mehr
So ist neben dem
alten Dorf eine innerlich und äusserlich von ihm völlig verschiedene, neue Siedelung entstanden, deren
leicht gebaute Holzhütten sich längs der Strasse ins
Goms aufreihen und einen seltsamen Gegensatz zu den von
Alter und
Sonne
gebräunten
Häusern des alten Naters
bilden. Dieses neue Italienerviertel, vom Volkswitz «Negerdorf»
getauft, ist mit seinen zahlreichen Osterien, Ristoranti, Tingeltangeln und den mit malerischen und naiven Aushängeschilden
«gezierten» Verkaufsbuden aller Art ausserordentlich sehenswert und zwar
um so mehr, als es mit der Vollendung des
Simplontunnels ohne Zweifel zum grösstenteil wieder vom Erdboden verschwinden wird.
Einen ganz andern Charakter weist das in seine sonnige Nische geschmiegte, von Feldern, Rehbergen, Nuss-
und
Kastanienbäumen umgebene alte
Dorf auf, das sein altertümliches Aeussere noch reiner bewahrt hat als die übrigen Burgschaften
der Gegend. Die vom
Kelchbach in zwei Gruppen geschiedenen gebräunten, oft auch zum Teil zerfallenen und mit flaschenhalsähnlichen
Fensteröffnungen versehenen
Holzhäuser sind zu drei gegeneinander laufenden Hauptgassen angeordnet.
In der Mitte steht die schöne, geräumige und reich ausgestattete Pfarrkirche mit ihrem hohen romanischen Glockenturm. Es
ist die Mutterkirche des ganzen Zehntens, von der sich selbst
Brig-Glis erst 1642 als eigene Pfarrei loslöste. Die
Kapelle
neben der Kirche befindet sich über einer offenen Gruft, die eines der schönsten und am besten unterhaltenen
Beinhäuser in diesem Teil des Kantons darstellt.
Die grosse Anzahl der hier aufgehäuften Schädel und übrigen Skeletteile
lässt den
Schluss zu, dass Naters
einst einem grossen Teil des Ober Wallis
als Nekropole gedient haben muss.
Naters
wird zwar in der Gründungsurkunde von Agaunum oder
Saint Maurice (515) nicht genannt, gehörte
aber dennoch wie
Leuk bis ins 11. Jahrhundert zum Grundbesitz dieser Abtei. 1079 wurde es von Kaiser Heinrich IV. dem damaligen
Bischof von
Sitten zugesprochen, aber bald nachher von den
Grafen von Savoyen mit Beschlag belegt und erst gegen 1140 dem Bistum
wieder zurückgegeben. Als Beamte des
Bischofes sassen in Naters
ein Vitztum und ein Meier, welch' letzterer
in der Burg «Auf der
Fluh»
(Château du
Roc) residierte. 1300 ging das Meieramt an die Edeln von Blandrate über.
Die 1360 verwitwete Gräfin Isabella von Blandrate wurde mit ihrem Sohn Anton auf der Rhonebrücke zwischen
Brig und Naters
1365 von den Soldaten des
Bischofs Tavelli ermordet, die dann die beiden Leichen in den Fluss warfen. Hierauf
erhielt Franz von Compey das Meieramt über Naters.
Von dieser Zeit an pflegten die
Bischöfe öfters «Auf der
Fluh» ihren
Sommeraufenthalt zu nehmen. Dieser war aber nicht immer blos mit Annehmlichkeiten verbunden, da das trotzige
und über seine
Freiheit eifersüchtig wachende Volk des Ober Wallis
hier zu verschiedenen Malen seine Landesherren belagerte und
zu mancherlei Zugeständnissen zwang. So geschah es z. B. 1446 dem
Bischof Wilhelm VI. von
Raron und einmal auch dem
Bischof
Jost von Silinen.
Sitz der
Vitztume war die Burg Ornavasso oder Urnafas, deren hochragender, 4 stöckiger und quadratischer
Turm 1899 restauriert worden ist und nun als Schul- und Gemeindehaus dient. Nachdem Mathilde von Naters
1249 den Wilhelm
von Aosta geheiratet hatte, bezog dieser die Burg Ornavasso (italienische Form für Ernenwasser), auf der seine Nachkommen
noch sassen, als das Amt eines Vitztums schon längst in andere Hände übergegangen war. Eine dritte,
auf einer Anhöhe über der
Massabrücke stehende Burg gehörte den
Herren von
Weingarten oder
Vineïs, deren bekanntester Laurent
de
Vineïs, Burgherr von
Sitten (1704), war.
Von ihr stand noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein einzelner
Turm. Die alte Rhonebrücke zwischen
Naters
und
Brig wird schon 1331 erwähnt und dann zwei Jahrhunderte später von Josias
Simler als eine gemauerte
Brücke mit
zwei
Bogen beschrieben. Zu Ende des 18. Jahrhunderts trat an ihre Stelle eine Holzbrücke, die dann später ihrerseits wieder
durch eine Eisenkonstruktion ersetzt worden ist. Seit 1901 geht etwas weiter oben eine direkt zum neuen
Bahnhof führende zweite eiserne
Brücke über den Fluss, die vom Kanton Wallis
und der Simplonbahn gemeinsam erbaut worden ist, dieser 55000 Fr.
und jenem 24000 Fr. gekostet hat. 1018: Nares; 1100 und 1253: villa Natrensis; 1138: Natria. Das heutige
Wappen der Burgschaft
Brig und des ganzen Bezirkes, ein geflügelter Drache, gehörte einst Naters
als dem damals bedeutendsten
Ort im Zehnten an. Auf
Belalp und beim Dorf je ein Menhir.
[L. Courthion.]