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Kumme, Ueschinenthäligletscher und Engstligengrat nach Adelboden; dieser letztgenannte Weg ist in neuester Zeit beträchtlich verbessert worden, erfordert für die Strecke Hotel Wildstrubel-Adelboden 5 Stunden und wird seiner wiederholt sich bietenden prachtvollen Aussicht wegen stark begangen). In dem auf der nördlichen Abdachung der Gemmi eingeschnittenen Hochthälchen in grossartig wilder Lage der 1,8 km lange kleine Daubensee (2214 m). W. der Passhöhe öffnet sich das vom Lämmerngletscher (SO.-Hang des Wildstrubel) herabsteigende und vom Lämmernbach (Zufluss zum Daubensee) entwässerte kleine Lämmernthal.
Von der Passhöhe an wendet sich der Gemmiweg, im SO. von den Plattenhörnern und vom Rinderhorn überragt, nach NO., folgt dem O.-Ufer des Daubensees, geht an dem über einem kleinen See stehenden Gasthaus Schwarenbach vorbei, steigt dann ab, überschreitet die hier weit nach N. übergreifende Kantonsgrenze des Wallis und durchzieht der Länge nach die von den Gletscherlawinen der Altels (besonders 1895) schrecklich verwüstete grosse Alpweide der sog. Spitalmatte.
Nachdem der Weg, weiterhin hoch über dem linken Ufer des Schwarzbaches sich haltend, den Punkt Zum Stock erreicht hat, öffnet sich von rechts das zwischen die gewaltigen Felswände des Balm- u. Doldenhorns tief eingeschnittene Gasterenthal; endlich steigt man «In den Kehren» über eine Reihe von Strassenschlingen rasch zum breiten Thalboden von Kandersteg ab, der weithin mit zahlreichen Häusern und Hütten übersät ist. Hier endigt der eigentliche Gemmiweg, der nun von der thalauswärts führenden Strasse abgelöst wird.
Die Gemmi ist ein sehr alter Passweg und soll nach Heierli schon in der Bronzezeit begangen worden sein. Der Name erscheint in der Form «Curmilz» zum erstenmal in einer Urkunde von 1252, die das zwischen der Stadt Bern und dem Bischof von Sitten geschlossene Bündnis betrifft und unter anderem bestimmt, dass alle ausgebrochene discordia (Meinungsverschiedenheit) in plano de Curmilz (Gemmi) sive in Senenz (Sanetsch) geschlichtet werden solle. Daraus folgt, dass damals schon die Grenze des Wallis nach N. bis zur heutigen Spitalmatte übergegriffen hat. (Vergl. Gremaud, Jean. Documents relatifs à l'histoire du Valais I in Mémoires et docum.; p. p. la Soc. d'hist. de la Suisse rom. vol. 29; ferner Fontes rerum Bernensium. Vol. II).
Vermutlich war auch schon zu jener Zeit die Spitalmatte mit Leuk und dem Rhonethal durch einen Weg verbunden. In einer eine Grenzstreitigkeit zwischen den Gemeinden Leuk und Frutigen betreffenden Urkunde von 1318 ist die Rede von einem auf Boden von Leuk stehenden hospitale (Hospiz) in monte de Curmyz. (Vergl. Gremaud. A. a. O. III, Vol. 31). Dieser alte Name Curmilz oder Curmyz ist vom latein. culmen (= Gipfel, Höhe) herzuleiten und wurde von den Bewohnern von Les Bois (dem heutigen Leukerbad) der Gesamtheit der das Thal im N. abschliessenden Bergmassen beigelegt. Als «Gemmi» erscheint der Pass schon auf der von dem Zürcher Konrad Türst 1495-97 hergestellten Schweizerkarte mit dem Vermerk: gat ganz hin uf bis uf die höche der Gemmi, aber wohl XI M. Schritt. Die Karte von Aegidius Tschudi (1538) nennt ihn die Gämmi. In seiner Cosmographia universalis (ed. lat. 1550) sagt Sebastian Münster: Ab oppido quoque Leuck, per thermas Leucenses, via est valde frequens versus Bernam.
Mons quem trajicere oportet est altissimus, quem Gemmi vocant, de quo infra copiosius, quia hune ipsum ascendi. (Deutsche Ausgabe 1598: Es hat auch ein starcken Passz von Leuck neben dem Leucker Bad auff Bern, uber den Berg Genuni genannt, von dem ich hie unden sagen will, dann ich bin jhn auffgestigen). Und später bei Anlass der Schilderung seines Ueberganges über den Pass von Leukerbad aus: Undique fere consurgunt in coelum montes et horrenda saxa, qui locum istum sic claudunt, ut nullibi pateat exitus sine ingenti labore et sudore, praeterquam ad oppidum Leug, ut jam diximus, ad quod inter montes lenis et perpetuus est descensus. Ad occidentem thermarum eri- ¶
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guntur saxa in coelum, quae sine mentis stupore, ob eorum altitudinem, praecipitia et scissuras inspici nequeunt. Aliqua etiam sic hiant perinde ac si minentur ruinam, oppressura omnia quae sunt in subjecta planicie. Retorquentur autem ab occidente in septentrionem, suntque intercisa magnis hiatibus et scissuris, per quos iter est inventum, auf magis hominum labore factum, per quod magno sudore et labore ascenditur, vocaturque eo loco saxosus ille mons Gemmi. Ascendit iter recta in altum in modum fere cochleae, habens perpetuas ambages et flexuras parvas ad laevam et dextram, estque iter valde angustum et periculosum, maxime ebrijs et his qui vertigine Laborant.
Quocunque enim demittuntur oculi, apparet chaos immensae profunditatis, quam egre etiam intueri possunt hi qui robustiori sunt capite. Gerte ego non ascendi hunc montem citra tremorem ossium et cordis. (Deutsch: ... Gegen Mitnacht kehren sich die Felsen herumb, haben viel schrunden und enge Klüfften, durch welche ein Weg gefunden ist, in dem man mit grosser müh hinauff kommen mag, und heisst der Feiss am selbigen ort der Gemmi. Dieser Weg geht nicht stracks hinauff, dann es were unmüglich solcher weiss zuersteigen, sondern krümpt sich hin und wider zur Lincken und zur Rechten mit kleinen unnd gantz schmalen Gängen: so einer neben dem Weg hinab siehet, kompt jhm ein grawsame tieffe entgegen, die kaum ohn schwindel des Haupts mag angeblickt werden. Ich weiss wol da ich auss dem Bad auff den Berg stig, den zu besichtigen, zitterten mir mein Hertz und Bein).
Johannes Stumpf beschreibt in seiner Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Chronik (Zürich 1548) die Gemmi wie folgt: Es ist ein vast hoher und grausamer berg, doch zimlich wandelbar, also dass man mit Rossen darüber wol faren mag. Ganz im Sinne seiner Zeit leitet der Zürcher Josias Simler in seiner Vallesiæ Descriptio (1574) den Namen der Gemmi a gemitu, d. h. von dem Gestöhne und den Seufzern derjenigen her, die diesen hohen und mit beständigen Gefahren drohenden Pass übersteigen müssen; er fügt hinzu, dass Alle, die an solche Abgründe nicht gewöhnt seien, beim Aufstieg zu Pferd oculos propter vertiginem capitis velare coguntur. J. J. Scheuchzer, der die Gemmi 1705 und 1709 überschritt, hat mehrere Ansichten des Passweges gezeichnet und veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass der ursprüngliche Weg nicht über die nö. von der Gemmi gelegene sog. Alte Gemmi führte (wie dies eine alte Ueberlieferung will).
Diese Ansicht wird bestätigt durch die von Rev. W. A. B. Coolidge in der Walliser Monatsschrift veröffentlichten Originalberichte über die vorgenommenen Wegverbesserungen, die u. a. auch erzählen, dass der Weg so schlecht gewesen sei, dass ein Pferd nur eine halbe Last (un demi-voyage) über den Pass zu tragen vermocht habe und dass jede über den Pass getriebene Kuh von einem Manne habe begleitet werden müssen. Im Jahre 1739 entschloss man sich, den Weg zu verbessern, zu welchem Zwecke zunächst im ganzen Wallis freiwillige Gaben gesammelt wurden. Da der erste Unternehmer, der Tiroler Anton Lang, den an ihn gestellten Anforderungen nicht Genüge leistete, wurde er noch im gleichen Jahr 1739 durch seinen Landsmann Christ. Rudolph ersetzt. 1740 arbeiteten an dieser Wegkorrektion beständig je 55-80 Mann, doch zog sich deren Vollendung des schlechten Wetters wegen bis 1741 hinaus. 1742 und 1743 folgten noch einige kleinere Ergänzungsarbeiten; 1742 baute man das Wirtshaus Schwarenbach, das schon am durch eine Lawine zerstört, aber an anderer Stelle sofort wieder durch einen Neubau ersetzt wurde.
Wenig n. vom Gasthaus Schwarenbach liegt die grosse Alpweide der Spitalmatte, die am und neuerdings am durch ungeheure Eislawinen von der Altels her schrecklich verwüstet worden ist. Am Abstieg gegen Leuk bezeichnet ein an der Felswand stehendes Steinkreuz die Stelle, wo 1861 die Baronin d'Herlincourt in den Abgrund gestürzt ist. Früher pflegten sich die Bewohner der umliegenden Thalschaften auf der Passhöhe zeitweise zur Abhaltung von Ringkämpfen und anderen Belustigungen zu versammeln.
Von besonderem Interesse ist die Gemmi auch in geologischer Beziehung. Hier steigt die zunächst nach S. abtauchende Muldenbiegung der Wildstrubelfalte wieder auf, lässt den tertiären Muldenkern zu Tage anstehen und geht auf die n. Flanke der Kette über. Damit überkippt die Falte an der n. Abdachung des kristallinen Finsteraarmassives, das vom Lötschenpass an die ursprüngliche sedimentäre Decke überlagert und gegen O. zu mehr und mehr ansteigt. Die Erosion hat dann aus den wenig widerstandsfähigen Schichten des Muldenkerns die Senke der Gemmi derart herausgearbeitet, dass der den Pass im NW. begleitende Kamm aus dem Neocom des Gewölbeschenkels, der SO.-Grat dagegen aus der Schichtenreihe des Muldenschenkels (Neocom, Jura und Trias) besteht. Das Ganze ruht auf kristalliner Unterlage und ist stark zerknittert und vielfach gefaltet.
Gegen Ende Juni bedeckt sich die Passsenke der Gemmi, namentlich die Strecke zwischen Schwarenbach und dem Hotel Wildstrubel, mit einem prachtvollen Blumenteppich, dem eine grosse Anzahl von alpinen Pflanzenarten eingewoben sind. Von deren bemerkenswertesten nennen wir Anemone baldensis, Ranunculus parnassifolius, Lychnis alpina, Salix caesia und S. myrsinites, Crepis pygmaea, Alsine laricifolia, Oxytropis lapponica. Alle diese sonst der S.-Kette eigenen Arten finden sich hier, weil die klimatischen Verhältnisse auf der Gemmi noch unter dem Einfluss derjenigen des Rhonethales stehen.
[Eug. De La Harpe.]