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Maggia grosse Schuttmassen zu, am meisten wohl die Rovana, die aus einem schlimmen Abrutschungsgebiet kommt. Man berechnet die von der Maggia in den See hinausgeführten Geschiebemassen auf 200000 m3 per Jahr (zum Vergleich: die der Reuss in den Vierwaldstättersee auf 150000 m3 und die der Linth in den Walensee auf 60000 m3 per Jahr).
Dennoch ist die Maggia kein trüber Fluss, denn was sie an Sinkstoffen mit sich führt und bald da bald dort in ihrem eigenen Bett und draussen im Delta und im See ablagert, ist gröberer und feinerer Gesteinsschutt, aber kein Schlamm. Die Gebirge ihres Gebietes bestehen am Gneis und Glimmerschiefer, die wohl leicht verwittern und in Splitter zerfallen, sich aber nicht wie die Tonschiefer anderer Gegenden in einen schwarzen, breiigen Schlamm auflösen. Daher sind die Gewässer des Tessin und speziell auch die Maggia samt allen ihren Zuflüssen von wunderbarer Klarheit, so dass man auch an 2-3 m tiefen Stellen jedes Steinchen auf dem Boden erkennen kann.
Hier gilt das Wort Rückert's nicht: «Der Fluss bleibt trüb, der nicht durch einen See gegangen». Wer etwa aus dem Gebiet des Bündnerschiefers mit seinen schlammig-trüben Gewässern nach dem Gneisgebiet des Tessin kommt, ist erstaunt über die vollkommene Klarheit und Durchsichtigkeit der hierortigen Gewässer, auch an Stellen, wo sie in mäandrisch gewundenem und vielarmig geteiltem Lauf über breite Schuttablagerungen dahinfliessen, wie dies die Maggia auf der etwa 14 km langen Strecke von Avegno (dem untersten Dorf der Valle Maggia) bis Riveo tut.
Mit dieser ungetrübten Klarheit verbindet sich eine Färbung der Gewässer, wie man sie in der Schweiz sonst nirgends findet, ein tiefes Smaragdgrün, wo sie ruhiger dahin fliessen, ein schneereines Weiss, wo sie schäumende Stromschnellen und Wasserfälle bilden. Und wenn die südliche, italienische Sonne mit ihrem «lume acuto» da hineinleuchtet, dann entstehen Farbeneffekte von einer Mannigfaltigkeit und einem Zauber wie sie kein Maler wiederzugeben vermag und die man für unmöglich hält, so lange man sie nicht gesehen hat, z. B. am Ponte Brolla und bei Bignasco, aber auch sonst an zahlreichen Stellen.
Und erst die Wasserfälle! Daran ist die Valle Maggia geradezu unerschöpflich. Von allen Seiten schäumen und wallen und brausen und donnern sie herunter. Die meisten sind unbenannt und in der übrigen Welt unbekannt. Und doch übertreffen sie an Wasserfülle und Gestaltenreichtum und oft auch an malerischer Umgebung manche der berühmtesten Fälle in anderen Teilen der Alpen. Die Maggia selber bietet in den Uebergangsschluchten von einer Thalstufe in die andere, also bei und hinter Bignasco und Peccia und oben an den kleinern Stufen vor und hinter Fusio, herrliche Beispiele.
Dazu gesellen sich die Kaskaden fast aller ihrer Seitenbäche, die meist aus enger Kluft, manchmal auch über eine hohe Felswand ins Hauptthal herunter stürzen, wie z. B. bei Gordevio, Aurigeno, Maggia, Lodano, Giumaglio, Riveo (Val Soladino), Boschetto, Cevio, aus Val Serenello und Val Cocco zwischen Bignasco und Broglio, vom Campolungo bei Fusio etc., alle die vielen Fälle weiter hinten in den Seitenthälern (Centovalli und Onsernone, Campo und Bosco, Bavona und Calneggia, Peccia und die kleinen Seitenthäler von Lavizzara) nicht gerechnet.
Die überraschende Wasserfülle all' dieser Bäche - trotz der nur geringen Gletscherentwicklung - erklärt sich aus dem Regenreichtum und dem gewaltigen Schneefall der Tessiner Alpen und speziell des Maggiagebietes, der in der Schweiz nirgends grösser ist als hier. Durch ihre oft plötzlich und mit grosser Wucht eintretenden Hochwasser wird die im Durchschnitt etwa 60 m3 Wasser in der Sekunde führende Maggia vielfach zu einem recht gefährlichen Wildbach.
Sie wird an mehreren Punkten von schönen Eisen- oder Steinbrücken überschritten. Der Fluss war früher sehr fischreich; es hat aber der Ertrag der vom Staate nur ungenügend überwachten Fischerei infolge der Verwendung von verbotenen Fangmethoden und -geräten beträchtlich abgenommen.
Das Thal der Maggia, Val oder Valle Maggia genannt, mündet nw. von Locarno auf den Langensee aus. Es wird von seinen Nachbarthälern - Val Bedretto im N., Leventina und Verzascathal im O., Val Onsernone im S. und Formazzathal im W. - durch hohe Bergketten geschieden, als deren bedeutendste Gipfelpunkte wir den Basodino (3276 m), Cavagnoli (2864 m) und Campo Tencia (3075 m) nennen. Diese Ketten erreichen zwar nur selten eine Gipfelhöhe von 3000 m, weisen aber trotzdem Hochalpencharakter auf. Der Höhenunterschied zwischen der Thalsohle und der Kammlinie übersteigt oft 2000 m! Die ¶
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Seitenthäler des Val Maggia sind meist recht steil geböscht und können auf eine Länge von blos 3-4 km um 1500 bis 2000 m ansteigen. Von Pässen führen aus dem Maggiathal und seinen Seitenfurchen der Passo di Sassello (2346 m) und Passo di Naret (2443 m) von Fusio nach dem Bedrettothal und Airolo, die Bocchetta di Val Maggia (2659 m) von Bavona zu den Tosafällen und die Hintere Furka (2422 m) von Bosco nach dem Formazzathal.
Werfen wir noch einen Blick auf die einzelnen Thalstufen der Valle Maggia. Das Val Lavizzara, von Bignasco aufwärts, ist ein typisches Stufenthal mit mehrfachem Wechsel von Engen und Erweiterungen, d. h. von steilem Thalstufen, über die der Bach in Stromschnellen und Wasserfällen sich durcharbeitet, und von flacheren Thalböden mit ruhiger dahinfliessendem Bach. Abgesehen von kleineren Stufen kann man hier drei Hauptstücke unterscheiden, die nach den darin gelegenen Ortschaften Sambucco (1360 m; nur ein Sommerdörfchen), Fusio (1280 m) und Broglio (710 m) benannt werden.
Die Länge aller drei Stufen zusammen vom Lago di Naret (2240 m) bis Bignasco (440 m) beträgt 25 km, das Gefälle im Mittel 7,2% (bis Peccia 9% und von da abwärts 4%). Die eigentliche Valle Maggia dagegen, von Bignasco abwärts, ist von ausgesprochen fjordartigem Typus, wie dies bei den grössern Thälern auf der S.-Seite der Alpen öfter der Fall ist, z. B. auch beim Val Verzasca, bei den Thälern des Tessin und der Tosa, beim Veltlin etc. Bei diesen Fjordthälern ist der Thalboden breit und flach und steigt nur langsam aber stetig an, so hier vom Ponte Brolla (250 m) bis Bignasco auf eine Länge von 22 km um nicht einmal ganz 200 m oder nur 0,8%. Dazu münden diese Thäler oft in einen schmalen, langgestreckten See, der in frühern Zeiten meist weiter hinauf reichte und den einstigen wirklichen Fjord noch andeutet.
Diese Seen sind stets sehr tief: so reicht der Langensee bei einer Tiefe von 375 m mit seinem Grund weit unter den Meeresspiegel. Die Bergwände dieser fjordartigen Thäler steigen schroff und ungewöhnlich steil, manchmal mehrere hundert Meter hoch fast senkrecht an und sind bald kahle Felsmauern, bald mehr oder weniger bewaldet. Erst in grösserer Höhe wird die Neigung der Bergseiten weniger steil, und dort breiten sich dann Hoch- oder Buschwälder und Alpweiden aus.
Von hoher Terrasse grüsst da und dort eine kleine Häusergruppe oder eine weisse Kapelle herunter, und von fernher winkt, etwa durch die Oeffnung eines Seitenthales, eine breite Felspyramide oder ein schimmerndes Schneefeld. Unten auf der Thalsohle des Val Maggia breiten sich nicht weniger als 16 Dörfer aus, oft in Kastanienhainen versteckt und meist an die eine oder andere Bergwand gelehnt. Die obere Thalstufe, Lavizzara im weitern Sinn, hat nur noch ein halbes Dutzend ganz kleiner, ja zum Teil fast ausgestorbener, d. h. heute verlassener Dörfchen. Die vorherrschenden der die Berge des Maggiagebietes aufbauenden Gesteine sind Gneis und Glimmerschiefer. Viele Funde von interessanten Mineralien (besonders zwischen Bavona und Lavizzara): Bergkrystalle, Granate, Turmaline, Chlorite etc. Im Val Lavizzara früher Abbau von Talkschiefern (Lavez- oder Ofensteinen).
Wie alle gegen Italien geneigten Thäler der Alpen, zeigt auch die Valle Maggia eine sehr reiche und durch die Mischung südlicher und alpiner Typen höchst anziehende Flora. Beim Ponte Brolla findet man noch manche echt mediterrane Arten, wie Cistus salvifolius, Serapias longipetala, Ophioglossum vulgatum, Osmunda regalis und andere. Weinberge gehen bis Cavergno bei Bignasco, einzelne Weinstöcke bis Broglio und ins Val Bavona. Kastanienwälder wagen sich einerseits bis nach Peccia, andererseits bis San Carlo (im Val Bavona) hinein und erreichen dort ihre obere Grenze bei 900 m, hier bei 960 m. Weiter thalabwärts finden sie sich überall an den untern Abhängen und bei den Dörfern, die oft nahezu ganz darin versteckt sind.
Der Baum scheint hier so recht daheim zu sein, und man findet viele Prachtexemplare mit weitausgreifenden knorrigen Aesten und mächtigen Stämmen von 4-5 m Durchmesser, oft auf und zwischen grünüberwachsenen Steinblöcken. Dazwischen finden sich da und dort einzelne stattliche Eschen, häufiger aber Birken, besonders auf Geröllhalden in Nordexposition, z. B. auf der rechten Seite des untern Val di Campo. Den Boden des Kastanienwaldes schmücken eine Menge schöner Sträucher und Kräuter, darunter natürlich manche dem Nordländer neue, so eine rosenrote Nelke (Dianthus Seguierii), der gelbe Besenstrauch (Sarothamnus), Cytisus nigricans (bis ob Peccia 850 m), Galium pedemontanum, Molospermum cicutarium, zahlreiche Brombeer- und Waldrebengesträuche, aber auch dann und wann Alpenrosen und Steinbreche, selbst bis in die Gegend von Locarno hinunter. An Kulturpflanzen stehen neben dem Weinstock obenan Mais und Maulbeerbaum, ersterer in grössern Pflanzungen und oft zwischen und unter den Reben und selber wieder untermischt mit Flachs und Bohnen.
Die Maulbeere geht bis Broglio. Dazu kommen Feigen (bis Cavergno, verwildert noch höher), Granaten, Pfirsiche und andere südliche Früchte. Steigt man höher hinauf ins Val Lavizzara, so trifft man mit dem rauher werdenden Klima allmählig auf nordischere Formen. Oberhalb Peccia wird der Kastanienwald abgelöst durch ein lichtes Gehölz einer eigentümlichen Erlenart (Alnus incana var. sericea). Dann folgen, etwa von Fusio an aufwärts, in einzelnen Exemplaren schon vorher, Lärchen und Buchen, der Baum des kontinentalen Ostens und derjenige des ozeanischen Westens in traulichem Verein als ein Beweis einerseits für die kräftige Insolation, andererseits für die reichlichen Niederschläge, wie man dies ausser in den obersten Tessinthälern nur noch im vordern Prätigau und im Rhonethal zwischen Martinach und Saint Maurice findet. Damit ist man in die subalpine Region eingetreten.
Es zeigen sich verschiedene schöne Rosen, darunter Rosa pomifera in mehreren Varietäten so reichlich, dass deren getrocknete Früchte den Schweinen gefüttert werden; dann manche Vertreter der Zentralalpen, wie Laserpitium hirsutum, Phyteuma Scheuchzeri, Erysimum helveticum, Primula viscosa, Astrantia minor, Galeopsis ladanum subsp. intermedia, Bupleurum stellatum, weiter oben bei Fusio der Germer (Veratrum), Cirsium heterophyllum, Paradisia liliastrum, Lilium martagon, Centaurea jacea var. alpestris, Imperatoria obstruthium, Laserpitium latifolium, Allosurus crispus, Woodsia silvensis und viele andere neben einigen südlichen Typen: Rosa Franzonii, Chaerophyllum lucidum, Asplenum ¶