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sich durch eine gute Fahrstrasse verbunden, deren Bau 1853 beschlossen und 1865 vollendet wurde. Postwagen Monthey-Champéry. Unterhalb Troistorrents zweigt die Fahrstrasse des Val de Morgins, des grössten (linksseitigen) Neben- und Parallelthales des Val d'Illiez, ab, die nach dem Bade- und Kurort Morgins (im Sommer Postwagen Monthey-Morgins) und weiterhin über den Pas de Morgins nach Châtel und Abondance in Savoyen führt. Das im S. und W. an Savoyen grenzende Thalbecken von Illiez-Morgins steht mit den Thälern von Abondance und des Giffre über einige Pässe in Verbindung, deren begangenster und namentlich auch für den Waarenverkehr bedeutendster der Col de Coux (1924 m) ist.
Die das Thal entwässernde Vièze nimmt von beiden Seiten her zahlreiche Nebenarme auf und fliesst ohne Schluchtenbildung zwischen Gras- und Waldhängen rasch thalauswärts. Die hier fehlenden Felsen- und Schluchtenwildnisse werden reichlich ersetzt durch landschaftliche Anmut und den guten und fruchtbaren Boden, der schwere Arbeit entbehrlich macht und auch der anderswo nötigen teueren Bewässerungsanlagen nicht bedarf. Die für den Kanton Wallis so verderbliche Dürre des Jahres 1893 hat sich im Val d'Illiez nur an den der Sonne am meisten ausgesetzten Hängen fühlbar gemacht, aber auch da keinen grossen Schaden angerichtet.
Ein weiterer günstiger Umstand liegt darin, dass das Val d'Illiez die einzige Gebirgsgegend des Kantons ist, wo der Bodenbesitz nicht in unzählige kleine Parzellen zerstückelt ist. Wir können zwar auch hier wie in andern Thälern des Wallis in wenigen Stunden aus dem Gebiet der mediterranen in das der alpinen und nivalen Flora gelangen, doch ist der Uebergang hier ein weit gemässigterer, da die anderswo so furchtbar heissen und sterilen Hänge fehlen und die Thalumrandung nicht durchweg aus Gipfeln und Kämmen der höchsten Alpenregionen besteht.
Die fruchtbaren Gehänge am Thaleingang tragen bis Troistorrents einen üppigen Wuchs von Kastanienbäumen, Reben, Nussbäumen und Aeckern mit bis zu vierzigfachem Ertrag; weiter oben finden wir noch Aepfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen. Letztere beiden liefern dem Thalbewohner einen vortrefflichen Branntwein, der zwar durchweg als Getränke dient, aber doch nur mässig genossen wird. Es ist dies um so eher verständlich, als die Leute des Val d'Illiez in der Rhoneebene draussen keine Weinberge besitzen, wie dies ja für die Bewohner der zentralen Thalschaften in so starkem Umfange der Fall zu sein pflegt.
Die Bevölkerungszahl des Val d'Illiez ist in beständiger Vermehrung begriffen. So zählte man 1815: 2245 Ew.;
1850: 2645 Ew.;
1870: 2890 Ew.;
1888: 3095 Ew. und 1900: 3191 Ew. Hauptbeschäftigung sind Rindviehzucht und Milchwirtschaft, die hier in rationellerer Weise betrieben werden als in den andern Walliser Seitenthälern.
Die Wiesen sind üppig und ernähren die gerühmten, starken und schönen Rinder, die auffallend der Rasse des Lötschenthals im Ober Wallis gleichen; ihre Milchprodukte (Käse und Butter) und ihr Fleisch sind gesuchte Handelsartikel. Die noch vor etwa 30 Jahren als Nebenzweig betriebene Aufzucht von Pferden und Maultieren ist heute beinahe ganz aufgegeben. Die Bewohner von Troistorrents besitzen an den untern Thalhängen auch Weizenäcker; bei Illiez sieht man noch einige Roggen-, Hafer-, Hanf- und Kartoffelfelder. Da das Thal reich an Wald (namentlich Buchenwald) ist, hat auch der Handel mit Bauholz eine gewisse Bedeutung.
Mehrere Sägen. Oberhalb Champéry steht ein Elektrizitätswerk. Troistorrents, Illiez, Morgins und Champéry sind geschätzte Fremdenstationen, ganz besonders die beiden letztgenannten. Morgins, das einst eine blosse Maiensässe der Gemeinde Troistorrents war, hat sich seit 1846 rasch zu einem grossen alpinen Kurort entwickelt, der über eine Eisenquelle verfügt und jetzt neben vielen in dem anmutigen und einsamen Thälchen zerstreuten Villen und Pensionen für Fremde auch eine Reihe von grossen und stattlichen Gasthöfen besitzt.
Ueberlieferungen aus frühern Zeiten berichten, dass die Bewohner des Val d'Illiez die Nachkommen von Soldaten der thebäischen Legion seien, die dem grossen Blutbad von Agaunum (bei Saint Maurice; etwa 302 n. Chr.) entrannen und sich hier ansiedelten. Heute ist freilich diese Ansicht kaum mehr haltbar. Die Leute des Val d'llliez gehören zur Mehrzahl dem braunen Typus an und sind über Mittelgrösse. Der Schädelbildung nach sind sie überwiegend Brachycephalen, deren Schädelindex um die Zahl 83 schwankt.
Ihre Tracht ist einfach und ernst, in dunkeln Farben gehalten; die Männer tragen schwarzen Tuchrock und sehr niederen Strohhut. Auch die Frauen sind ihrem althergebrachten, mit schwarzen Bändern artig verzierten Strohhut treu geblieben und tragen unter demselben ein graziös aufgewundenes scharlachrotes Tuch. Da sich die Frauen hier wie meist im Wallis mit den Männern in die schwersten Feldarbeiten teilen, so tragen sie nicht selten Männerhosen, wobei sie sich dann nur durch ihr rotes Kopftuch von den Männern unterscheiden, zumal sie auch wohl ein Pfeifchen Rauchtabak nicht verschmähen. «Jeder Fremde, der dieses Thal zum erstenmal betritt, ist äusserst angenehm überrascht, daselbst so stattliche und schmucke Wohnhäuser zu erblicken, welche nicht nur Zeugnis geben von dem Wohlstande der Bewohner, sondern auch von ihrem Sinn für Ordnung und Reinlichkeit. Sie sind zwar grösstenteils nur aus Holz erbaut, aber äusserst bequem und behäbig, ¶
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so recht für das intime Familienleben eingerichtet und ausgeschmückt. Die Vorderseite des Dachfirstes steht weit vor und beschützt die grossen Lauben, welche zum Trocknen und Aufbewahren verschiedener Gegenstände dienen oder auch zum Aufenthalte der mit häuslichen Arbeiten beschäftigten Insassen. Vor den grossen Fenstern sind Blumenbeete angebracht, die dem Hause ein festliches Aussehen geben... Vor keinem Hause fehlt der wohlgepflegte Gemüsegarten, in welchem immer ein Plätzchen auch den lieben Blumen eingeräumt ist; sogar auf dem steinbelasteten Schindeldach erblickt man nicht selten Kolonien von Aurikeln, Hauswurzeln und ähnlichen Zierpflanzen."
Die wildwachsende Flora
des Thalbeckens von Illiez entspricht seinem feuchten und regnerischen Klima. Wir haben schon bemerkt, dass die Buche hier geschlossene Bestände bildet, während die im innern Wallis sonst häufige Arve fehlt. Es fehlen ferner ganz die Typen des heissen und trockenen Wallis, sowie dessen endemische und andere seltenste Hochalpenpflanzen. Umgekehrt finden wir hier eine ganze Anzahl von schönsten Pflanzen, die im innern Wallis entweder gar nicht vorkommen oder doch sehr selten sind.
«Diese Vegetation erfreut den Pflanzenliebhaber durch ihre Frische und reichen Blütenschmuck; Val d'Illiez ist das Eden der Narzissen und Primeln.» Im Folgenden geben wir nach F. O. Wolf, dem wir unsere floristische Skizze verdanken, noch eine kurze Liste von ganz seltenen Phanerogamen des Val d'Illiez (mit Angabe des Standortes): Ranunculus Thora (Col de Coux), Aquilegia alpina (Pas d'Encel), Gentiana Thomasii (Fuss der Dent du Midi), Gentiana campestris × germanica (Alpweiden an den Dents Blanches), Eryngium alpinum (Suzanfe), Primula elatior × acaulis (Choëx), Primula auricula-viscosa (Valerette), Narcissus incomparabilis (Val d'Illiez), Allium victoralis (Pas d'Encel).
Geologie.
Das Val d'Illiez liegt in der Uebergangszone zwischen den Hohen Kalkalpen (Dent du Midi) und den Voralpen des Chablais und ist in den Flysch eingeschnitten, der sich unter die grosse liegende Falte Dent du Midi-Tours Salières einschiebt und der die Ueberschiebungsschollen der Voralpen (Préalpes) trägt. Dieser Flysch besteht meist aus Schiefern und Sandsteinen, selten dagegen aus Konglomeraten, was die Fruchtbarkeit des Bodens erklärt. In der Thalsohle hat die Erosion zwischen Champéry und dem Dorf Val d'Illiez eine unter dem Flysch liegende Neocomfalte angeschnitten; eine andere solche Falte findet sich von Bossetan bis ins Thälchen von La Barmaz zwischen dem Flysch und der grossen Falte der Dent du Midi versteckt. Am NW.-Hang des Thales, wo dem Flysch die Masse der jurassischen sog. Chablaisbreccie auflagert, findet man noch einige nicht erklärte Schichtfetzen von mesozoischen Gesteinen (Trias, Jura, Kreide), die ohne irgend welche Anordnung ganz im Flysch eingewickelt sind (Rochers de Savonaz, Culet etc.). Vergl. die Art. Midi (Dent du) und Chablais.
Geschichtlicher Ueberblick.
Im 13. Jahrhundert erscheint eine Burgherrschaft Monteiz (Monthey), die das Val d'Illiez umfasste und vom Vogt des Chablais sowie von den Grafen von Savoyen abhängig war. Zum erstenmal erscheint das Thal in einer Urkunde von 1180, mit welcher ein gewisser Boson und sein Sohn der Abtei Saint Maurice neben Anderem auch ihren Landbesitz im Val d'Illiez (etterram quam apud Yliacum habebant) vergabten. 1235 findet man: territorium de Ylies; 1244: parrochia de Ylies. Das kleine Gebiet von Tschiésaz über Troistorrents ist bis in verhältnismässig neue Zeit der Abtei als Eigentum verblieben, während die übrigen Sonderrechte über die Gemeinde Troistorrents schon früher vom Geschlecht Du Fay und dann vom Staat zurück gekauft worden sind.
Als die Walliser 1536 die Herrschaft Monthey eroberten, war der Herzog von Savoyen im Val d'Illiez nur noch unmittelbarer Oberherr über 34 Familien, die einem «Métral» genannten Beamten unterstanden hatten. Die übrige Bevölkerung stand damals unter verschiedenen Edelgeschlechtern, so z. B. unter den d'Allinges und den Prioren von Ripaille. Der Staat versuchte mehrfach, alle diese kleinen Sonderrechte an sich zu bringen, vermochte aber erst 1715, die Leibeigenschaft völlig aufzuheben. Ein 22 Stunden anhaltender Sturm riss 1802 die Dächer von zahlreichen Häusern mit sich und richtete in den Waldungen einen Schaden von 42000 Franken an. Das Val d'Illiez ist ferner im Mittelalter mehrfach von der Pest heimgesucht worden. An Altertümern hat man hier römische Münzen aufgefunden.
Bibliographie:
Wolf, F. O. Von Saint Maurice bis zum Genfersee. (Europ. Wanderbilder. 149/150). Zürich 1889. - Claparède, A. de. Champéry et le Val d'llliez. Genève 1886. Nouv. éd., augmentée. Genève 1903.