schrift der Naturforsch. Gesellsch. inZürich.
1899). Die Gefässpflanzen des interessanten Gebietes sind für ein gründliches Studium
ausreichend beschrieben in folgenden Werken: Killias, Ed. Die Flora des Unter Engadin.Chur 1888. - Heer, Osw. La flore del'Engadine comparée à celle des régions boréales (in den Archives des sc.phys. et naturelles. T.
18, 1863; Verhandlungen der schweiz. naturforsch. Gesellsch.Samaden 1863). - Christ, H. Das Pflanzenleben derSchweiz. Zürich
1879; 2. unveränderte
Ausgabe. Zürich
1882.
[Dr. Paul Jaccard.]
Einen ähnlichen Reichtum und eine ähnliche Zusammensetzung aus alpinen, nordischen, östlichen und südlichen Arten wie
die Pflanzenwelt weist die Insektenwelt, besonders die Ordnung der Schmetterlinge auf, weshalb das Engadin
ebenso sehr ein Eldorado der Entomologen wie der Botaniker ist. Die höhere Tierwelt ist diejenige des übrigen
Bünden: Gemsen,
Murmeltiere, Alpenhasen überall in den höhern Regionen, seltener in den
Wäldern Hirsche und Rehe. Auch
Bären zeigen sich
noch hier und da. Unter den
Vögeln ist der Lämmergeier, wenn überhaupt noch vorkommend, jedenfalls
eine äusserste Seltenheit.
Ziemlich häufig ist dagegen der mächtige Steinadler. Dazu kommen Auerhühner, Birkhühner, Schneehühner, Wildtauben etc.
Nicht sehr zahlreich sind die kleinen Singvögel, vielleicht wegen der Nähe Italiens, wo sie auf ihren Wanderzügen schonungslos
abgefangen werden. Von Schlangen mag die Kreuzotter erwähnt werden, die sich an den sonnigen
Halden des
Unter Engadin ziemlich häufig findet, von Fischen die Forellen, die die
Seen und Flüsse bis in sehr hohe Lagen, z. B. bis
zum
Lej Sgrischus (2640 m) im
Val Fex, bevölkern.
Die Bewohner des Engadin sind romanischen Stammes und sprechen das Ladinische, den schönsten und reinsten
der romanischen Dialekte. Sie sind ein schöner, kräftiger und intelligenter Volksschlag mit schwarzen, lebhaften
Augen und
schwarzem Haar.
Ueber einige Hauptergebnisse der Volkszählung von 1900 gibt folgende kleine Tabelle eine Uebersicht:
Das Engadin hat also nahe an 12000 Einwohner, wovon die etwas grössere Hälfte auf das Unter Engadin kommt. Etwa
⅔ der Bevölkerung sind romanisch, 1/5 deutsch und der Rest von andern Sprachen, namentlich italienisch. Dabei ist zu beachten,
dass das italienische Element gegenwärtig infolge des
Albula-Bahnbaus stärker vertreten ist als sonst.
Daher die 28% Anderssprachigen
des
Ober Engadin, wo die Italiener besonders auf der Strecke von
Bevers bisSt. Moritz sehr stark vertreten
sind; machen sie doch in
Bevers über 60, in
Samaden über 20 und in
St. Moritz ca. 30% der Gesamtbevölkerung aus.
Wie man aus der Tabelle sieht, ist auch das Deutsche im
Ober Engadin stärker vertreten als im Unter Engadin. Das letztere
hat mit 80% seinen romanischen Charakter viel besser bewahrt als das erstere. In konfessioneller Beziehung
dominiert der Protestantismus. Immerhin erscheinen die Katholiken mit 26% der Bevölkerung zahlreicher als
es nach früheren
Zählungen der Fall war, wo sie nur mit ca. 20% erschienen, wie jetzt noch im Unter Engadin. Auch dies ist eine Folge der
gegenwärtig zahlreichen italienischen Arbeiterbevölkerung.
Daher die über 30% Katholiken im
Ober Engadin
(Bevers bis
St. Moritz).
Im Unter Engadin sind wesentlich nur
Tarasp und
Samnaun katholisch. Das letztere bietet ein Beispiel einer rein deutschen und
rein katholischen Bevölkerung, eine Folge seiner Verkehrsverbindung mit Tirol, wohin ja dieses Thal ausmündet.
Die Hauptbeschäftigung der
Engadiner ist Viehzucht und Alpwirtschaft, für welche die ausgedehnten
Matten
und
Weiden eine ausgezeichnete Grundlage gewähren. Der Viehstand ist denn auch sehr beträchtlich und von schönem
Schlag.
Dazu wird auch viel fremdes Vieh auf den
Engadiner Alpen gesömmert, und eine ganze Reihe hochgelegener
Schafalpen werden an
Bergamasker Hirten verpachtet. In Anbetracht der Höhenlage ist auch der Landbau nicht ganz unbedeutend.
Selbst das
Ober Engadin hat noch einigen
Feld- und Gartenbau. Im Unter Engadin aber nehmen die zahlreichen kleinen Roggenfelder
auf der
Sonnenseite einen sehr beträchtlichen Raum ein; Gerste geht im
Scarlthal sogar bis 1800 m, und Birn- und
Apfelbäume finden sich noch bei
Remüs.
Dazu kommen Kartoffeln, Gemüse, Hanf u.
Flachs mit gutem Ertrag. Einen dritten grossen Erwerbszweig bietet der stets zunehmende
Fremdenverkehr, dessen Mittelpunkte im
Ober EngadinPontresina,
St. Moritz,
Maloja und
Samaden, im Unter Engadin
Schuls und
Tarasp
sind, und der mehr und mehr sich auch über fast alle andern Orte ausbreitet. Von der Bedeutung dieses
Verkehrs legen nicht nur die zahlreichen, zum Teil sehr stattlichen Fremdenetablissemente beredtes Zeugnis ab, sondern auch
die nicht weniger als 7 fahrbaren Bergstrassen, die das Engadin mit der übrigen
Welt verbinden:
Flüela-,
Albula-,
Julier-,
Maloja-,
Bernina-,
Ofenpass- und Finstermünzstrasse, wozu noch eine Reihe ziemlich begangener Pässe für
den Fuss- und Saumverkehr kommen, wie der Scaletta (nach
Davos) und der
Casanapass (nach
Livigno) und viele andere.
Bald wird auch die Albulabahn fertig sein, die das Engadin mit dem übrigen
Bünden über
Bergün, Tiefenkasten und
Thusis verbinden
und an die sich eine Linie nach dem Unter Engadin anschliessen wird. Viele
Engadiner suchen ferner ihren
Erwerb im Ausland, indem sie in jüngeren Jahren auswandern, um als Konditoren, Kaffeewirte u. Geschäftsleute verschiedener
Art ein oft nicht unbedeutendes Vermögen zu erwerben, mit dem sie dann in reiferen Jahren in ihr Heimatthal zurückkehren.
Die Nordengadiner
Alpen erfüllen den Raum zwischen dem
Bergell und
Engadin, bezw. Innthal bis Landeck im
SO., dem Paznauner- und obern Montafonerthal bis St.
Gallenkirch im NO., dem
Schlappinerjoch,
Klosters, Wolfgangpass,
Davoser-
und Albulathal bis
Thusis im NW. u. der Splügenlinie von
Thusis bis Chiavenna im SW.; die Südengadiner
Alpen dagegen umfassen
den Raum zwischen dem
Bergell und
Engadin im NW., dem
Pass über
¶
mehr
die Reschenscheideck von Finstermünz bis Glurns im NO., dem Stilfserjoch und Veltlin im SO. und S. und dem untern Maïrathal
bis Chiavenna im SW. Die Nordengadiner Alpen teilt man durch den Flüelapass (2388 m; Süs-Davos) oder durch den etwas nordöstlicher
gelegenen und einfacher verlaufenden Flesspass (2452 m; Süs-Klosters) in die sw. Albulagruppe und die nö.
Silvrettagruppe, die Südengadiner Alpen durch den Berninapass (2334 m; Samaden-Tirano) in die Berninagruppe im SW. und die Ofenpassgruppe
im NO. Darnach erhält man also folgende Uebersicht der Engadiner Alpen:
Von diesen vier Gruppen ist die Berninagruppe als die höchste und gletscherreichste des Kantons Graubünden
bereits in
einem besondern Artikel behandelt (siehe Band I, Seite 232-236); Ofenpassgruppe und Silvrettagruppe werden an ihrer alphabetisch
bestimmten Stelle besprochen werden, so dass also hier nur noch die bis jetzt nicht ausführlich erwähnte Albulagruppe zu
besprechen übrig bleibt.
Die Albulagruppe stellt sich als mächtiger Gebirgswall dar, dessen Kammlinie in geringer Entfernung vom Bergell und Engadin
vom Piz Stella im SW. zum Flüela Weisshorn im NO. zieht und der mit steilen Wänden zu den genannten Thälern abfällt, während
die entgegengesetzte Abdachung, durch zahlreiche Thäler vielfach gegliedert, allmähliger sich gegen
das Davoser-, Albula- und Hinterrheinthal senkt. Die steile SO.-Abdachung ist wenig gegliedert, nur kleine Thäler schneiden
in dieselbe ein, so dass blos kurze Seitenrippen sich bilden.
Nur das Val Bever, das Val Sulsanna und das Val Susasca greifen etwas tiefer in den Gebirgskörper ein und bewirken an
ihren Hintergehängen ein Ausbiegen des wasserscheidenden Kammes, der sonst sich immer ganz nahe ans Bergell und Engadin hält.
Dagegen weist die NW.-Seite eine Reihe langer und ständig bewohnter Thäler auf: Avers mit seinen Seitenthälern (Val Bregalga,
Madriserthal und Val di Lei), das Oberhalbstein, das Albulathal von Filisur an aufwärts und die Seitenthäler
von Davos (das Sertig-, Dischma- und Flüelathal). Der Abstand von Tiefenkastel bis zum Septimer- und Julierpass beträgt z. B.
je etwa 30 km, von da hinab ins Bergell und Engadin aber nur 5 km. Aehnliche Verhältnisse finden wir im Averser- und Albulathal.
Erst gegen das nö. Ende werden die Differenzen zwischen den beiden Abdachungen weniger gross.
Die ganze breite NW.-Seite entwässert sich zum Rhein, während die schmale SO.-Seite ihre kurzen Bäche teils durch den Inn zur
Donau, teils durch die Maïra zum Po schickt. Die drei Flussgebiete
berühren sich am PizLunghino, zwischen Maloja und Septimer,
einem zwar nicht sehr hohen, aber aussichtsreichen Gipfel, der einen bemerkenswerten hydrographischen
Knotenpunkt darstellt, an dem die Gewässer nach drei Stromgebieten und drei Meeren sich scheiden.
Für die Gliederung der Albulagruppe kommt zunächst das Oberhalbstein mit dem Septimer in Betracht, durch welche fast genau
von N. nach S. verlaufende Thal- und Passlinie unser Gebiet in einen sw. und einen nö. Teil zerfällt.
Der erstere umschliesst hauptsächlich das Averserthal und kann darum als Aversergruppe bezeichnet werden. In eigentümlich
gewundener Linie zieht diese von den Surettahörnern bei Splügen zuerst annähernd s. zum Piz Stella (3129 m), dann ö. bis
an den Septimer, dann in einem Bogen nw. über den Piz Platta zum Piz Grisch, der den Surettahörnern wieder
ganz nahe ist, so dass das Averserthal hier nur einen engen, schluchtförmigen Ausgang findet, während es weiter hinten mit
mehreren Armen sich fächerartig ausbreitet.
Aus der Gegend des Piz Grisch zieht der Gebirgskamm direkt nach N. über den Piz Curvèr in die Thalgabel
zwischen Viamala und Schyn. Durch den Pass vom Septimer über die Forcellina nach Avers zerfällt dieser gewundene Gebirgsbogen
in zwei Glieder, die man als die Gruppen des Piz Stella und des Piz Platta bezeichnen mag, jene links oder w. und s. von Avers,
diese rechts oder ö. von Avers und Schams. Der Piz Stella ist zwar in seiner Gruppe nicht der höchste,
aber der zentralste Gipfel, der Scheitel des dortigen Gebirgswinkels.
Die vom Septimer nö. folgende Gebirgsmasse bis zum Flüela- resp. Flesspass ist die Albulagruppe im engern Sinn, die sich fast
ausschliesslich zur Albula entwässert. Durch den Albula- und Sertigpass teilen wir sie in drei, wieder
mehrfach verzweigte Abschnitte, die nach ihren Hauptgipfeln als die Gruppen des Piz d'Err, des Piz Kesch und des Piz Vadret
bezeichnet werden. Somit erhalten wir folgende Uebersicht der Albulagruppe im weitern Sinne: I. Aversergruppe: 1. Gruppe des
Piz Stella;
Die Gruppe des Piz Stella fällt nach W. und S. steil zu den Thälern des Liro und der Maïra ab, während die Abdachung gegen
Avers viel sanfter geneigt und durch eine Reihe von Thälern in mehrere Ketten gegliedert ist. Die am Piz Stella rechtwinklig
gebogene Hauptkette beginnt im NW. mit dem breiten, mehrgipfeligen Stock der Surettahörner zwischen dem Splügenpass einerseits
und dem Val d'Emet und dem Passo di Madesimo andererseits. Obwohl nicht das höchste, ist er doch das am
stärksten
¶