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Jahre landvögtlicher Herrschaft sind eine gar kurze Spanne Zeit, und mit leeren Händen will man doch nicht über den Gotthard zurückkehren. Bitten und Flehen fanden selten Erhörung, denn das fremde Wort drang ihm nicht zu Herzen - es war eine schlimme Zeit!»
Gehen wir am neuen Kinderschulgebäude vorbei weiter gegen W. so gelangen wir zur Kirche San Francesco, einer Basilika im byzantinischen Stil, die zum Gebäudekomplex des gleichnamigen einstigen Minoristenklosters gehörte. Der Ueberlieferung nach soll diese Kirche vom h. Antonius von Padua gestiftet worden sein; Tatsache ist aber, dass sie erst 1230 von Uberto Sala, dem damaligen Bischof von Como, geweiht wurde. Im 16. Jahrhundert hat man sie mit den Steinen des abgetragenen Kastells neu aufgebaut.
Sie dient heute nicht mehr als Gotteshaus und soll in hoffentlich naher Zukunft zu einem kantonalen Museum umgewandelt werden. In dieser Kirche pflegten die ihr Amt antretenden Landvögte den üblichen Eid zu schwören. Die im Kloster San Francesco zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eingerichtete Schule wurde vom Staat 1853 aufgehoben und durch ein kantonales Gymnasium ersetzt. 1878 fügte man dem Kloster einen im gleichen Stil gehaltenen Neubau an, der dann das kantonale Lehrerseminar aufnahm. Auf dem Platz vor der Kirche San Francesco steht das aus weissem und schwarzem Marmor erbaute Grabmal des Giovanni de Orello (eines der Vorfahren der Zürcher Familie von Orelli), das die Jahreszahl 1347 trägt. In dem an den gleichen Platz anstossenden Garten der Familie Pioda erinnert ein Granitobelisk an den einstigen Bundesrat G. B. Pioda, der 19 Jahre lang schweizerischer Gesandter am italienischen Königshof war und 1882 in Rom gestorben ist.
Am Ausgang der Stadt gegen die Valle Maggia steht Sant' Antonio, die Hauptkirche von Locarno, die aus dem 14. Jahrhundert stammen soll. 1674 baute man sie zu einem einschiffigen Gebäude mit Kuppel und einfach gehaltener hoher Fassade um. Das Innere ziert eine wertvolle Freskomalerei, die Locarno seinem Mitbürger Antonio Felice Orelli (geboren 1700) verdankt. Am Nachmittag des einem Sonntag, stürzte gleich nach beendigtem Gottesdienst etwa der dritte Teil des Gewölbes der Kirche unter der Last des in der vorhergehenden Nacht gefallenen Schnees mit fürchterlichem Krachen ein und begrub unter seinen Trümmern eine grosse Anzahl der eben die Kirche verlassen wollenden Gläubigen. 49 Menschen wurden tot und beinahe ebensoviele verwundet unter dem Schutt hervorgezogen.
Mitten auf dem Platz vor der Kirche Sant' Antonio steht auf einem mit zwei wasserspeienden Löwen geschmückten granitenen Sockel das Marmorstandbild des um Locarno hochverdienten G. A. Marcacci. Weiter gegen W. liegt 500 m vor der Stadt an der Strasse ins Maggiathal der städtische Friedhof mit der uralten Kirche Santa Maria in Selva. Dieser Friedhof enthält eine Anzahl von schönen Grabdenkmälern, so z. B. eine ganze Sammlung von Kapellen mit Familiengräbern in allen möglichen Stilarten. Eine weitere Kirche der Altstadt ist die Chiesa Nuova oder Chiesa dell' Assunta, an deren Fassade ein riesiges Christophorusbild angebracht ist. Das Innere dieser Kirche ist mit schwerer und schwülstiger Zierath überladen.
Gehen wir von hier nach O. weiter, so sehen wir links der Strasse das 1602 gegründete ehemalige Kapuzinerkloster, das heute als Taubstummen- und Erziehungsanstalt für arme Kinder dient, und rechts der Strasse die hohe Umfassungsmauer des 1616 gegründeten St. Katharinenklosters (mit Kirche), dessen Nonnen vom Orden der Augustinerinnen unter einer den Kreuzstab führenden Aebtissin stehen. Das erste Gebäude dieses Klosters, das vom Frauenkloster in Como errichtet und beschickt worden war, fiel im 18. Jahrhundert einer Feuersbrunst zum Opfer.
Ueber diesem Kloster steht in höchst malerischer Lage das 1894 erstellte Gebäude des kantonalen Lehrerinnenseminars mit einem schönen Garten, der prachtvolle exotische Gewächse enthält. Hier zweigt von der Kantonsstrasse nach links der Weg ab, der auf die die berühmte Wallfahrtskapelle der Madonna del Sasso tragende Höhe führt. Links an der Villa Pension Erica und dem Hotel Belvedere mit ihren vom Duft der Magnolien umhauchten Gärten vorbei erreichen wir in 25 Minuten die auf einem Felssporn zwischen zwei wilden Runsen stehende Wallfahrtskirche (355 m), von deren offenen Loggia sich uns ein prachtvoller Ausblick auf die ganze Umgegend öffnet. Das Innere der Kirche ist überschwenglich vergoldet und üppig dekoriert, und an den Wänden hängen zahlreiche Votivgemälde. In der ¶
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Seitenkapelle zur Rechten bewundert man die von Bramantino gemalte Flucht nach Aegypten und in der linksseitigen Kapelle die Grablegung Christi, ein unvergleichliches Meisterwerk aus der Hand von Antonio Ciseri (geboren in Ronco sopra Ascona, † 1897 als Professor an der Akademie zu Florenz). Prof. Rahn in Zürich sagt von diesem Gemälde: «Der edeln Auffassung kommt eine Technik zu Hilfe, welche das Höchste leistet, was zur Illusion der Wirklichkeit gehört. Es ist ein lebendes Bild, das den Zuschauer mit aller Gewalt des Mitempfindens ergreift, und vor dem man in stundenlanger Betrachtung verweilen kann.» Tausende von Pilgern, besonders Italiener, beugen hier alljährlich ihr Knie vor dem wundertätigen Madonnenbild auf dem Hochaltar. Das von Kapuzinern bediente Sanktuarium wird binnen kurzem mit der Stadt Locarno durch eine Drahtseilbahn verbunden sein.
Erziehung und Unterricht.
Locarno erfreut sich von allen Städten des Kantons Tessin der im Verhältnis zur Zahl der Einwohner zahlreichsten Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. Im grossen Primarschulgebäude werden 400 Kinder im Alter von 6-14 Jahren und etwa 30 Sekundarschülerinnen unterrichtet. Am Abend werden hier für junge Handwerker und Kaufleute auch noch Kurse in fremden Sprachen, Buchhaltung etc. gegeben. Im selben Gebäude ist provisorisch das Museum untergebracht, das eine reiche Sammlung von Funden aus der Römerzeit, ferner numismatische, archäologische und mineralogische Sammlungen, sowie die Herbarien der Botaniker Franzoni und des Franziskanerpaters Agostino enthält.
Das zusammen mit der Industrieschule und der Gewerbeschule im ehemaligen Kloster San Francesco untergebrachte Gymnasium zählt etwa 100 Schüler. Locarno ist der Sitz des kantonalen Lehrer- und Lehrerinnenseminares, mit denen Uebungsschulen verbunden sind und die einen je 4jährigen Unterrichtskursus umfassen. Die Taubstummenanstalt nimmt alle bildungsfähigen Taubstummen des Kantons Tessin und der italienisch sprechenden Thalschaften Graubündens auf und beherbergt durchschnittlich 35 Kinder, die nach einem vollständigen Primarschulunterricht in der Regel mehr oder weniger gut sprechen gelernt haben. Es bestehen in Locarno auch verschiedene private Erziehungs- und Unterrichtsanstalten: das von Augustinerinnen geleitete Institut St. Katharina, das junge Mädchen soweit vorbereitet, dass sie in das Lehrerinnenseminar eintreten können;
das für ärmere Knaben und Mädchen bestimmte Istituto Sant' Eugenio, Eigentum der Theodosianerinnen zu Ingenbohl;
das mitten in einem Park malerisch gelegene Istituto Elvetico mit Handels- und Landwirtschaftsschule.
Die kantonale Cattedra ambulante di Agricoltura veranstaltet in verschiedenen Gegenden des Kantons Wandervorträge und -kurse. Viele Vereine und Gesellschaften: kaufmännischer Verein, naturforschende Gesellschaft, landwirtschaftlicher Verein, Gesang- und Musikvereine, Turnvereine, Hilfs- und gemeinnützige Gesellschaften, Schiessvereine, Tennisklub, Gesellschaft Pro Locarno, Verein der Vogelfreunde, die Fratellanza Italiana etc.
Handel, Gewerbe und Industrie.
Locarno treibt sehr lebhaften Handel, besonders mit Lebensmitteln, Tuch, Käse und Brennholz. Die Eisenbahn, die Dampfboote und ein grosses Netz von guten Strassen, die bis in die entlegensten Winkel der auf Locarno ausmündenden Thäler (Valle Maggia, Onsernone, Centovalli, Verzasca) hinaufführen, erleichtern den Import und Export von Wein, Getreide, Mehl, Zucker, Kaffee, Schokolade, Tabak etc. Mehrere Bankinstitute: Amerikanisch-schweizerische Bank, Credito Ticinese, Kantonalbank, Volksbank, Schweizerisch-italienische Bank.
Der alle zwei Wochen stattfindende Markt ist eine uralte Einrichtung. Schon im Jahr 879 verleiht Kaiser Ludwig der Kahle dem Bischof Angilbert II. von Como die Einkünfte des Marktes zu Locarno. Beim Ponte Brolla wird gegenwärtig ein Elektrizitätswerk gebaut, das die Stadt in naher Zukunft mit Licht und Kraft versorgen und damit der heute noch nicht sehr bedeutenden Industrie einen starken Impuls geben wird. Jetzt hat Locarno Fabriken für Bürsten und Pinsel, Wachs- und Stearinkerzen, Salami, Selterswasser, sowie mechanische Werkstätten und drei Buchdruckereien. Von hervorragender Bedeutung ist die Fremdenindustrie, die sich in steigendem Masse weiter entwickelt. Besonders im Frühjahr sind alle Gasthöfe überfüllt.
Geschichtlicher Ueberblick.
Die Geschichte Locarno's ist eng mit derjenigen des Bezirkes und des ganzen Kantons verknüpft, so dass wir uns hier auf die Nennung einiger der wichtigsten Tatsachen beschränken. Die etymologische Ableitung des Namens Locarno ist noch unsicher. Die verschiedenen urkundlichen Namensformen (807: Leocardum; dann Leocarius, Leocarnum, Lucarnum) lassen verschiedene Deutungen zu. Die in einer Urkunde von 1004 auftretende Form Lacuna vara (= krumme Bucht) scheint schon einen Deutungsversuch zu enthalten. (Vergl. darüber Art. «Locarno» in J. J. Egli's Etymologisch-geograph. Lexikon. 2. Aufl.). Locarno erscheint urkundlich seit 807, doch besitzt man über die ersten Zeiten seiner Existenz keine sicheren Nachrichten, da zahlreiche unglückliche Zufälle alle genaueren urkundlichen Belege vernichtet haben. 1262 wurde die Stadt von den Mailändern genommen und durch Feuer zerstört, und im 16. Jahrhundert gingen alle alten Urkunden bei der Ueberschwemmung von 1556 und besonders während der Zeit der 3500 Personen wegraffenden Pestepidemie von 1576/77 zu Grunde.
Ausgrabungen haben Reste aus der Römerzeit zu Tage gefördert, von denen das städtische Museum eine schöne Sammlung besitzt (Gebrauchsgegenstände aller Art, Schmucksachen, Werkzeuge etc.). Die Kirche San Vittore beim Bahnhof steht an der Stelle eines einstigen römischen Bacchustempels. Sie ist im 13. Jahrhundert zur Kollegiatkirche erhoben worden und wird von einem Erzpriester und 8 Domherren ministriert. Im Spital versehen barmherzige Schwestern und im Asyl Sant' Eugenio die Theodosianerinnen den Pflegedienst. ¶