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liegen mit einander beinahe in einer geraden Linie, stehen beide senkrecht auf den S.-Strahl und begleiten eine Strecke weit das Thal der Schwarzen Lütschine im S.
Die letzte Unterabteilung der n. Hälfte der Finsteraarhorngruppe wird begrenzt von der Schwarzen Lütschine, der Grossen Scheidegg, dem Reichenbach, der Aare und dem Brienzersee. Hier herrscht Parallelstruktur von kleinen SW.-NO. streichenden Ketten vor, die im allgemeinen als ziemlich breite Rücken ausgebildet sind und zwischen denen nur wenig tiefe und stellenweise durch Querketten wieder gegliederte Thalfurchen sich finden. An Länge und Höhe die wichtigste dieser kleinen Parallelketten ist die südlichste, die des Faulhorns.
Sie beginnt im W. mit dem Kamm der Winteregg (2570 m), setzt sich über das Faulhorn (2683 m) nach O. im Felskamm des Hinterbirg bis zum Schwarzhorn (2930 m) fort, biegt hier auf eine kurze Strecke bis zum Wildgerst (2892 m) scharf nach N. ab, geht dann bis zur Garzenscheer (2618 m) wieder in die allgemeine NO.-Richtung über und spaltet sich hier in einen S.-Ast mit den Schöniwanghörnern (2448 m) und dem Tchingelhorn (2324 m) und einen mit dem Wandelhorn (2306 m) abschliessenden NO.-Ast.
Das Faulhorn selbst sendet nach S. den kurzen Kamm des Simelihorns (2752 m) und des Rötihorns (2759 m) und einen mit dem sogleich noch zu nennenden Schwabhorn sich verknüpfenden N.-Grat aus. Die zweite der Parallelketten ö. der Schwarzen Lütschine beginnt im W. mit dem Schilthorn (1822 m), streicht, der Winteregg parallel und von ihr durch das schmale aber wenig tiefe Weitthal getrennt, über das Stellihorn (2080 m) und die Sägishörner (2427 m) zum Schwabhorn (2376 m), nimmt dann bis zum Einschnitt des Giessbaches an Höhe beträchtlich ab und setzt sich jenseits desselben mit einer Reihe von Felsgipfeln (Tschingel 2245 m, Axalphorn 2327 m und Oltschikopf 2238 m) bis zur Aare fort, zu der sie in terrassierten Felswänden abbricht.
Die Felsgruppe des Gummihorns (2101 m) mit dem berühmten Aussichtspunkt der Schinigen Platte (1970 m) bezeichnet den Ausgangspunkt der dritten Parallelkette, die sich über Laucherhorn (2235 m), Schrännigrat (2278 m), Lägerhorn (2297 m), Furggehorn (2172 m), Bättenalpburg (2133 m) und Litschenburg (2116 m) zieht und im Winkel zwischen Giessbach und Brienzersee in eine Reihe von breiten Rasen- und Waldrücken auflöst. Der NW.-Hang dieser Kette steigt sanft zum Brienzersee ab, nach SO. ist sie mit der vorhergehenden durch die zwei kurzen Seitenäste von der Schränni zu den Sägishörnern und von der Bättenalpburg zum Schwabhorn verknüpft.
Von den zahlreichen im Gebiet der Finsteraarhorngruppe tätigen Forschern haben zu ihrer Kenntnis am Meisten beigetragen Franz Josef Hugi, Arnold Escher von der Linth, Bernhard Studer, Karl Vogt, Louis Agassiz, Eduard Desor, John Tyndall, Dollfus-Ausset, Edmund von Fellenberg u. A. Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, dass die Gruppe des Finsteraarhorns, zusammen mit derjenigen des Matterhorns, ein Hauptziel des Fremdenstroms geworden ist, dessen gefahrvolle Hochgebirge die Alpinisten und dessen bald ernste und erschreckende, bald liebliche und malerische Landschaft die Sommerfrischler aus aller Herren Ländern anziehen.
Die bald bis an den Fuss der Gemmi ihre Fortsetzung findende Thunersee- und Simmenthalbahn (Frutigen-Spiez-Erlenbach-Zweisimmen), die durch die Linie über die Kleine Scheidegg mit einander verbundenen Bahnen nach Grindelwald und Lauterbrunnen, die Drahtseilbahn Lauterbrunnen-Mürren und die Jungfraubahn gestatten den Reisenden das mühelose Eindringen bis ins Herz der Hochgebirge oder doch zum mindesten bis an den Fuss der dieses ganze Gebiet beherrschenden Bergriesen.
Dazu kommen die zahllosen guten Gasthöfe, die auch ihrerseits den Weltruf des Berner Oberlandes mit begründet haben. Endlich haben der Schweizerische Alpenklub und Privatinitiative mitten im Gipfel- und Firngebiet der Finsteraarhorngruppe zahlreiche Schutzhütten geschaffen, die dessen Erforschung nach allen Richtungen hin ungemein erleichtern. Es sind dies: die Doldenhornhütte, 1900 von den Führern von Kandersteg erbaut;
Blümlisalp- oder Hohtürlihütte (2760 m), Ausgangspunkt für Hochtouren im Gebiet der Blümlisalp;
Mutthornhütte (ca. 2900 m);
Nest- oder Bietschhütte (2573 m), am Fuss des Bietschhorns, dem Gasthof Ried gehörend;
Oberaletschhütte (2650 m), am linken Ufer des Oberaletschgletschers;
Konkordiahütte (2870 m), am Fuss des Kamm und am linken Ufer des Grossen Aletschgletschers;
Rotthalhütte (2764 m), am Fuss der Jungfrau und am rechten Ufer des Rotthalgletschers;
Guggihütte, am Fuss des Mönch und am rechten Ufer des Guggigletschers;
Berglihütte (3299 m), auf einem aus dem Grindelwalder Fieschergletscher aufragenden Felssporn;
Schwarzegghütte (2500 m), am Fuss des Schreckhorns und am rechten Ufer des Unter Grindelwaldgletschers;
Glecksteinhütte (2345 m), auf einem Felsrücken über dem rechten Ufer des Ober Grindelwaldgletschers;
Dossenhütte (2750 m), nahe dem linken Ufer des Rosenlauigletschers;
Oberaarjochhütte (3180 m), auf der Passhöhe des Oberaarjoches;
Oberaargletscherhütte (2258 m), vor der Front des Oberaargletschers;
der Pavillon Dollfus (2393 m), am linken Ufer des Unteraargletschers, heute Eigentum des S. A. C. Dieser Liste mag noch eine Reihe von Gasthöfen beigefügt werden, die mitten im Hochgebirgsgebiet hoch genug gelegen sind, um gleich den Hütten als Ausgangspunkte für Hochtouren dienen zu können: die Gasthofe Schwarenbach (2067 m) und Wildstrubel (2329 m), beide an der Gemmi;
das Hotel Jungfrau (2193 m), am Hang des Eggishorns;
Hotel Belalp (2137 m), am Fuss des Sparrhorns und hoch über dem Grossen Aletschgletscher;
Grimselhospiz (1875 m);
Hotel Bellevue (2064 m), an der Kleinen Scheidegg, Standquartier für die Besteigung des Eiger;
u. a.
Diese Hütten und Gasthöfe und die erfahrenen und tüchtigen Führer des Berner Oberlandes und Lötschenthales gestatten eine Masse von Hochgipfeltouren in der Gruppe des Finsteraarhorns: Wetterhorn, Jungfrau, Mönch, Eiger, Finsteraarhorn, Mittelhorn, Schreckhörner, Lauterbrunnen Breithorn, Hockenhorn, Balmhorn, Blümlisalp u. a. werden jedes Jahr erklettert;
andere Gipfel, die weniger hoch sind und keine Schwierigkeiten bieten, erhalten während der schönen Jahreszeit täglich Besuch.
Diese dem eigentlichen Herzen des Hochgebirges im N. und S. vorgelagerten Gipfel zweiter Ordnung bieten prachtvolle Gelegenheit, die um das Finsteraarhorn aufragende Schaar von Spitzen und das dazwischen gebettete Chaos von Gletschern und Firnfeldern aus nächster Nähe zu bewundern. Die berühmtesten dieser Aussichtspunkte sind Faulhorn, Männlichen, Schilthorn, Sulegg, Lauberhorn, Rötihorn, Klein Sidelhorn, Torrenthorn u. a., denen man als nicht weniger berühmt noch die am Hang des Gummihorns liegende Terrasse der Schinigen Platte beifügen muss, auf die man heute vermittels einer Zahnradbahn bequem gelangen kann.
Die mächtige Verbreiterung des mittlern und östlichen Abschnittes der Finsteraarhorngruppe gestaltet dieses Gebiet der Alpen zu einem für die Ausbildung von Firnfeldern und Gletschern ausserordentlich geeigneten Einzugsbecken. Deshalb enthält unsere orographische Gruppe des Finsteraarhorns auch die grössten Eismassen von ganz Europa (die arktischen Gebiete des Erdteiles natürlich ausgenommen). Der ausgedehnteste aller dieser Eisströme ist der Grosse Aletschgletscher, der 24 km lang ist, eine Fläche von 103 km2 bedeckt und dessen ungeheures Einzugsgebiet den von uns früher beschriebenen zentralen Zirkus der Finsteraarhorngruppe umfasst.
Dann lassen sich nennen der mit dem Fiescherfirn zusammen 14 km lange Walliser Fieschergletscher, der mit dem Unteraargletscher, seiner Fortsetzung, zusammen 12 km lange Finsteraargletscher, der Ober Aletschgletscher und Unter Grindelwaldgletscher mit je 8 km Länge etc. Die Gesamtfläche der Firn- und Gletschergebiete in der Gruppe des Finsteraarhorns kann auf 500 km2 beziffert werden. Es gibt hier 16 Gletscher erster Ordnung (Thalgletscher) und über 100 Gletscher zweiter Ordnung (Hängegletscher etc.). Der Druck der ungeheuern Eismassen lässt in unserem Gebiet die Gletscher sehr tief in die Thäler heruntersteigen, tiefer als sonst irgendwo in unsern Breiten. So hat z. B. der Grindelwaldgletscher vor seiner jetzigen Rückzugsperiode einst bis in etwa 900 m hinuntergereicht, d. h. bis in die Zone der Kirschbäume. Das untere Ende des Grossen Aletschgletschers liegt in 1353 m, des Walliser Fieschergletschers in
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1500 m, des Rosenlauigletschers ebenfalls in etwa 1500 m, des Oberaargletschers in 1877 m. Endlich sei noch betont, dass die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen über Gletscher im Gebiet der Finsteraarhorngruppe, und hier besonders am Unteraargletscher angestellt worden sind, zuerst von Franz Josef Hugi, dann von einer ganzen Schaar von Schweizer Gelehrten wie Louis Agassiz, Eduard Desor, César Nicolet, Karl Vogt, Bernhard Studer u. a., und endlich von Ausländern wie Charles Martins, James Forbes, Dollfus-Ausset, John Tyndall u. a.
Wenn wir die Resultate unserer Wanderung durch die Finsteraarhorngruppe noch einmal zusammenfassen wollen, so ergeben sich als charakteristische Hauptzüge zunächst die ungeheure Entwicklung ihrer Firn- und Eisgebiete und dann ihr komplexer orographischer Aufbau, der die Erkennung einer zentralen Achse mit davon ausgehenden Seitenzweigen zu einer so ausserordentlich schwierigen Aufgabe gestaltet.
Geologie.
Die geologischen Verhältnisse der S.-Hälfte der Finsteraarhorngruppe sind hauptsächlich von Emmanuel v. Fellenberg und Armin Baltzer untersucht worden. Von besonderem Interesse ist hier die unmittelbare Ueberlagerung der Gneise durch die Jurakalke und die daraus sich ergebende Kontaktzone zwischen diesen beiden Formationen mit ihren eigentümlichen Dislokationserscheinungen. Diese Kontaktzone lässt sich auf der N.-Seite der Gruppe an Jungfrau, Mönch, Eiger, Wetter- und Wellhorn verfolgen; sie beginnt über Lauterbrunnen und setzt sich nach O. zu bis weit ausserhalb die Grenzen der Gruppe, d. h. bis an die Reuss auf eine Länge von etwa 60 km fort.
Die beiden Formationen, Kalk und Gneis, haben vereinigt sehr wechselvolle Faltenbiegungen erlitten. Die Falten sind an manchen Stellen schief; es erscheinen dann die Juraschichten oft in Form eines Keiles tief in die Gneise hineingepresst, oder es werden die Sedimentgesteine von den Gneisen überlagert (wie am Wetterhorn, Mönch und an der Jungfrau). Am Gstellihorn, im Hintergrund des Urbachthales und an andern Orten wiederholen sich die Falten mehrmals, wodurch Gneise und Kalke einander gegenseitig vielfach ablösen und ganz ineinander geknetet erscheinen.
Die ursprünglich noch vorhandenen Faltenumbiegungen sind später durch die Tätigkeit von Erosion und Verwitterung abgetragen worden, so dass man jetzt nur noch entweder Reste von Kalkfalten isoliert mitten in Gneisen oder vereinzelte Gneisfetzen mitten in Kalkschichten (Gipfel des Mönch und Gstellihorns) antrifft. Das Finsteraarhornmassiv ist nicht symmetrisch gebaut (vergl. das geolog. Querprofil). Es besteht zum grössten Teil, namentlich in den zentralen Abschnitten, aus krystallinen Gesteinsarten: Gneis, mehr oder weniger schiefrig, übergehend in Augengneis, Granitgneis oder Protogin (Hühnerstöcke, Bächlistöcke, Brunberghörner, Juchlistöcke, Hühnerthälihörner), in Serizitgneis (Ritzlihorn) oder auch in Amphibolgneis (Finsteraarhorn, Grünhorn, Oberaarhorn). An die Gneise schliesst sich nach S. eine beinahe bis zur Rhone reichende breite Zone von Casannaschiefern an, die an einigen Stellen wieder Uebergänge in Gneis zeigen.
Dieser Zone von Casannaschiefern gehören an das Lötschenthal, die Bietschhornkette (mit Ausnahme der aus Amphibolschiefern aufgebauten höchsten Teile) und der Petersgrat, an dessen N.-Hängen aber hier und da Granite und Verrucanofetzen anstehen. Grünliche oder rosarote Granite finden sich auch im obersten Abschnitt des Gasternthales zwischen Alpetligletscher und dem Fuss des Balmhorns. Die Kette der Blümlisalp besteht aus mächtig entwickelten Juraschichten (Dogger und Lias), die nach N. fallen und unter denen mancherorts Dolomite und Verrucano zu Tage anstehen. Auch die Gruppe des Balmhorns gehört in ihren Gesteinen der Hauptsache nach den Schichten des untern und mittleren Jura an, die wiederum auf den Quarzsandsteinen des Verrucano ruhen. Zwei der Vorberge des Balmhorns endlich, das Klein Rinderhorn und Tatlishorn, sind Ueberreste von Kreide- und Jurafalten.
Die n. Hälfte der Finsteraarhorngruppe besteht (im Gegensatz zu der vorwiegend krystallinen S.-Hälfte) der Hauptsache nach aus Sedimentgesteinen der sekundären Formationsgruppe. An den Grenzen trifft man aber auch hier und da, besonders im nw. Abschnitt, auf tertiäre Schichten. Die Thalböden sind, wie überall, mit Gebilden quaternären Alters (Alluvionen, Sturzschutt, Tuffen etc.) überführt. Hier herrschen Absätze der mittlern Jurazeit vor, und aus Juragestein besteht auch die grosse Mehrzahl aller Gipfel. Im Abschnitt zwischen Kander und Kienthal tritt auch Lias (Sinémurien) auf, der mit dem Dogger zusammen die kurze Kette der Wittwe aufbaut; der an die Wittwe im rechten Winkel anschliessende Ast gehört dagegen der Kreide (Neocom und Urgon) an. Nach N., wo alle diese Ketten sich beträchtlich absenken, tauchen Jura und Kreide unter eine beträchtliche Decke von eocänem Flysch und Nummulitenkalk. - Zwischen Kienbach und Lütschine besteht das Hufeisen des Schilthorns mit allen seinen Verzweigungen und dem dazwischen gelegenen Gebiet aus unterem und oberem Jura, der nach N. von einer Kreidezone (Urgon u. Berrias) überlagert wird, die noch weiter n. ihrerseits wieder unter den Flysch taucht. - Im Dreieck zwischen beiden Lütschinen, dessen Mittelpunkt der Männlichen ist, herrschen durchaus Juraschichten (unterer und oberer Dogger) vor, mit Ausnahme eines s. über Grindelwald hinziehenden Flyschbandes. - Die gleichen Verhältnisse treffen wir auch überall ö. der Lütschine, wo die ganze Reihe der durch Oxfordmulden von einander getrennten und durch die Erosion an den Umbiegungsstellen abgetragenen Doggergewölbe nach N. überliegt.
Immerhin zeigen sich in der dem Brienzersee nächstgelegenen Kette auch Kreidereste (Berrias) und längs des Reichenbaches ein langes Band von Flysch und Nummulitenkalk. Für Einzelheiten vergl. Baltzer, Armin. Der mechan. Kontakt von Gneis und Kalk im Berner Oberland, sowie Fellenberg, Edmund v., und Casimir Mœsch. Geolog. Beschr. des westl. Teiles des Aarmassivs... (beide in den Beiträgen zur geolog. Karte der Schweiz. Lieferung 20 und 21). Bern, 1880 und 1893.
[Dr. Emil André.]
Flora.
Die Finsteraarhorngruppe bildet in botanischer Hinsicht dank ihrem topographischen Bau, der bedeutenden Höhe ihrer Gipfel und der petrographischen Zusammensetzung ihrer zu einem Teil krystallinen Gesteinsarten ein vom westlichen Oberland deutlich geschiedenes Gebiet für sich. Der die beiden Gebirgsgruppen orographisch scheidende Pass der Gemmi bildet auch die Grenzlinie
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zwischen den beiden Floren. Immerhin ist aber diese Querscheide weniger scharf ausgeprägt, als diejenige, welche durch die Kammlinie zwischen den Einzugsgebieten von Aare und Rhone als Längsscheide gekennzeichnet ist. Der Unterschied in den floristischen Erscheinungen zwischen N.- und S.-Seite der Gruppe wird um so auffallender, je tiefer man thalwärts absteigt. Hermann Christ hat schon bemerkt, dass die Hochalpen des Berner Oberlandes für die Ausbreitung der Mehrzahl der südlichen Typen der reichen Walliser Flora eine unüberwindliche Schranke gebildet zu haben scheinen. So wie man nach Ueberschreitung der Gemmi oder Grimsel die Walliser Seite der Gebirgsgruppe erreicht hat, nimmt man mit Erstaunen einen plötzlichen Wechsel im Charakter u. Reichtum der Flora wahr.
Doch ist in Wirklichkeit das seltene Auftreten von südlichen Typen auf der N.-Seite weniger eine Folge der orographischen Mauer, als vielmehr der zu beiden Seiten der Kammlinie von einander vollständig verschiedenen klimatischen Verhältnisse. Es sind aber trotz allem dennoch eine Reihe von südlichen Arten auf dem Weg über die Passlücken nach N. gelangt u. haben sich hier erfolgreich zu behaupten vermocht. So findet man auf dem Plateau der Gemmi Anemone baldensis, Ranunculus parnassifolius, Viscaria alpina, Crepis pygmaea, Alsine laricifolia, Oxytropis lapponica etc.; am N.-Hang des Lötschenpasses Oxytropis lapponica, Salix glauca, Potentilla frigida, Phyteuma Scheuchzeri; am N.-Hang der Grimsel Salix glauca und S. myrsinites, Androsace tomentosa, Pinguicula grandiflora, Potentilla frigida, Phaca alpina. Andere für die Walliser Flora charakteristische Arten, wie z. B. Ranunculus pyrenaeus, Sedum alpestre, Saxifraga muscoides und S. Seguieri, Achillea nana etc. finden sich an isolierten Standorten des n. Gebirgsabfalles.
Nordseite. Im östlichen Abschnitt der Finsteraarhorngruppe, besonders im Ober Hasle und in dem orographisch schon der Dammagruppe zugehörigen Gadmenthal, zeigt sich der Einfluss des Föhns auf die Flora im Vorkommen mehrerer südlichen Elemente der insubrischen Flora, wie z. B. des Polygonum alpinum (Guttannen), der schönen Saxifraga cotyledon, einer Zierde der Felswände der zentralen und südlichen Alpen, der zusammen mit Woodsia ilvensis bei Lauterbrunnen wachsenden Betonica Jacquini etc. «Dass der Föhn, der gerade die Ostflanke des Berner Oberlandes mit ungeheurer Kraft bestreicht, an diesem südlichen Charakter ihrer Flora den grössten Anteil hat, ist unzweifelhaft. Sowohl seine wärmende und aufhellende Hauptwirkung, als seine regenspendende Nachwirkung ist in diesen Thälern bedeutender als irgendwo: ihre Niederschlagsmenge ist durchaus die der Südalpen, sie übersteigt 200 cm und erreicht im obersten Aarthal (Grimsel 226 cm) den zweithöchsten in unsern Alpen beobachteten Wert.» (H. Christ: Pflanzenleben der Schweiz. 2. Ausg. S. 372).
Diesen insubrischen Arten fügen wir als solche der zentralen und östlichen Alpen noch bei Rumex nivalis, Saxifraga aphylla und Primula integrifolia. Auch die von uns für die Kette des Faulhorns (s. diesen Art.) genannten Arten finden sich mit nur wenigen Ausnahmen auf verschiedene Standorte im übrigen Teil der Finsteraarhorngruppe verteilt. Wenn man jene Liste mit den hier schon genannten und sogleich noch anzuführenden Arten ergänzt, so erhält man ein ziemlich vollständiges Verzeichnis der auf der N.-Seite der Finsteraarhorngruppe wachsenden interessanten Florenelemente.
Erwähnenswert sind für die N.-Seite der Gebirgsgruppe ferner: Viola palustris und Drosera longifolia (Grimsel), Viola lutea (bei Mürren häufig), Spergularia campestris (von Guttannen bis Grimsel);
Trifolium rubens (Lütschenthal), T. Thalii und T. badium;
Phaca alpina und Ph. astragalina (Umgebung von Grindelwald);
Oxytropis Halleri (Gadmen) und O. cyanea (Rosenlaui und Hintergrund des Lauterbrunnenthales);
Coronilla vaginalis (Fuss des Wetterhorns bei Grindelwald);
Geum reptans, Agrimonia odorata (Innertkirchen), Potentilla dubia und P. frigida, Dryas octopetala (Fuss des Grindelwaldgletschers), Sorbus chamaemespilus (Kleine Scheidegg, Rosenlaui etc.);
Sedum villosum, S. atratum und S. annuum;
Sempervivum Mettenianum (bei Innertkirchen und Wengen);
Saxifraga cotyledon, S. caesia, S. oppositifolia, S. macropetala, S. aspera, S. stellaris, S. cuneifolia, S. muscoides (Unteraargletscher), S. exarata, S. Seguieri (Grindelwalder Eismeer, Eiger, Aargletscher) und S. androsacea;
Laserpitium panax (Grimsel, Guttannen, Umgebung von Grindelwald gegen das Faulhorn zu), Adenostyles leucophylla (Rotthal bis Jungfrau);
Achillea atrata, A. nana u. A. moschata;
Chrysanthemum coronopifolium (Sulegg, Rosenlaui), Arnica montana (Handeck bis Aargletscher, Kleine Scheidegg, Wengen, Mürren etc.), Saussurea alpina (Gipfel des Männlichen), Crepis pygmaea (Lammerengletscher).
In den Grindelwalderbergen nennt Christener zahlreiche bemerkenswerte Habichtskräuter, wie z. B. Hieracium glanduliferum, H. Gaudini, H. scorzoneraefolium, H. bernense, H. glaucum, H. Jacquini, H. Trachselianum, H. caesium, H. pseudo-porrectum, H. gothicum, H. perfoliatum, H. valdepilosum, H. albidum (Handeck bis Grimsel), etc. Ferner Orobanche salviae (Lauterbrunnen), Plantago fuscecens (Lämmernalp), Phyteuma Halleri, Pirola uniflora;
Gentiana nivalis und G. obtusifolia;
Pedicularis rostrata und P. recutita;
Salix helvetica, S. glauca, S. myrsinites, S. retusa etc. Monokotylen: Sparganium minimum (Grosse Scheidegg, Wengernalp, Spitalboden auf der Grimsel), Orchis pallens (Grindelwalder Alpen), Chamaeorchis alpina (beim Eigergletscher), Allium fallax (Innertkirchen, Wengen), Heleocharis pauciflora (Rosenlaui);
Carex pauciflora (Handeck, Grimsel), C. Laggeri (Grimsel), C. leporina (Grimsel), C. irrigua (Grosse Scheidegg, Grimsel), C. ustulata (bei Rosenlaui), die seltene C. sparsiflora (Schwabhorn; einziger Standort der Schweiz neben dem Ober Engadin), C. tenuis (Grindelwalder Alpen);
Poa hybrida (Grimsel), Festuca varia (Wengernalp).
Für weitere Einzelheiten verweisen wir auf Prof. L. Fischers Verzeichnis der Gefässpflanzen des Berner Oberlandes. Bern 1862; mit zwei Supplementen 1875 und 1889.
In der Waldzone treffen wir hauptsächlich die Weisstanne und Fichte, beide meist in gemischten Beständen. Die Fichte steigt hoch auf, geht aber doch nicht über 1800-1900 m. Nur ausnahmsweise stehen hier und da noch bis auf 2000 m und darüber vereinzelte und verkümmerte Exemplare. Im Schatten dieser Waldungen gedeiht an den feuchtesten Stellen der Thäler die Mehrzahl unserer Orchideen: Herminium monorchis (auf feuchten Wiesen, zwischen Wilderswil und Zweilütschinen häufig), Epipogium aphyllum (am Weg auf die Schinige Platte), Listera cordata (Mürren, Trachsellauenen, Ober Hasle, bei der Handeck etc.), Goodyera repens (an trockeneren Standorten, z. B. bei Wengen, Rosenlaui), Corallorrhiza innata (Wengernalp, Trachsellauenen etc.), Malaxis monophylla (beim Staubbach und Giessbach), Cypripedilum calceolus (bei Wengen und Rosenlaui).
Die Buche bildet reine oder, in den tiefern Lagen der Thäler, gemischte Bestände und steigt kaum höher als bis 1300 m an. Die Waldföhre kommt auf der N.-Seite der Gruppe nirgends in grössern Beständen vor, während die Bergföhre im Ober Hasle häufig angetroffen wird und in einzelnen isolierten Gruppen noch bis nahe an 1900 m gedeiht. Auch vereinzelte Arvengruppen lassen sich da und dort noch entdecken; oberhalb der Kleinen Scheidegg lassen noch einige alte Stümpfe die einstige grössere Verbreitung dieses Baumes erkennen.
Einzelne Exemplare der Arve steigen in der Umgebung der Aargletscher bis über 2000 m an. Sie findet sich im ö. Abschnitt des Oberlandes noch häufiger als in den Thälern der Simme und Kander, wo sie zu einer recht seltenen Erscheinung geworden ist. Auch die Eibe ist nicht mehr stark vertreten und stockt u. a. noch im Kienthal und Lütschenthal. Interessante Pflanzenarten der Bergregion sind: Clematis vitalba (Hasle), Aquilegia alpina, Delphinium elatum (Schwarzhorn, Mürren etc.), Aconitum paniculatum (Schilthorn, Ober Hasle etc.), Berberis vulgaris (Sichellauenen; auf Gneis), Papaver alpinum (Gadmenthal), Impatiens noli tangere (Ober Hasle), etc.
Südseite. Wie sich zwischen den Floren der N.-Flanken von Wildhorn- und Finsteraarhorngruppe ein Unterschied zeigt, so auch zwischen denen der S.-Flanken dieser Gruppen. Doch finden sich im S. eine grosse Anzahl der für die ö. Hälfte der Kette charakteristischen Arten auch an dem der w. Hälfte angehörenden, z. T. aus krystallinen Felsarten aufgebauten Mont Fully. Solche
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beiden Hälften der S.-Flanke gemeinsame Typen sind (nach dem Catalogue de la flore valaisanne von Henri Jaccard) z. B. Aquilegia alpina, Coronaria flos Jovis, Geranium rivulare, Adenostyles leucophylla, Phaca alpina, Sedum annuum u. S. alpestre; Saxifraga aspera, S. aspera v. bryoides, S. exarata und S. adscendens; Bupleurum stellatum, Erigeron Schleicheri, Achillea nana und A. moschata, Centaurea rhaponticum, Hypochaeris uniflora, Veronica bellidioides, Empetrum nigrum, Juncus trifidus u. J. Jacquini, Silene valesia, Campanula cenisia etc. In der Bergregion zwischen den Schluchten der Massa und dem Fiescherthal trifft man noch einige der für das zentrale Wallis charakteristischen Arten, wie Astragalus exscapus, Centaurea axillaris, Campanula excisa, Linaria italica, Euphrasia Christii und Galium pedemontanum, das bis über Deisch noch blüht.
Die O.-Hälfte der Kette, im Goms, hat dagegen eine an Arten arme Flora; die grosse Mehrzahl der alpinen Typen der Penninischen Alpen fehlt hier, und es bietet auf diesen zu trockenen Rücken und Halden die Pflanzendecke oft eine ermüdende Einförmigkeit. Sie besteht der Hauptsache nach aus nur wenigen Arten, die oft ganze grosse Flächen ausschliesslich bedecken: Leontodon pyrenaicus, Arnica montana, Trifolium alpinum, Veronica bellidioides, Gentiana obtusifolia.
Auch die nivale und subnivale Flora ist hier eine kümmerliche, wie dies Henri Jaccard nachgewiesen hat. Er sagt darüber: «Man findet hier auf den Schuttfeldern u. an den Felsen kein Thlaspi, keine Achillea, keine Androsace, keine Artemisia und keine Draba; nur Saxifraga aspera v. bryoides, Primula viscosa und Phyteuma hemisphaericum grüssen den Botaniker. Auf den obersten Rasenflächen besteht der ganze Pflanzenteppich aus nicht mehr als etwa 10 Arten: Veronica alpina, Gnaphalium supinum, Gentiana bavarica, Cardamine alpina, Sibbaldia procumbens, Oxyria digyna, Salix herbacea und einigen andern.» Blos im Münsterthale stösst man noch auf einige gute Arten, die in den benachbarten Gebieten selten sind oder ganz fehlen, wie z. B. Campanula excisa, Primula longiflora, Phaca alpina und Ph. frigida, Saxifraga cotyledon, Androsace imbricata.
Grossen Florenreichtum weisen dagegen die Umgebungen der Furka, des Gries- und Nufenenpasses, sowie der Grimsel auf, wo sich die klassische Fundstelle der Maienwand findet, die wir im Artikel Goms des näheren besprechen werden.
Zahlreiche Forscher - Lindt, E. v. Fellenberg, A. Escher v. der Linth u. A. - haben ihre Aufmerksamkeit der nivalen Flora der Finsteraarhorngruppe geschenkt und die obere Verbreitungsgrenze der verschiedenen Arten festgestellt. Am Wetterhorn hat man den Leontodon pyrenaicus noch über 3000 m beobachtet, und ebenso hoch steigen Campanula cenisia, Poa alpina und Androsace helvetica an. Androsace glacialis ist am Oberaarhorn noch bei 3500 m gefunden worden. Auf dem Gaulipass (3274 m) kann man folgende neun Arten pflücken: Poa laxa, Chrysanthemum alpinum, Androsace glacialis, Gentiana bavarica, Ranunculus glacialis, Silene acaulis, Saxifraga oppositifolia und S. muscoides, Potentilla grandiflora. Am Ewigschneehorn hat man in etwa 3400 m Poa laxa und Androsace imbricata gesammelt, am Oberaarhorn in derselben Höhe Androsace glacialis, A. helvetica und A. obtusifolia, Ranunculus glacialis, Draba carinthiaca, Saxifraga oppositifolia, Artemisia spicata, Achillea moschata und Linaria alpina. Am S.-Hang des Finsteraarhorns wachsen in 3350 m noch Poa laxa, Linaria alpina, Draba frigida, Silene acaulis, Saxifraga aspera v. bryoides und S. muscoides, in 4000 m (nach Lindt) noch Saxifraga aspera v. bryoides, S. muscoides und Achillea atrata; ganz nahe dem Gipfel, in 4270, hat man im Monat September noch ein kleines Polster von blühendem Ranunculus glacialis angetroffen. An der Jungfrau hat E. v. Fellenberg in einer Höhe von 3000 m notiert Thlaspi rotundifolium, Hutchinsia alpina, Gaya simplex, Erigeron uniflorus, Artemisia mutellina und A. spicata, ferner 300-400 m höher noch Silene acaulis und Saxifraga oppositifolia. Im Uebrigen ist die oberste Grenze, bis zu welcher die nivalen Typen aufsteigen, eine sehr wechselnde, da sie hauptsächlich vom Vorhandensein von Humus abhängt und mehr vom Schnee als von der Höhenlage bedingt wird. Jeder für einige Wochen im Sommer schneefreie Fleck kann die Ansiedelung einer nivalen Florula gestatten.
(Dr. Paul Jaccard.)