pflegt nach Kalifornien, Italien, Frankreich und periodisch auch in die übrigen Schweizerkantone auszuwandern, um sich als
Sennen, Hirten,
Maurer, Pflasterträger, Kastanienbrater, Kaminkehrer, Kellner, Gastwirte, Küchenchefs,
Maler, Architekten,
Ingenieure etc. ihr Brot zu verdienen. Neuerdings beginnt sich auch die industrielle Tätigkeit im Bezirk zu entwickeln.
Es bestehen Bierbrauereien, Zigarren-, Teigwaren-, Konserven- und Zuckerwarenfabriken, Papier-,
Bürsten-
und Pinselfabriken, Schreinereien und Möbelfabriken.
Zwei grosse
Sägen und Parketterien und verschiedene
Mühlen. Im Verzascathal gewinnen die Granitbrüche immer mehr an Bedeutung.
Die durch ein sehr mildes Klima ausgezeichneten und vor den Nordwinden geschützten Orte
Muralto und Locarno sind wichtige
Fremdenstationen. Den Verkehr erleichtern die Eisenbahnlinie
Bellinzona-Locarno, die Dampfschiffe auf
dem
Langensee und ein vollständiges Netz von Poststrassen, das bis in die entlegensten
Thäler hinaufreicht.
Ueber die erste Besiedelung dieser Gegenden durch den Menschen herrscht noch Dunkel; doch glaubt man, dass an den Ufern des
Langensees zuerst die Lepontier und später die Etrusker gesessen haben. Ums Jahr 600 v. Chr. nahmen
die Kelten oder
Gallier Besitz von diesen Gebieten und erbauten hier Burgen
(Gordola, Locarno,
Ascona). Sie wurden 198-196 v. Chr.
von den Römern unterworfen, die nun das Land als
Herren besetzten. Eine grosse Anzahl von Grabstätten bezeugt, dass die
Herrschaft der
Römer bis zum Einfall der Goten (400 n. Chr.) gedauert haben muss.
Dann folgten als
Herren des Landes der Reihe nach die Longobarden, Karl der Grosse, der
Bischof von Como, der Herzog von
Mailand,
Barbarossa und Otto IV., die Geschlechter Orelli, Muralti und Magoria und endlich die
Grafen Rusca und Rusconi, bis der Herzog
Maximilian Sforza 1513 Locarno an die 12 alten Kantone abtrat, die es bis 1798 als Landvogtei regierten. 1510 predigte
Giovanni Beccaria in Locarno die
Reformation, der eine Anzahl von Familien beitrat. Dies hatte zur Folge, dass im Land selbst
und mit den herrschenden Kantonen schwere Streitigkeiten ausbrachen.
Die als Schiedsrichter bestellten Kantone Appenzell und Glarus
verfügten, dass die Anhänger des neuen Glaubens entweder zur
katholischen Kirche zurückkehren oder auswandern müssten. Nun verliessen (nach Franscini) 93 Familien mit zusammen 211 Köpfen
ihre Heimat und begaben sich nach Zürich,
wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. Diese Familien (die Muralti, Orelli, Duni
etc.) führten in der Folge in ihrer neuen Heimat die Seidenindustrie ein. 1803 wurde der Bezirk Locarno
dem neugegründeten Kanton Tessin
einverleibt.
Am zählte die Gemeinde eine Wohnbevölkerung von 3603 und eine ortsanwesende Bevölkerung
von 4314 Personen. Davon sind 744 Bürger von Locarno selbst, 1412 übrige
Tessiner, 195 übrige Schweizer und 1252 Ausländer.
Es wandern immer mehr Ausländer ein, so dass heute schon die Italiener allein 35% der Gesamtbevölkerung ausmachen. 59 Ew.
sind reformierten Bekenntnisses. Locarno erfreut sich einer der schönsten und malerischsten Lagen am
Langensee. Die auf den kleinen Bodenwellen am Fuss des
PizzoTrosa und
PizzoCardada sich aufbauende, farben- und lichtreiche
Stadt macht auf den Reisenden, der sich ihr an einem Frühlingsmorgen oder an einem schönen Herbstabend vom
See her nähert,
einen unvergesslichen
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Eindruck. Sie ist von einem ganzen Kranz von Bergen umrahmt, die sie gegen alle rauhen Winde schützen. Die das Maggia- vom
Verzascathal trennende Kette bricht n. über Locarno jäh ab und gipfelt hier in den Spitzen des Madone (2069 m), Cardada (1676
m) und Trosa (1874 m). Diese schützen Locarno vor den N.-Winden, während der W.-Wind vom Gridone und
seinen Ausläufern aufgefangen wird. Im S. schliesst die mit Kastanien und Buchen bekleidete Kette des Gambarogno den Horizont
ab. Im Sommer kühlt ein an schönen Tagen regelmässig von 10 Uhr Vormittags bis 3 Uhr Nachmittags wehender Seewind die
heisse Luft angenehm ab. Schon der alte Josias Simler sagt über Locarno's bevorzugte Lage in seinem BuchDe republica Helvetiorum (1576) folgendes: Aeris temperies, clementia et salubritas est quantam optare licet.
Austri nonnisi refracti et retusi eo proveniunt propter objectos illic montes. Boreas et ipse saepe clementior est propteraltitudinem montium. Das Klima von Locarno zeichnet sich nicht nur durch seine Milde, sondern ganz besonders
auch durch seine Gleichmässigkeit aus. Schroffe Temperaturschwankungen und Nebel sind hier nahezu unbekannt. Die mittlere
Jahrestemperatur beträgt 12° C. und der mittlere jährliche Barometerstand (Observatorium Muralto, 242 m) 742 mm. Das Temperaturmittel
aus den drei kältesten Monaten (Dezember, Januar und Februar) beträgt 2,8° und dasjenige der drei
wärmsten Monate (Juni, Juli und August) 20,5°. Locarno hat mit 200 cm die grösste jährliche Niederschlagssumme der Schweiz;
doch verteilt sich der Niederschlag auf nur wenige Tage.
Platzregen sind häufig; vor der grossen Ueberschwemmung von 1868 fielen einmal in 40 Minuten volle 70 mm
Regen. Man kann hier im Dezember und Januar nicht selten 25 Sonnentage hintereinander beobachten, und mitten im Winter spazieren
die Fremden mit dem Sonnenschirm und pflücken in der Umgebung der Stadt Veilchen und Primeln. Von
den Mauern Locarno's sagt
Dr. H. Christ in Basel,
ein begeisterter Freund des Tessin
und seiner Flora, folgendes: «Jede
Mauer in dem an Mauern gewiss nicht armen Tessin
zeigt uns, deutlicher als nirgends ein anderer Standpunkt, ein Wechselbild
von Sonne und ewiger Frische. Bei uns pflegen die Mauern kahl zu sein, und werden sie alt und bleiben sie vergessen, so überziehen
sie sich etwa mit gelben Flechten, kaum dass hie und da spärlich ein Gras, ein Geranium rupertianum sich ansiedelt. Um Locarno
herum ist die Farbe der Feldmauern durchweg grün, denn sie sind zart umkleidet von einem Anflug von Jungermania, Moosen, Lycopodien,
Farnen und Blütenpflanzen der zierlichsten Arten, die bei uns beinahe nur den lebendigen Fels bewohnen».
(Vegetationsansichten aus den Tessineralpen im Jahrbuch des S. A. C. 1873-1874). Das Klima von Locarno eignet sich besonders
für Rekonvaleszenten und Nervenkranke.
Locarno steht zum Teil auf dem von der Maggia angeschwemmten Delta, das sich stetig weiter vergrössert und das die Stadt
in absehbarer Zeit vom See abgetrennt haben würde, wenn man diesen wilden Bergstrom nicht im Verlauf
der letzten Jahre kanalisiert und die Seeseite Locarnos mit einem gemauerten festen Quai von einem Kilometer Länge geschützt
hätte. In der Tat flutete einst der See an der Stelle, wo heute der grosse Stadtplatz liegt und reichte
bis zum Fuss der Kyklopenmauern des alten Schlosses hin.
Auf diesem von der Maggia dem See abgewonnenen Terrain ö. der Altstadt steht das moderne Viertel von Locarno mit seinen von
alten Pappeln beschatteten schönen Promenaden, mit dem Theater, einem wirklichen Kleinod moderner Architektur, mit einer
prachtvollen Palmenallee (Chamaerops), mit Gasthöfen, Villen, dem schönen Postgebäude, einer Bank,
der Turnhalle, dem Denkmal des Volkstribunen August Mordasini und endlich mit der Halle für den Buttermarkt, die, von
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