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Hochjura, die Vallée de Joux, das Neuenburger Gebirgsland oder die Thäler von La Chaux de Fonds, Le Locle und La Sagne (Jagdgebiete der ersten Grafen von Neuenburg und Valangin), ferner die Freiberge (ehemaliges Eigentum der Fürstbischöfe von Basel) und ein Teil des Saugeais (Kanton Montbenoît im französischen Departement Doubs). Es erfolgte diese Besiedelung vom 13. und 14. Jahrhundert an durch freiwillige Kolonisten, denen die Grundeigentümer gewisse Vorrechte einräumten.
Les Hauts Geneveys im Val de Ruz und Les Genevez bei Bellelay sind Gründungen von Genfer Auswanderern, die Umgegend von Montbenoît wurde durch Savoyarden besiedelt, auf den Freibergen liessen sich sog. Ajoulots oder Bewohner der Ajoie (Gegend um Pruntrut) nieder etc. Mittelalterliche Burgen (bourgs, châtels oder castels), die z. T. an der Stelle einstiger römischer Vesten oder Wachttürme entstanden, sind besonders zahlreich im ehemaligen Bistum Basel und in den Kantonen Solothurn und Aargau vorhanden. Mit Ausnahme derjenigen in den einstigen Untertanenländern Berns (Kantone Waadt und Aargau) und im Kanton Neuenburg liegt heute deren Mehrzahl in Trümmern, indem die französische Invasion in den Berner Jura und die Kantone Basel und Solothurn 1798 auch alle die zu Ende des 18. Jahrhunderts hier noch stehenden Burgen zu Boden legte.
Die Siedelungen im Hochjura haben dann durch die seit dem 18. Jahrhundert beginnende Einführung von neuen Industriezweigen zum grössten Teil ein ganz anderes Gepräge erhalten. Die Bewohner dieser Hochthäler hatten seit einer Reihe von Jahrhunderten einzig mit Viehzucht. Holzschlag, etwas Landwirtschaft und Ackerbau sich beschäftigt. Nun liess die Einführung der Uhrenmacherei in La Sagne und ihr Uebergreifen nach Le Locle und La Chaux de Fonds (17. und 18. Jahrhundert), sowie ihr rasches Aufblühen im 19. Jahrhundert in fast allen Thälern des Jura bedeutende Ortschaften entstehen, und dies trotz des rauhen, aber der intellektuellen und künstlerischen Entwicklung der Bewohner günstigen Klimas.
Das zuweilen mühsame, aber einfache und anspruchslose Landleben ist ersetzt worden durch die gemeinsame Arbeit in Fabriken oder Werkstätten mit ihren schwankenden Lohnansätzen. So sind im vergangenen Jahrhundert dicht neben Sennbergen und Tannendickichten saubere und gut gebaute Städte von 5000, 13000 und bis zu 38000 Einwohnern aus dem Boden gewachsen. Aber auch die zerstreut gelegenen Höfe stehen jetzt im unmittelbaren Kontakt mit dem modernen Leben der Industrieorte: jedes Wohnhaus hat seine Uhrenmacherwerkstätte (l'établi), in der Scheune stehen moderne landwirtschaftliche Maschinen, Viehzucht und Milchwirtschaft werden wie die Bienenzucht nach neuen Grundsätzen betrieben, die das unreine Dachwasser sammelnden Zisternen haben den oft von weither zugeführten Trinkwasserleitungen weichen müssen, überall sind elektrisches Licht und Kraft eingeführt etc. Zahlreiche gut unterhaltene Strassen durchziehen das Gebirge, und die Hauptstränge der durch den Jura führenden Eisenbahnen sind unter sich wieder durch Lokal- oder Schmalspurbahnen verknüpft.
Die Hütte mit Strohdach ist im Hochjura nie heimisch gewesen. Dafür besitzt er einen andern, sehr eigenartigen Siedelungstypus in Gestalt eines viereckigen Hauses mit niederer und weiss getünchter Front, über der sich ein mächtiges Giebeldach erhebt, dessen einer Flügel nach O. (côté de la bise) und dessen anderer nach W. (côté du vent) sich senkt. Zu oberst entragt diesem Dach ein weites Kamin, das vermittels eines in Angeln sich drehenden Brettes nach Belieben geöffnet oder geschlossen werden kann.
Bis vor kurzem waren diese Dächer mit schwarzen Schindeln und viereckigen Tannenholzblöcken (étèles oder ancelles) gedeckt, während heute das Gesetz überall Ziegeldächer verlangt. Die oft strengen Winter, die heftigen und andauernden Winde und Regengüsse erfordern zum Schutz gegen Kälte und Nässe sehr solide Bauten mit ausserordentlich dicken Mauern. Dieser Haustypus ist auch in kleineren oder grösseren Ortschaften immer noch der vorherrschende und erscheint hier blos durch die grössere Zahl der Stockwerke und Fenster den städtischen Bedürfnissen angepasst.
In den Thälern des Berner, Solothurner und Aargauer Jura nähert sich das Bauernhaus mit seinen Riegelwänden und den den Schmalseiten aufgesetzten Holzgiebeln mehr der in der nördlichen deutschen Schweiz üblichen Bauart. In den Neuenburger und Bieler Weinbaubezirken fällt andererseits wieder das aus solidem gelben Neocomstein gefügte Haus auf, das seinen Bewohnern im Sommer ein angenehm kühles, im kalten und düstern Winter aber ein warmes Heim bietet. Diese wenig luxuriösen, dafür aber umso bequemer eingerichteten Behausungen mit ihren grünen Fensterladen werden meist von grossen Nussbäumen oder Linden umrahmt und sind mit Weinlaub und Epheu umrankt.
Die bemerkenswerten landschaftlichen Stellen im Jura, wie alte Burgen, Aussichtspunkte (bellevue, belvédère, belvoir, miribel, mirebeau, miroir, muriaux, beauregard, béridiai, bel air etc. genannt), Gipfel, Felsvorsprünge, Schluchten, Wälder und Matten sind dem Publikum von Seiten der Verschönerungsvereine, Gemeinde- oder Stadtverwaltungen etc. überall bequem zugänglich gemacht worden. Ueberall kann man ungestört auf schönen Wegen sich ergehen, und nur an wenigen Stellen wird eine kleine Gebühr gefordert (z. B. im Taubenloch).
Neben den Eisenbahnlinien bestehen einige Drahtseilbahnen (Biel-Magglingen, Biel-Leubringen, Neuenburg-Plan, St. Immer-Sonnenberg). Von Yverdon steigt eine Bahn in weiten Schlingen nach Baulmes und zur Hochfläche von Sainte Croix auf, verkehrt aber an Sonntagen nicht (nach einer von ihrem Begründer gestellten Bedingung). Die während der arbeitsreichen Woche an ihre Werkstätten gebundene Bevölkerung der Industrieorte pflegt von allen diesen Verkehrsmitteln einen lebhaften Gebrauch zu machen, um an Sonn- und Feiertagen durch Berg, Schlucht, Wald und Weide zu schweifen, frische und reine Luft zu schöpfen, die Schönheiten der Natur zu geniessen, essbare Schwämme oder Beeren zu sammeln etc. Oft werden dann im Freien auch sportliche, wissenschaftliche und selbst religiöse Versammlungen veranstaltet.
Nur die Bauern pflegen am Sonntag zu Hause zu bleiben und von ihrer beschwerlichen Feldarbeit auszuruhen, wenn sie nicht - wie dies vielfach der Fall ist zugleich auch Uhrenmacher sind. Das gesellige Leben ist überall, selbst in den reinen Bauerndörfern, ein recht reges und wird von zahlreichen Gesang-, Musik-, Turn- und Schiessvereinen gepflegt. Wie anderswo in der Schweiz lösen auch hier Feste aller Art (Schulfeste, kantonale und Bezirksschützenfeste, Turn-, Musik- und Sängerfeste, vaterländische Jahresfeiern etc.) einander in oft nur allzureicher Fülle ab. Feste zu Ehren des Kirchenpatrones (sog. bénichons) werden nur in den katholischen Landesgegenden gefeiert.
Die Trachten der Jurassier haben sich zu keiner Zeit weder durch Reichtum noch durch Farbenglanz ausgezeichnet. Die Kleidung des Landmannes ist eine ¶
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ziemlich schwere und besteht im Sommer meist aus dunkler Leinwand, im Winter aus Wolle oder Halbwolle. Früher trug man mit Vorliebe das gelbe Freiburger- oder Bernertuch. Bis vor kurzer Zeit pflegte man die niedrigen Strohhüte aus nicht zerdrückten Strohhalmen (pailles rondes), Spitzen und Leinwand in jedem Dorf des Jura selbst herzustellen. Ueberall sieht man noch die besonders in Bauerndörfern häufige blaue Bluse, die bei den Schweizern kurz, bei den Comtois (den Bewohnern der Freigrafschaft Burgund) lang ist. Während sie die Welschen ohne Verzierungen tragen, lieben es die deutschen Jurassier, sie mit roten oder weissen Litzen zu schmücken. Die deutschen Jurassier halten ferner noch allein hie und da die einst so weit verbreitete schwarze Zipfelmütze in Ehren.
Landwirtschaft (Wein-, Acker- und Waldbau).
Das zuerst S.-N., dann allmählig W.-O. streichende Juragebirge bietet dem Anbau die verschiedensten Expositionen zur Sonne. Im grössten Teil des Schweizer Jura unterscheidet man zwischen der der Mittagssonne zugekehrten «Sonnenseite» (le Droit oder l'Endroit) und ihrem wenig besonnten Gegenstück, der «Schattenseite» (l'Envers). Auf den Hochflächen ist das Klima einheitlicher, dafür aber rauh, so dass hier das Jahresmittel kaum 6° C. erreicht; das Frühjahr ist hier feucht, der Sommer sehr angenehm und der Winter sonnenreich.
Das Klima der Thäler ist im Sommer und Herbst angenehm, während Frühjahr und Herbst zusammen nur am Gebirgsfuss wirklich schön sind. Dafür haben wir hier heisse Sommer (Neuenburg im Mittel 18,6° C. und im Maximum 32,3° C.) und ziemlich kalte Winter (Neuenburg im Mittel 0,5° C. und im Minimum -12,2° C.). Der Jurafuss hat im Jahresmittel über 9° C. und zeichnet sich dazu noch durch einen schönen Frühling und Herbst aus, deren Mitteltemperaturen dem Jahresmittel gleich kommen.
Die Randseen üben durch Aufspeichern der Wärme und Rückstrahlung des Sonnenlichtes auf die Vegetation einen grossen Einfluss aus und begünstigen vor allem den Weinbau. In der Tat stammen denn auch die berühmten jurassischen Marken alle aus der Mitte der die Ufer des Neuenburger- und Bielersees begleitenden Weinbauzone (Rotweine von Cortaillod und Twann). Sonst wird überall ein mehr oder weniger starker Weisswein gekeltert, der namentlich von den Jurassiern selbst geschätzt wird.
Die Rebe wird an kurzen Stöcken (échalas) gezogen. Alte Weinstöcke werden abgelegt (sog. provignage). Während der letzten Jahre sind zahlreiche Schädlinge (Oïdium, Mehltau, Reblaus) aufgetreten, die energisch bekämpft werden. Die Weinberge stehen oft an steilen Halden, die den Hagelwettern ausgesetzt sind und deren Humusschicht durch starke Regengüsse vielfach ausgewaschen zu werden pflegt. Maximale Höhe des Weinbaues bei 600 m. Oestl. von Biel gedeiht die Rebe nur noch an reichlich besonnten und wenig über die Aaresenke (etwa 420 m) aufsteigenden kleinen Hängen; im unteren Aarethal wird sie von Aarau an und bei Brugg wieder häufiger, um dann im Liaszirkus der Goldwand bei Baden (Limmatthal) noch einmal einen feurigen Wein (den sog. Goldwändler) zu reifen. Am Jurafuss von Orbe bis Biere und Divonne kann kein Weinbau getrieben werden, weil hier der Boden schon zu hoch liegt und dem NO.-Wind (der sog. Bise) zu stark ausgesetzt ist; ferner fehlt hier ein als Wärmeregulator wirkendes Seebecken.
Wenn wir von den Zirken bei Grellingen und Baden, sowie von einigen Stellen am Basler und Aargauer N.-Fuss des Gebirges absehen, finden wir die Weinrebe in keinem einzigen Thal des Schweizer Jura mehr. In diesen Thälern folgen je nach der Exposition bis in 900 oder 1000 m Ackerbau, Wald und Industrie aufeinander, während weiter oben bis zu 1500 m einzig noch lichter Wald mit dazwischen eingelagerten Weideflächen zu finden ist. Die eigentlichen Alpweiden oder Sennberge ohne Wald beschränken sich auf die höchsten Jurakämme. Hier wird auch dieselbe Alp- oder Sennwirtschaft betrieben wie in den Alpen, und hier stehen die zerstreuten Sennhütten, die im Winter oft völlig geräumt und nur von Mitte Mai an etwa während vier Monaten bezogen werden. Dann weiden hier die grossen Viehherden, deren Milch von den Sennen an Ort und Stelle zu Käse und Butter verarbeitet wird. Während des übrigen Teiles des Jahre bleiben Vieh und Sennen unten in den Meierhöfen und Dörfern.
In der Zone des Feldbaues wechseln je nach der Beschaffenheit des Bodens und seiner Exposition Aecker aller Art mit Wäldern verschiedener Zusammensetzung ab. Der Nussbaum steigt noch etwas höher als die Weinrebe. Er ist am Fuss des Waadtländer, Neuenburger und Berner Jura häufig, im Solothurner und Aargauer Jura dagegen seltener anzutreffen. An Stelle des Olivenöls verwendete man einst ausschliesslich Nussöl oder auch - in den Dörfern der Buchenregion - Oel aus Buchennüssen.
Ersteres wird im Kanton Waadt jetzt noch oft gebraucht. Der Kastanienbaum findet den ihm zum Gedeihen notwendigen Sandboden im Jura nur ab und zu, so z. B. im Neuenburger Weinbaubezirk, bei Fontaine André, auf der Petersinsel im Bielersee etc. Früher freilich bildete er am Fuss des Waadtländer Jura ganze Wälder, ist aber hier seither durch den Weinstock verdrängt worden. An diese einstige grössere Verbreitung erinnern noch stehen gebliebene kleine Haine und auch zahlreiche Ortsnamen.
Der Getreidebau hat im Jura, wie übrigens auch überall im schweizer. Mittelland, vor dem Bau der Eisenbahnen eine weitaus grössere Rolle gespielt als heute. Jetzt lohnen sich dem Bauern Viehzucht und Kunstwiesenbau (Klee, Luzerne, Buchweizen, Welschkorn, Runkelrübe) besser. Der Kalkboden des Jura eignet sich vorzüglich zum Anbau der Esparsette (Onobrychis ativa). Der Gemüsebau wäre im Innern des Gebirges noch grösserer Entwicklung fähig, da die Zartheit der Gemüse mit steigender Meereshöhe zunimmt.
Lein, Hanf, Roggen, Gerste und Hafer geben keinen genügenden Ertrag und werden deshalb auch nur selten angepflanzt. Sie finden sich, zusammen mit einigen Gemüsearten, meist nur in den jurassischen Hochthälern, wo Obstbäume nicht mehr gut gedeihen. Auch die seit einigen Jahren im Jura eingeführte Bierbrauerei hat dem Gerstenbau keine grössere Ausdehnung zu verschaffen vermocht, da das Malz meist aus Deutschland eingeführt wird. Hopfen lässt sich auf dem zu wenig sandigen Kalkmergelboden des Jura nicht bauen. Der Obstbau ist nur in den deutschen Teilen des Gebirges von einiger Bedeutung. Gegen Basel zu gedeiht die meist zum Brennen verwendete Kirsche (Kirschwasser) ganz vorzüglich, und in einigen Thälern des Berner Jura wird aus den dort wachsenden ¶