lassen sich alte Strassenzüge und sogar gepflasterte Wegstücke nachweisen. Eine Hauptstation an einer Reichsstrasse, wie es die Obere Strasse war, besass nach Muoth zu ihrem Schutz eine Burg mit einem Landvogt, der gewöhnlich ein Ritter war und sowohl die Station zu schirmen als auch die Transporte zur nächsten Hauptstation sicher zu geleiten hatte, wofür ihm Kriegsknechte zur Verfügung standen, die mit ihren Familien meist in unmittelbarer Nähe angesiedelt waren. Der Unterhalt der Strasse und der an ihr gelegenen Unterkunftsräume etc. lag dagegen den Bauern der Gegend ob, die als sog. Ruttner u. a. auch die Pässe zu öffnen hatten. Von dieser mittelalterlichen Organisation stammen an unserer Route noch die Kastelle, Türme, festen Stabula und die alten Brücken her. Die Obhut und die Rechtspflege über die ganze Obere Strasse übernahm als oberster Reichsbeamter der Gegend zuerst der Präses, dann der Graf von Currätien. Von der Mitte des 6. Jahrhunderts an bis etwa zum Jahr 1000 wurde die Verwaltung des Transitverkehrs an den grossen Handelsstrassen mit Vorliebe den Klöstern überwiesen. So entstanden zahlreiche Bergklöster, von denen für die Septimerroute das Kloster des h. Petrus zu Wapinites (Alvaschein; urkundlich zuerst 926 erwähnt), St. Luzi zu Chur, das Nonnenkloster Cazis und das Hospiz zu St. Peter auf dem Septimer zu nennen sind. Als aber die deutschen Kaiser ihre an den Verkehrsstrassen vorbehaltenen Rechte den Bischöfen der betr. Gegenden übertrugen, erhielt seit 1139 der Bischof von Chur alle Hoheitsrechte über die von Chur und dem Engadin nach Chiavenna führenden Routen. Die Bischöfe suchten nun, in den direkten Besitz der Verkehrsmittel zu gelangen oder sie wenigstens an solche Leute oder Anstalten zu übertragen, die ganz von ihnen abhängig waren. So verlieh z. B. Bischof Ulrich II. aus dem Geschlecht der Edeln von Tarasp alle Güter, Leute und Rechte des Nonnenklosters Wapinites seinen Verwandten und Dienstmannen, und der h. Adalgott, der Reformator des Klosters Cazis, erwirkte von Ritter Ulrich II. von Tarasp die Schenkung aller seiner vornehmen Ministerialen mit den Gütern und Leibeigenen zu Tinzen, Savognin, Marmels, Casaccia und Vicosoprano an die Kirche von Chur. Daneben behaupteten sich aber auch noch für eine längere Zeit Verwandte der Herren von Tarasp und die auf dem Schloss zu Reams sitzenden Herren von Wangen; ebenso brachten die Schulden des Bistums verschiedene Einkünfte und Güter im Oberhalbstein in den Besitz einer Reihe von Herren in Rätien, wie derjenigen von Vaz, von Schauenstein, Rietberg und Planta. Um der drohenden Konkurrenz von Seiten anderer Alpenstrassen (z. B. des Gotthard, Lukmanier, Splügen) zu begegnen, schlossen die Bischöfe besondere Transitverträge (so 1278 mit Luzern und 1291 mit Zürich). Durch den Sturz der Landeshoheit der Bischöfe (Ilanzer Artikel 1526) gingen die Hoheitsrechte über die Strassen an die Hochgerichte über, und 1559 kaufte sich das Gericht Oberhalbstein von der bischöflichen Vogtei Reams los, unter deren einstigen Landvögten besonders Benedikt Fontana, der Held der Calvenschlacht 1499, zu nennen ist. Stalla und Marmels bildeten nun ein besonderes niederes Gericht in Zivil- und Ehesachen, während sie in Kriminalsachen den auf der Burg Reams sitzenden Landvogt vom Oberhalbstein als Richter beriefen und in den übrigen Landesangelegenheiten zusammen mit Avers und Remüs das Hochgericht Remüs bildeten. Der übrige Teil der Landschaft Sursess und Sutsess zerfiel in die Kirchspiele Savognin, Tinzen (mit Mühlen), Sur-Roffna, Reams (mit Conters), Salux (mit Präsanz) und Tiefenkastel (mit Alvaschein und Mons). Die vier ersten bildeten zusammen ein unter einem Landvogt stehendes eigenes Kriminalgericht; Tiefenkastel war ein kleines Gericht für sich und ein in Kriminalsachen unter dem Vorsitz des Landvogtes von Sursess stehendes Kriminalgericht. Hervorragende Oberhalbsteiner Geschlechter sind die Marmels und Fontana, Baselgia, Battaglia, Bossi, Capeder, Dosch, Nutt, Frisch, Peterelli, Poltera, Scarpatetti.
Während der sog. Bündnerwirren Anfangs des 17. Jahrhunderts hielt das Oberhalbstein wie die meisten Portengemeinden an der Strasse nach Mailand zur spanisch-katholischen Partei. Einer ihrer Hauptanhänger, der Oberhalbsteiner Hauptmann Caspar Baselgia, wurde 1607 in Chur hingerichtet. Als Mailand 1714 an Oesterreich kam, war man im Thal österreichisch gesinnt, ebenso zur Zeit der französischen Invasionen 1799-1804. Durch einen franzosenfreundlichen Priester verraten, wurden 1800 mehrere Oberhalbsteiner nach Thusis verbracht und standrechtlich erschossen. Ueber das Oberhalbstein vergl. auch den Art. Julia (mit Karte).
Bibliographie.
Peterelli, J. A. v. Beschreibung des Hochgerichtes Oberhalbstein und Stalla (im Neuen Sammler. II. Chur 1806); Theobald, G. Geolog. Beschreibung der nördl. Gebirge von Graub. und Geolog. Beschr. der südöstl. Geb. von Graub. (Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. 2 und 3, 1863 und 1866); Heim, Alb. Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein; nebst einem Anh. von petrograph. Beiträgen von C. Schmidt. (Beitr. zur geolog. Karte der Schweiz. 25, 1891); Escher von der Linth. Arn., und Bernh. Studer. Geolog. Beschreibung von Mittelbünden (in den Denkschriften der Schweizer. Naturforsch. Gesellsch. 1839); Diener, C. Geolog. Studien im sw. Graub. (in den Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wiss. 97, 1888); Diener, C. Der Gebirgsbau der Westalpen. Wien 1891; Rothpletz, Aug. Ueber das Alter der Bündnerschiefer (in der Zeitschr. der deutschen geolog. Gesellsch. 1895); Steinmann, G. Das Alter der Bündnerschiefer (in den Berichten der Naturf. Gesellsch. zu Freiburg i. B. 9 und 10, 1896 und 1897); Böse, E. Zur Kenntnis der Schichtenfolge im Engadin (in der Zeitschr. der deutschen geolog. Gesellsch. 1896); Der Höhenkurort Savognin. 1896 (darin Chr. Tarnuzzer: Naturhistor. Verhältn. des Oberhalbst. und C. Muoth: Historisches vom Oberhalbst.); Heierli, J., und W. Oechsli. Urgeschichte Graubündens (in den Mitteilungen der antiquar. Gesellsch. in Zür. 26, 1903).
[Dr. Chr. Tarnuzzer].