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Handels hinzu: Luzern war den übrigen Uferkantonen unentbehrlich. Wenn es 1320 die Aufgabe übernahm, bei vorkommenden Streitigkeiten zwischen den Waldstätten und Einsiedeln zu vermitteln, so lag hierin ein weiterer Beweis gegenseitigen Vertrauens. Aus all' diesen Beziehungen erwuchs die politische Einigung. Natürlich konnte von einer völligen Befreiung von Oesterreich beiderseits keine Rede sein. So behielten in der Bundesurkunde die Waldstätte die Rechte des Reiches, Luzern diejenigen seiner Herzoge vor.
Die Stadt wollte sich für ihre alten Rechte wehren, die Waldstätte ihre bisherige Stellung behaupten. Daher sollte gegenseitige Hilfe - wenn nötig mit den Waffen - geleistet werden. Neu ist hiebei die Formulierung der Bundeshilfe und zwar nicht so rückhaltlos, als beim Bund der Länder unter sich: «Wird einem Orte Schaden zugefügt, so möge er mit der Mehrheit (seiner Angehörigen) auf den Eid (d. h. durch eidliche Volksabstimmung) erkennen, ob ihm Unrecht geschehen sei und sofern es der Hilfe bedarf, möge er die Eidgenossen mahnen».
Während innere Zwistigkeiten schiedsgerichtlich (wie im Dreiländerbund) beigelegt werden sollen, darf - und auch diese Bestimmung ist neu - kein Teil neue Bündnisse eingehen ohne aller Eidgenossen Wissen und Willen. Diese beiden, vom ersten Bundesbrief abweichenden Bestimmungen charakterisieren staatsrechtlich diese Neubildung als Staatenbund umsomehr, als jedes Bundesglied in seiner Landesmark die eigenen Gerichte und guten Gewohnheiten beibehielt. Es bleibt diese Signatur der ganzen weitern Ausgestaltung der Eidgenossenschaft aufgedrückt.
Der Kämpf zwischen Oesterreich und der Stadt liess nicht lange auf sich warten. Er brach naturgemäss mit den habsburgischen Amtsleuten aus. Aber die österreichischen Herzoge, erschöpft durch den langen Krieg mit Ludwig dem Bayer, schlossen am einen Vergleich, der der luzernischen Bürgerschaft ein für die österreichische Herrschaft verbindliches Vorschlagsrecht hinsichtlich der Wahl eines Stadtschultheissen gewährte. Aber nur zwei Jahre dauerte die Waffenruhe.
Diesmal zog Luzern den kürzern, indem es vom Vogt von Rotenburg, Ulrich von Ramswag, 1336 in der Nähe seiner Festung empfindlich geschlagen wurde. Im gleichen Jahr erlitten auch die Waldstätte eine Niederlage bei Buonas. Luzern fügte sich einem schiedsgerichtlichen Spruch und kehrte unter die Herrschaft der Herzoge zurück, jedoch unter Wahrung seiner Rechte. Für die nächsten fünfzehn Jahre haben wir nur dürftige Notizen. In diese Zeit fällt die Zerstörung von Neuhabsburg am See (1352) und wahrscheinlich auch die Episode, in welcher das eidgenössische Bündnis seine Probe in der Luzerner Mordnacht bestand.
Trotz seiner Stellung in der Eidgenossenschaft blieb Luzern noch immer eine österreichische Stadt, ein Verhältnis, das auf die Dauer unhaltbar war. Seit dem Brandenburger und Regensburger Frieden waren allerdings die Beziehungen keine unleidlichen, hatte es doch 1361 von Herzog Rudolf IV. Zollfreiheit vom St. Gotthard bis Windisch einer- und Reiden andererseits erhalten. 1370 nahm Luzern Anteil am Pfaffenbrief. Sein eigenes Gericht hatte als oberste Instanz für alle Fälle seiner Angehörigen von Wenzel 1379 die königliche Sanktion erhalten.
Dazu ward 1381 vom gleichen König dem Rat und den Schöffen zu Luzern der Blutbann zuerkannt, lauter Massnahmen, die Oesterreichs Rechte schmälern mussten. Noch mehr war dies der Fall durch die Aufnahme zahlreicher Pfahlbürger aus den umliegenden Gemeinden Kriens, Horw, Meggen, Adligenswil, Emmen, Hohenrain, Ruswil, Littau, Malters u. s. w. Die ehemals österreichische Vogtei Weggis wurde 1380 ganz erworben, wodurch die Gebietserweiterung Luzerns angebahnt war.
Mit Umsicht und Erfolg hatte Schultheiss Peter von Gundoldingen über zwei Jahrzehnte (1361-1384) das Gemeinwesen geleitet. Da war es im Jahre 1385 der Bürgerschaft gelungen, Oesterreich zum Aufgeben seines Rechtes der Schultheiss-Ernennung zu veranlassen. Peter von Gundoldingen legte sein verantwortungsvolles Amt nieder. Eine kecke Kriegspartei ergriff die Gelegenheit, gegen die österreichischen Vögte, mit denen wegen der «Ausburger» ohnehin ärgerliche Händel bestanden, energisch vorzugehen.
Besonders lästig fiel der Stadt der Zoll zu Rotenburg, dessen Vogt Hemmann von Grünenberg, wie sein strategisch ungemein gutgelegenes Schloss von Oesterreich begünstigt wurde. So wurde denn am 28. Dezember während des Vormittagsgottesdienstes, als der Vogt und die Einwohner in ihrer etwas entfernten Pfarrkirche zu Rüeggeringen weilten, Rotenburg überrumpelt und die Burg gebrochen. Dann wurde das Amt Entlebuch, das gegen den österreichischen Vogt von Wolhusen, Peter von Thorberg, wegen Erpressung bittere Klage führte und deshalb schon 1382 die Obwaldner zu einem Einfall veranlasst hatte, in das luzernische Bürgerrecht aufgenommen und die thorbergische Festung Wolhusen zu Beginn des Jahres 1386 von Luzern und seinen Bundesgenossen aus den Ländern gründlich zerstört. Weitere Höfe erhielten das Bürgerrecht Luzerns. Von grösster Wichtigkeit aber war die am Dreikönigstag erfolgte Verburgrechtung des Städtchens Sempach, das von Oesterreich zu gunsten Rotenburgs zurückgesetzt worden war und von den dortigen Vögten Beleidigungen erfuhr.
Der für die Eidgenossen günstige Ausgang der Schlacht ob Sempach am und der Heldentod Peters von Gundoldingen waren der Entwicklung Luzerns günstig. Weit mehr als die Länderorte rundeten die Städte in dieser Zeit ihr Gebiet ab. Luzern löste die Pfandschaft der Herrschaft Rotenburg (wozu auch Hochdorf gehörte) ein. Das Entlebuch trat durch ein Verkommnis in nähere Beziehung zu der Stadt, die sowohl die Stellung der Landschaft wie ihre Pflichten genau regelte.
Am See ward über Weggis die Vogteigewalt trotz des Widerstrebens von Schwyz mit Hilfe von Uri und Unterwalden im Sommer 1395 streng durchgeführt. Die Stadt selbst bewehrte sich mit Mauern und Türmen. Jene langgestreckte Verteidigungslinie nach Norden, die Musegg, heute noch samt den Türmen der Hofkirche das Wahrzeichen Luzerns, erhob sich in diesen Jahren als zweite Ringmauer. Als die Eidgenossen 1415 zur Eroberung des Aargaus auszogen, blieb auch Luzern nicht müssig. Zuerst ward Sursee genommen, dann das Zisterzienserkloster St. Urban besetzt, das Michelsamt, Stift und Flecken Beromünster, Richensee, Meienberg und Villmergen erobert.
Nach dem Sturz Waldmanns drang die Bewegung gegen die «Kronenfresser» und Pensionsherren weit über die Limmatstadt hinaus. Luzern musste sich unter den Einwirkungen dieser Strömung zu dem verstehen, was man heute eine Partialrevision einer Verfassung nennt: ohne Zustimmung der «ganzen vollkommenen Gemeinde» durfte der Rat keinen Krieg beginnen, kein Bündnis
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eingehen, keine Herrschaft kaufen, keine neue Steuer ausschreiben.
Kulturell nicht unwichtig ist, dass Luzern die schon 1290 erwähnte Hofschule, die älteste Lehranstalt der Urschweiz besass. Das Benediktinerstift St. Leodegar wurde übrigens am in ein weltliches (heute noch bestehendes) Chorherrenstift umgewandelt. (Eine Schule besassen auch das 1240 gestiftete Kloster der Minoriten in Luzern, das Stift Beromünster und die Abtei St. Urban). Das gleiche 15. Jahrhundert sah auch die lebhafte Beteiligung Luzerns am geistlichen Drama, besonders der «Osterspiele», die im 16. Jahrhundert unter der Regie des Stadtschreibers Renward Cysat ihren Höhepunkt erreichten und oft bei 30000 Zuschauer auf dem Weinmarkt vereinigten.
Von profanen Aufführungen ist der den fröhlichen Sinn der Luzerner kennzeichnende «Fritschi-Umzug» zu nennen, ein Fastnachtszug, dessen Anfänge ebenfalls in das 15. Jahrhundert hinaufreichen und der heute noch besteht. Für diese Zeit muss als Dichter Halbsuter (Murtnerlied) und als hervorragender Geschichtschreiber Diebold Schilling erwähnt werden, dessen Chronik (wesentlich der Burgunderkriege) mit ihren Architekturdarstellungen noch heute das Kleinod der Bürgerbibliothek bildet.
Die Periode der Reformation liess Luzern 1524 zum Vorort der katholischen Stände werden. Nachdem im 2. Kappelerkriege 1531 sich die Katholiken die Unantastbarkeit ihres Gebietes, wie ihres Glaubens erkämpft hatten, war es namentlich Ludwig Pfyffer, wegen seines hohen Ansehens der «Schweizerkönig» genannt, der nicht nur seiner Vaterstadt vorstand (15704594), sondern die Geschicke der Schweiz, zumal des katholischen Teils derselben, auf dem Felde der Politik bestimmte.
Allein auch auf dem Gebiete der Schule und des kirchlichen Lebens griff er kräftig ein. Durch seine Mitwirkung errichteten die Jesuiten 1574 ein Kollegium in Luzern, das auch nach der Aufhebung des Ordens (1774) durch Männer wie Fr. Regis, Krauer, Jos. Anton Zimmermann etc. den Ruf als erste höhere Lehranstalt der katholischen Schweiz bewahrte. Die Kapuziner kamen 1583 nach Luzern und siedelten sich mit Unterstützung der Stadt auf dem Wesemlin an. Seit 1601 war Luzern auch (bis 1873) der ständige Sitz der päpstlichen Nuntien für die Schweiz, Rätien und Oberdeutschland.
Diese Machtstellung Luzerns in der katholischen Eidgenossenschaft, die sich auch in einem grossen Aufschwung der Baukunst (Ritterscher Palast, Rathaus etc.) kundgab, wurde nach Ueberwindung des für die Stadt nicht ungefährlichen Bauernkrieges (1653) im sogenannten ersten Villmergerkrieg nochmals behauptet. Allein der zweite Villmergerkrieg (1712) brachte einen Umschwung der Dinge. Zunächst brachen wiederholte Streitigkeiten mit der Geistlichkeit aus, unter denen der Adligenschwilerhandel (1725-1729) hervorragt. Dann waren auch die Streitigkeiten einzelner Geschlechter, wie der Meyer und Schumacher, nicht dazu angetan, die Oligarchie des Patriziates beliebt zu machen. So fand die Helvetik 1798 einen wohl vorbereiteten Boden. Wenn auch die Stadt Luzern die Ehre hatte, zeitweilig die Residenz der helvetischen Regierung zu sein, so war doch die Zeit, wo die Stadt zugleich den Staat (d. h. in diesem Falle den Kanton) bedeutete, für sie auf immer dahin.
Freilich blieb ihr als Kantonshauptstadt sowohl in der Mediations- als namentlich auch in der Restaurationszeit (mit der Wiederbelebung des Patriziats) ein überwiegendes Ansehen, das durch die geistigen Leiter der Politik, Casimir und Eduard Pfyffer, auch in den kirchenpolitischen Dingen zutage trat. 1815-1848 war Luzern abwechselnd mit Bern und Zürich Sitz der Tagsatzung. Das Jahr 1830 beseitigte die letzten Vorrechte. Allein der Gegensatz zwischen Stadt- und Bauernpartei verschärfte sich seit 1841 zusehends.
Als unter dem Widerspruch der Freisinnigen 1844 die Jesuiten nach Luzern berufen und das Kloster der Ursulinerinnen wiederhergestellt ward, befand sich auch die Mehrheit der Stadtbürger unter den Rufern der Protestbewegung. In dieser Gesinnung ist sie auch verblieben, als der 7 Mai 1871 die von Phil. Anton Segesser geleitete konservative Opposition im Kanton zur Herrschaft brachte und der Volksentscheid der Abstimmung vom sie hierin bestätigte. Doch fanden beide Parteien Gelegenheit, auf dem Gebiete der Schule und Humanität einander die Hand zu reichen, wie z. B. 1893 durch die Errichtung des jetzigen Kantonsschulgebäudes und 1902 durch den Bau eines neuen Kantonsspitals.
Bibliographie.
Ausser den im Art. Kanton Luzern und in diesem Artikel schon angeführten Werken ist noch zu vergleichen: Liebenau, Theod. v. Das alte Luzern, Luzern 1881.
[Dr. Jos. Hürbin.]