Pflegeanstalt von Rugenet. Die Kranken bezahlen eine Pensionsgebühr von 1-10 Fr. Der Staat hat 1903 für diese Anstalten 153656
Fr. ausgegeben.
Das in Dombresson befindliche Waisenhaus Borel trägt den Namen eines hochherzigen Bürgers, der dem Staat sein ganzes Vermögen
zur Gründung eines kantonalen Waisenhauses für Knaben und Mädchen vermacht hat. Es zählte am im
ganzen 117 Zöglinge (72 Knaben und 45 Mädchen), wovon 11 in eine Lehre gegeben waren. 1903 betrugen die Einnahmen 56986 Fr.
und die Ausgaben 45648 Fr. Der Ueberschuss der Einnahmen von 11338 Fr. ist zu verschiedenen Amortisationen verwendet worden.
[F. Porchat.]
Volkscharakter und geselliges Leben.
Ein Schriftsteller hat 1840 erklärt, dass gewisse Charakterzüge sich bei den Neuenburgern aus allen Gegenden des Kantons
regelmässig wiederfinden. Als solche nennt er eine ungewöhnliche Intelligenz, strenge Gerechtigkeitsliebe, aufbrausendes
Temperament und feste Anhänglichkeit an ihre Sitten, Gebräuche und Ueberlieferungen aus alter Zeit. Diese Charakteristik
darf auch heute noch als völlig zutreffend gelten. Immerhin zeigen sich zwischen den Bewohnern des Seegeländes
und den Leuten der Bergregion in dieser Beziehung noch manche erheblichen Unterschiede.
Der im Vignoble aufgewachsene Neuenburger ist meist zurückhaltend und gegenüber Fremden oft etwas kühl; sein ganzes Tun
lässt noch den Einfluss der alten Gebräuche und Ueberlieferungen erkennen, so besonders eine gewisse
Strenge in seiner Lebensauffassung, die ohne Zweifel auf seine althergebrachten religiösen Grundsätze zurückzuführen
ist. Seit den letzten 60 Jahren haben sich Sitten, Gebräuche und Lebensweise auch in der Stadt Neuenburg selbst nicht wesentlich
geändert, obwohl hier die Kantonsbürger jetzt in beträchtlicher Minderheit sind (1904: 8719 Neuenburger
gegen 13266 Schweizern aus andern Kantonen und Ausländern).
Der Neuenburger aus dem Vignoble pflegt mit Bewusstsein das religiöse Moment und widmet ausser dem Genuss von kirchlicher
und klassischer Musik, der Veranstaltung von Familienabenden und dem Besuch von geselligen Anlässen den Freuden des Lebens
nur wenig Zeit. Er hat Sinn und Geschmack für Kunst, Litteratur und Wissenschaft und kann zu opferwilliger
Begeisterung entflammen, wenn es die Hebung des geistigen Lebens und die Unterstützung der Kunst gilt. Rauschenden Festlichkeiten
zieht er ernste Feiern und Vorträge vor. Dieses ruhige und gemässigte Temperament des Städters zeigt sich auch bei den
Landleuten ö. und w. der Stadt, denen die harte und ständige Arbeit in den Weinbergen diesen Stempel aufgedrückt hat.
Im Gegensatz dazu ist der Neuenburger der Thalschaften und Bergregionen offenherzig,
gesprächig, unternehmungsfreudig und
für den Fremden leicht zugänglich. Die frische Luft seiner Berge und der lang andauernde Winter wecken
in ihm den Sinn für fröhliches geselliges Leben. Man erkennt den Montagnard sofort an seinem lebhaften Charakter und seiner
schlagfertigen Zunge. Er ist gastfreundlich, zuvorkommend und intelligent und zeigt sich geschickt und erfinderisch für
alle industriellen Betätigungen.
Auch er ist trotz der starken Vermehrung der kantonsfremden Bevölkerung (La Chaux de Fonds 1904: 13727 Neuenburger
und 24006 Schweizer anderer Kantone und Ausländer) seinen überlieferten Bräuchen und Charaktereigenschaften treu geblieben.
Der Montagnard zeigt endlich auch eine ganz besondere Vorliebe für lebhafte Anteilnahme an allen Tagesfragen und nicht zum
wenigsten auch am politischen Leben seines Kantons. Sehr stark entwickelt ist im Kanton Neuenburg
das Vereinsleben.
Jeder Ort hat seine Musik-, Gesang-, Schiess- oder Turnvereine. Die Zahl der gemeinnützigen und wohltätigen Gesellschaften
(Unterstützungen mit Geld, Kleidern, Lebensmitteln, Schuhen etc.) ist Legion. Jeder Zweig der industriellen Tätigkeit hat
seine zahlreichen Fachvereine, wie sich auch überall landwirtschaftliche Genossenschaften gebildet gaben. Ferner werden
das religiöse Leben, Kunst, Wissenschaft, gegenseitige Fortbildung, Sport etc. in zahlreichen Vereinigungen
gepflegt. Viele Kranken-, Versicherungs- und Sparvereine etc.
[Ed. Quartier-la-Tente.]
Geschichtliche Entwicklung.
Ein eigenes geschichtliches Leben entfaltete sich im Gebiet des jetzigen Kantons Neuenburg
erst seit dem Untergang des zweiten Burgunderreiches
im 11. Jahrhundert. Eine erste Aufgabe der Bewohner war es, in ihrer dicht bewaldeten und vom Bären und
Wolf verheerten Heimat sich sichere Wohnstätten anzulegen. Das flache Seeufer und die nahe dem Land nur geringe Tiefe des
Sees lud zur Erstellung von Pfahlbauten ein, die denn auch in keinem andern See der Schweiz so häufig waren wie gerade hier,
wo man bis jetzt deren etwa 70 (teils aus der Stein- und teils aus der Bronzezeit) kennt.
Von Vaumarcus bis Marin liegen vor jedem Uferdorf eine oder mehrere solcher Stationen, von denen namentlich diejenige von La Tène
(vor Marin) deswegen berühmt geworden ist, weil sich hier ein merklicher Fortschritt in der Eisentechnik
offenbart hat. Die in diesen Pfahlbauten gefundenen und in unsern Museen oder Privatsammlungen aufbewahrten zahlreichen Kriegs-
und Jagdwaffen, Haushaltungsgegenstände, Fischereigeräte, Schmucksachen zeugen nicht nur von einer einst verhältnismässig
dichten Besiedelung, sondern auch von einer lebhaft tätigen Bevölkerung, die schon einen gewissen Tauschhandel betrieb,
um auf diesem Wege
mehr
einige zur Verfertigung ihrer Waffen besonders geeignete, dauerhafte Gesteinsarten zu erhalten.
Dieses erste uns bekannte Volk kam dann unter die Herrschaft der Helvetier, die offenbar auf dem festen Land wohnten und sich
nur ausnahmsweise in Pfahlbauten ansiedelten. Nachdem ihnen ihr Wandertrieb im Jahre 58 v. Chr. die Niederlage von Bibracte
(Autun) eingetragen hatte, kamen die unter Julius Caesar stehenden Römer ins Land, wo sie sich nun als Herren festsetzten.
Diese Zeit hat auch im Kanton Neuenburg
noch ziemlich zahlreiche Spuren und Ueberreste hinterlassen.
Die grosse Völkerwoge des Einbruches der germanischen Stämme machte der Herrschaft der Römer ein Ende und liess
von 443 an die Burgunder zu Herren des ganzen Gebietes von der Reuss bis zu den Vogesen und zum Mittelmeer werden. Zur Zeit
des so entstandenen ersten Burgunderreiches wurde das Volk zum christlichen Glauben bekehrt und von König Gundobad die lexGundobada erlassen, die die Grundlage der ältesten Rechtsverfassung der welschen Schweiz bildet. 534 wurde
das Reich von den Franken erobert, die sich jedoch mit der Militärherrschaft begnügten und dem Volk seine bisherigen Rechte
und Freiheiten unangetastet liessen.
Unter den Nachfolgern Karls des Grossen zerfiel die Frankenherrschaft immer mehr, so dass sich ein zweites Burgunderreich
bilden konnte. Dieses war aber nicht mehr einheitlich, sondern zerfiel in zwei getrennte Stücke, das
zisjuranische oder arelatische Reich (Gebiet der untern Saône und der Rhone unterhalb Lyon) unter Graf Boso und das transjuranische
oder hochburgundische Reich (Westschweiz und Franche Comté) unter Graf Rudolf I., der 888 zum König gekrönt wurde.
Unter dessen Sohn Rudolf II. ist dann aller Wahrscheinlichkeit nach das Castrum Novum (d. h. das heutige
Neuenburg)
als ein Bollwerk gegen die Einfälle der Hunnen errichtet worden. Hier soll einer allerdings nicht verbürgten Ueberlieferung
nach die Gemahlin Rudolfs, Bertha die Gute, oft und mit Vorliebe geweilt haben. Sicher ist dagegen, dass Rudolf III., Bertha's
Enkel, die regalissima sedesNeuenburg
seiner Gemahlin Irmingard als Witwensitz hinterliess. In dieser aus 1011 stammenden Urkunde
erscheint der Name dieses Ortes überhaupt zum erstenmal. Neuenburg
bestand damals ohne Zweifel blos aus wenigen Wohnstätten, die sich
um die damalige feste Burg (nachher Tour des Dames, heute Tour des Prisons geheissen) angesiedelt hatten.
Nach dem Tode Rudolfs III. (1032), des letzten seines Geschlechtes, fiel Burgund durch Erbvertrag an das deutsche Reich,
dessen Kaiser Konrad II. der Salier zuerst den widerspenstigen burgundischen Adel sich unterwerfen musste. So belagerte er
u. a. auch Neuenburg,
das er 1034 einnahm und dann mit Erlach, Büren und Aarberg zu einem grossen Lehen
unter Ulrich
von Fenis, dem Ahnherrn der ersten Neuenburger Dynastie (1034-1395), vereinigte. Zur Grafschaft wurde dieses Lehen vielleicht
schon unter seinem ersten Herrn, wahrscheinlicher aber unter Ulrich II. (1190) erhoben, der als erster Neuenburg
zu seiner Residenz
erkor und dessen Nachfolger sich fortan Grafen von Neuenburg
nannten. Zu dieser Zeit umfasste die Grafschaft die
Gegend zwischen dem Neuenburgersee (Ebene der Zihl) und dem Chaumont (Cormondrèche) einerseits und von der Schüss bis zum Mont
Vuilly andererseits.
Boudry gehörte zur Baronie de Vaud, Bevaix und Cortaillod zum Priorat Bevaix und Gorgier und Colombier eigenen Herren. Die
Herrschaft Colombier umfasste ausser dem Ort dieses Namens noch Auvernier, die Hälfte von Cormondrèche, Bôle und vielleicht
auch Rochefort, dessen Schloss jedoch Reichslehen war. Das unter der Kastvogtei der Grafen von Châlon stehende Priorat Môtiers
beherrschte das Val de Travers, mit Ausnahme von Les Verrières, welcher Ort der Herrschaft Joux angegliedert
war. Ein erstes Geschlecht derer von Valangin regierte im Val de Ruz, das erst 1232 an die Grafen von Neuenburg
kam, obwohl diese hier
schon lange vorher Hoheitsansprüche geltend gemacht hatten.
Als Kastvögte von Biel verpfändeten die Grafen von Neuenburg
diese Stadt dem Bischof von Basel,
konnten sie aber in der
Folge nie wieder zurückkaufen. Eine Teilung der Grafschaft zwischen Ulrich III. und seinem Neffen Berthold (um 1221) überliess
dem ersteren alle deutschen Gaue, die sich dann unter seinen Söhnen zu den selbständigen Herrschaften Nidau, Aarberg und Strassberg
auswuchsen. Es blieb also Berthold das Gebiet zwischen der Zihl und der Areuse, da sich unterdessen auch
die Herren von Colombier ihrem mächtigeren Nachbarn unterworfen hatten.
Nachdem dann Berthold von den Grafen von Châlon 1237 mit der Hut des Priorates Môtiers betraut worden war, zog er nach und
nach dessen Rechte an sich und brachte damit auch das Val de Travers unter seine Herrschaft. Dieser Politik
der umsichtigen Verwertung aller günstigen Gelegenheiten zur Vergrösserung ihres Staates folgten die meisten der Nachfolger
von Berthold. So wollte Graf Rudolf IV. die damaligen Herren von Valangin aus dem Hause Aarberg zum Treueid zwingen; als diese
sich dessen weigerte, sagte er ihnen Fehde an und schlug sie 1296 bei Coffrane, worauf er sich zur Deckung
der Kriegskosten das Dorf Boudevilliers abtreten liess. Der gleiche Rudolf kaufte 1306 dem verschuldeten Peter von Vaumarcus
Schloss und Herrschaft (inkl. Pontareuse und Les Vermondens vor Boudry) ab. Dann liess sich Graf Ludwig, ein Neffe des Grafen Ludwig
von Savoyen und Herrn der Waadt,
von seinem Onkel das Lehen von Gorgier abtreten, dessen bisherige Inhaber, die
Herren von Estavayer, er 1358 mit Gewalt vertrieb. Bei der gleichen
mehr
Gelegenheit fiel ihm auch ein Dritteil der Kastvogtei über das Priorat Bevaix zu, worauf er endlich noch von den Herren von
Joux das ihnen im Val de Travers gehörende Allod (Freigut) zu erhalten wusste (1357).
Als Graf Ludwig, der letzte männliche Sprosse seines Geschlechtes, 1373 starb, fehlte seinem Staat zum
heutigen Umfang des Kantons blos noch die das Val de Ruz und das Bergland bis zum Doubs umfassende Herrschaft Valangin, von der
Fenin und Boudevilliers schon vorher zu Neuenburg
gekommen waren. Vaumarcus, Travers und Gorgier standen zwar als Lehen unter eigenen Herren
(den Nachkommen eines ausserehelichen Bruderssohnes der Gräfin Isabella von Neuenburg),
die aber die Oberhoheit
Neuenburgs stets anerkannten. Die hohe und niedere Gerichtsbarkeit dieser Orte kam erst 1815-1832 an den Staat, der dann 1848 mit
dem Rückkauf der Lehen auch noch die letzten Sonderrechte aufhob, deren Inhabern jedoch ihre bisherigen Schlösser und Domänen
als Privatbesitz überliess. Nach der Reformation kamen die Güter der aufgehobenen Klöster Fontaine André,
Bevaix und Môtiers ebenfalls an den Staat, der 1563 auch noch die Herrschaft Colombier und 1592 die Herrschaft Valangin erwarb.
Dagegen gingen die den Grafen von Neuenburg
durch Heirat zugefallenen Herrschaften Villafens, Vennes, Avellin, Belfort, Seurres, Val de
Morteau (Burgund) und Champvent (Waadtland) nachher wieder in andere Hände über und mussten die Besitzungen
im Vuilly (Lugnorre, Môtier und Jorissant) von Johanna von Hochberg 1503 an Freiburg
abgetreten werden, worauf sich Bern
1514 auch noch des
Klosters Sankt Johann bemächtigte. Seit dieser Zeit verblieb das Land in seinen festen Grenzen, bis ihm
im Pariser Vertrag von 1815 noch die vorher zur Franche Comté gehörige Gemeinde Le Cerneux Péquignot zugesprochen wurde,
von der der Kanton aber erst 1819 dauernd Besitz nehmen konnte. Eine Grenzbereinigung schlug 1896 das Schloss Thièle mit zwei
anderen Häusern zum Kanton Bern.
Die Grafen der ersten Neuenburger Dynastie arbeiteten aber nicht nur mit Erfolg an der Vergrösserung ihres
Gebietes, sondern suchten auch durch eine weitsichtige Verwaltung den Staat nach Innen und Aussen zu kräftigen, indem sie
einerseits den Bürgerstand sich frei entwickeln liessen und andererseits mit ihren Nachbarn vorteilhafte Bündnisse eingingen.
Schon 1214 hatten die beiden gleichzeitig regierenden Herren, Graf Ulrich III. und sein Neffe Berthold,
der Stadt Neuenburg einen Freibrief verliehen, der den Grund zu der freiheitlichen Verfassung des ganzen Landes überhaupt
gelegt hat.
Rudolf IV. gewährte 1260 auch dem Flecken Neureux (oder Nugerol) Freiheiten und gründete um 1325 nahe dabei eine befestigte
Stadt, Le Landeron, der sich Neureux bald als Vorort angliederte. Graf Ludwig übertrug die Freiheiten und
Rechte von Neureux auch auf Le Landeron und erhob den Ort 1349 zur Burgschaft (Bourgeoisie); eine gleiche Erhebung hatte er
bereits 1343 dem Ort Boudry gewährt, während 1372 die Bewohner von
Le Locle und La Sagne nicht unerhebliche
Freiheiten erhielten. Diesem Beispiel folgten die Herren von Valangin mit dem Ort Valangin, der nach seiner Vereinigung mit Neuenburg
1592 die
vierte «Bourgeoisie» des Landes wurde. Diese vier Städte entwickelten
sich immer mehr zu eifersüchtigen Hütern der Gemeinderechte und bildeten ein mächtiges Gegengewicht zu den von der Zentralgewalt
zeitweise versuchten Uebergriffen auf die alten Vorrechte der Bürgerschaft.
Schon früh zeigten sich die Grafen von Neuenburg
zu einer Annäherung an den Bund der Eidgenossen geneigt. Rudolf III. schloss 1290 mit
Freiburg
und 1307 mit Bern
ein zeitweiliges, 1324 dagegen mit Solothurn
ein ewiges Burgrecht. Das regelmässig erneuerte Burgrecht mit Bern
gab
dieser Stadt von 1406 an das Recht, in Streitsachen des Grafen von Neuenburg
mit seinen Untertanen als Schiedsrichter zu wirken. Die
gleiche Tendenz des Anschlusses an die Nachbarn befolgten nach dem Erlöschen der ersten Dynastie die dem Haus Freiburg
(1395-1457)
und dem Haus Baden-Hochberg (1457-1503) angehörenden Grafen von Neuenburg.
Philipp von Hochberg erneuerte 1495 das
etwas in Vergessenheit geratene Burgrecht mit Freiburg
und schloss 1501 ein neues mit Luzern.
Daneben standen die Stadt Neuenburg mit Bern
und
Le Landeron mit Solothurn
noch in einem separaten Burgrechtsverhältnis.
Aber auch die Herren von Valangin standen seit Johann II. in einem Bündnis mit Bern,
das bei Streitigkeiten
zwischen den Bürgern von Valangin und ihrem Landesherrn oder zwischen diesem letzteren und den Grafen von Neuenburg
häufig als Schiedsrichter
auftrat. Alle diese Bündnisse lagen im wohlverstandenen Interesse beider Teile, indem der Anschluss an die starke Eidgenossenschaft
den Grafen von Neuenburg
nur nützen konnte und andererseits auch die Eidgenossen einen Vorteil darin sahen, dass
ihre Grenze gegen Burgund durch Neuenburg
gedeckt wurde.
Auf Grund dieser Verträge beteiligten sich Neuenburger Truppen an den vielen damaligen Kämpfen der Eidgenossen, so besonders
in der Schlacht von St. Jakob an der Birs (1444), an den Burgunderkriegen, am Schwabenkrieg und an den
italienischen Feldzügen. Neuenburger kämpften an der Seite der Eidgenossen bei Grandson und Murten (1476), Dornach (1499), Novara
(1512) und noch viel später bei Villmergen (1656 und 1712). Diese auf blutigen Schlachtfeldern erprobte gegenseitige Freundschaft
war der hauptsächlichste Faktor einerseits für das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Interessengemeinschaft, das
allmählig die völlige Verschmelzung von Neuenburg
mit der Eidgenossenschaft vorbereitete, und andererseits für
den so lange dauernden Bestand monarchischer Einrichtungen in Neuenburg.
Es haben sich in der Tat von allen schweizerischen Dynastengeschlechtern
einzig die Grafen von Neuenburg
auf die Länge halten können, und es scheint, als ob man sich daran erinnert hätte,
dass sie so klug waren, sich am Laupenkrieg nicht zu beteiligen. Da Neuenburg
im Gegensatz zu andern feudalen
mehr
Ländern die beschworenen Bündnisse stets treu hielt, legten auch nach dem Aussterben des Grafenhauses die Eidgenossen ihre
schwere Hand nicht auf dieses Staatswesen, wie sie es sonst gegenüber allen anderen Feudalherren zu tun gewohnt waren. Zugleich
sahen sie auch einen grössern Vorteil darin, zum Vorposten gegen die Freigrafschaft einen von einer
einzigen kräftigen Hand geleiteten Staat als ein blosses Untertanenland zu haben. Für diese Gesinnung spricht die Energie,
mit der Bern
1707 die Thronkandidatur des Königs von Preussen unterstützte, anstatt die gegebene Gelegenheit zur Abschaffung
des monarchischen Prinzipes in Neuenburg
zu benutzen. Im Uebrigen waren die Bündnisse mit verschiedenen Kantonen
auch wieder ein Schutz vor etwaigen Annexionsgelüsten eines einzelnen unter diesen. Ohne seine Bündnisse wäre Neuenburg
ohne Zweifel
entweder die Beute Berns, oder ein Untertanenland der Eidgenossen oder endlich auch eine französische Provinz geworden.
Mit dem 1503 erfolgten Tod von Philipp von Hochberg beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte von
Neuenburg.
Des Grafen einzige Tochter Johanna hatte den französischen Prinzen Ludwig von Orléans-Longueville geheiratet und ihm die
Grafschaft Neuenburg
mit in die Ehe gebracht. Auch die Fürsten von Longueville legten stets grosses Gewicht darauf, die Bünde mit den
Eidgenossen aufrecht zu erhalten, kamen aber doch wegen ihrer nahen Stellung zu den französischen
Königen oft mit den Interessen ihrer Verbündeten oder eigenen Untertanen in Konflikt. So kämpfte z. B. während der Zeit
der Feldzüge in Oberitalien bei Novara eine Truppe Neuenburger mit den Eidgenossen gegen Ludwig XII. und damit gegen ihren
auf dessen Seite stehenden eigenen Landesherrn.
Dieses Verhalten des Fürsten von Longueville erregte in der Schweiz so grossen Unwillen, dass die mit
Neuenburg
verbündeten Stände Bern,
Freiburg,
Solothurn
und Luzern
es für angezeigt erachteten, das Ländchen 1512 militärisch zu besetzen, um einen allfälligen
Einmarsch von Truppen anderer Kantone zu verhindern. Diese Okkupation, zu der schliesslich sämtliche damaligen Stände der
Eidgenossenschaft zugelassen werden mussten, dauerte auch nach dem Tod Ludwig's von Longueville und nach
dem Friedensschluss mit dem Könige von Frankreich noch fort, so dass Neuenburg
bis 1529 unter der Verwaltung von Landvögten der 12 alten
Orte blieb, um dann wieder an Johanna von Hochberg zurückgegeben zu werden.
Während dieser Zeit traten mehrere feudale Einrichtungen und Bräuche, die allmählig in Vergessenheit
geraten waren, von neuem in Kraft; die Rechte der Stadtgemeinden wurden erweitert, und das althergebrachte Gesetz, das in
weitherziger Weise jedem Fremden, der sich ein Jahr und einen Tag in einer Gemeinde aufgehalten hatte, die Erwerbung des
Bürgerrechtes gestattete, verschwand. Diese Ausschliesslichkeit seitens der Gemeinden kam dann noch
mehr zur Geltung unter dem wieder in den Besitz des Landes gekommenen Haus Longueville, dessen Herrschaft durch drei Momente
sich auszeichnete.
Erstens residierten die Landesherren nicht mehr in Neuenburg,
zweitens lag die Herrschaft oft in Frauenhänden (Johanna von Hochberg Marie
von Bourbon, Katharina von Gonzaga, Anna von Bourbon, Marie von Nemours) und drittens entstanden zahlreiche
Streitigkeiten und Intriguen über die jeweilige Erbfolge. Alle diese Umstände waren natürlich ganz dazu geeignet, der
immer schärfer hervortretenden politischen Stärkung der Bürgergemeinden und der Entwicklung des Unabhängigkeitsgedankens
Vorschub zu leisten.
Die Regierung des Hauses Longueville brachte ferner das Fürstentum Neuenburg
in dauernde nähere Beziehungen zu
Frankreich, was sich nach aussen durch den Eintritt vieler Neuenburger in französische Dienste und nach innen durch die Entwicklung
einer gewissen Eleganz und höhern Kultur kund gab, deren Einwirkungen sich noch heute deutlich erkennen lassen. Vielleicht
hat dieser verfeinerte Geschmack auch dazu beigetragen, die anderswo so scharfen Ecken und Kanten des
starren Calvinismus hier einigermassen abzuschleifen.
1529 predigte Guillaume Farel die Reformation. Nachdem er die neue Lehre in Montbéliard. Aigle und Murten verkündet hatte,
kam er zuerst nach Serrières und dann auch nach Neuenburg,
wo er von seinen Anhängern am
auf die Kanzel
der alten Kollegialkirche genötigt wurde, deren Chorherren man verjagte und deren Heiligenbilder man zerschlug. Am 4. November des
gleichen Jahres beschloss dann die allgemeine Bürgerversammlung mit einem Mehr von 18 Stimmen die Abschaffung der Messe.
Damit war die Stadt für die Reformation gewonnen. Die tiefgehende Bewegung verpflanzte sich auf die
Landschaft, wo Farel und seine Mitarbeiter eine rührige Tätigkeit entfalteten und die Anhänger der beiden Lehren oft scharf
aneinander gerieten. Im Laufe der nächsten zwanzig Jahre traten aber sämtliche Gemeinden durch Mehrheitsbeschlüsse der
Bürger zur Reformation über (zuletzt Lignières 1553). Einzig die stark unter Solothurns Einfluss stehende
Burgschaft Le Landeron mit dem benachbarten Cressier widerstand allen Reformationsversuchen und blieb der alten Lehre treu.
Eine der ersten Sorgen der Reformatoren war die Gründung einer höhern Schule (Collège) in Neuenburg
und die Einrichtung von Volksschulen
in allen Kirchgemeinden des Landes. Von der Einführung der Reformation an herrschte in allen kirchlichen
Angelegenheiten die Gesamtheit der Geistlichen (Compagnie des Pasteurs oder Vénérable Classe), der ein Dekan vorstand,
mit unbeschränkter Machtbefugnis. Sie wachte über die Reinheit des Glaubens und der Sitten und besass ziemlich einschneidende
Disziplinarbefugnisse, die sie mit grosser Strenge handhabte. In dieser Hinsicht wagte sie es sogar, dem
spätern Landesherrn Friedrich dem Grossen von Preussen entgegenzutreten. Der Pfarrer Ferdinand Olivier Petitpierre, der
für eine nur zeitliche Dauer des Fegefeuers eintrat, wurde abgesetzt und der Freigeist J. J. Rousseau während seines Aufenthaltes
in Môtiers scharf verfolgt. Diese Vénérable Classe ist nach 1848 durch eine Synode ersetzt worden, deren Mitglieder
zu ⅔ Laien sind.
Mit Bezug auf die Rechtsprechung hatten schon die alten Grafen einige weltliche oder kirchliche Herren mit der ursprünglich
völlig souveränen Gerichtsbarkeit betraut. Diese Gerichte, die nach dem Monat, in welchem sie zusammen zu treten pflegten,
Plaids de Mai genannt wurden, verschwanden aber allmählig, und an ihre Stelle traten in den Burgschaften
(Bourgeoisies) und einigen andern Gemeinden regelrechte Gerichtshöfe. Im 14. Jahrhundert bestanden deren 14 (Mairies und
Châtellenies genannt), später 23 und nachher wieder blos 17. Daneben hatte der Graf selbst noch einen eigenen Plaid de Mai,
der zuerst den übrigen gleichgestellt war, sich ihnen aber mit der Zeit deshalb überordnete, weil man
ihm mehr und mehr alle schwierigeren Fälle zuzuweisen pflegte. So nahm er allmählig den Charakter eines obersten Gerichtshofes
an, als welcher er von etwa 1470 an auch formell anerkannt wurde.
Dieses gräfliche Gericht (auch Audience du Comte geheissen) setzte sich aus Angehörigen des Priesterstandes
(vertreten durch die Chorherren in Neuenburg),
der Edeln (d. h. Inhaber von Lehen) und der Bürgerschaft zusammen, zählte aber keine
bestimmte Anzahl von Mitgliedern. Es hatte richterliche und gesetzgebende Macht, versammelte sich aber nur selten in pleno,
so dass sich das Bedürfnis fühlbar machte, einen Teil seiner Mitglieder (je 4 Priester, Adelige und
Bürger) zur Erledigung dringender Rechtsfälle öfters einzuberufen.
Daraus entwickelte sich dann mit der Zeit die Trennung der legislativen und der richterlichen Macht, indem jene den «Audiences
générales» verblieb und diese an deren Delegation, Trois Etats geheissen, überging. Nach der Reformation wurden die Pfarrer
durch vier Vertreter des Richterstandes ersetzt. Nachdem die Audiences générales sich 1618 zum letztenmal
versammelt hatten, ging die gesamte Machtbefugnis an das Gericht der Trois États über. Jene wurden nachher mit Zuzug von 30 Abgeordneten
der einzelnen Gemeinden von Neuem ins Leben gerufen und 1831 auf breiterer Grundlage zu einem «Corps
législatif» umgestaltet. Zur gleichen Zeit erhielt auch das Gericht der Trois États eine neue Organisation
und hiess nun «Tribunal souverain». Beide Einrichtungen wurden bis 1848 beibehalten.
Bis 1814 hatte auch die Grafschaft Valangin ihre eigenen Audiences générales, die von denen der Grafschaft Neuenburg
unabhängig aber
ihnen entsprechend zusammengesetzt waren. Desgleichen
mehr
errichteten die drei Lehnsherren von Colombier, Travers und Gorgier in ihren Ländern besondere Obergerichtshöfe (die sog.
Assises), die ein Zwischenglied zwischen den untern Instanzen und dem Grafschaftsgericht (Plaid du Comte) bildeten. Die Assisen
von Colombier und Travers gingen im 16. und 17. Jahrhundert ein, während die von Gorgier (wenigstens dejure) bis 1832 sich erhielten. Die Herren von Vaumarcus scheinen kein solches Obergericht besessen zu haben.
Der Gerichtshof der Trois États hatte zu wiederholten Malen sich mit den Erbstreitigkeiten zu befassen, die die Regierung
des Hauses Longueville mit sich brachte. Als diese Fürsten glaubten, über das Land nach ihrem Belieben
testamentarisch verfügen zu können, stellte das Gericht das Prinzip der Unteilbarkeit und Unveräusserlichkeit des Fürstentumes
auf und verteidigte dieses mit Erfolg in der wichtigsten Frage, die es je zu entscheiden gehabt hat. Nach dem am erfolgten
Tod der Herzogin Marie von Nemours, dem letzten Spross des Hauses Longueville, traten vor dem Gericht
der Trois États nicht weniger als 15 Prätendenten auf die Nachfolge in der Herrschaft über Neuenburg
auf.
Davon traten neun wieder zurück, während die übrigen hartnäckig an ihren Ansprüchen festhielten. Sie stützten diese
letztern auf drei verschiedene Momente und zwar die einen auf ihre Blutsverwandtschaft mit den Longueville,
die andern auf testamentarische Verfügungen der beiden letzten Landesherren und die dritten endlich auf Erbfolgeverträge
des Hauses Châlon-Orange. Das Prinzip der Unveräusserlichkeit des Fürstentums schloss nun zunächst die Prätendenten
der zweiten Gruppe aus, obwohl sich unter ihnen als ernstlichster Kandidat der vom König Ludwig XIV. unterstützte
Prinz von Conti befand.
Nach strengem Recht hätte nun ein der ersten Gruppe angehörender Prätendent, Paula Franziska von Gondi Herzogin von Lesdiguières,
obsiegen sollen, doch entschied das Gericht für den König Friedrich I. von Preussen als Erbe der Châlon, dessen Ansprüche
auf ein altes Feudalrecht von 1288 zurückgriffen. Damals hatte sich nämlich Graf Rudolf V. von Neuenburg
auf Anraten
seiner Vormünder freiwillig unter die Oberhoheit von Johann von Châlon gestellt, obwohl er freier Reichsfürst war.
Die Ansprüche der Nachkommen dieses Johann von Châlon waren jedoch schon längst hinfällig geworden, da einerseits Neuenburg
mehrfach
an weibliche Linien übergegangen und andererseits das Haus Châlon inzwischen erloschen war. Dazu kam
ferner, dass Neuenburg
im Westfälischen Frieden von 1618 als unabhängiges Fürstentum anerkannt wurde. Es standen somit die Ansprüche
des Königs von Preussen auf ziemlich schwachen Füssen. Da hatte der Kanzler de Montmollin der ganzen Frage eine andere Wendung
gegeben. Da er befürchtete, Neuenburg
möchte in die Hände von Höflingen Ludwigs XIV. («eingesperrten
Gimpel» wie er sie nannte) fallen, hatte er einen protestantischen Kandidaten gesucht der «im
Stande sei, uns zu beschützen und zu nützen, und doch zugleich so weit von uns entfernt sei, um uns nicht schaden zu
können».
Diesen Kandidaten fand er zunächst im Prinzen von Oranien, der als Wilhelm III. den englischen Thron
bestieg und auf die Vorschläge des Kanzlers eingegangen, aber schon 1703, ohne Kinder zu hinterlassen, gestorben war. Sein
Nachfolger auf die Ansprüche des Hauses Châlon wurde der König von Preussen, der dem Ideal Montmollin's ebenfalls so ziemlich
entsprach. Indem nun die Trois États im Einverständnis mit der öffentlichen Meinung diesem Fürsten
die Herrschaft über
ihr Land übertrugen, gingen sie zwar über das strenge Recht hinweg, handelten dafür aber in politisch
kluger Weise und wählten denjenigen, der ihnen für ihre Verhältnisse am besten zu passen schien. Es ist dies
ein bemerkenswertes Beispiel eines ganzen Volkes, das sich aus freiem Willen einem fremden Herrscher unterordnet.
Zugleich stellten die Trois États aber auch die sog. Articles généraux auf, die die Machtbefugnisse des neuen Herrn beträchtlich
einschränkten und von ihm zum Voraus anerkannt werden mussten. Da die von de Montmollin verteidigten Gründe
auch der Stadt Bern wohl passten, hatte diese die Ansprüche des Königs von Preussen kräftig unterstützt. Andererseits
legte Preussen auf den Besitz von Neuenburg
deswegen grossen Wert, weil es ihm als günstige Operationsbasis für einen geplanten,
aber durch die Zeitverhältnisse nicht zur Ausführung gekommenen Einfall in die Freigrafschaft Burgund dienen
konnte.
Die weitere Entwicklung der Selbstständigkeit und Einrichtungen des Fürstentums nahm auch unter der preussischen Herrschaft
ihren steten Fortgang. Die Regierung lag weit mehr in den Händen des ausschliesslich aus Gliedern der regimentsfähigen
Geschlechter zusammengesetzten Staatsrates als in denjenigen des Königs. Alle Versuche, auf die verbrieften Rechte und Bräuche
überzugreifen, scheiterten an der zähen Hartnäckigkeit der Neuenburger, die sich immer enger an die
Eidgenossenschaft anschlossen.
Bern
sah sich mehr als einmal in der Lage, als Schiedsrichter zwischen dem Fürsten und seinem Volk aufzutreten, entschied übrigens
meist zu Ungunsten dieses letztern. Es herrschten also beständige Reibereien zwischen Herrscher und Volk, die den
Boden für die Lehren der französischen Revolution gut vorbereiteten. Es waren besonders die Berggemeinden, die sich dieser
Bewegung mit Begeisterung in die Arme warfen, Freiheitsbäume aufrichteten und die Carmagnole tanzten. Zugleich sehnte man
sich immer mehr nach den republikanischen Einrichtungen der Eidgenossen.
Dank seiner Stellung als Land des Königs von Preussen hatte Neuenburg
unter der französischen Invasion von 1798 nicht
zu leiden. 1806 musste es aber der König an Frankreich abtreten, das ihm nun den Marschall Berthier als Fürsten vorsetzte.
Obwohl dieser die alten Rechte des Landes nicht antastete, konnte er es doch nicht verhindern, dass auch die Neuenburger
Jugend (das sog. Bataillon der «canaris») für den absoluten Meister auf
allen Schachtfeldern von Spanien bis Russland ihr Blut vergiessen musste.
Die nach dem Sturz Napoleons 1813 sich geltend machende Bewegung für völlige Unabhängigkeit des Landes wurde rasch unterdrückt,
so dass Friedrich Wilhelm III. von seinem Fürstentum wieder Besitz nehmen konnte. Zugleich verlangte
der König aber auch den Anschluss von Neuenburg
als 21. Kanton an die Eidgenossenschaft, welchem Begehren 1814 der Wiener Kongress,
am die eidgenössische Tagsatzung und dann am auch ein darauf bezüglicher eidgenössischer Bundesvertrag
entsprachen.
Die eigentümliche Doppelstellung von Neuenburg
als Glied eines republikanischen Staatswesens und als monarchisch
regiertes Land machte sich bald fühlbar. Der Besuch der eidgenössischen Schützenfeste und der gemeinsam mit den übrigen
Schweizern zu leistende Militärdienst brachten die Neuenburger Liberalen in immer nähern Kontakt mit den zu jener Zeit in
der Schweiz mächtig sich entfaltenden demokratischen Anschauungen, die mit der alten Aristokratenherrschaft
an
mehr
manchen Orten gründlich aufräumten. Die republikanische Verfassung der Schweizer Kantone ward für die Neuenburger Patrioten
zu einem erstrebenswerten Ideal, das selbst einige einflussreiche Angehörigen der regierenden Geschlechter als die für
die Zukunft einzig mögliche Lösung der unhaltbar gewordenen Verhältnisse anzusehen begannen. Da das Verlangen nach einer
vom Volk zu bestellenden legislativen Körperschaft blos zu einer Umwandlung der althergebrachten Audiences
générales in einen übrigens nahezu ebenso exklusiven Corps législatif geführt hatte, entschlossen sich die Unzufriedenen
zu gewaltsamem Vorgehen und bemächtigten sich unter Führung von Alphonse Bourquin im September 1831 des Schlosses.
Dieser Handstreich hatte ein eidgenössisches Einschreiten zur Folge, das den frühern Zustand wieder
herstellte. Ein zweiter Aufstand im Dezember des nämlichen Jahres misslang völlig und hatte ein strenges Vorgehen gegen
die Führer der Bewegung und eine bedauerliche Reaktion zur Folge, die das Tragen der eidgenössischen Farben im Lande verbot
und sogar den Bundesvertrag mit der Schweiz aufheben wollte. Bevor dieser Beschluss jedoch gefasst werden
konnte, erklärte die eidgenössische Tagsatzung ein derartiges Vorgehen überhaupt für unausführbar.
Als sich die Neuenburger Regierung 1833 weigerte, fernerhin Abgeordnete zur Tagsatzung zu senden, schritt die Schweiz zur militärischen
Besetzung des Kantons und betraute mit deren Durchführung den Obersten G. H. Dufour. Da fügte sich kurz
vor dem Einmarsch der Truppen endlich die Regierung. Es sollte aber auch jetzt noch keine Ruhe geben. Die feindselige Haltung
des Staatsrates gegen die Ansichten und Beschlüsse der Mehrheit der Kantone in der aargauischen Klosterfrage (1841), im
Jesuitenhandel zu Luzern
(1844) und im Sonderbundskrieg (1847), sowie sein strenges Vorgehen gegen die Republikaner
waren selbstverständlich nicht dazu angetan, den gährenden Brand zu löschen. So kam denn das Unvermeidliche: die im Stillen
schon längst vorbereitete Revolution vom unter der politischen Führung von Alexis Marie Piaget und der militärischen
Leitung von Fritz Courvoisier fegte die monarchische Regierung weg und erklärte die Republik, die auch
durch eine 1856 versuchte royalistische Gegenrevolution nicht mehr erschüttert werden konnte. Im Pariser Vertrag vom anerkannte
schliesslich auch der König von Preussen die Unabhängigkeit von Neuenburg,
indem er auf seine sämtlichen Ansprüche und Rechte verzichtete.
Von diesem Zeitpunkt ab sind die Geschicke Neuenburgs mit denjenigen der ganzen Schweiz verknüpft geblieben.
Es handelte sich jetzt nur noch um den
innern, übrigens sehr freiheitlich gestimmten, Ausbau der Verfassung. Die die Verfassung
von 1848 wesentlich erweiternde Revision von 1858 ist im Wesentlichen bis auf den heutigen Tag giltig geblieben und durch
spätere Revisionen blos noch in wenigen Punkten modifiziert worden, wie z. B. durch die Einführung
des fakultativen Referendums und der Proportionalvertretung für die Wahlen in den Grossen Rat.
Von bemerkenswerten Ereignissen der folgenden Jahre nennen wir noch den Uebertritt und die Entwaffnung eines Teiles der französischen
Ostarmee unter General Bourbaki bei Les Verrières (1871) und die Gastfreundschaft, mit der man in Neuenburg
und
der ganzen Schweiz diese Opfer eines unseligen Krieges aufnahm, dann den Erlass des Kirchengesetzes von 1873, das den Anlass
zur Lostrennung der freien evangelischen Kirche von der Staatskirche gab, und endlich 1888 die Revision des Gemeindegesetzes,
welche die Bürger- und Einwohnergemeinde unter einer einzigen Verwaltung vereinigte.
Bezirk des Kantons Neuenburg.
7822 ha Fläche und 28070 Ew., also 359 Ew. auf einen km2. Grenzt im W. an den Bezirk Boudry,
im NW. an den Bezirk Val de Ruz,
im N., O. und SO. an den Kanton Bern
und im S. an den Neuenburgersee. Er umfasst den S.- und
SO.-Hang und -Fuss der Chaumontkette und erstreckt sich von 1 km w. der Mündung der Serrière in den Neuenburgersee bis in
die Nähe von Neuenstadt
am Bielersee auf eine Länge von 17,5 km und mit einer durchschnittlichen Breite von 5 km. Der
Bezirk setzt sich aus zwei scharf voneinander geschiedenen Landschaften zusammen, nämlich einerseits aus dem Seegelände
oder Vignoble direkt über dem Ufer des Sees, in der Ebene der Thièle (Zihl) und am Jurafuss und andererseits aus den grösstenteils
bewaldeten Hängen des Chaumont und dem Plateau von Lignières. Er gehört ganz zum Einzugsgebiet der Zihl
und hat an bemerkenswerten Wasseradern die blos einige hundert Meter lange Serrière, den die Gorges du Seyon und den W.-Abschnitt
der Stadt Neuenburg durchziehenden Seyon, den aus der Combe de Cressier herabkommenden Mortruz, den beim Meierhof Lordel entspringenden
Ruhaut und den die NO.-Grenze gegen Bern
bildenden Vaux aufzuweisen. Die Ebene der Zihl durchziehen das alte
Zihlbett und der neue Zihlkanal nebst einigen Wassergräben. Zwischen dem Neuenburger- und Bielersee bildet die Zihl die Grenze
des Bezirkes gegen den Kanton Bern.
11 Gemeinden: Cornaux, La Coudre, Cressier, Enges, Hauterive, Le Landeron-Combes, Lignières, Marin-Epagnier,
Neuenburg,
Saint Blaise und Thièle-Wavre. Zusammen 28070 Ew. in 2492 Häusern
mehr
und 5805 Haushaltungen; 22634 Reformierte, 5279 Katholiken, 84 Juden und 73 Andersgläubige; 20661 Ew. französischer, 5968 deutscher, 1160 italienischer, 17 rätoromanischer
und 264 Ew. anderer Zunge. 4797 Ortsbürger, 5771 Bürger anderer Neuenburger Gemeinden, 13615 übrige Schweizer und 3887 Ausländer.
Die Bodenfläche verteilt sich wie folgt:
ha
Rebberge
577
Felder
2185
Wald
2772
Wiesen und Baumgärten
1350
Weiden
402
Unproduktiver Boden
536
Grosse Brüche auf gelben Kreidekalkstein bei Hauterive und La Coudre. In Cressier eine Zementfabrik, in Marin eine Automobilwagenfabrik,
in Le Landeron eine Uhrsteinschleiferei und eine Fabrik für Uhrenrohteile (ébauches). An den Hängen des Jura stehen prachtvolle
Waldungen.
Die Viehstatistik hat folgende Resultate ergeben:
1886
1896
1901
Rindvieh
2212
2345
2166
Pferde
430
530
565
Schweine
612
1163
981
Schafe
324
142
80
Ziegen
523
716
578
Bienenstöcke
612
783
888
Hauptbeschäftigung der ländlichen Bewohner ist der Weinbau, der in grossem Umfang betrieben wird. Die Rebberge folgen
dem Jurafuss von einem Ende des Bezirkes bis zum andern und erzeugen einen vorzüglichen Wein: Rotwein der Stadt Neuenburg,
Weisswein von Hauterive und Saint Blaise. Fast ausschliesslich vom Weinbau leben die Bewohner von La Coudre, Hauterive, Saint Blaise,
Cornaux und Cressier, während die übrigen Dörfer (Marin, Épagnier, Le Landeron) daneben auch noch den Ackerbau
pflegen.
Enges, Lignières und die an den Gehängen des Chaumont zerstreut gelegenen Meierhöfe treiben Viehzucht. Einzig das im SW.-Zipfel
des Bezirkes gelegene Serrières lebt ganz von industrieller Tätigkeit (grosse Schokoladenfabriken, Papierfabrik, Hammerwerke
und Mühlen). Auch der Fischfang ernährt einen Teil der am Seeufer wohnenden Bevölkerung. Der Hauptort
Neuenburg
selbst hat wenig Industrie. Er ist hauptsächlich eine Schul- und Pensionnatsstadt, hat lebhaftes Buchgewerbe (Verlagsbuchhandel
und Druckereien) und ferner einige Uhrenfabriken, eine Fabrik elektrischer Apparate, eine Zinkornamentenfabrik, zwei Strohhutfabriken,
kunstgewerbliche Ateliers und
Glasmalergeschäfte; zwei Bierbrauereien. Bedeutender Weinhandel. In Neuenburg
grosse Krankenanstalten,
in Préfargier die kantonale Irrenheilanstalt und in Serrières, Cressier und Le Landeron je ein Krankenhaus
und Altersasyl.
Den Bezirk durchziehen die Bahnlinien von Neuenburg
nach Pontarlier, Lausanne, La Chaux de Fonds, Biel und Bern;
elektrische Strassenbahnen
von Neuenburg
nach Boudry, Corcelles, Valangin und Saint Blaise;
Automobilwagenkurse von Neuenburg
nach Dombresson und auf den Chaumont (Drahtseilbahn
im Projekt);
Dampfschiffkurse nach Estavayer und Murten.
Wichtigste Strassen sind die des linken Seeufers,
die sich in Saint Blaise nach Ins und Neuenstadt verzweigt, und diejenigen von Neuenburg
nach Lignières, Peseux, Valangin und Fenin.
französisch Neuchâtel (Kt. und Bez. Neuenburg). Gemeinde und Stadt, Hauptort des Kantons und des Bezirkes
Neuenburg,
Sitz der Verwaltung des 4. eidgenössischen Postkreises; 40 km w. Bern.
Die blühende und malerische Stadt
baut sich vom Seeufer aus amphitheatralisch an den Gehängen des Chaumont auf und wird von dunkeln Tannenwaldungen überragt.
Prachtvolle Aussicht über den See auf die Alpen vom Mont Blanc und den Savoyer Bergen bis zum Pilatus. Der
ordnungsliebende und ernsthafte Charakter der Bewohner verrät sich in der peinlichen Sauberkeit der Strassen und Gassen und
dem etwas monotonen Leben, das sich auf ihnen bewegt.
Dagegen geben die hügelige und unregelmässige Bodengestaltung und die vorherrschend hellgelbe Farbe der Häuserreihen der
Stadt einen Anstrich von Frische und Jugendlichkeit, so dass sie von Alexander Dumas einmal ein aus gelber
Butter geformtes Spielzeug genannt worden ist. Während die Kollegialkirche und das Schloss mit der Tour de Diesse und der Tour
des Prisons noch an die Zeiten des Mittelalters erinnern, reicht kein anderer Stadtteil weiter zurück als bis zum Beginn
des 16. Jahrhunderts.
Aber auch diese Bauten sind nicht mehr in grosser Anzahl vorhanden, da die Stadt zu wiederholten Malen (besonders 1269, 1450,
1526, 1714) von verheerenden Feuersbrünsten heimgesucht worden ist. So kommt es, dass die grosse Mehrzahl der Häuser schon aus
einer Zeit stammt, die eine gewisse Behaglichkeit und grösseren Komfort nicht mehr als überflüssigen
Luxus betrachtete. Die vielen Herrschaftssitze versetzen uns noch in die Zeiten zurück, da Neuenburg
als Hauptort eines eigenen Fürstentums
Residenzstadt war. Doch zeigt die Stadt
mehr
keineswegs etwa den Charakter einer zum stillen Provinzstädtchen degradierten ehemaligen Residenz, da die Behörden es stets
verstanden haben, mit allen Anforderungen und Fortschritten der Neuzeit Schritt zu halten. Schone öffentliche Parkanlagen,
zahlreiche Privatgärten und breite Uferquais mit schattenspendenden Baumreihen hüllen die Stadt in ein freudiges Grün und
geben ihr ein eigenartig behäbiges und vornehmes Gepräge. Dazu verfügt Neuenburg
auch über alle modernen Hilfsmittel
zur schnellen und bequemen Bewältigung des Verkehrs.
Früher floss der aus dem Val de Ruz herabkommende Seyon längs der Rue de l'Écluse und Rue du Seyon offen durch die Stadt und
trennte den Schlossberg einerseits von den Hügeln von Les Chavannes und Le Neubourg andererseits. Dieser
unberechenbare Wildbach lag meist trocken, konnte aber zu Zeiten mit seinen plötzlich heranbrausenden Hochwassern grosse
Verheerungen anrichten. 1844 lenkte man ihn vor seinem Eintritt in die Stadt ab und führte ihn durch einen unter dem Schlossberg
durchgehenden Tunnel, die sog. Trouée du Seyon, in gerader Linie in den See, auf welchem Weg er sich beim
Austritt aus dem Tunnel mit schönen Kaskaden über zwei Schwellen hinunterstürtzt.
Von allen umliegendem Höhen (besonders der Colline des Cadolles über Le Plan und der Colline du Mail) aus gesehen bietet der
Niederblick auf die von dunkelm Wald beherrschte und von Weinreben umgebene Stadt mit der zwischen der
Montagne de Boudry und der Tourne eingeschnittenen breiten Oeffnung des Val de Travers (dem einst sog. Trou de Bourgogne oder
Burgunderloch) und mit dem breiten, schimmernden Seespiegel ein überraschend schönes Bild.
Topographie.
Die Sternwarte Neuenburg
liegt in 47° 0' 1" NBr. und 6° 57' 28" OL. von Greenwich. Die Meereshöhe der Stadt
beträgt am Seeufer 434 m, auf dem Plan 580 m, beim Bahnhof 480 m und auf der Schlossterrasse 472 m. Die untere Stadt steht
auf einer von Serrières bis Monruz 5 km langen und vom See bis zum Jurafuss blos 1-3 km breiten Uferterrasse,
während die obere Stadt den durch isolierte Hügel und vorspringende Bergsporne reich gegliederten S.-Hang des Chaumont bis
weit hinauf erklettert.
Die das jurassische Gewölbe des Chaumont einst überdeckenden Kreideschichten sind durch Erosion und Verwitterung bis tief
hinunter abgetragen worden, so dass sie jetzt nur noch am Fuss der Kette anstehen, wo sie in der Stadt
Neuenburg drei Stufen bilden: zu oberst bei der Roche de l'Ermitage, der Écluse und am Vauseyon eine Valangienstufe, in der
Mitte eine Hauterivienstufe (Schlosshügel, Le Tertre, Crêt Taconnet und N.-Seite der Colline du Mail) und
zu unterst eine Urgonstufe (Le Crêt, S.-Seite der Colline du Mail und Seeufer).
Der gelbe Baustein, aus dem die Mehrzahl der Bauten Neuenburgs besteht und der der Stadt ein so eigentümliches Gepräge verleiht,
gehört dem Neocom an, das seinen Namen von der latinisierten Form Neocomium für Neuenburg
erhalten hat. Die Stadt
ist derart gelegen, dass man sie nur gegen O. (Biel) und W. (Yverdon) ebenen Fusses verlassen kann, während im S. der See sich
ausbreitet und im N. noch in der Stadt selbst die steilen Gehänge des Chaumont ansteigen, die nur in dem Thälchen des Vauseyon
etwas weniger stark geböscht sind.
Der Gipfel des Chaumont selbst (1175 m) ist durch eine bequeme Strasse und zahlreiche Fusswege mit der Stadt verbunden, bietet
eine umfassende Aussicht und bildet ein sehr beliebtes Ausflugsziel der Neuenburger. An seinen mit sehr schönen Waldungen
und Sennbergen bekleideten Gehängen stehen zahlreiche niedliche Chalets, die im Sommer von wohlhabenden
Familien aus der Stadt bewohnt werden. Das Volk pflegt dann kurz und bündig zu sagen, dieser oder jener Herr sei jetzt in
«seinem Chaumont» zu treffen. Die Gemeinde Neuenburg umfasst neben der eigentlichen Stadt noch den industriellen Vorort
Serrières (s. diesen Art.), die Weiler Suchiez und Monruz und beinahe den ganzen Berghang. Sie hat eine
Fläche von 15129144 m2, die nach der Katastervermessung von 1872 sich folgendermassen verteilten:
m2
Wohnhäuser
215864
Oekonomiegebäude
254065
Gärten
262588
Rebberge
1701137
Baumgärten
476561
Wiesen
384694
Aecker
2349976
Wald
7150001
Weiden
1520263
Steinbrüche
17226
Strassen und Gassen
546691
Eisenbahnen
197143
See
52935
Total Gemeinde
15129144
Neuere Daten stehen nicht zur Verfügung, doch kann man bestimmt sagen, dass die überbaute Fläche und die Strassen- und
Eisenbahnanlagen auf Kosten hauptsächlich der einst mit Reben bepflanzten Fläche heute wesentlich höhere Ziffern aufweisen.
Neuenburg
ist ein wichtiger Strassen- und Eisenbahnknotenpunkt. Die älteste Strasse ist die dem Seegelände entlang
ziehende sog. Vy d'Étraz (via strata), die in
mehr
höherm Niveau schon zur Römerzeit bestand und seither immer näher an das Seeufer herangerückt ist. Sie zieht von Yverdon
über Neuenburg
und die Zihlbrücke nach Bern.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat man an sie die längs dem Bielersee nach Biel führende Strasse
angeschlossen, so dass jetzt auch der Strassenzug Basel-Genf über Neuenburg
geht. Nach Pontarlier und der Freigrafschaft
zieht die grosse historische Völker- und Heerstrasse des Val de Travers, von der in Corcelles die Strasse über die Tourne
nach Les Ponts, Le Locle, Le Morteau und der Freigrafschaft abzweigt.
Die sog. Route des Montagnes geht durch das Val de Ruz (Valangin, Les Hauts Geneveys) und über den Pass «La Vue des Alpes»
nach La Chaux de Fonds; von ihr zweigt in Valangin die über Dornbresson ziehende Route du Bugnenet nach St. Immer ab. Noch bedeutender
ist Neuenburg
als Eisenbahnknotenpunkt geworden, über den die grossen Linien Genf-Olten (und weiter nach Basel
oder Zürich)
und
Genf-Delsberg (und weiter nach Basel
oder Delle-Paris) führen und von dem der dem Staat gehörende Jura Neuchâtelois (nach dem Bergland
und Besançon-Paris), die Linie nach Pontarlier-Paris und die Direkte nach Bern
ausstrahlen. Die Strecke Pontarlier-Neuenburg-Bern
ist ein Glied der kürzesten Route von London über Paris nach der Zentralschweiz und dem Gotthard. Auch
die projektierte Durchstechung des Lötschberges oder Wildstrubel wird für Neuenburg
von nicht zu unterschätzendem Vorteil sein.
Der auf einer Terrasse am Hang des Chaumont 46 m hoch über dem See stehende Bahnhof ist mit der untern Stadt durch eine elektrische
Strassenbahn (seit 1893) verbunden. Eine Drahtseilbahn geht bis zum obersten Stadtteil, Le Plan, hinauf.
Elektrische Strassenbahnen führen von Neuenburg
nach Boudry, Cortaillod, Serrières, Saint Blaise, Valangin und Corcelles. Zum Gipfel des
Chaumont hinauf ist ein Automobilwagenkurs eingerichtet worden. Der See hat seit den ältesten bekannten Zeiten als bequemer
Verkehrsweg gedient.
Die Pfahlbaur befuhren ihn mit ihren Einbäumen, und die Römer transportierten über seine glatte Fläche
ihre bei Hauterive gebrochenen Bausteine nach Aventicum (Avenches). Bis in verhältnismässig rezente Zeit pflegten auch schwere
Waren ihren Weg von Basel
nach Yverdon und weiterhin über die Jurarandseen zu nehmen. Und noch heute spielt sich zwischen dem
Neuenburgerufer einerseits und dem Waadtländer- und Freiburgerufer andererseits ein lebhafter Barkenverkehr mit Baumaterialien,
Gemüse etc. ab. Der weitaus bedeutendste Anteil am Personen- und Warentransport fällt aber jetzt natürlich der
Dampfschifffahrt
zu, die nach einem 1826 unternommenen Versuch 1834 endgiltig eingeführt worden ist.
Jetzt verkehren regelmässige Dampferkurse von Neuenburg
nach Cudrefin und durch die Broye nach Murten und andererseits
längs dem linken Seeufer von Neuenburg
nach Serrières, Auvernier, Cortaillod und Chez le Bart, von wo aus die Schiffe den See kreuzen
und am rechten Ufer noch Estavayer, Chevroux und Portalban bedienen. Diese Kurse bieten dem Naturfreund vielen Genuss; sie sind
aber besonders wichtig für die Versorgung der Stadt Neuenburg mit frischen Lebensmitteln (Gemüse etc.),
die in dieser Beziehung fast ganz auf ihre Nachbarn am gegenüber liegenden Seeufer angewiesen ist. Es wird denn auch die den
Betrieb leitende Gesellschaft von der Stadt und dem Staat Neuenburg
sowie von den Kantonen Waadt
und Freiburg
subventioniert. Im Sommer
werden oft Lustfahrten durch den Zihlkanal nach der St. Petersinsel im Bielersee veranstaltet.
Die Stadt Neuenburg ist im Schutz ihres alten Feudalschlosses entstanden. Noch im 13. Jahrhundert reichte sie nicht über
den Seyon hinaus, überschritt ihn dann aber im 14. Jahrhundert mit dem Quartier des sog. Neubourg. Damals
reichte der See noch bis nahe an den Fuss des Schlosshügels hinan, so dass einer Ausdehnung der Siedelung nach S. bestimmte
Grenzen gezogen waren. Im Laufe der Jahrhunderte baute sich dann der Seyon ein immer grösseres Delta in den See hinaus, dem
der Mensch mit seinen Bauten ebenso stetig nachrückte.
Später hat man durch Auffüllungen und die Trockenlegung der sumpfigen Ufergelände (der sog. Grands Marais) dem See immer
neues Land abgewonnen. Im 15. und 16. Jahrhundert entstanden die Quartiere der Rue Fleury, des Trésor und des Temple Neuf, und
im 17. Jahrhundert war der See schon so weit zurückgedrängt, dass man auf der Aussenseite der Rue de
Flandres eine neue Häuserreihe erstellen konnte. Zu Ende des 17. Jahrhunderts schlossen sich die Rue du Coq d'Inde, Rue des
Épancheurs und die N.-Front der Rue de l'Évole an, während die Faubourgs und die Promenade aus dem 18. Jahrhundert stammen.
Die 1844 vollendete Ablenkung des Seyon liess über seinem einstigen Bett die Rue du Seyon und Place Purry
entstehen. 1850-1860 kamen die Rue du Môle und Rue du Musée neu zum Stadtbild, und noch neueren Datums sind die Rue Purry,
Rue de la Place d'Armes, Rue de l'Évole (an Stelle der ehemaligen Promenade Noire) und endlich die bis zum
schönen Hügel Le Crêt ziehende Avenue du Premier Mars und der Quai des Alpes, der auf aufgefülltem Seeboden steht. Die Materialien
zu dieser Auffüllung lieferte die 1879-1882
mehr
durchgeführte Abtragung des Crêt Taconnet, die für die immer grösser werdenden Bedürfnisse des Bahnhofes Raum schuf.
Seit dem Bau der ersten Bahnlinie (Ouest Suisse) 1859 hat sich die Stadt vorzüglich gegen die Höhen zu entwickelt.
Oeffentliche Bauten und Denkmäler.
Das im Stadtbild von Neuenburg
am auffallendsten hervortretende Bauwerk ist der mächtige Komplex des Schlosses
mit seinen zahlreichen Türmen. Ehemals Residenz der Grafen und Fürsten von Neuenburg
oder ihrer Gouverneure, ist es heute der Sitz
der kantonalen Behörden. Der im romanischen Stil gehaltene Vorderbau stammt aus dem Ende des 12. Jahrhunderts und wurde
ohne Zweifel schon von Ulrich II., dem ersten der in Neuenburg
ihre Residenz nehmenden Grafen, und seinen nächsten
Nachfolgern bewohnt, die den ursprünglichen Bau vielfach erweiterten.
Graf Ludwig fügte dann das den Schlosshof im N. abschliessende Gebäude und einen Teil des W.- und O.-Flügels hinzu. Rudolf
und Philipp von Hochberg vollendeten das 1450 teilweise durch Feuer zerstörte Viereck, während die eidgenössischen
Vögte eine nach S. gegen die Stadt schauende offene Gallerie durch eine mit den Wappen der 12 alten Orte geschmückte massive
Konstruktion ersetzten. Seither hat sich das Schloss nach Aussen nicht mehr verändert, wohl aber nach Innen, da das stets
zunehmende Bedürfnis für Schaffung neuer Amtsräume zahlreiche Umwandlungen notwendig machte.
Sehenswert ist eigentlich nur noch der heute als Sitzungsraum für das Kantons- und Schwurgericht dienende Saal der ehemaligen
«Etats généraux», dessen Wände mit den Wappen der Fürsten und Gouverneure von Neuenburg
geziert sind. Der moderne Grossratssaal
hat das ehemalige Konklave ersetzt und enthält ein Gemälde von Jules Girardet, das eine Episode aus
den Burgunderkriegen (Verteidigung der Zihlbrücke durch den Pannerherrn Bellenot aus Le Landeron 1476) darstellt und anlässlich
der 50 jährigen Feier des Bestandes der Republik 1898 von der Schweizerkolonie in Paris geschenkt worden ist.
Aus diesem Saal gelangt man durch den 1870 restaurierten Kreuzgang in die Kollegialkirche. Diese wurde
im 12. Jahrhundert von Graf Ulrich II. und seiner Gemahlin Bertha gestiftet und ein Jahrhundert später vergrössert. Der eine
der beiden Glockentürme ist wie beide Spitztürmchen erst bei der Restauration von 1870 angebaut worden. Die in gemischt
romanisch-gotischem Stil gehaltene Kirche zeigt als Sehenswürdigkeiten an einem der Ausgänge die Statuen
von St. Peter und St. Paul, eine an einem der das Schiff tragenden Pfeiler angebrachte Inschrift zur Erinnerung an den
an welchem Tag die Bürgergemeinde für die Einführung der Reformation entschied, und endlich das vom Grafen Ludwig 1372 errichtete
prachtvolle Familiengrabmal mit 15 Standbildern, von denen zwei aus dem 13. Jahrhundert stammen und drei
weitere (die Grafen von Freiburg
und Hochberg darstellend) im 15. Jahrhundert hinzugefügt worden sind. Vor der Reformation war der
Kollegialkirche ein reiches Chorherrenstift angegliedert.
Die ältesten Bauwerke Neuenburgs sind zwei aus der Burgunderzeit stammende feste Türme, die Tour de Diesse
am Fuss des Schlosshügels und die höher stehende Tour des Prisons. Diese letztere scheint der ursprüngliche Kern der Schlossanlage,
d. h. die regalissima sedes der Burgunderkönige gewesen zu sein. Die einstigen Stadtmauern sind samt ihren Türmen und Toren
verschwunden; die Porte de l'Hôpital, Porte de Saint Maurice und Tour aux Chiens sind 1784-1790, die an den
Diesseturm sich anlehnende Maleporte und die Porte des Moulins im 17. Jahrhundert, die Tour de l'Oriette 1823, die Porte du Château 1854 und
die Tour des Chavannes endlich 1867 abgetragen worden.
Oeffentliche Bauwerke aus der Zeit vor dem 16. Jahrhundert sind ausser den schon genannten keine mehr
vorhanden. Aus dem 16. Jahrhundert stammt eines der Schmuckstücke von Neuenburg,
die mit Renaissancetürmchen gekrönte und über den
Portalen die prachtvoll gehauenen Wappenschilde des Hauses Orléans-Longueville tragende, elegante Markthalle (Les Halles).
In dem 1695 erbauten Temple du Bas oder Temple Neuf befindet sich das Grab von J. Fr. Osterwald, des bekannten
Bibelübersetzers und Verfassers eines für die religiöse Entwicklung des Neuenburger Volkscharakters bedeutsamen Katechismus. 1768 wurde
das von schönen Gartenanlagen umgebene Hôtel du Peyrou, der Herrensitz dieses reichen und gebildeten Kaufherrn und Freundes
von J. J. Rousseau, erbaut, das später vom Marschall Berthier angekauft und zu seiner - allerdings von
ihm nie bewohnten und nicht einmal gesehenen - Residenz bestimmt ward, dann an das Geschlecht de Rougemont überging und endlich
an die Stadtgemeinde kam.
Das Erdgeschoss ist jetzt für die Bedürfnisse einer politischen und geselligen Vereinigung (eines sog. Cercle) eingerichtet,
während man in den schönen Sälen im ersten Stock festliche Anlässe zu feiern pflegt. 1784-1790 liess
David de Purry das etwas schwerfällige, aber vornehme Rathaus erbauen, das eine schöne Säulenfassade aufweist und
einen bemerkenswerten getäfelten Saal besitzt, in dem der Grosse Stadtrat und das Bezirksgericht ihre Sitzungen halten. Das
gegenüberstehende einstige Waisenhaus (von J. J. Lallemand gestiftet) dient seit einigen Jahren ebenfalls der städtischen
Verwaltung, nachdem die Waisen in der Évole und in Belmont bei Boudry ein neues Heim gefunden hatten. Das 19. Jahrhundert hat
die Stadt besonders mit Schulbauten reich ausgestattet, wovon wir nennen das alte Gymnasium (jetzt Collège
Latin; mit der Stadtbibliothek und den naturhistorischen Sammlungen), das Knaben-Schulhaus an der Promenade, das Mädchenschulhaus
der Terreaux mit seinem Nebenbau, das Gebäude der Akademie (in dem jetzt auch die Kantonsschule untergebracht ist) und endlich
die Handelsschule.
Daneben hat die Stadt noch eine Sternwarte und die kantonale Strafanstalt (beide Eigentum des Staates),
einen Konzert- und Vortragssaal, sowie ein - allerdings bescheidenes - Theater. Nahe dabei stehen zu betten Seiten des Hafens
das 1896 eröffnete neue eidgenössische Postgebäude und das Historische und Kunstmuseum (Musée Historique et des Beaux
Arts). Etwas weiter die neue katholische Kirche und über der Stadt die Kapelle zur Ermitage, deren Glocke
einst in der Tour des Chavannes gehangen hatte.
Von den öffentlichen Brunnen verdienen deren vier aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammende eine besondere Erwähnung. Der
im Winkel zwischen der Vereinigung der Rue du Château und Rue du Pommier stehende Greifenbrunnen (Fontaine du Griffon) war
vor der Reformation dem h. Wilhelm geweiht und trug dessen jetzt durch einen Greifen ersetztes Standbild. Etwas tiefer unten
finden wir an der Croix du Marché den Pannerherrnbrunnen (Fontaine du Banneret), dann am Eingang in die Grand'Rue den Gerechtigkeitsbrunnen
(Fontaine de la Justice) und endlich auf dem Platz vor dem Temple Neuf den Löwenbrunnen (Fontaine du Lion),
die alle nach den ihren Säulenstock krönenden Emblemen benannt sind.
Die öffentlichen Plätze zieren mehrere Denkmäler: die von David d'Angers modellierte Bronzebüste von David de Purry, des
grossen Wohltäters von Neuenburg
(Place Purry), die von Iguel gehauene Statue von Farel (auf dem Platz vor der Pfarrkirche),
die ebenfalls aus Iguel's Hand stammenden vier Standbilder von J. Fr. Osterwald, Emer de Vattel, des Kanzlers von Montmollin
und des Chorherrn Hugues de Pierre (an der S.-Fassade des Collège Latin), und die vom frischen Grün der Promenade umrahmte,
von F. Landry modellierte feine Büste der
jung verstorbenen Neuenburger Dichterin Alice de Chambrier.
Das bedeutendste Denkmal der Stadt ist das zur Feier des 50jährigen Bestehens der Republik 1898 enthüllte und von den Bildhauern
Heer und Meyer geschaffene Monument de la République, dessen Hauptfiguren die Helvetia und Neocomia sind, zu deren Füssen
ein das Volk darstellender, kräftiger junger Mann sitzt, der sich eben von den Fesseln der Sklaverei
befreit hat und nun vertrauensvoll in die Zukunft blickt. Im Hof des Schulhauses an der Promenade steht endlich der erste
Entwurf eines Denkmales für Daniel JeanRichard, der im Land Neuenburg
die Uhrenindustrie einführte und dessen grosses Bronzestandbild
einen der Plätze von Le Locle ziert.
Klima.
Neuenburg
erfreut sich milder und günstiger klimatischer Verhältnisse. Die 488 m hoch gelegene meteorologische Station in der Sternwarte
verzeichnet folgende Mitteltemperaturen:
°C.
Winter
-0,1
Frühling
8.7
Sommer
17.7
Herbst
94
Jahr:
8.85
Das bisher beobachtete Maximum betrug 33° C., das Minimum -17° C. (Januar 1880). Das Thermometer sinkt
jährlich blos an etwa 40 Tagen unter den Gefrierpunkt. Die Beobachtungen über die relative Feuchtigkeit der Luft haben
für 40 Jahre ein Mittel von 78% der vollen Sättigung ergeben. Wenn in den tiefern Teilen der Stadt im Winter Nebel auftritt,
liegt über den höhern Quartieren heller Sonnenschein. Volle Nebeltage zählt man im Durchschnitt pro
Jahr 36. Sehr schwankend ist in den einzelnen Jahren die Menge der Niederschläge, die man im Mittel auf 947 mm pro Jahr
angeben kann.
Neuenburg
hat im Jahr durchschnittlich 218 regenlose Tage. Der mittlere jährliche Barometerstand beträgt auf der Beobachtungsstation
719,6 mm und schwankt während eines Jahres blos um etwa 37 mm. Für den Grad der Bewölkung erhält man ein Jahresmittel
von 66% (Sommer 55% und Winter 75%). Eine Gesamt- oder Teilansicht der Alpen kann man jährlich an 45 Tagen (besonders im
Herbst und Winter) geniessen; am klarsten pflegt sich das Gebirge im September, November und Februar
zu zeigen. Im Ganzen darf man das Klima von Neuenburg
trotz der Nähe des rauhen Jura als ein gut ausgeglichenes bezeichnen, da der
nur langsam sich erwärmende und
mehr
wieder erkaltende See ein gewisses Gegengewicht gegen die jurassischen Einflüsse bildet. Unter diesen ist besonders der als
Fallwind von den Höhen herabwehende Joran zu nennen, der sich im Sommer ziemlich regelmässig gegen 4 Uhr Abends fühlbar
macht, die über dem See lagernden Dunstmassen rasch auseinander treibt und meist kühle Nächte im Gefolge
hat. Der Föhn erreicht Neuenburg
nur selten und nur in recht abgeschwächter Gestalt; dagegen ist die Stadt der aus NO. kommenden
Bise ausgesetzt, die oft heftig weht und im Winter (besonders im Februar und März) lange anzudauern pflegt.
Bevölkerung.
1353 zählte Neuenburg
256 Häuser und 430 Herdstätten, was einer Bevölkerung von etwa 2500 Köpfen entsprechen
dürfte. Die erste regelrechte Volkszählung wurde 1750 vorgenommen und ergab eine Einwohnerzahl von 3666 Köpfen, die 1803 auf 4170 gestiegen
war. Ueber das weitere Wachstum geben folgende Tabellen Auskunft:
Jahr
Ew.
1864
10933
Zuwachs
%
1874
13317
2414
22.08
1884
15423
2076
15.55
1894
17706
2283
14.80
1904
21985
4279
24.16
Auf die Herkunft der Bewohner verteilen sich diese Ziffern folgendermassen:
Jahr
Neuenburger
1864
4321
Zuwachs
%
1874
4962
611
14.83
1884
5469
507
10.21
1894
6976
1507
27.40
1904
8719
1743
24.98
:
Uebrige Schweizer
1864
5042
Zuwachs
%
1874
6463
1421
28.18
1884
7891
1428
21.97
1894
8447
556
7.04
1904
10154
1707
22.07
:
Ausländer
1864
1570
Zuwachs
%
1874
1922
352
22.48
1884
2063
141
7.33
1894
2283
220
16.76
1904
3112
829
36.31
.
Jahr
Reformierte
Katholiken
Juden
Andere
1874
11623
1685
89
-
1881
13389
1966
52
16
1894
14838
2784
70
14
1904
18214
3670
57
44
Aus diesen Ziffern geht hervor, dass der Zuwachs von 1874-1894 geringer ist, als im Zeitraum 1864-1874 und dass er von 1894-1904
am höchsten stieg. Bemerkenswert ist auch, dass der gegenüber den andern Schweizern nur schwache Zuwachs
der Neuenburger 1864-1884 dann von 1884 bis 1904 beträchtlich anstieg, was zu einem guten Teil den durch das neue Gesetz
wesentlich erleichterten Bestimmungen über die Einbürgerung zuzuschreiben
ist. Die starke Vermehrung der nichtschweizerischen
Bevölkerung im Zeitraum 1894-1904 dürfte dagegen wesentlich auf die Anziehungskraft der Neuenburger Schulen zurückzuführen
sein. Grundbesitzer zählte man 1874: 470, 1884: 561, 1894: 636 und 1904: 719. Die Zahl der Häuser betrug 1874: 1045, 1884:
1289, 1894: 1442 u. 1904: 1852.
Handel, Gewerbe und Verkehr.
Im Jahr 1903 hat der Bahnhof Neuenburg
209995 Personenbillets und 55963 Scheine für Passagiergepäck ausgegeben, 7360 Stück Vieh
expediert oder erhalten, 1691 Tonnen Eilgut und 17582 Tonnen Frachtgut versandt sowie 2243 Tonnen Eilgut und 58642 Tonnen
Frachtgut erhalten. Dafür betrugen die Einnahmen 1429276 Fr. Im gleichen Jahr sind 79492 Diensttelegramme abgesandt worden.
Die Art der Rechnungsführung der Dampfschiffahrtgesellschaft gestattet keine genaue Uebersicht über den Verkehr im Hafen
von Neuenburg;
immerhin kann man annehmen, dass von der im Jahr 1903 beförderten Gesamtzahl von 87743 Personen
rund 30000 in Neuenburg
eingestiegen sind, was einer Einnahme von etwa 20500 Fr. entsprechen dürfte.
Die fast ohne Ausnahme nach Neuenburg
bestimmten Waren haben der Gesellschaft eine Summe von 24200 Fr. eingebracht. Die Compagnie
des Tramways de Neuchâtel verfügt über das zweitlängste Schienennetz von allen Tramunternehmungen der Schweiz und betrieb
am eine Strecke von 26,346 km Länge. 1903 sind 3071290 Personen befördert und dafür 441768 Fr. eingenommen
worden, was auf einen Kilometer 16411 Fr. ausmacht. Neuenburg
ist von jeher mehr eine Gelehrten- und Schulstadt,
als eine Handels- und Industriestadt gewesen.
Dies schliesst aber eine blühende industrielle Tätigkeit auf einigen Spezialgebieten nicht aus. Lange Zeit beschränkten
sich die Einwohner einzig auf den Weinhandel. Als dann im 18. Jahrhundert einige in der Umgebung eingerichtete Fabriken von
Indiennestoffen ihre Besitzer zu reichen Leuten machten, mehrten sich diese Unternehmungen, bis schliesslich
alle wieder eingingen (die Mehrzahl während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Dann zogen die jungen Leute in die
Fremde und erwarben sich dort durch ihre Rührigkeit und Intelligenz so viel Vermögen, dass sie nach ihrer Rückkehr in
die Heimat ein behagliches Leben führen konnten.
Ausschliesslich industriell ist der Vorort Serrières, dessen Papierfabrik aus dem 15. und dessen zwei Mühlen und eine Säge
aus dem 16. Jahrhundert stammen. 1826 ist hier die weltbekannte Schokoladenfabrik Suchard gegründet worden. In Serrières
befand sich einst auch eine Münzstätte. Neuenburg
hat etwa 30 Uhrenfabrikanten und -händler, zwei Strohhutfabriken,
zwei Bierbrauereien, eine Telegraphenbauwerkstätte und eine Schaumweinfabrik. Lebhaftes Baugewerbe; eine Backsteinfabrik,
Steinbrüche. 15 Buchdruckereien, 4 Lithographenateliers, drei Anstalten für Photogravüre und eine kartographische
Anstalt. Ein kunstgewerbliches Atelier, Glasmalerei. Den Geldverkehr
mehr
besorgen acht Privatbanken, deren Umsatz hier nicht bestimmt werden kann aber meist sehr beträchtlich ist, und 4 Kreditanstalten.
Zwei von diesen, die Kantonalbank und die Handelsbank, sind Emissionsbanken und dürfen jede für 8 Mill. Fr. Banknoten ausgeben.
Die staatliche Kantonalbank verfügte am über ein Stammkapital von 4 Mill. Fr. und einen
Reservefonds von 820546 Fr.; ihr Geldumsatz belief sich 1903 auf 1151395053 Fr. Das Stammkapital der Handelsbank beträgt
ebenfalls 4 Mill. Fr., ihr Reservefonds 200000 Fr. und ihr Umsatz 458521224 Fr. Die Hypothekarbank (Crédit foncier; 3 Mill.
Fr. Stammkapital und 516000 Fr. Reservefonds) hat 1903 auf Liegenschaften eine Summe von 18191812 Fr.
ausgeliehen und zugleich für 16308000 Fr. Liegenschaftenobligationen zum durchschnittlichen Zinsfuss von 3,971% ausgegeben.
Die 1812 als gemeinnütziges Unternehmen gegründete Sparkasse hat kein Stammkapital, dafür aber einen Reservefonds von 2350000
Fr.; die gleiche Person darf im Jahr (besondere von der Direktion gestattete Ausnahmefälle vorbehalten) nicht
mehr als 700 Fr. einlegen und ein Sparheft nicht über 4000 Fr. anwachsen lassen. Ende 1903 verwaltete die Kasse für 44676497
Fr. Einlagen, die 64257 Einlegern gehörten. Wir wollen noch bemerken, dass 1903 in Neuenburg
154 dem eidgenössischen Fabrikgesetz
unterstellte Geschäfte mit 326 Lehrlingen bestanden.
Schule und Unterricht, geistigesLeben.
Neuenburg
hat sich in erster Linie zu einer hervorragenden Schulstadt entwickelt, die jetzt eine grosse Anzahl von gut besuchten Schulanstalten
und Pensionnaten aufweist. Aus allen Ländern kommen junge Leute beiderlei Geschlechtes hierher, um Französisch zu lernen.
Wir geben hier zunächst eine Uebersicht über die von der Stadt unterhaltenen Gemeindeschulen: 1. Ge
mischte Kleinkinderschulen (Fröbel'sche Kindergärten) mit zweijähriger Dauer des Unterrichtes;
16 Klassen und 661 Schüler
im Alter von 5-7 Jahren. 2. Primarschulen mit obligatorischem 6 jährigem Unterricht und unentgeltlicher Verabfolgung der
Schulmaterialien;
54 Klassen mit 2393 Schülern im Alter von 7-14 Jahren. 3. Sekundarschulen, als Ergänzung des Primarschulunterrichtes
und zur Vorbereitung für den Uebertritt in die Berufslehre, an das Realgymnasium, das Lehrerseminar,
die höhere Töchterschule und die Handelsschule;
dreijähriger Kursus, 12 Klassen mit 352 Schülern im Alter von 12-15 Jahren. 4. Lateinschule
(Collège latin) als Vorbereitung zum Uebertritt an das humanistische Gymnasium;
5 Klassen mit 150 Schülern im Alter
von 10-15 Jahren, 5jähriger Kursus. 5. Höhere Töchterschule mit fakultativem Unterricht;
2 Klassen mit 80 regulären Schülerinnen
und 270 Hörerinnen. 6. Fremdenschule (Classe des étrangères) für Töchter, die das Französische erlernen wollen;
4 Klassen
mit 172 Schülerinnen, ein in zwei Stufen gegliedertes Studienjahr. 7. Berufs- und Haushaltungsschule;
einjähriger Unterricht, 223 Schülerinnen.
Zusammen 93
Klassen mit 4025 Schülern (1768 Knaben und 2257 Mädchen), 94 Lehrern und 73 Lehrerinnen. Für 1903 ist dafür
folgendes Budget aufgestellt worden:
Fr.
Ausgaben
349950
Einnahmen
98390
Ueberschuss der Ausgaben:
251560
Der beruflichen Ausbildung dienen: 1. Die für Lehrlinge und Arbeiter bestimmte Zeichen- und Modellierschule. 2. Die
Uhrmacherschule mit 4jährigem theoretisch-praktischem Kursus; während der drei ersten Jahre muss jeder Schüler 6 vollständige
Uhren und im vierten Jahre dazu noch einen Taschenchronometer und eine Repetieruhr verfertigen, deren Erlös ihm gehört.
Der Schule ist eine Abteilung für Elektrotechnik, Kleinmechanik und für Herstellung von Pendeluhren angegliedert.
Von allen Schulanstalten Neuenburgs zieht die Handelsschule (die bedeutendste der Schweiz) die meisten
Fremden an. Sie umfasst 4 Studienjahre und einen je vom April bis Juli dauernden Vorkurs. Während dieser Zeit zählte die
Schule 1903: 610 Schüler (454 Schweizer und 156 Fremde), zu Ende des gleichen Jahres noch 506 Schüler (wovon 84 weibliche);
im Mai 1904 betrug die Anzahl der Schüler 642 (wovon 126 weibliche).
Im Sommer werden besondere Ferienkurse eingerichtet.
Es ist ihr eine Spezialklasse für Französisch angegliedert. Ihr Budget belief sich 1903 auf 275775 Fr., welche Summe gedeckt
wurde durch die Subvention der Gemeinde (43099 Fr.), des Kantons (76136 Fr.) und des Bundes (59315 Fr.),
sowie durch die Schulgelder und verschiedene andere Einnahmen (97225 Fr.).
Kantonale Anstalten sind die Kantonsschule und die Akademie. Jene gliedert sich in ein Realgymnasium (Industrieschule) und
ein humanistisches oder klassisches Gymnasium, die auf das Polytechnikum, die Universität oder die Akademie vorbereiten
und 1903 von 68 bezw. 58 Schülern besucht wurden. Beigefügt ist der Kantonsschule das Lehrer- und Lehrerinnenseminar
mit 2jähriger Dauer des Unterrichts und (1903) 11 männlichen und 28 weiblichen Seminaristen. Die Akademie ist 1840 gegründet
und 1848 aufgehoben, 1866 wieder errichtet und 1894 neu organisiert worden. An der ersten Akademie lehrten u. a. Agassiz,
Arnold Guyot, F. Aug. Matile, Ladame.
Nach 1848 kehrte man zum alten System der sog. «Auditoires» zurück, an
denen Juste Olivier, Desor, Charles Secrétan lehrten. Heute umfasst die Akademie je eine philologisch-philosophisch-historische,
naturwissenschaftliche, juristische und theologische Fakultät und unterscheidet sich von einer Universität nur durch das
Fehlen einer medizinischen Fakultät. Es ist ihr ein für die Fremden bestimmtes Seminar für modernes
Französisch beigefügt, und es werden ebenfalls Ferienkurse veranstaltet. Das Lehrpersonal zählt 46 Professoren. Im Wintersemester
1903/04 wurde die Akademie von 133 immatrikulierten Studenten und 123 Hörern besucht (189 Philosophen, 28 Naturwissenschafter, 13 Theologen