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Maloja bis Ponte in Erstarrungsgesteine (Granite, Syenite, Diorite) und krystalline Schiefer (Gneise, Glimmerschiefer etc.), von Ponte bis gegen Cinuskel in Sedimente eingeschnitten, ohne dass ein wesentlicher Unterschied in der Thalbildung bemerkbar wäre, wenn auch die Bergformen, namentlich in den Gipfelregionen, den Gesteinswechsel wohl erkennen lassen. Ebenso bleibt sich der Charakter des enggefurchten Unter Engadin von oben bis unten gleich, obwohl es zuerst in Gneis, Hornblendeschiefer und verwandte Gesteine eingeschnitten ist und dann die ungefähre Grenze zwischen dem Bündnerschiefer- und Serpentingebiet einerseits und dem Kalk- und Dolomitgebirge andererseits bildet. - Eine weitere, sehr auffallende Eigentümlichkeit des Inngebietes gegenüber dem Rheingebiet ist seine relativ geringe Breite.
Während das Flussnetz des Rheingebietes sich wenigstens auf der einen Seite weit verzweigt, ist dasjenige des Inngebietes wenig entwickelt, aber auch hier auf der rechten Seite mehr als auf der linken. Doch bleiben auch die grösseren rechtsseitigen Zuflüsse des Inn, der Flatzbach vom Berninapass, der Spöl aus dem Livignothal und die Clemgia aus dem Scarlthal sehr hinter denjenigen des Rhein zurück. Der grösste von ihnen, der Spöl, erreicht noch nicht die Länge der Landquart.
Auch er durchfliesst in seinem obern Teil ein schönes, flachsohliges, dem mittleren Engadin sehr ähnliches, doch weit weniger bewohntes Längsthal, im untern Teil eine enge, wilde und völlig unbewohnte Schlucht, die bald in ein Querthal übergeht. Schön ausgebildet ist die baumförmige Verzweigung des Livignothals, die sich auch im Scarlthal, im Val Chamuera, Val Casana und andern Thälern der Ofenpassgruppe wiederholt. Hinter den finstern Mündungsschluchten trifft man da oft auf weite Wald- und Alpreviere, dann auf ungeheure Schutthalden am Fuss gewaltiger Kalkgebirge.
Aber es fehlt der Schmuck grösserer Gletscher. Um so reichlicher ist derselbe in den Berninathälern: Morteratsch, Roseg, Fex und Fedoz. Auch die kurzen Thäler der Albula- und Silvrettagruppe reichen fast alle in die Gletscherregion hinauf und führen dem Inn starke Wildbäche zu, so Val Beyer, Val Sulsanna, Val Susasca, Val Tuoi, Val Tasna, Val Sinestra und das Samnaunthal. Das letztere ist in dieser Reihe das einzige, das einen ziemlich ebenen Thalboden mit mehreren, allerdings nur kleinen Dörfern aufweist.
Von den transalpinen Thälern Graubündens gehören drei dem Pogebiet an: Misox mit Calanca, Bergell und Puschlav, während ein viertes, das Münsterthal, sich zur Etsch entwässert. Alle zeigen ein starkes Gefälle nach S., resp. nach SW. (Bergell) oder SO. (Münsterthal). Es sind typische Stufenthäler, in denen flache Thalböden mit engen Klusen wechseln. Diese Klusen, hier meist «Porta» oder «Serra» genannt, bezeichnen fast immer auch gute Klima- und Vegetationsgrenzen, wo italienische und alpine Natur sich berühren, so im Misox in der Serra oberhalb Soazza, im Bergell in der Porta bei Promontogno und im Puschlav bei der Motta am untern Ende des Puschlaversees. Am schärfsten ausgesprochen ist die Stufennatur im Bergell, am schwächsten im Münsterthal. Im erstern kann man drei Hauptstufen (Val Marozzo, Becken von Vicosoprano und Becken von Bondo-Castasegna) und mehrere kleine Zwischenstufen (z. B. diejenigen von Cavrile, von Casaccia etc.) unterscheiden.
Mehrere der jetzigen Thalebenen mögen alte Seeböden sein. Noch jetzt schmückt das mittlere Puschlav ein ansehnlicher See, der durch die Bergsturzmasse der Motta gestaut wurde. Die Ausmündung dieser Thäler gestaltet sich verschieden: das untere Misox geht durch eine breite Thalebene allmählich in die Riviera des Tessin über, das Bergell öffnet sich durch ein langes, bald engeres, bald weiteres Défilé in die Ebene von Chiavenna, während das Puschlav und das Münsterthal sich bei ihren Ausmündungen ins Veltlin, resp. ins Etschthal schluchtartig verengen, jenes in der Klus von Campocologno, dieses in der schlachtberühmten Calvenklause. So reich und mannigfaltig die Stufung all' dieser Thäler ist, so gering ist verhältnismässig ihre Verzweigung.
Doch hat das Misox ein grösseres, in mehreren kleinen Dörfern bewohntes Seitenthal, das Val Calanca, das durch eine gewundene Schlucht ins Hauptthal mündet, dann aber in mehreren Stufen mit zum Teil ebenen Thalböden parallel zum Hauptthal aufsteigt. Die Dörfchen finden sich aber weniger auf diesen Böden, als auf hochgelegenen sonnigen Terrassen. Die übrigen Seitenthäler des Misox sind alles nur kurze Wald- und Alpthäler ohne ständige Bevölkerung. Auch die Pässe, die aus ihnen nach Italien führen (in die Gegenden von Chiavenna und des obern Comersees) sind wenig begangen.
Das Bergell hat auf seiner S.-Seite drei kleine Seitenthäler, die hoch in weite Gletscherreviere hinauf führen und selbst für die Alpwirtschaft nur spärlich Raum gewähren. Es sind das Val Bondasca, Val Albigna und Val Muretto-Forno, wovon die zwei letzteren durch ihre mächtigen Gletscher, die zu den grössten der Berninagruppe gehören, fast ganz erfüllt sind. Noch spärlicher ist die Verzweigung im Puschlav und Münsterthal. Doch mag vom erstern das Val di Campo genannt werden, weil von da der Violapass nach dem italienischen Val Viola und nach Bormio führt. Aehnlich führt aus dem Münsterthal der Umbrailpass (mit neuer Bergstrasse) durch das Val Muranza nach dem Stilfserjoch (Stelvio) und der Cruschettapass durch das Avignathal nach Scarl und ¶
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Schuls. Weniger wichtig ist der Pass Dössradond, der das Münsterthal mit dem Val da Fraële (Münster Alpen) und mit San Giacomo di Fraële verbindet. Das Thal der Münster Alpen gehört politisch und wirtschaftlich zum Münsterthal, obwohl es sich in eigentümlicher Windung nach Italien senkt.
So zahlreich die Flüsse und Bäche in Graubünden sind, so gering sind die Seen. Graubünden ist der einzige Alpenkanton der Schweiz, der nirgends bis an den Rand der Alpen reicht und darum auch keinen Anteil an den grossen Randseen hat. Auch sonst sind die Thalseen wenig zahlreich und von mässiger Ausdehnung. Nur das Ober Engadin, Davos und Puschlav erfreuen sich dieses Schmuckes. Ihrer Entstehung nach sind es, wie früher erwähnt, Abdämmungsseen, im Ober Engadin und Davos gestaut durch die Geschiebeablagerungen der Seitenbäche, im Puschlav durch einen Bergsturz.
Sie sind denn auch von mässiger Tiefe, der Silsersee 71 m, der Silvaplanersee 77 m, der St. Moritzersee 44 m, der Puschlaversee 84 m und der Davosersee 54 m tief. Da sie, mit Ausnahme des Puschlaversees, alle auf den obersten Thalstufen liegen, so haben sie als Läuterungsbecken und Regulatoren der Flüsse nur geringe Bedeutung. Im Uebrigen sind die noch da und dort vorkommenden Thalseen alle nur sehr klein. Sehr zahlreich sind aber die auf den Pässen, in hochgelegenen Bergnischen, in kleinen Mulden und auf den Terrassen der Gehänge liegenden Bergseen.
Wohl jedes Blatt des Siegfriedatlas zeigt Beispiele solcher Pass-, Kar-, Mulden- und Terrassenseen. Die Zahl aller Seen, inklusive die Thalseen, beträgt für den ganzen Kanton nicht weniger als 590, wovon 351 auf das Rheingebiet, 157 auf das Inngebiet, 73 auf das Pogebiet und 9 auf das Etschgebiet kommen. Am zahlreichsten sind sie in der Höhenstufe von 1800-2800 m mit 527 Stück, tiefer liegen nur 53, höher nur 10 dieser Seen. Die alpine Region von 1700 bis 2300 m enthält allein 200, die subnivale Region von 2300-2700 m 310 derselben.
Wie klein diese Seen sind, ergibt sich aus dem Umstand, dass z. B. alle 351 Seen des Rheingebietes zusammen nur 4,1 km2 (= der Grösse des Silsersees) oder kaum 1‰ dieses Gebietes einnehmen, so dass ihre mittlere Grösse wenig mehr als 1 ha beträgt. In ihrem Auftreten finden wir sie bald einzeln, bald gesellig. Man vergleiche z. B. die Seen auf den Pässen Bernina, Flüela, Albula, Julier, Bernhardin, dann auf der Siarra am Badus, auf der Terrasse Laiblau nw. von Santa Maria am Lukmanier, am Curaletscher Horn hinter Vals, auf dem Bergsturzgebiet von Flims, auf der Lenzer Heide (Heidsee), am Piz d'Æla (die Lajets), auf der Terrasse Scalotta w. über Marmels, am Stallerberg (die Flühseen), auf dem Band bei Avers, in der Gruppe der Surettahörner sö. von Splügen, im Val Duana, im Murettothal (Cavlocciosee), am Lunghinopass über Maloja und überhaupt in der Kette des Piz Lagrev, wie auch in derjenigen des Piz Corvatsch, ferner die Laihs Raveisch in der Keschgruppe, die Seelein im Thalkessel von Macun am Piz Nuna, die Lais da Rims am Piz Lischanna und den einzelnen Lai da Rims beim Piz Umbrail, die Seen von Arosa und diejenigen beim Matlishorn und Kistenstein in der Hochwangkette und im Fläscherthäli am Falknis, den Partnunersee am Fuss der Sulzfluh, die Jöriseen und diejenigen des Seethals in den Quellgebieten der Landquart etc. Alle diese Seen, die grössern des Engadin etc. nicht ausgenommen, verlieren allmählig an Umfang und Tiefe, die meisten infolge Zuschüttung durch die Geschiebe der einmündenden Bäche, einzelne auch durch das tiefere Einschneiden ihrer Abflüsse oder durch fortschreitende Vermoorung. Viele sind auf diese Weise schon verschwunden u. haben ihre Spuren in ebenen Thalböden oder in flachen Mooren zurück gelassen. Die Seen sind ein Jugendschmuck des Gebirgs, der mit dem Alter verschwindet.
Klima, Pflanzen- und Tierleben.
Das Klima Graubündens ist im allgemeinen dasjenige eines Hoch- und Gebirgslandes, aber im einzelnen je nach der Höhe und Exposition der verschiedenen Thalschaften doch ein sehr mannigfaltiges. Es bestehen grosse Gegensätze z. B. zwischen Engadin und Bergell oder zwischen Rheinwald und Misox, oder auch nur zwischen Davos und Chur. Engadin, Davos, Rheinwald, das Bündner Oberland repräsentieren das reine Hochlandklima, Misox, Bergell und Puschlav das Klima der tief eingeschnittenen und nach S. geneigten transalpinen Thäler, das Churer Rheinthal, Domleschg und untere Prätigau das Klima der von N. in die Alpen eindringenden Föhnthäler, und zwischen diesen drei Haupttypen finden wir alle möglichen Uebergänge. ¶