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zum Fuss des bewaldeten Hanges von Montatuay in tiefe Schluchten eingeschnittene Thalgrund erweitert sich und gibt neben dem Fluss auch der Strasse reichlich Raum zur Entwicklung. Hier erheben sich über den baumbestandenen Wiesen der Thalsohle mit Tannen, Buchen und Erlen bekleidete Steilhänge, über welchen auf Gehängeterrassen die Weiler und Felder - von zahlreichen kleinen Wildbächen durchschnitten - folgen. Iwan v. Tschudi nennt in seinem Führer das Thal von Entremont dasjenige Thal des Kantons Wallis, das am einförmigsten und am ärmsten an grossartigen landschaftlichen Reizen sei. Dafür beherbergt es in seinen Bewohnern eine zähe Rasse und die ausdauerndsten Arbeiter des ganzen Kantons, die ihren vom Klima begünstigten heimatlichen Boden bis zu einer ausnahmsweise grossen Höhe über Meer hinauf erfolgreich mit Getreide angepflanzt haben. Reich an Arten und interessant ist auch die Flora des Thalschlusses. (Vergl. den Art. Grosser St. Bernhard).
Im mittlern Thalabschnitt trifft man die im Kanton Wallis nur hier vorkommende seltene frühblühende Winterkresse (Barbarea intermedia); die Umgebungen von Sembrancher sind reich an wilden Rosen und Habichtskräutern. Von Orsières bis Martinach trägt das Thal den für das ganze zentrale Wallis so typischen Charakter des Trockenen und Sonnverbrannten. Die Ufer der Dranse säumen Sanddorn (Hippophaës rhamnoides), wilde Rosen, Berberitze und deutsche Tamariske (Myricaria germanica), sowie Gruppen von Färber-Waid (Isatis tinctoria) und Beifuss (Artemisia); an den steilen Felshängen pflückt man Ononis natrix, Astragalus onobrychis, Hyssopus officinalis, neben deren dichten Büscheln die biegsamen Stengel des Pfriemgrases (Stupa capillata) und des Bartgrases (Andropogon ischaemum) sich im Winde schaukeln.
Andere interessante Arten steigen bis zur Strasse herab, so u. a. Euphorbia Gerardiana, Vesicaria utriculata, Echinopus sphaerocephalus, Camelina microcarpa, Scorzonera laciniata, Asparagus officinalis, Achillea nobilis, Artemisia absinthium und A. vulgaris, Pastinaca opaca. Die Kastanie reicht bis Bovernier (621 m) hinauf. In den Wäldern bemerkt man stellenweise die den höhern Teilen des Wallis sonst fehlende Buche. Im tiefern Thalabschnitt herrscht die Waldföhre, während an beidseitigen Gehängen Fichte, Bergföhre und Lärche bis hoch hinauf stocken. Dort auch einige wenige Exemplare der Steineiche (Quercus sessiliflora) und des italienischen Ahorns (Acer italum). Hier und da (Bourg St. Pierre, Combe de Lâ, Catogne) schöne Arven, Wachholder (Juniperus nana und J. sabina) zwischen Orsières und Martinach. Im Thalhintergrund, bei Bourg St. Pierre, der reiche alpine Versuchsgarten der Linnaea.
Der unterste Thalabschnitt (Sembrancher-Martinach), der meist nach seinem Fluss kurz das Dransethal geheissen wird, bietet dem Auge des Wanderers nur Szenen der Verwüstung und ungebändigten Naturwaltens. Die von W.-O. ziehende lange und enge Thalschlucht ist voller Felstrümmer, die von den zerrissenen Gehängen des Mont Catogne oder des Mont Chemin heruntergestürzt sind. Von der Brücke von Les Trappistes bis zu derjenigen von Bovernier nehmen Fluss und Strasse ihren Lauf ganz zwischen diesen mächtigen Trümmerfeldern durch, zwischen deren Felsblöcken verkrüppelte und knorrige Föhren ein kümmerliches Dasein fristen. An den seltenen trümmerfreien Stellen, wo sich der Bodenbau etwas zu lohnen schien, hat sich in den bescheidenen Dörfchen Bovernier, Les Valettes und Borgeaud der Mensch angesiedelt. Unterhalb Bovernier, wo die berühmten Schluchten des Durnand in das Dransethal ausmünden, setzt sich dessen trostloser Charakter fort bis zur Vereinigung mit der Combe von Martinach, worauf das ganze Thalsystem in 460 m Seehöhe in die Rhoneebene austritt. Von der Vereinigung mit dem Durnand an ist das Thal aus seiner WSW.-Richtung allmählig abgewichen, um den Vorsprung des Mont Chemin zu umgehen und plötzlich nach NO. abzubiegen.
Die Vallée d'Entremont steht über eine ganze Reihe von Hochgebirgspässen mit den benachbarten Thalsystemen in Verbindung. Am bekanntesten, niedrigsten und auch am leichtesten zu begehen ist der Grosse St. Bernhard (2427 m), von dem aus man durch den Vallon de Fontainte über den ausserordentlich lohnenden Col de Fenêtre (2699 m; zwischen S.-Ende des kleinen Sees und der Passhöhe auf italienisches Gebiet übergreifend) ins Val Ferret hinübergelangt. Nach Aosta führen ausser dem Grossen St. Bernhard noch der Col de Barasson (2649 m), Col de Menouve (2753 m), Col de Mouleina (2880 m) und Col d'Annibal (3000 m);
ins Val Ferret gelangt man über den Col des Planards (2803 m) und über die Scharten hinter der Combe de Lâ.
Nach rechts steht die Vallée d'Entremont mit dem Val de Bagnes über eine ganze Reihe von Pässen in Verbindung, deren Mehrzahl aber meist nur von Alpinisten begangen wird;
am bekanntesten sind der Col du Sonadon (3489 m; über den ¶
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Mont Durand Gletscher nach Chanrion), Col des Maisons Blanches (3426 m), Col de Boveyre (3487 m), Col de Panosseyre (3600 m) und Col de l'Ane (3037 m), die alle nach Mauvoisin oder Fionnay leiten. Der Col de Mille (2476 m) und Col du Six Blanc (2337 m) münden auf Le Châble aus u. werden auch von den Landesbewohnern hier und da benutzt.
Begrenzt wird die Vallée d'Entremont: links vom Pic de Drônaz (2953 m), den Monts Telliers (2954 m), von der Becca Cotinta (2819 m) und dem Mont Mourin (2769 m), welch' beide letztern es von der Combe de Lâ scheiden, dann vom stolzen Bergstock des Mont Catogne, der auf eine Strecke von 13 km Länge der Reihe nach die Vereinigung des Val Ferret, Val de Bagnes und Val du Durnand mit der Vallée d'Entremont beherrscht, und endlich von der Pointe Ronde, die dem Thal seinen nach N. gerichteten Schlussweg weist; rechts vom Mont Vélan (3765 m), der Gruppe des Grand Combin (4317 m), dem Grand Laget (3134 m), Mont Rogneux (3087 m) und Six Blanc (2411 m), von denen der erstgenannte das Thal vom italienischen Val d'Ollomont, die übrigen vom Val de Bagnes scheiden. Vom Rhonethal endlich trennt die Vallée d'Entremont rechts die gut angebaute Hochfläche von Chemin.
In der Vallée d'Entremont liegen die Gemeinden Martinach Combe, Bovernier, Vollège, Sembrancher, Orsières, Liddes und Bourg St. Pierre. Das Thal wird seiner ganzen Länge nach von einer Poststrasse durchzogen. Das ganze Jahr hindurch zweimal täglich Fahrpost zwischen Martinach u. Orsières u. während des Sommers einmal täglich zwischen Orsières u. dem Hospiz auf dem Grossen St. Bernhard. Schon seit undenklichen Zeiten zog eine sog. fahrbare Strasse thalaufwärts; sie war aber bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts schmal und steinig, ging planlos bergauf und bergab, wurde oft durch Bergsturz- und Lawinenschutt gesperrt und stieg stellenweise derart steil an, dass man sie für Fuhrwerke von heutzutage als unpassierbar erklären würde.
Einige besonders beschwerliche Stellen pflegte man von Zeit zu Zeit zu verbessern; 1820 führte man sie durch die sog. Galerie de la Monnaie, um die Stelle zu umgehen, wo 1795 die Kutsche des Abtes Cocatrix, Obern des Klosters Saint Maurice, mit allen Insassen in die Dranse hinunterstürzte. Um 1850 fand eine durchgreifende Korrektion der ganzen Strasse statt, doch wurde das Teilstück Bourg St. Pierre-Grosser St. Bernhard erst 1892 fertiggestellt. Beim Durchbruch der 1901 erweiterten Galerie de la Monnaie fand man eine von Rost halb zerfressene alte Kanone, von der man annimmt, dass sie hier von den 2000 Italienern zurückgelassen worden sei, die 1476 über den Grossen St. Bernhard Karl dem Kühnen zu Hilfe eilen wollten, von den Wallisern aber völlig aufgerieben wurden.
Das Thal von Entremont bildet in seinem obersten Abschnitt die Grenze zwischen den beiden orographischen Einheiten des Matterhorns und Mont Blanc und greift in der Folge bald da, bald dort in das eine oder andere dieser Gebirgsmassive über. Der Oberlauf empfängt durch die mit ihm parallel ziehende Combe de Lâ und das Val Ferret seine Wasser einerseits aus dem Massiv des Mont Blanc und durch eine Reihe von rechtsseitigen Nebenthälchen aus der dem Matterhornmassiv zugehörigen Gruppe des Grand Combin andererseits.
Mit der Einmündung des Val Ferret bei Orsières tritt das Thal ganz auf das Gebiet des Mont Blanc über, durchschneidet bei Sembrancher - die Richtung des Val de Bagnes fortsetzend - die untern Stufen des äussersten Ausläufers des Mont Blanc Massives in engem Durchbruch und wird nach der Aufnahme des Wildbaches Durnand neuerdings abgelenkt, um nun nach N. gegen Martinach zu sich zu wenden. Der Thalkessel, in dem die Wiesen und Felder von Vollège liegen, lässt heute noch die Spuren dieses einstigen Kampfes um die Vorherrschaft zwischen dem Walliser und dem Savoyer Bergriesen erkennen. Unterhalb Sembrancher, sagt Viollet-Le Duc, hatte sich das Flussgeschiebe, dessen Ueberreste heute noch als Terrassen an den Thalhängen kleben, zu einer nicht weniger als 430 m mächtigen Schicht angehäuft; dann durchbrach der Fluss den Felsdamm, der die prachtvolle Pyramide des Mont Catagne mit der Montagne de Vence verband, riss die angehäuften Geschiebe mit und verfrachtete sie weithin thalauswärts.
Das Thal von Entremont ist eines der bekanntesten und sicher auch berühmtesten Durchgangsthäler der Alpen. Früher ist sogar die heute wohl allgemein aufgegebene Ansicht verfochten worden, dass es von Hannibal und seinen Truppen durchzogen worden sei. Wohl aber hat es andere Eroberer gesehen, so Karl den Grossen, der 773 mit einem von seinem Oheim befehligten Heer über den Grossen St. Bernhard nach Italien zog, so 1160 eine von Berchtold IV. von Zähringen geführte Armee Friedrich Barbarossa's und endlich 1800 die Reservetruppen des damaligen ersten Konsuls Bonaparte, die sich zur Poebene begaben, um dort mit dem Sieg von Marengo ihre Lorbeeren zu pflücken. (Vergl. auch die Art. Dranse und Grosser St. Bernhard.)