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Grenze zwischen den mesozoischen Kalken der linken und den tertiären Bündnerschiefern der rechten Thalseite. Das Rheinthal erscheint also im Ganzen als eine gute tektonische Grenze: oben zwischen den beiden genannten Zentralmassiven, unten zwischen dem Bündnerschiefergebiet und der Glarner Doppelfalte. Nur im Mittelstück von Truns bis Ilanz liegen beide Thalseiten in derselben tektonischen Einheit, indem der Verrucano der rechten Seite wie derjenige der linken dem S.-Flügel der Glarner Doppelfalte angehört.
Der Verrucano tritt aber auch im untern Thalabschnitt partienweise auf, so am SW.-Fuss des Calanda und in einzelnen aus dem Rheinkies der Thalebene auftauchenden Klippen. Er scheint sich also unter diesem Kies fortzusetzen. Da nun der Verrucano samt den darüber folgenden jüngern Gesteinen dem Gewölbeschenkel einer n. übergelegten Falte angehört, so ist der mittlere und zum Teil auch der untere Abschnitt des Rheinthals in diesen Gewölbeschenkel eingeschnitten.
Dennoch haben wir hier nicht ein normales Gewölbe- oder Antiklinalthal mit von der Mittellinie nach entgegengesetzten Seiten fallenden Gesteinsschichten, wie es bei einer normal stehenden Falte der Fall wäre. Ebenso ist der obere, in einer Muldenzone liegende Thalabschnitt (oberhalb Truns) kein normales Mulden- oder Synklinalthal mit von beiden Thalseiten gegen die Mittellinie fallenden Schichten. Denn da sowohl diese Muldenzone als jener Gewölbeschenkel n. überliegenden Falten angehören, so fallen durch das ganze Thal die Gesteinsschichten auf beiden Thalseiten in einer und derselben Richtung und zwar mehr oder weniger steil nach SO., resp. nach S. Das Rheinthal ist darum wesentlich ein Isoklinalthal mit Schichtflächen auf der linken und Schichtköpfen auf der rechten Seite.
Beim Beginn der Thalbildung, als die Thalsohle noch 2000-3000 m höher lag, waren die Verhältnisse anders. Denkt man sich die seitherige Austiefung noch nicht vorhanden und die Falten rekonstruiert, so erhält man hoch über der jetzigen Thalsohle eine n. übergelegte Bündnerschiefermulde, die sich an den S.-Flügel der Glarner Doppelfalte anlehnt. In jener Höhe, d. h. in den Anfängen seiner Entwicklung, war also das Rheinthal ein Muldenthal. Bei der fortschreitenden Ausspühlung behielt es dann die einmal erhaltene Richtung bei, geriet aber in immer tiefere Schichten und zuletzt auf die Wurzel des in der Tiefe liegenden Gewölbekerns. Die erste Anlage, das ursprüngliche Synklinalthal, war also wohl tektonisch, durch die Gebirgsfaltung, begründet, die weitere Ausgestaltung desselben aber, die Vertiefung um einige tausend Meter und damit die Umwandlung in ein Antiklinal- resp. Isoklinalthal, ist das Werk der Erosion.
Den drei geologischen Thalabschnitten entsprechen, wenigstens annähernd, auch drei verschiedene Thalstufen. Die obere Stufe, das Tavetsch, ist eine enge Rinne ohne ebenen Thalboden. Die wenigen Ortschaften, wie Sedrun und Disentis, liegen auf Terrassen und Schuttkegeln. Der Rhein hat durchweg ein starkes Gefälle (von etwa 1700 bis 1000 m) und ist eifrig daran, sein Felsenbett noch tiefer einzuschneiden. Durch ein langes Défilé tritt er in die zweite Stufe ein, die bis unterhalb Ilanz reicht.
Hier hat sich der Rhein schon einen ebenen, wenn auch nur schmalen Thalboden ausgearbeitet, auf dem er vielfach geschlängelt und öfters mehrarmig zerteilt dahinfliesst. Seine Stosskraft ist schon nicht mehr überall gross genug, um die Geschiebe weiter zu führen. Stellen der Thalverbreiterung durch seitliche Erosion wechseln darum mit solchen der Aufschüttung. Seitenbäche, wie diejenigen aus den Thälern Rusein, Puntaiglas, Frisal, Somvix und Lugnez, dann die Wildbäche von Pardomat, Val Zavragia etc., bauen Schuttkegel in das Thal hinaus, die vom Rhein wohl an der Front angeschnitten, aber nicht mehr vollständig weggeschwemmt werden.
Einzelne kleinere Ortschaften haben sich bereits auf dem Thalboden oder in wenig erhöhter Lage an dessen Rand angesiedelt, so Surrhein, Rinkenberg, Tavanasa und der untere Teil von Ilanz. Die meisten und namentlich alle grössern Orte liegen aber auch hier wieder auf grössern, sanft abgedachten Schuttkegeln oder auf hohen, oft steil gegen den Rhein abgebrochenen Terrassen. Zu den erstern gehören Rabius, Truns, Ruis, Schnaus, Schleuis, Sagens, zu den letztern Somvix, Schlans und besonders Brigels, Waltensburg und die zahlreichen Dörfer und Weiler von Obersaxen. Deutlich erkennt man die sich gegenüberliegenden Terrassen von ¶
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Obersaxen einerseits und von Brigels-Waltensburg andererseits als einen einst zusammenhängenden ältern Thalboden, der erst später durch den tiefergrabenden Rhein zerschnitten wurde. Auf einer noch höhern Terrasse liegen Seth, Ladir und Fellers. Nach unten wird diese Thalstufe abgeschlossen durch die gewaltigen Trümmermassen eines präglazialen Bergsturzes, der aus dem Segnesthal niederging und das Rheinthal etwa von Kästris bis unterhalb Reichenau und von Flims bis hinter Valendas und Versam ausfüllte. Es ist der grösste Bergsturz, den man überhaupt kennt.
Der durch ihn entstandene Schuttberg bedeckt eine Fläche von 52 km2, ist bis über 600 m hoch und misst circa 15 km3, d. h. etwa das Zehnfache des Goldauer Bergsturzes. Jetzt bildet dessen Oberfläche eine grösstenteils bewaldete und mit mehreren kleinen Seen geschmückte wellige Hügellandschaft. Durch ihn wurde der Rhein gestaut, so dass ein bis Ilanz oder noch weiter hinauf reichender See entstand. Der Rhein und seine Zuflüsse schütteten denselben durch ihre Geschiebe allmählig wieder zu, aber noch verraten Sand- und Kiesterrassen als Reste einstiger Deltabildungen am Ausgang des Glennerthals und anderwärts sein früheres Dasein.
Dann hat der Rhein den Schuttberg in einer gewundenen, wilden und auf langen Strecken ungangbaren Schlucht durchschnitten. Noch jetzt unterwühlt er bald links, bald rechts die Wände derselben, so dass häufig Abrutschungen und Nachbrüche erfolgen. Auch der Laaxer- u. der Flimserbach, einst durch den Schuttberg rechts und links abgelenkt und an ihrer Vereinigung verhindert, haben sich tiefe Schluchten in denselben eingegraben. Die Dörfer liegen hier nicht in den Schluchtthälern, sondern teils oben auf dem Schuttberg wie Laax, Sagens, Valendas und Versam, teils hart an dessen Rand wie Flims, Trins und Tamins.
Die untere Thalstufe, auch das Churer Rheinthal genannt, hat einen breiten, ebenen, vom Rhein aufgeschütteten und früher oft überschwemmten Thalboden. Jetzt ist der Fluss in Fesseln geschlagen, aber noch begleiten ihn breite, kahle Sand- und Kiesflächen. Meist zieht er am Fuss des Calanda hin, während sich an die rechte Thalwand weite, bewachsene Schutthalden anlehnen. Auf diesen liegen, von schönen Wiesen, Kornfeldern, Gemüseäckern, Obstbaumhainen und Weinbergen umschlossen, die meisten Ortschaften: Chur, Trimmis, Zizers, Igis, Malans, Jenins, Maienfeld. Auch unten in der Rheinebene oder an deren Rand hat sich eine Reihe von Dörfern angesiedelt: Reichenau, Ems, Felsberg, Haldenstein, Untervaz, ein Teil von Maienfeld und Fläsch.
Das Einzugsgebiet des Rhein ist, wie übrigens bei fast allen Alpenflüssen, unsymmetrisch gebaut, denn weil die Hauptsammelrinne hart an die Tödikette gedrängt ist, so erhält sie von dieser nur kleine Zuflüsse, die ihr fast alle auf dem kürzesten Weg und mit starkem Gefälle zueilen. Die grössten sind der Bach des nach oben baumförmig verzweigten Val Rusein und derjenige des zweimal rechtwinklig umbiegenden Val Frisal, der auch den Panixerbach aufnimmt. Breit und durch ein weitverzweigtes Thalnetz reich gegliedert ist dagegen die rechte Seite des Rheingebietes, und von dieser erhält der Rhein zahlreiche, ihm an Länge und Wasserfülle zum Teil ebenbürtige Zuflüsse. Vorab mit Rücksicht auf diese Seite teilt man das bündnerische Rheingebiet in drei wohlunterschiedene Teile: 1. das Bündner Oberland oder das Gebiet des Vorderrhein (1514 km2), 2. Mittelbünden oder das Gebiet des Hinterrhein (1693 km2), 3. Nordostbünden oder das Gebiet des untern Rhein (1090 km2).
Die Thäler des Oberlandes stimmen alle in ihrer NO.- und N.-Richtung überein. Die westl. und kleinern, nämlich Val Cornera, Val Nalps, Val Medels und Val Somvix schneiden sich als Querthäler in die östliche Gotthardgruppe ein, verlaufen also in krystallinen Gesteinen und sind meist eng und wenig verzweigt. In die beiden obern, Val Cornera und Val Nalps, reicht der Wald kaum mehr hinein. Es sind reine, nur im Sommer von einigen Hirten bewohnte Alpthäler. Val Medels und Val Somvix dagegen sind weit hinein bewaldet und auch im Winter bewohnt, Somvix zwar nur sehr schwach in wenigen Gehöften, Medels aber in mehreren Dörfern und Weilern, die sich um Platta und Curaglia gruppieren.
Die durchgehende Lukmanierstrasse unterhält wenigstens im Sommer einen lebhaftern Verkehr. Grösser sind das Lugnez und das Safienthal. Dabei ist das Safienthal sehr schmal und fast gar nicht verzweigt, das Lugnez dagegen breit und nach oben vielarmig geteilt, denn nicht nur geht es in die zwei Hauptarme des Vrin- und des Valserthals auseinander, sondern es teilen sich auch diese wieder in viele kleinere Zweige. Mit Ausnahme des hintern Valserthals, das samt seinen Verzweigungen ins Adulamassiv eindringt, sind diese Thäler in Bündnerschiefer eingeschnitten u. zwar wesentlich als Isoklinalthäler, so dass die linken Thalseiten von Schichtflächen, die rechten von Schichtköpfen gebildet werden.
Daher breiten sich über die quellenreichen linken Seiten, besonders im Lugnez, weitgedehnte prächtige Wiesen und Alpweiden aus, während die rechten Seiten steiler und trockener sind und mehr den Wäldern reserviert bleiben. Im Lugnez zieht sich über die schönen Terrassen der linken Seite auch eine lange Perlenschnur von Dörfern hin, während die rechte Seite nur spärlich und die enge Thalrinne fast gar nicht bewohnt ist. Auch im Safienthal finden wir die Wohnstätten fast ausschliesslich auf der linken Seite von der nur teilweise vorhandenen Thalebene bis in beträchtliche Höhe.
Aber der Schieferboden birgt auch seine Gefahren. Das Safienthal und Lugnez sind schlimme Wildbach- und Rutschgebiete, und ihre Bäche brechen oft als schwarze Schlammströme aus den finstern Mündungsschluchten hervor. Nicht leicht findet man anderswo so typisch ausgebildete und in steter Veränderung begriffene Wildbachformen wie im Rieiner-, Pitascher- und Duvinertobel auf der rechten Seite des Lugnez. Hier, wie auch sonst auf weiten Strecken zu beiden Seiten des Lugnez ist der Boden förmlich in einer langsam fliessenden Bewegung.
Beständig entstehen neue Risse und Abrutschungen, so dass Häuser, Ställe, Wege, Zäune etc. verschoben werden und oft verlegt werden müssen, ja auch die Wälder in Unordnung geraten. Aber trotz all' dieser Abrutschungen und Rüfen können sich in der Thalrinne keine Schuttkegel bilden, weil der Glenner bei seinem starken Gefälle dieselbe immer sofort wieder ausräumt. Erst draussen im Rheinthal kommen alle diese Lugnezer Schlamm- und Geschiebemassen zur Ablagerung und machen dort grosse Schutzbauten nötig. In seinem eigenen Thal aber lässt der Glenner nichts liegen. Er ist vielmehr immer noch eifrig daran, dasselbe noch tiefer einzuschneiden und stellenweise durch Untergrabung der Gehänge zu verbreitern. ¶