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Bund mit den 3 Waldstätten; so schloss sich der Kreis der acht alten Orte der Eidgenossenschaft. Es verfolgte aber noch lange eine durchaus selbständige Politik.
Kurz zuvor, um 1345, ward die Stadt ein drittes mal erweitert. Schon lange bestand im Westen vor dem Thore das Kloster und die Kirche des Ordens zum heiligen Geist. Bis dorthin hatte sich eine zweite Vorstadt gebildet, welche jetzt mit einer dritten Befestigung abgeschlossen wurde. Man erkennt, wie sehr die Natur des Ortes durch die Schmalheit des Halses der Halbinsel eine derartige rasche Wiederholung des Befestigungswerkes begünstigte. Diesmal freilich galt es eine nicht bloss längere, sondern auch stärkere Stadtmauer zu errichten. Es war eine doppelte Mauer; von der innern ward die äussere um ein beträchtliches überragt; zwischen beiden lief ein schmaler Raum, der Zwinger, und unter der äusseren zog sich ein tiefer Graben dahin.
Aus dem beigegebenen Plane ist die Lage dieser dritten Befestigung zu ersehen, die von da an bis tief ins 19. Jahrhundert bestehen blieb und diejenigen Teile der heutigen Stadt in sich schloss, die noch immer «Stadt» schlechthin genannt werden. Innerhalb dieser Mauer wurde Bern gross, dieselben Mauern sahen auch seinen Fall. Berns Grösse war die Frucht des seltenen militärischen Bürgersinns, der vom alten Adel auf die ehrsamen Handwerker übergegangen war, in welchem alle eins wurden. Sein Niedergang und tragischer Fall aber kam aus der Enge des Horizontes einer Bürgerschaft, die vom Ruhme der Altvordern zehrte und die über der ängstlichen Sucht des Regierens und Wohllebens den Zusammenhang mit den Landschaften verlor, die sich im Laufe der Zeiten vor der mächtigen Stadt hatten beugen müssen.
Mächtig stieg Berns Ansehen im Gugler- oder Oesterreicherkrieg (1375-88). Erst überfielen die nun schon kriegsgewohnten Bürger die fremden Kriegsleute zur Nachtzeit im Kloster Fraubrunnen, dann bezwangen sie in regelrechter Belagerung die Stadt Büren und die Wasserburg Nidau. Das Land war von seinen Peinigern befreit: es gab ein «Bernbiet», das des Schutzes nicht mehr entbehrte. Jetzt entschied sich auch das Geschick der Kiburger. Sie verloren erst Burgdorf und Thun, bald darauf die Landgrafschaft beiderseits der Aare an Bern.
1414 empfieng Bern den König Sigismund auf seiner Heimreise aus Italien mit hohen Ehren. Schon im nächsten Jahr macht es sich des Königs Gunst zu nutze und erobert den grössten Teil des Aargau, das Besitztum des auf dem Konstanzer Reichstag geächteten Herzogs Friedrich von Oesterreich. Weniger glücklich führt es dagegen den Krieg gegen Oberwallis, erreicht aber auch hier schliesslich seinen Zweck, die Wiedereinsetzung des mit ihm verburgrechteten Herrn von Raron. Im alten Zürichkrieg steht es zwar auf der Seite der Eidgenossen von Ital Redings Richtung, trägt aber das meiste bei zur endgültigen Aussöhnung der Gegensätze (1450).
So hat es nun einen guten Rückhalt im Augenblicke der schlimmsten Gefahr und grössten Kraftprobe, die von Westen herannaht, beim Ausbruch des Burgunderkriegs. Wie damals seine Führer und Krieger den Krieg rücksichtslos ins Feindesland trugen, bei Héricourt, Orbe, Grandson und Blamont die ersten wuchtigen Schläge austeilten, bei Grandson, wie bei Murten die Belagerungen ertrugen, in beiden Schlachten (1476) den ersten Angriff auf sich nahmen und endlich, nach Nancy, auf dem Tage von Freiburg einzig unter den Ständen eine kraftvolle Annexionspolitik vertraten, ist für alle Zeiten Berns grösster historischer Ruhmestitel.
Im Schwabenkrieg hatten die Berner besonders an den Schlachten von Bruderholz und Dornach (1499) hervorragenden Anteil. Das Blut seiner Jungmannschaft floss mit auf den Schlachtfeldern der Lombardei. Der grosse Kriegstaumel begann seine schlimmen Früchte zu zeitigen.
In der Stadt selbst war inzwischen eine grosse Krisis glücklich überwunden worden: der Twingherrenstreit, den Thüring Fricker meisterlich beschrieben hat. Die Junker durften ihre Junkertracht behalten, aber ihre Herrschaften unterstanden von nun an gänzlich der Militär- und Gerichtsgewalt des Staates (1471).
Die Kraft und Grösse der damaligen Zeit hinterliess nur wenige Bauwerke, die bis auf unsere Tage gekommen sind: das Rathaus, das unmittelbar nach dem grossen Brande von 1405 erbaut wurde und das Münster. 1421 begann der Bau desselben, aber noch 100 Jahre später, nach vielen Wechselfällen, dauerte die Arbeit an. 1517 leitete Niklaus Manuel Deutsch den Ausbau des schönen Chorgewölbes. 1530 blieb der Thurm bei 54 m Höhe unvollendet und kam so auf unsere Tage. Das Münster erhob sich auf dem Platze der alten Leutkirche und hiess nach dem Schutzheiligen der Stadt St. Vinzentenmünster. St. Vinzenz und Bern! lautete ein alter bernischer Schlachtruf.
In demselben 15. Jahrhundert bauten sich die Zünfte, deren es seit dem 13. Jahrhundert immer mehr gab, die aber nie grosse politische Macht erlangen konnten, schöne Häuser und versahen ihre Truhen mit herrlichem Silbergeschirr, das heute noch zum grossen Teil unversehrt erhalten ist.
Die Reformation fand 1528 raschen Eingang. Berchtold Haller und Niklaus Manuel waren ihre Bahnbrecher. Die Aufgeklärten mochten sich des traurigen Jetzerhandels (1507) erinnern, in welchem der trübe Wahn des Mittelalters den Geistlichen, Laien und Richtern einer ganzen Stadt die Köpfe verwirrt hatte. Die Säkularisation der geistlichen Stifte brachte grosse Gebietserweiterungen und Bereicherungen. Nur das Stift der Deutschritter zu Köniz behielt seine besondere Verwaltung bis ins 18. Jahrhundert.
Die wichtigeren, damals säkularisierten Klöster der Stadt selbst sind die folgenden: 1. Das Dominikaner- oder Predigerkloster. Die Gebäude dienten seither allen möglichen Zwecken. Die Kirche ist die jetzige französische Kirche. Im Refektorium, wo einst König Sigismund beherbergt wurde, entdeckte man erst kürzlich interessante Wandgemälde. Jetzt ist es abgebrochen, die besterhaltenen Gemäldeteile sind ins historische Museum verbracht. Der Totentanz des Niklaus Manuel dagegen, der einst die Mauer des Klosterkirchhofs zierte, ist spurlos verschollen. 2. Das Franziskanerkloster, die jetzige Universität und Hochschulbibliothek. 3. Das Kloster und Spital zum heiligen Geist. 4. Das Inselkloster (s. oben pag. 227). 5. Die Antonierkapelle mit Spital für Wöchnerinnen, die mit der Krankheit Mutterkorn behaftet waren. Die Kapelle, ein Bau von 1494, besteht noch, und dient zur Zeit als Löschgerätschaftenmagazin. ¶
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Im 16. Jahrhundert schmückte sich die Stadt mit den noch heute vielbewunderten Brunnen. Diese sind fast die einzigen Spuren, welche die Renaissance an dem Aeussern der Stadt hinterlassen hat. Der schönste dieser Brunnen ist der Gerechtigkeitsbrunnen, unweit der alten Richtstätte; der sogenannte «Kindlifresser» ist eine Anspielung auf die den Juden zugeschriebenen Ritualmorde; der Pfeiferbrunnen ist eine Stiftung der Pfeiferbruderschaft und der Seilerin- oder Mässigkeitsbrunnen wird von den einen nach der Stifterin des Seilerspitals, von den andern als Allegorie gedeutet.
Noch setzte Bern eine Zeitlang seine expansive Politik fort. 1536 eroberte Hans Franz Nägeli die Waadt und trug die bernischen Waffen über Genf hinaus. Die Waadt wurde dem neuen Glauben zugeführt und aus der bischöflichen Kirche von Lausanne, der Bern so lange kirchlich unterstanden hatte, wanderten kostbare Prunkstücke an die Aare, wo sie lange als Teile der Burgunderbeute ausgegeben wurden. Im Frieden von Lausanne, 1564, gab Bern dem Herzog von Savoyen die Genf umgebenden Landschaften wieder heraus. Immer mehr war die Stadt ins Fahrwasser der französischen Politik gelangt. Ihre Räte nahmen Subsidien und ihre Soldaten Handgeld von den Königen Frankreichs. Aber nicht so weit gieng dieses unrühmliche Verhältnis, dass es den Rat der Stadt gehindert hätte, eine hugenottenfreundliche Politik zu treiben und u. a. den Kindern Coligny's nach der Pariser Bluthochzeit ein sicheres Asyl zu bieten.
Seine ausgedehnten Ländereien verwaltete Bern nach folgendem System: 1. Das Stadtgericht und die 4 Kirchspiele (s. oben pag. 226) standen direkt unter dem kleinen Rat. 2. Die 4 Venner zu Pfistern, Schmieden, Metzgern und Gerbern verwalteten die 4 Landgerichte Konolfingen, Zollikofen, Seftigen und Sternenberg. 3. Die Comthurei Köniz und die Städte Burgdorf und Thun hatten eigene Verwaltung, die letztern beiden unter Schultheissen. 4. Die innern und 5. die äussern Vogteien wurden von Landvögten verwaltet, deren Wahl auf den Vorschlag der Venner dem Grossen Rate zustand. Es gab zuletzt 52 Landvogteien, die nach ihrer Einträglichkeit für den Landvogt klassifiziert wurden.
Während der allgemeinen Unruhe des 30jährigen Krieges wurden die Schanzen gebaut. Erst wollte man die ganze Stadt damit umgeben, dann griff man wieder zu der Vereinfachung eines Abschlusses im Westen. Unter Agrippa d'Aubigny's Leitung und der Mithülfe der Bürgerschaft und des Landvolkes wurde das Werk von 1621 an ausgeführt.
Doch die grosse Zeit Berns war vorbei. Nur wie Nachspiele erscheinen den früheren Ereignissen gegenüber der unglückliche Veltlinerzug 1620, die barbarische Niederwerfung des Bauernaufstandes 1653, die verlorene Vilmergerschlacht 1656, der Revanchesieg am selben Orte 1712, die misglückten Umwälzungsversuche der beiden unvorsichtigen Freiheitsmärtyrer Davel, 1713, und Henzi, 1749.
Während bernische Offiziere, wie Hans Ludwig von Erlach und Robert Scipio von Lentulus im Auslande zu hohen kriegerischen Ehren gelangten, griff zu Hause das politische Stillleben Platz, das für die ganze damalige, von den Religionszwisten erschöpfte Schweiz charakteristisch ist. Verfeinerung der Bildung und des geselligen Lebens in der Stadt und relativer Wohlstand draussen in den Landschaften deckten nur schlecht die Schäden eines Staates, welcher jede politische oder soziale Neuerung kategorisch ausschloss.
Die Invasion der französischen Armee, 1798, hatte für die Stadt bleibende Folgen. Von nun an war sie erst eine Stadt wie andere, nicht mehr eine Burgerschaft von Regenten. Das unproduktive Erwerbssystem durch Aemter und Pensionen hörte auf, um so mehr wandte sich die von den Fesseln der Standesscheidung befreite Bürgerschaft der wirtschaftlichen und geistigen Thätigkeit zu. Der Strom geistigen Lebens, der zur Zeit der Haller, Bonstetten und Tscharner so vielversprechend reich geflossen war, versiegte nun auch über die traurigen Jahre des Uebergangs nicht mehr, erstarkte vielmehr durch die Teilnahme der befreiten Stände: die beiden Wyss pflegten die volkstümliche Dichtkunst, E. v. Fellenberg schuf in Hofwil die erste landwirtschaftliche Schule Europas, und das Geschlecht der Studer begründete die erfolgreiche Pflege der Naturwissenschaften, die fortan ein besonderer Ruhmestitel Berns werden sollte.
Durch Bundesbeschluss vom wurde Bern zur Bundesstadt des neuen schweizerischen Bundesstaates gewählt. Schon stand das erste Bundeshaus (1857) und fuhr die erste Eisenbahn (1858), als immer noch die Stadt den beengenden Mauergürtel im Westen nicht ganz beseitigt hatte. Die 3 Stadtthore: Aarbergerthor, Marzielethor und Oberthor fielen 1826-36, beziehungsweise 1854 und 1864. Die Schanzen wurden 1834-45 geschleift. Das höchste Erdwerk der grossen Schanze wurde stehen gelassen und trägt noch heute die Sternwarte. Die Bastion der kleinen Schanze wurde 1875 unter einem Kostenaufwand von 175000 Fr. zu der Promenade gleichen Namens gemacht.
Eine letzte Metamorphose erlebte die Stadt von 1859 an durch den Bau der Hochbrücken. An jede derselben knüpfte die Entstehung eines neuen Aussenviertels an. Das Kirchenfeld ward einer englischen Spekulationsgesellschaft verkauft (Berne Land Compagnie), die dafür den Brücken- u. Strassenbau übernahm. Die Kornhausbrücke war dann aber der Stadt eigenes Werk.
Litteratur.
B. Studer. Ueber die natürliche Lage von Bern. - A. Baltzer. Der diluviale Aaregletscher und seine Ablagerungen in der Umgebung von Bern. -
Bern, Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart (historischer Text des illustrierten Prachtwerkes von H. Türler). - E. v. Rodt. Bern im 19. Jahrhundert. - A. Auer. Die Gassen Berns. - A. Wäber. Führer durch Bern und Umgebung. - E. Landolt. Die Wohnungsenquête der Stadt Bern. -
Verwaltungsberichte und Rechnungen der städtischen und burgerlichen Behörde. - Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung von 1900. - Chr. Mühlemann u. A. Lauterburg. Ergebnisse der Bevölkerungsstatistik des Kantons Bern. - W. F. v. Mülinen. Berns Geschichte 1191-1891 (Festschrift zur 700-jährigen Gründungsfeier).
[Dr H. Walser.]