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1349 und 1430 wurde sie nochmals vom Feuer heimgesucht und mehr oder weniger schwer beschädigt, und 1556 schlug der Blitz in einen ihrer Glockentürme. So erklären sich die im Laufe der Zeit an der Kathedrale Saint Pierre vorgenommenen mannigfaltigen Umbauten und das verschiedene Alter und die sehr wechselnden Stilarten ihrer einzelnen Teile. Heute ermangelt der Bau, wenigstens äusserlich, vollständig jeder architektonischen Einheitlichkeit, indem z. B. der korinthische Portikus und die gotische und romanische Basilika durchaus nicht zu einander passen.
Durch seine schönen und wohltuenden Proportionen bemerkenswert ist dagegen das Innere der Kirche. Die Kathedrale als Ganzes hat die Gestalt eines lateinischen Kreuzes; ihr dreifach gewölbtes Längsschiff ist 62 m lang und das Querschiff 37 m breit. Ueber diesem letzteren erheben sich die drei Türme: der N.- und S.-Turm und dazwischen ein eleganter Spitzturm. Im N.-Turm befindet sich die vom Gegenpapst Clemens VII. gestiftete berühmte Glocke «La Clémence», deren Gewicht 6500 kg beträgt;
der S.-Turm N.-Turm ist vor Kurzem im gotischen Stil aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts restauriert worden.
Beide Türme sind je etwa 40 m hoch. Der im gotischen Stil des 15. Jahrhunderts 1898-99 erbaute Spitzturm steht an der Stelle eines einstigen (wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert stammenden) Glockentürmchens, ist 68 m hoch und enthält ein Glockenspiel.
Der den Chorherren zur Wohnung dienende Cloître stand zwischen der N.-Front der Kirche Saint Pierre und dem jetzigen Gefängnis L'Évêché (das selbst wieder den Évêché de Saint Pierre ersetzt hat) und umschloss die Gräber des Schriftstellers und Vertrauten von Heinrich IV. Agrippa d'Aubigné (gestorben 1630 im Exil in Genf), des Barons Johann von Kaunitz (dessen Körper bei der Eröffnung des Zinnsarges 115 Jahre nach seinem Tode vollkommen erhalten geblieben war), des Staatsmannes und Chronisten Michel Roset, von Théodor de Bèze und vielen anderen berühmten Persönlichkeiten.
Nachdem der Cloître 1721 abgebrochen worden war, führte man die in ihm befindlichen Grabsteine in die Kirche Saint Pierre über, wo sie heute noch zu sehen sind. Rechts vom Seiteneingang zur Kirche bemerkt man ferner noch einen auf zwei Löwen ruhenden schwarzmarmornen Sarkophag mit moderner sitzender Figur aus der Hand des Bildhauers Iguel: es ist dies das Grabmal des Herzogs Heinrich von Rohan (Führers der Reformierten zur Zeit von Ludwig XIII., bei der Belagerung von Rheinfelden 1638 getötet), seiner Gemahlin Marguerite de Sully und ihres Sohnes Tankred. In der Makkabäerkapelle hat man die Reste des Grabmales des Kardinals Jean de Brogny, der das Konzil zu Konstanz leitete und 1426 starb, wieder aufgefunden.
Das Innere von Saint Pierre ist geschmückt mit Glasmalereien, mit geschnitzten Kirchenstühlen aus dem 15. Jahrhundert und dem angeblichen Stuhl Calvins. An die S.-Front der Kathedrale lehnt sich die gotische Makkabäerkapelle an, die vom Kardinal de Brogny 1406 erbaut worden ist, früher dem Gymnasium und der theologischen Fakultät als Hörsaal eingeräumt war und im Zeitraum 1878-88 restauriert und mit Glasmalereien geschmückt wurde. (Vergl. Blavignac. Description de l'église de Saint Pierre in den Mémoires de la Soc. d'hist. et d'archéol. Tome IV, 1845).
Gegenüber der Kathedrale und von ihr durch eine Gasse getrennt lehnt sich an die Häuser eine der ältesten Kirchen Genfs an, früher Sainte Marie La Neuve oder Notre Dame La Neuve, heute l'Auditoire geheissen. Die Zeit ihrer Erbauung ist nicht bekannt, doch muss sie auf jeden Fall erst nach dem Jahr 1100 erstanden sein. Heute dient sie dem Konsistorium und dem Kapitel der Geistlichen (Compagnie des Pasteurs) als Sitzungslokal.
Im gleichen Stadtteil finden wir noch eine Anzahl von anderen kirchlichen Bauten verschiedener Konfessionen. Wir wollen davon nur die in der Rue des Granges stehende Kirche Saint Germain erwähnen, von deren Entstehung man nur weiss, dass sie schon 1218 vorhanden war. Nachdem sie 1334 einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen, baute man sie zu einer uns ebenfalls unbekannten Zeit neu auf. 1803 überliess man die Kirche für drei Jahre dem römisch-katholischen Kultus; heute ist sie der altkatholischen Landeskirche eingeräumt.
Auch die Oberstadt weist ein ihr eigentümliches Gepräge ¶
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auf. Ihre Gassen werden von gleichmässigen Häuserreihen begleitet, die zwar von der Zeit geschwärzt worden sind, aber eine wohltuend korrekte Bauart zeigen. Die in der Unterstadt herrschende Geschäftigkeit mit ihrem Lärm versteigt sich kaum bis in diese oberen Quartiere, die still und wenig belebt sind und wo sich auch nur wenige Werkstätten finden. Viele dieser Häuser erinnern uns an berühmte Namen, indem hier Calvin und Rousseau und die Geschlechter de Candolle, Pictet de la Rive, de Saussure u. a. ihre Stammsitze hatten und z. T. noch haben.
In diesem ehrwürdig-nüchternen Quartier hat im Rathaus (Hôtel de Ville) die Kantonsregierung ihren Sitz. Das schwerfällig massive Gebäude in florentinischem Stil trägt ein hohes überhängendes Dach und hat in seinem Innern anstatt einer Haupttreppe einen sanft ansteigenden gepflasterten Gang, der es den Ratsherren einst ermöglichte, in der Sänfte oder auch wohl hoch zu Pferd in die obern Stockwerke hinauf zu gelangen. In der sog. Salle d'Alabama hielt das Schiedsgericht seine Sitzungen, das die zwischen England und den Vereinigten Staaten schwebende Alabamafrage entschied. Im Sitzungszimmer des Staatsrates sind vor Kurzem interessante Wandmalereien aus dem 16. Jahrhundert zum Vorschein gekommen, die man sorgfältig restauriert hat. (Vergl. darüber: Dunant, Emile. Les fresques de l'Hôtel de Ville. Genève 1902). Das Rathaus lehnt sich an die Tour Baudet an, einen kleinen viereckigen Burgturm, dessen Erbauung die Ueberlieferung dem Frankenkönig Gondubald zuschreibt; es ist aber wahrscheinlicher, dass er erst im 15. Jahrhundert als Sitzungslokal der Genfer Behörden erstellt worden ist.
Heute birgt die Tour Baudet das genferische Staatsarchiv, eine sehr reiche Sammlung mit den Sitzungsprotokollen der Genfer Räte seit 1400 (300 Foliobände), dem Orginaltext der «Franchises» des Bischofes Adhémar Fabri aus 1387 und mehreren die Rechtsansprüche der Bischöfe von Genf betreffenden Erlassen der deutschen Kaiser. Vom Rathaus führt ein Säulengang zu der Promenade de La Treille, einer mit Bäumen bepflanzten erhöhten Terrasse, von der aus sich dem Beschauer eine ausgedehnte Rundsicht bietet. Gegenüber dem Eingang zum Rathaus steht ein altes Gebäude, das von einer Reihe von schönen Säulen gestützt und unter dem Vordach mit Fresken von Beaumont, Szenen aus der Geschichte Genfs darstellend, geschmückt ist: das Zeughaus (Arsenal). Hier hat man das historische Museum untergebracht, eine Sammlung von Rüstungen, Fahnen und Waffen aus der kriegerischen Vergangenheit Genfs.
Nach O. mündet die Rue de l'Hôtel de Ville auf die alte u. malerische Place du Bourg de Four aus, die von altertümlichen Häusern umrahmt ist. Bemerkenswert ist hier ein im Stile Mansards gehaltener massiver und äusserlich nüchterner Bau aus 1709, das Gerichtsgebäude (Palais de Justice), der früher als Spital diente (von dem damals gegenüber wohnenden Humoristen Töpffer in seinen «Nouvelles genevoises» oft erwähnt) und 1858 für seine heutige Bestimmung neu eingerichtet wurde.
Gehen wir weiter in der Richtung nach O., so kommen wir durch die Rue des Chaudronniers nach der ehemaligen Bastion Saint Antoine, die jetzt zur öffentlichen Anlage umgewandelt ist und an deren Rückseite sich die Kantonsschule anlehnt. Dieses ehrwürdige Gebäude, das sog. Collège de Saint Antoine, wurde von Calvin 1559 im Stile der damaligen Zeit errichtet und hat sich trotz zahlreicher nötig gewordener Neubauten und Umänderungen seinen ursprünglichen Charakter noch wohl bewahrt. Auch der weite Hof, in dem sich heute die Schüler tummeln, zeigt noch nahezu dasselbe Aussehen wie zu Calvins Zeiten. (Vergl. darüber: Thévenaz. Le Collège de Genève. Genève 1896).
Vom Rathaus gehen nach W. die Grand' rue und Cité aus, zwei einander fortsetzende Verkehrsadern, die als
enge, düstere und steile Gassen in die Unterstadt hinabführen. Im Haus Nummer 40 der Grand' rue wurde Jean Jacques Rousseau
geboren, während das früher mit einer darauf bez
üglichen Denktafel versehene Haus in der Rue Rousseau (Quartier Saint Gervais)
Eigentum des Grossvaters dieses Schriftstellers war. In ihrem untern Abschnitt erweitert sich die Cité
zu einem unregelmässigen kleinen Platz, auf dem ums Jahr 1865 ein Brunnen mit Darstellungen aus der Escalade in bronzenen
Bas-Reliefs errichtet worden ist. Weiterhin gelangt man zu der von prächtigen Bauten umrahmten Place de Bel Air, einem
stark belebten Verkehrszentrum und Knotenpunkt des städtischen Strassenbahnnetzes. Von hier aus steigt bis gegen die Promenade
de La Treille hin mit schwacher Böschung die Rue de La Corraterie an, die belebteste Verkehrsader von Genf
und der beliebteste
Spazierweg für Müssiggänger und Stutzer.
In weitem Bogen schliessen sich an die von uns soeben beschriebene und einst in einen Gürtel von Festungsanlagen eingezwängte Altstadt ausgedehnte Quartiere viel neueren Datums an. Hier sind in den breiten Strassen und den soliden hohen Häusern Luft und Licht in Fülle ¶