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auf. Ihre Gassen werden von gleichmässigen Häuserreihen begleitet, die zwar von der Zeit geschwärzt worden sind, aber eine wohltuend korrekte Bauart zeigen. Die in der Unterstadt herrschende Geschäftigkeit mit ihrem Lärm versteigt sich kaum bis in diese oberen Quartiere, die still und wenig belebt sind und wo sich auch nur wenige Werkstätten finden. Viele dieser Häuser erinnern uns an berühmte Namen, indem hier Calvin und Rousseau und die Geschlechter de Candolle, Pictet de la Rive, de Saussure u. a. ihre Stammsitze hatten und z. T. noch haben.
In diesem ehrwürdig-nüchternen Quartier hat im Rathaus (Hôtel de Ville) die Kantonsregierung ihren Sitz. Das schwerfällig massive Gebäude in florentinischem Stil trägt ein hohes überhängendes Dach und hat in seinem Innern anstatt einer Haupttreppe einen sanft ansteigenden gepflasterten Gang, der es den Ratsherren einst ermöglichte, in der Sänfte oder auch wohl hoch zu Pferd in die obern Stockwerke hinauf zu gelangen. In der sog. Salle d'Alabama hielt das Schiedsgericht seine Sitzungen, das die zwischen England und den Vereinigten Staaten schwebende Alabamafrage entschied. Im Sitzungszimmer des Staatsrates sind vor Kurzem interessante Wandmalereien aus dem 16. Jahrhundert zum Vorschein gekommen, die man sorgfältig restauriert hat. (Vergl. darüber: Dunant, Emile. Les fresques de l'Hôtel de Ville. Genève 1902). Das Rathaus lehnt sich an die Tour Baudet an, einen kleinen viereckigen Burgturm, dessen Erbauung die Ueberlieferung dem Frankenkönig Gondubald zuschreibt; es ist aber wahrscheinlicher, dass er erst im 15. Jahrhundert als Sitzungslokal der Genfer Behörden erstellt worden ist.
Heute birgt die Tour Baudet das genferische Staatsarchiv, eine sehr reiche Sammlung mit den Sitzungsprotokollen der Genfer Räte seit 1400 (300 Foliobände), dem Orginaltext der «Franchises» des Bischofes Adhémar Fabri aus 1387 und mehreren die Rechtsansprüche der Bischöfe von Genf betreffenden Erlassen der deutschen Kaiser. Vom Rathaus führt ein Säulengang zu der Promenade de La Treille, einer mit Bäumen bepflanzten erhöhten Terrasse, von der aus sich dem Beschauer eine ausgedehnte Rundsicht bietet. Gegenüber dem Eingang zum Rathaus steht ein altes Gebäude, das von einer Reihe von schönen Säulen gestützt und unter dem Vordach mit Fresken von Beaumont, Szenen aus der Geschichte Genfs darstellend, geschmückt ist: das Zeughaus (Arsenal). Hier hat man das historische Museum untergebracht, eine Sammlung von Rüstungen, Fahnen und Waffen aus der kriegerischen Vergangenheit Genfs.
Nach O. mündet die Rue de l'Hôtel de Ville auf die alte u. malerische Place du Bourg de Four aus, die von altertümlichen Häusern umrahmt ist. Bemerkenswert ist hier ein im Stile Mansards gehaltener massiver und äusserlich nüchterner Bau aus 1709, das Gerichtsgebäude (Palais de Justice), der früher als Spital diente (von dem damals gegenüber wohnenden Humoristen Töpffer in seinen «Nouvelles genevoises» oft erwähnt) und 1858 für seine heutige Bestimmung neu eingerichtet wurde.
Gehen wir weiter in der Richtung nach O., so kommen wir durch die Rue des Chaudronniers nach der ehemaligen Bastion Saint Antoine, die jetzt zur öffentlichen Anlage umgewandelt ist und an deren Rückseite sich die Kantonsschule anlehnt. Dieses ehrwürdige Gebäude, das sog. Collège de Saint Antoine, wurde von Calvin 1559 im Stile der damaligen Zeit errichtet und hat sich trotz zahlreicher nötig gewordener Neubauten und Umänderungen seinen ursprünglichen Charakter noch wohl bewahrt. Auch der weite Hof, in dem sich heute die Schüler tummeln, zeigt noch nahezu dasselbe Aussehen wie zu Calvins Zeiten. (Vergl. darüber: Thévenaz. Le Collège de Genève. Genève 1896).
Vom Rathaus gehen nach W. die Grand' rue und Cité aus, zwei einander fortsetzende Verkehrsadern, die als enge, düstere und steile Gassen in die Unterstadt hinabführen. Im Haus Nummer 40 der Grand' rue wurde Jean Jacques Rousseau geboren, während das früher mit einer darauf bezüglichen Denktafel versehene Haus in der Rue Rousseau (Quartier Saint Gervais) Eigentum des Grossvaters dieses Schriftstellers war. In ihrem untern Abschnitt erweitert sich die Cité zu einem unregelmässigen kleinen Platz, auf dem ums Jahr 1865 ein Brunnen mit Darstellungen aus der Escalade in bronzenen Bas-Reliefs errichtet worden ist. Weiterhin gelangt man zu der von prächtigen Bauten umrahmten Place de Bel Air, einem stark belebten Verkehrszentrum und Knotenpunkt des städtischen Strassenbahnnetzes. Von hier aus steigt bis gegen die Promenade de La Treille hin mit schwacher Böschung die Rue de La Corraterie an, die belebteste Verkehrsader von Genf und der beliebteste Spazierweg für Müssiggänger und Stutzer.
In weitem Bogen schliessen sich an die von uns soeben beschriebene und einst in einen Gürtel von Festungsanlagen eingezwängte Altstadt ausgedehnte Quartiere viel neueren Datums an. Hier sind in den breiten Strassen und den soliden hohen Häusern Luft und Licht in Fülle ¶
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vorhanden, und zahlreiche Gartenanlagen, öffentliche Spazierwege und baumgeschmückte Boulevards unterbrechen die Häusermassen. Während der einst von Mauern umschlossenen Altstadt zu ihrer räumlichen Entwickelung der Platz gefehlt hat und sich ihre wachsende Bevölkerung in engen Gassen und dicht geschaarten Häusern einpferchen musste, haben sich diese von jeder einengenden Schranke freien neuen Stadtteile ganz nach ihrem Belieben entwickeln und sogar auf die vorstädtischen Gemeinden ausdehnen können. Noch weiter nach Aussen folgt ein Gürtel von Villen. Nur gegen W. hin schliessen sich an die Altstadt mehr gewerbetreibende Quartiere an. Von der an und auf einem Hügel gebauten Altstadt unterscheiden sich diese Aussenviertel auch durch ihre Lage in einer einheitlichen Ebene, die einzig gegen SO. mit den Quartieren Champel und Malagnou etwas ansteigt.
Wenn wir der Rue de La Corraterie folgen, so kommen wir bald zur Place Neuve, dem grössten freien Platz im Weichbild von Genf, der einen ziemlich mächtigen Eindruck macht und von schönen Bauten eingefasst ist. In der Mitte steht das 1884 eingeweihte Reiterdenkmal des Generals Dufour, des Führers der eidgenössischen Truppen im Sonderbundsfeldzug, das vom Berner Bildhauer Lanz ausgeführt und dessen Kosten aus dem Ertrag einer allgemeinen schweizerischen Gabensammlung bestritten worden sind.
Rechts von der Einmündung der Corraterie in die Place Neuve bemerkt man das im altgriechischen Stil gehaltene und an äusserem architektonischen Schmuck ziemlich arme Musée Rath, das wegen der unmittelbaren Nachbarschaft des prachtvollen Theaters nicht recht zur Geltung kommen kann. Das 1825 erbaute Museum enthält die Sammlungen des Generales Rath (1766-1819), eines in russischen Diensten stehenden Genfers, die von seinen Erben der Stadt Genf geschenkt und von dieser mit Sorgfalt vermehrt worden sind, so dass sie heute noch die ansehnlichste Gemäldegalerie der Stadt bilden.
Der schönste Schmuck der Place Neuve ist aber das aus dem Legat des Herzogs von Braunschweig 1877-79 erbaute Theater mit seiner prachtvollen Renaissancefront. Schade ist nur, dass sich der bauleitende Architekt Gosse in seinen Plänen zu sehr an das Vorbild der Grossen Oper in Paris angelehnt hat. Bis 1879 hatte sich Genf mit einem bescheidenen Theatergebäude behelfen müssen, das dem jetzigen gegenüber an der Einmündung der Promenade des Bastions in die Place Neuve stand, aus dem Jahr 1782 datierte und 1880 abgetragen worden ist.
Ebenfalls an der Place Neuve erhebt sich der etwa aus 1857 stammende zierliche Bau des Musikkonservatoriums, das die Stadt der Freigebigkeit eines ihrer Bürger, Bartholoni, verdankt. Dem Theater gegenüber tritt man durch ein Monumentalgitter in die mit schattenreichen alten Bäumen bepflanzte Promenade des Bastions ein, an der die Büsten von zahlreichen verdienten und berühmten Genfer Bürgern stehen. Wir finden in dieser Genfer Ruhmeshalle die Brustbilder des Naturforschers François Jules Pictet de la Rive (1809-72), des Botanikers Edmond Boissier (1810-85), des Ingenieurs Jean Daniel Colladon (1802-93), des Staatsrates Antoine Carteret (1813-89), des Botanikers Augustin Pyramus de Candolle (1778-1841; von Pradier geschaffen und mit wertvollen Bas-Reliefs geschmückt), des Naturforschers Gosse (1753-1816; ein bescheidenes Denkmal, von der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft 1886 zu Ehren ihres Gründers gestiftet). Zu erwähnen ist ferner noch ein von Chaponnière gehauener David.
Ein Teil der Promenade des Bastions war früher dem von de Candolle 1816 angelegten botanischen Garten und den städtischen Gewächshäusern eingeräumt, die jetzt aber beide zusammen mit dem Herbier Delessert nach Varembé auf das von Gustave Revilliod der Stadt vermachte Landgut übergesiedelt sind. An der O.-Ecke der Promenade des Bastions steht als elegantes Bauwerk in italienischem Geschmack der Palais Eynard, einst Eigentum des berühmten Philhellenen, heute im Besitz der Stadt und von dieser zu einem Museum der schweizerischen Fauna umgewandelt.
Einige Säle sind den Damenklassen der städtischen Kunstschule (École municipale des Beaux-Arts) eingeräumt worden. Eine der Längsseiten der Bastions begleitet die 1868-72 erbaute Universität, bestehend aus drei in Gestalt eines Hufeisens angelegten umfangreichen Bauten, die unter sich durch Glasgallerien verbunden sind. Im Mittelbau befinden sich die Hörsäle (mit Ausnahme derjenigen für Chemie, Anatomie, Pathologie, Zahnheilkunde und Medizin, für die besondere Bauten vorhanden sind), in den beiden Flügeln das naturhistorische Museum bezw. die öffentliche Bibliothek und das archäologische Museum. Vor dem Haupteingang steht die Denkmalbüste des Naturforschers Carl Vogt, und im Vestibül des Mittelbaues sind die Büsten von Alphonse de Candolle, Auguste de la Rive, Marc Monnier, Amiel und Albert Richard aufgestellt.
In der Nähe der Place Neuve sind überhaupt die Mehrzahl der der Wissenschaft, Kunst und speziellen Unterrichtszwecken dienenden Bauten, sowie auch eine Anzahl von Kirchen und Kapellen verteilt. Wir nennen: die Victoria Hall, ein grosses Gebäude in florentinischem Stil, dessen Front mit einer vom Bildhauer Massarotti geschaffenen Statue der Harmonie geschmückt ist, dient als Konzertsaal, ist der Stadt vom ehemaligen englischen Konsul Barton in Genf geschenkt und 1894 eingeweiht worden;
die 1900 vollendete Handelsschule (École de Commerce);
die dem kunstgewerblichen Unterricht dienende École du Grutli;
das Athenäum mit Vortragssälen, Spezialbibliothek und einer ständigen Gemäldeausstellung;
das Chemiegebäude (École de Chimie);
das Wahlgebäude (Bâtiment Électoral) mit mächtigem Saal, in dem die Volksabstimmungen vorgenommen und Konzerte und Ausstellungen veranstaltet werden;
die 1859 erbaute Synagoge;
die 1860 erbaute Kirche Sacré Cœur, einst Freimaurerloge, heute dem römisch-katholischen Gottesdienst eingeräumt.
Zwischen Place Neuve und Rhone liegt das ernste Finanzviertel der Stadt mit seinen zahlreichen Bankgeschäften, der Börse, der Sparkasse, der Handelsbank (Banque du Commerce), dem Comptoir d'Escompte etc.
Ihrem Aeussern nach sehr verschieden von einander sind die die Altstadt und die Nachbarschaft der Place Neuve umrahmenden Aussenviertel, deren jedes sozusagen sein eigenes Gepräge hat und von ganz speziellen Bevölkerungskreisen bewohnt wird. Dieser lange Gürtel beginnt am Rhoneufer mit dem gewerbs- und volksreichen Quartier ¶