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2. Die pelagische Region,
d. h. die Wassermasse des offenen Sees wird von einer biologischen Gesellschaft belebt, deren einzelne Individuen alle schweben oder gute Schwimmer und vor den Nachstellungen ihrer Feinde z. T. durch ihre wunderbare Durchsichtigkeit geschützt sind. Diese Gesellschaft besteht aus den pelagischen Seefischen (den Coregonenarten Féra und Gravenche und dem Saibling) und einer grossen Anzahl von kleinen Organismen, die unter der Bezeichnung des Plankton zusammengefasst zu werden pflegen.
Dazu gehören die Crustaceen Daphnia hyalina, Bosmina longispina, Leptodora hyalina, Bythotrephes longimanus, Diaptomus gracilis und D. laciniatus;
einige Rädertierchen (Rotatoria), wie Asplanchna priodonta, Synchæta pectinata, Polyarthra platyptera, Triarthra Iongisela, Anurea aculeata und A. cochlearis, Notholca longispina, Gastropus stylifer;
die Protozoen Vorticella convallaria (Schmarotzer auf Anabaena), Dinobryon sertularia und D. cylindricum, Ceratium hirundinella;
die Algen Bothryococcus Braunii, Anabaena circinalis, Asterionella formosa, Cyclotella comta.
Fragilaria crotonensis, Melosira varians.
Im Genfersee ist die Quantität des Plankton keine sehr grosse und weit geringer als in den kleinen wenig tiefen Seen und Weiern. Die mit einem Netz aus Müllergaze Nr. 20 (77 Fäden auf den Centimeter) aufgefischte Quantität von Plankton beträgt hier im Mittel 50, im Minimum 20 und im Maximum 125 cm3 auf einen Quadratmeter Seefläche.
Die grosse Mehrzahl der zur pelagischen Gesellschaft gehörenden Organismen lebt in 10-20-40 m unter der Seeoberfläche, doch steigen im Genfersee einige tierische Arten bis zu 100 und 200 m Tiefe ab (so z. B. Sida limnetica).
Das sog. Seeblühen oder die Seeblüte, Anhäufungen von organischem Staub auf der Seeoberfläche, besteht im Genfersee hauptsächlich aus Ansammlungen von Coniferenpollen, die im Frühjahr durch den Wind und die Wildbäche auf den See hinausgetrieben werden.
3. Die im Genfersee mit der Isobathe von 25 m, d. h. der unteren Grenze des Vorkommens von Chlorophyllpflanzen einsetzende Tiefenregion ist von der abyssalen Gesellschaft bewohnt. Zwei ihrer Vertreter, die pigmentierten und blinden Crustaceen Asellus Foreli und Niphargus Foreli, sind wahrscheinlich ursprüngliche Höhlenbewohner, die ihren Weg in den See gefunden und sich hier fortgepflanzt haben. Neben diesen typischen Vertretern einer Dunkelfauna finden wir in der Tiefenregion des Genfersees noch etwa hundert Arten von Algen und niederen Tieren, die aus den littoralen Regionen in die grossen Tiefen hinaus verschleppt worden sind.
Hier haben sie sich fortgepflanzt und schlammige Klumpen von armseligen und verkümmerten Rasen gebildet, die während einiger Generationen weiter vegetieren. Nur wenige dieser Arten scheinen sich an das Lehen bis in eine Tiefe von 80 m dauernd angepasst zu haben, so einige Oscillarien und zahlreiche Diatomeen, denen das im Winter eindringende spärliche Licht zur Entwicklung genügt und die dann einen nicht unbedeutenden Teppich von sog. organischem Filz bilden. Dringen wir in noch tiefere Wasserschichten hinab, so finden wir kein pflanzliches Leben mehr, und die Fauna muss sich mit den auf den Seeboden niederfallenden Leichen der pelagischen Organismen als Nahrung begnügen. In der Tiefenfauna des Genfersees haben wir das Vorkommen von beinahe sämtlichen Typen der littoralen Fauna (excl. Anodonten und Schwämme) nachgewiesen.
Merkwürdig und bisher ohne bekanntes Analogon geblieben ist das Vorkommen eines chlorophyllgrünen Mooses, Thamnium Lemani, in der abyssalen Region, das wir von den Steinen der unterseeischen Moräne von Yvoire aus 60 m Tiefe heraufgeholt haben.
An den Gestaden des Genfersees sind eine grosse Anzahl von Pfahlbauten aufgefunden worden, die wir in Folgendem ihrem archäologischen Alter nach gruppieren wollen:
Steinzeit: Stationen Villeneuve, Kirche Morges, La Poudrière, Fraidaigue, Le Châtaignier unter Dully, Promenthoux in der Bucht von Prangins, Les Pâquis bei Genf, Les Eaux Vives, La Belotte, Collonges, Coudrée, Thonon.
Steinzeit, erstes Auftreten der Bronze: Stationen Les Roseaux in Morges (Typus des von G. de Mortillet aufgestellten âge morgien) und La Pointe de la Bise bei Genf.
Steinzeit und Bronzezeit (bel âge du bronze) im selben Pfahlbau: Stationen Cully, Rolle, Bellevue bei Genthod, Bellerive, La Gabiule, Hermance (La Vie à l'Ane), Nernier.
Bronzezeit (bel âge du bronze): Stationen La Pierre de Cour unter Lausanne, Le Flon, La Venoge, Saint Prex, Beaulieu, Le Creux de la Dullive. Nyon, Céligny, Coppet, Mies, Versoix, Asnières, La Fabrique de Chens, Le Creux de Tougues, Messery; grössere Pfahlbauerstädte Morges, Genf, Thonon.
Bronze- und Eisenzeit: Stationen Plongeon bei Genf, Beauregard.
Unbestimmten Alters: Stationen Le Creux de Plan, Vevey, Paudex, Les Pierrettes, Saint Sulpice, Le Boiron bei Morges, Excénevex.
Die in diesen Pfahlbauersiedelungen gefundenen Altertümer befinden sich heute in den archäologischen Museen von Lausanne, Genf, Annecy etc.
Die von den Fischern im Genfersee gefangenen essbaren Fische sind, in der Reihenfolge ihrer wirtschaftlichen Bedeutung aufgezählt: Féra, Seeforelle, Saibling, Trüsche, Barsch, Hecht, Gravenche. Von weniger Wichtigkeit ist der im Hafen von Genf betriebene Krebsfang. Die auf dem Genfersee üblichen Hilfsmittel und Methoden des Fischfanges weichen von denen der übrigen Schweizerseen nicht ab. Der Marktwert des jährlichen Fischfangs im Genfersee übersteigt die Summe von 500000 Fr.
Schiffahrt.
Auf dem Genfersee fahren alle möglichen Arten von Schiffen, wie sie gerade vom Auslande eingeführt oder den auf andern Seen üblichen Fahrzeugen nachgeahmt worden sind. Daneben gibt es aber auch noch eine Anzahl von nur dem Genfersee eigentümlichen Typen:
Das Fischerboot (bateau de pêche); ein Flachboot mit erhöhtem und spitz zulaufendem Vorderschiff, vie
reckigem Hinterschiff,
zwei grossen Stehrudern an Steuerbord und einem Steuerruder hinten an Backbord.
Das Marktschiff (la cochère); flach, ohne Verdeck, mit einem Zimmerchen unter dem erhöhten und spitz
zulaufenden Bug, mit vie
reckigem Hinterschiff, zwei Masten mit je einem dreieckigen
Segel, drei oder vier
Stehrudern und einem
beweglichen Steuer.
Das Lastschiff, von den Schiffern des Genfersees einfach la barque genannt; von gleicher Form wie die Cochère, aber mit Verdeck; 100-180 Tonnen Gehalt. Mit seitlichen Aussengalerien, sog. apoustis, versehen, längs denen die Schiffer beim Fortstossen des Schiffes mit Ruderstacheln (étire) oder bei überladenem Verdeck hin und her laufen können. Dem Lastschiff angehängt ist ein ¶
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Rettungsboot, der sog. naviot. Zwei Masten mit dreieckigen (sog. lateinischen) Segeln; in den letzten zwanzig Jahren des 19. Jahrhunderts
hat man noch hier und da einen dritten Mast u. auch noch einen Klüver beigefügt. Ist mit 3-4 Schiffern bemannt. Dieses
Lastschiff des Genfersees hat einige bemerkenswerte nautische Eigenschaften; es geht nur wenig tief (im
Maximum bei voller Fracht nur 2 m) und vermag auch, seitdem man es zu Ende des 19. Jahrhunderts noch mit einem Kiel versehen
hat, mit Lavieren
den Wind zu überholen. Dank seiner Breite kann es auch ohne Ballast und Ladung unter vollen Segeln fahren
und ist genügend im Gleichgewicht, um seine volle Ladung auf dem Verdeck tragen zu können.
Die Grössenverhältnisse einer solchen grossen Barke des Genfersees sind: Länge des Verdeckes 28 m, Länge des Kiels 25 m, grösste Breite 8 m, Höhe des Zwischendecks 2,5 m, Höhe der Masten 14 m, Länge der Segelstangen 25 m, Fläche der grossen Segel 150 m2. Ihr Preis beträgt etwa 25000 Fr. Man zählt auf dem Genfersee 80 bis 100 solcher Lastschiffe, die hauptsächlich die Verfrachtung und den Transport von Bausteinen besorgen, wie solche z. B. in den Steinbrüchen von Meillerie in Savoyen und von Arvel bei Villeneuve gewonnen werden.
Die Dampfschiffahrt ist auf dem Genfersee 1823 eingeführt worden, als der in Genf lebende Engländer Church den ersten kleinen Dampfer, Wilhelm Tell, baute. Seither hat sie sich mächtig entwickelt. Abgesehen von den Privatleuten gehörenden Jachten und Booten für Vergnügungs- und Handelszwecke zählte die Compagnie générale de Navigation mit Sitz in Lausanne, die den ganzen Personenverkehr auf dem See beherrscht, im Jahre 1901 eine Flotte von 21 verschieden grossen Schiffen, darunter 4 Schiffen für den Waarentransport.
Der grösste dieser Dampfer, die 1875 erbaute Suisse, ist 64 m lang und 7,2 m breit, fasst 322 Tonnen Ladung oder 1300 Personen, verfügt über eine Maschine von 795 ind. Pferdekräften und hat 400000 Fr. gekostet. Sieben der Dampfer der Gesellschaft fassen je über 200 Tonnen, sieben weitere je 100 bis 200 Tonnen und die sieben kleinsten endlich weniger als 100 Tonnen. Die Einnahmen der Gesellschaft betrugen 1900: Personenverkehr 1061000 Fr., Waarenverkehr 82000 Fr., Verschiedenes 16000 Fr., Ausgaben: 1051000 Franken. Im Fluss- und Seehafen von Genf besorgt eine Schiffahrtsgesellschaft mit 9 kleinen für die Aufnahme von je 25-40 Personen eingerichteten Schraubendampfern, sogenannten Seemöven (mouettes) den Verkehr.
Die grosse relative Dichtigkeit, der die Seeufer bewohnenden menschlichen Bevölkerung zeigt uns die Anziehungskraft, die der See auf den Menschen ausübt. Auf Grund der Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung von 1888 haben wir längs des schweizerischen Ufers zwei je 2,5 km breite parallele Zonen mit 250 km2 Gesamtfläche ausgeschieden: eine Uferzone und eine ganz im Innern des Landes gelegene kontinentale Zone. Die erstere zählte 126163 Ew. oder 505 Ew. auf einen km 2, die andere 18537 Ew. oder 74 Ew. auf einen km2.
Daraus ergibt sich, dass damals die Uferzone siebenmal dichter besiedelt war als die kontinentale Zone. Wenn wir aus der erstgenannten Zone die beiden grossen Städte, Genf und Lausanne, ausschalten, so verbleiben noch 352 Ew. auf einen km2; lassen wir dazu auch die Städte Vevey, Montreux, Nyon und Morges weg, so haben wir immer noch 154 Ew. auf einen km2. Diese Zahlen zeigen zur Genüge, dass die unmittelbare Nachbarschaft des Sees dem Menschen für seine Ansiedelung besonders zusagende Vorteile oder Annehmlichkeiten bietet.
Zum Schluss sei bemerkt, dass der Genfersee auch in landschaftlicher Beziehung der Schönheit seiner Gestade wegen berühmt ist und diesen guten Ruf wohl verdient. Er ist gross genug, um weite Fernsichten zu bieten und seine grosszügige Umrahmung mit einem prachtvollen und in jeder Hinsicht harmonischen und eindrucksvollen Gebirgskranz zur vollen Geltung bringen zu können; andererseits ist er wieder nicht zu ausgedehnt, so dass das Auge auch auf das gegenüberliegende Ufer zu schweifen und auch dort bemerkenswert schöne Einzelheiten aufzufinden vermag.
Seine geographische Lage sichert dem Genfersee schon den Glanz einer fast südlichen Naturentfaltung, gibt ihm aber auch wieder alle die Reize, die unsere verschleierte Atmosphäre der gemässigten nördlichen Breiten auszeichnen. Die meerblaue Farbe seiner Wasser, die mit dem Azurblau des darüber gespannten Himmels an Pracht zu wetteifern scheint, erfreut das Auge weit mehr als das dunkle Grün der übrigen alpinen Randseen oder das eintönige Braun der nordischen Seen.
Ausgezeichnet durch ihren grossartigen Fernblick sind besonders das Nordufer des Grand Lac, von wo aus
sich vor dem Schauenden die wunderbare Mauer der Alpenkette aufbaut, oder das Gestade des Haut Lac bei Vevey, wo die Dent du Midi
so herrlich in den Gesichtskreis eintritt. Wer den intimen Reiz einer weniger durch ihre Grossartigkeit packenden, als vie
lmehr
mit ihrer Lieblichkeit fesselnden Landschaft zu würdigen weiss, wird sich den Gestaden der Savoyer Seite des Grand Lac und
den Ufern des Petit Lac zuwenden, wo das monotone Einerlei der Weinberge den reizvollen Wechsel von Wald und Wiesen noch nicht
völlig
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