mehr
Die untere, schmalere Stadthälfte «die untere Stadt» duckt sich in den Thalkessel des Halbinselendes hinein. Dieser älteste Stadtteil liegt vom Verkehre ziemlich entrückt und besitzt vorzugsweise den Charakter einer Altstadt.
In derselben sind die Laubengassen noch ausgesprochener als in der obern. Hier trifft man auch öfter auf bemalte Häuser, seltener auf solche mit Erkern. Der schönste derselben (aus dem Jahre 1515) ziert die Kesslergasse, durch die wir auf den Münsterplatz gelangen. Aus der Enge dieses Platzes und der benachbarten Gassen strebt das Münster beinahe überwältigend mit seinem Turm, der auf dieser Seite alles andere verdeckt, in die Höhe. Den bis zur höchsten Kreuzblume aus Stein aufgeführten Helm sieht man von fast allen Stellen der an Ausblicken so reichen Stadt in den Himmel ragen.
Der spätgothische Bau wurde 1421 von Matthäus Ensinger aus Ulm begonnen. Der über dem reichverzierten Hauptportal emporragende Turm wurde anfangs etwas zu gross angelegt und blieb, von einem stumpfen Dache bedeckt, in der Höhe der ersten Gallerie, wo das Viereck in das Achteck übergeht, jahrhundertelang unvollendet, bis in den Jahren 1891-1896 unter der Leitung von Prof. Beyer (Ulm) das Achteck und der Helm in möglichster Anlehnung an die gegebenen Verhältnisse ausgeführt wurden.
Dem alten Bauplane im vollen Umfange nachzukommen, gelang jedoch leider unserer Zeit nicht. Das Innere der Kirche ist mit seinen drei Schiffen und den leuchtenden Glasmalereien des Chores von dem vollen Reiz der gothischen Kunst in ihrer einfacheren Ausgestaltung. Auf der Südfront tauchen die Münstermauern in das Grün der Linden der Plattform. Dies ist ein aus der Tiefe des Thales im Rechteck aufgemauerter Platz, der eine köstliche Aussicht auf das Aarethal, die Kirchenfeldbrücke und die Alpen bietet. Hier steht das Standbild des Gründers der Stadt. Die Plattform ist 35 m über der Aare, die Spitze des Helmes des Münsters 100 m über der Plattform. Man muss diesen Aufbau von der Thalsohle aus sehen, um den vollen Eindruck der grossgeplanten Bauweise und den Reiz dieses Details des bernischen Stadtbildes zu empfinden.
Neben diesem Bilde schrumpft das ehemalige Barfüsser-Kloster und jetzige Universitätsgebäude, das dicht am Eingang der Kirchenfeldbrücke ebenso nach S. schaut, zum Idyll aus der guten alten Zeit zusammen. Den Blick auf die Altstadt von Süden her fesseln endlich die alten, kunstreich aufgemauerten, an Raum höchst bescheidenen Gärten und die wunderlichen, mit vielen Läubchen wie beklebten Hintenausfronten der Herrengasse.
Auf den nördlichen Aarethalflügel schaut das Rathaus hinunter. Seine Hauptfaçade geht freilich auf die enge Stadtseite. Es ist der einzige schöne Profanbau gothischen Stils, den Bern besitzt. Sein ins Einfache übersetztes Ebenbild hat es im Rathaus von Freiburg i/Ue.
Im untern Stadtende tritt in der Anlage insofern eine wichtige Veränderung ein, als hier nun auch die schmalen Gelände am Aareufer selbst überbaut sind. Bevor die Nideckbrücke existierte, öffneten sich alle Hauptstrassen auf den «Stalden», welcher sich, mit teilweise sehr alten, jetzt ziemlich vernachlässigten Häusern besetzt, nach der alten Nideckbrücke hinabwindet. Von dort nach rechts ziehen sich die Häuser des Quartiers Matte, welches von einem grossen, wasserreichen Industriekanal durchflossen ist. Dieses Quartier ist einerseits der Standort einer lebhaften Industriethätigkeit, andererseits seiner tiefen Lage und ungenügenden Bauart wegen nicht mit Unrecht ein Sorgenkind der Stadt.
Die Nideckkirche krönt mit ihrem schlanken, gothischen Turm und Helm den Aufbau dieses ältesten Teiles der Stadt Bern. Wandert man über die Nideckbrücke am altberühmten Bärengraben vorbei, in dessen feuchtschattiger Tiefe einige Familien des Wappenthieres seit 4 Jahrhunderten gehegt werden, auf einer der schön ansteigenden Strassen empor, so hat man, vom Aargauer- oder Muristalden sich rückwärts wendend, den ausgeprägtesten und reizvollsten Anblick der innern Stadt: Man blickt über das westwärts anschwellende Gewirr der hohen und breiten Dächer;
man sieht die Hauptgasse sich in die Stadt hinaufwinden, man erkennt die Turmprofile des Zeitglocken und Käfigturms;
vor den Kuppeln und platten Dächern der Bundeshäuser ragt der schön durchbrochene Helm des Münsterturmes hoch über alles andere an die Lüfte.
Die graue Stadt ist umfangen vom grünen Aarethal, über dessen Tiefe die Hochbrücken kühne Linien bilden.
Die Aussenquartiere Berns sind mannigfaltig, wie es die Oertlichkeiten und die ruckweise erfolgende bauliche Entwicklung mit sich brachten.
Rechts von der Aare sind zunächst die alten Villeggiaturbezirke Rabbenthal, Altenberg und Schosshalde. Während die beiden erstgenannten sich an den Sonnhalden des nördlichen Aarethalflügels ausbreiten, erklimmen die alten Landsitze und neuen kleineren Bürgerlandhäuser der Schosshalde die hügelreiche Höhe im Osten der Stadt. Hier liegt anmutig ¶
mehr
zwischen aussichtsreichen Moränen der kleine See Egelmoos, dessen Fläche in den Frostperioden des Winters die schönste Eisbahn Berns ist.
Vom Ostende der Nideckbrücke an beginnen sich die Landstrassen des alten Bern unter hohen Ulmen und Linden nach allen Richtungen strahlenförmig zu verzweigen: Muristrasse, Schosshaldenstrasse, Ostermundingenstrasse, Bolligenstrasse und Papiermühlestrasse. Die letztere führt an den weitläufigen Gebäuden der Militäranstalten vorbei, wo Kaserne, Zeughaus und Stallungen einen grossen quadratischen Platz auf 3 Seiten einrahmen.
Von grösserer Bedeutung sind die beiden durch die Hauptbrücken erschlossenen Aussenquartiere Kirchenfeld und Spitalacker. Dort im Süden geniesst der Bewohner den Vorteil einer ruhigen und an Spaziergängen nach der Aare und dem benachbarten Wald Dählhölzli reichen Lage. Das Kirchenfeld ist Villenviertel und nimmt am Geschäftsleben wenig Anteil. Es besitzt die beiden grossen öffentlichen Bauten des historischen Museums und des eidg. Archivs. Das erstere, nach dem Vorbilde eines Schlosses des 16. Jahrhunderts 1890-1894 erstellt, dominiert mit seinen Türmen über das ganze Gebiet. Der Spitalacker empfängt zur Zeit sein Leben und seinen Verkehr noch vorzugsweise von den nahen Militäranstalten. Ueber dem rechtsseitigen Brückenkopf der Kornhausbrücke, die ja das genannte Quartier erst ins Leben rufen konnte, liegt in hohen Bäumen der Garten und das Châlet des Schänzli, dessen Ruf bei allen Besuchern Berns sich fort und fort durch die herrliche Stadt- und Alpenansicht erneuert.
Hinter ihm liegen auf einem in Terrassen westwärts geneigten Boden die beiden Bezirke Breitenrain und Lorraine mit ihren vielen billigen Wohnungen.
Links von der Aare fand das Raumbedürfnis der ihre alten Grenzen und Wälle sprengenden Stadt von den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts an zuerst Befriedigung. Während die schönen Lagen, die nordwärts das Aarethal dominieren, bis heute den Landsitzcharakter bewahrt haben (Enge, Brückfeld), erstand auf dem weiten Felde, durch das seit alters die Länggasse zum Bremgartenwalde führte, das nach dieser Strasse genannte volksreiche Quartier. Der gegen die Stadt gelegene vordere Teil der Länggasse ist reich an öffentlichen Gebäuden. In kurzem wird hier die Universität neu erstehen, für die die alten Klosterräume zu eng geworden sind.
Zwischen den dicht überbauten Donnerbühl und die westliche Ausfahrt des Bahnhofes schiebt sich der ländlich gebliebene Bezirk Stadtbach. Gleich jenseits der Bahnanlagen ist das an grossen Gärten und Landsitzen reiche Viertel der Villette.
Die tiefere, weitere Mulde südlich der Villette hat der Stadtentwicklung den meisten Raum geboten. Hier erheben sich angesichts des nahen Gurten und der Alpen die Bezirke Mattenhof und Sulgenbach. Hier mischt sich der Charakter der Arbeitervorstadt mit dem der bürgerlichen Gartenwohnungen.
Durch das Monbijou, wo der alte Friedhof dem Schulgebäude der städtischen Töchterschule Platz gemacht, erreichen wir die «Zwischen den Thoren» genannte Gegend am oberen Ende der innern Stadt. Hier strahlen wieder die Strassen des linken Aareufers, wie die des rechten bei der Nideckbrücke, in einer Stelle zusammen. Hier steht der Lieblingsheld der Berner, Adrian von Bubenberg, auf hohem Granitsockel, an derselben Stelle, wo einst das äussere Oberthor den nach Bern Wandernden empfieng, bevor er des Hauptthores beim Christoffelthurm ansichtig ward. Hier ist der Bubenbergplatz, dessen Nordseite das stattliche Barockgebäude des Burgerspitals einnimmt. Die früher davorgelegene sog. Rossschwemme, ein von Linden flankiertes Wasserbassin, ist jetzt zugefüllt. Die Strassen sind hier von stattlicher Breite und die Häuser meist von bemerkenswert vornehmer moderner Architektur (Bundes- und Christoffelgasse, Hirschengraben etc.)
Endlich nimmt unter den Stützmauern der Bundeshäuser das Quartier Marziele den dort flachen Thalgrund an der Aare ein. Ein ummauerter Weg führt von ihm aus zur obern Stadt, in die man durch das kleine Münzthor, ein hübsches Rococobauwerk in der Nähe des eidgenössischen Münzgebäudes, eintritt.
Bevölkerung.
Bern ist mit 64064 Einwohnern die vierte Stadt der Schweiz. Ueber die Einwohnerzahl früherer Jahrhunderte ist man nur sehr unvollkommen unterrichtet. Im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert begnügte sich die Obrigkeit, die Zahl der militärpflichtigen Haushaltungen (Feuerstätten) festzustellen. Wagt man aus diesen mangelhaften Daten einen Rückschluss, so dürfte das mittelalterliche Bern kaum mehr als 5000 Einwohner gehabt haben, eine Zahl, die bis 1653 auf ca. 10000 anstieg. Vollständige Erhebungen datieren seit 1764, und es mögen die folgenden Zahlen das seitherige Anwachsen der Bevölkerung veranschaulichen:
1764 | 13681 |
1818 | 17552 |
1850 | 27558 |
1860 | 29016 |
1870 | 35452 |
1880 | 43197 |
1888 | 46009 |
1900 | 64064 |
(Ortsanwesende Bevölkerung 65373.)
Von 65373 Personen waren am 30056 männlichen und 35317 weiblichen Geschlechtes. Es kommen somit 1175 Frauen auf 1000 Männer.
Bern ist nach der Zusammensetzung seiner Bevölkerung bei weitem die nationalste unter den grossen Städten der Schweiz. Es haben die Heimat:
Personen | |
---|---|
In der Stadt Bern | 3954 |
Im Kanton Bern | 41084 |
In einem der übrigen Kantone | 14388 |
Im Ausland | 5947 |
Die Ausländer machen 9,28% der Gesamtbevölkerung aus.
Der grosse Zuwachs der letzten Jahre rekrutierte sich zum weitaus grössten Teil aus dem deutschen Teil des Kantons Bern. Würde nicht die Verwaltung des Bundes alljährlich eine bedeutende Zuwanderung von Beamten aus allen Kantonen mit sich bringen, so wäre Bern noch viel ausgesprochener eine rein bernische Stadt. Indessen ist die Zahl der Altburger, die ihren Wohnsitz in der Stadt behalten haben, eine auffallend geringe (6%).
Obschon die Hinneigung der patrizischen Familien zur französischen Sprache noch immer traditionell fortbesteht, macht sich das romanische Wesen trotz der Nähe der Sprachgrenze (20 km) sehr wenig geltend.
Nach der Muttersprache verteilt sich die Bevölkerung wie folgt:
Deutsch | 60622 |
Französisch | 3087 |
Italienisch | 902 |
Romanisch u. andere | 762 |
Nur die zweisprachige Verwaltung des Bundes und des Kantons verleiht heute noch dem romanischen, spez. dem französischen Elemente der Stadt ein ordentliches Gewicht. ¶