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den Gemeindepräsidenten. Die Altbürger bilden die Burgergemeinden, deren oft sehr grosse und besonders der Wohltätigkeit zu Gute kommenden Güter vom Staate gewährleistet sind.
Staat und Kirche sind getrennt; kein kirchlicher Erlass bedarf staatlicher Genehmigung. Der Staat übt über Einhaltung der Glaubensfreiheit die Aufsicht. Es kann eine besondere Armensteuer erhoben werden, welche bis ¼ der Staatssteuer ausmacht. (Dies geschieht zur Zeit.)
Die Revision der Verfassung kann von 15000 Stimmberechtigten oder vom Grossen Rate angeregt werden. Der letztere muss die Revision in zweimaliger Beratung durch ⅔ Mehrheit beschliessen. Das Volk kann dann die Durchführung der Revision dem Grossen Rat oder einem Verfassungsrat übertragen. Bei der Abstimmung entscheidet das absolute Mehr der Stimmenden.
Staatshaushalt.
Im Jahre 1852, da zum ersten Male die jetzige Währung bestand, betrugen die Staatseinnahmen 4,07 Mill., die Staatsausgaben 4,35 Mill. Fr. Unter beständigem Steigen erreichten dieselben Posten bis 1899 die Werte von 14,8 resp. 14,97 Mill. Fr. In den 50 Jahren 1850-1899 schloss die Staatsrechnung mit kleinen Defiziten in folgenden Rechnungsjahren: 1850, 1852-54, 1862, 1864-67, 1874-79, 1882, 1884, 1892, 1898 und 1899. Die übrigen Jahre ergaben Einnahmenüberschüsse. Die wichtigsten Einnahmen des Staates sind folgende: Direkte Steuern 6 Mill., Gebühren 1,3 Mill., Hypothekarkasse 1,1 Mill., Anteil am eidgen. Alkoholmonopol 1 Mill., Wirtschaftspatente 0,9 Mill., Domänen 0,8 Mill., Waldungen 0,5 Mill., Salzmonopol 0,8 Mill., Stempelsteuer 0,6 Mill., Kantonalbank 0,6 Mill. Fr. etc.
Neben den oben erwähnten Kosten der Verwaltung des Schul- und Armenwesens sind als Hauptausgabeposten ferner zu nennen: 2,2 Mill. für das Bauwesen (Wasserbauten 1 Mill.), 1,9 Mill. für die Verzinsung der Stammschuld, 1 Mill. für Polizei, 1 Mill. für die Kirche, 0,9 Mill. für das Gesundheitswesen, 0,5 Mill. für Volks- und Landwirtschaft.
Der Staat hat seit 1895 vier verschiedene Anleihen im Gesamtbetrag von 134 Mill. Fr. aufgenommen. Davon entfallen jedoch 85 Mill. auf die Vermehrung des Betriebskapitals der beiden staatlichen Banken und kommen teils der Landwirtschaft, teils einer speziellen durch Volksabstimmung von 1897 sanktionierten Zweckbestimmung, der Subventionierung von Nebenbahnen, zu gute.
Die Staatsrechnung pro 1899 schliesst mit einem Bestand des reinen Vermögens von 56,3 Mill. Fr. ab (350,7 Mill. Aktiven gegen 294,4 Mill. Passiven). Am reinen Vermögen sind beteiligt die Domänen mit 27 Mill., die Waldungen mit 14,4 Mill. Fr. In Wertschriften besitzt der Kanton 10,3 Mill. Fr. Sie umfassen Obligationen u. Aktien folgender Natur (Reihenfolge nach den Beträgen): Kantonsanleihen von 1895, Thunerseebahn, Jura-Simplon, Nordostbahn, Emmenthalbahn, Langenthal-Huttwilbahn, Finländische Staatsbahn, Kantonsanleihen von Freiburg 1892, Centralbahn etc.
An Spezialfonds besitzt der Kanton 47, mit einem reinen Vermögen von 17,2 Mill. Fr. Die bedeutendsten sind diejenigen des Inselspitals (8 Mill.), des Ausserkrankenhauses (1,5 Mill.), ferner der kantonale Kranken- und Armenfond (1,1 Mill.), die Viehentschädigungskasse (1,6 Mill.), dis Mueshafenstiftung für Studienunterstützungen (0,8 Mill.), die Viktoriastiftung für Waisenerziehung (0,7 Mill.).
Die örtlichen öffentlichen Güter verteilen sich auf die Einwohnergemeinden und die Burgergemeinden. 1890 betrugen die Güter der Einwohnergemeinden 100 Mill. Fr., wovon Kirchengut 16 Mill., allgemeines Ortsgut 41,8 Mill., Schulgut 22,2 Mill. und Armengut 19,8 Mill. Fr. Die Burgergüter beliefen sich auf 95 Mill. Fr.
Die landschaftliche Verteilung dieser Ortsgüter zeigt grosse Ungleichheiten. Während Mittelland und Jura reichlich versehen sind, bleiben Oberland und namentlich das Emmenthal weit zurück. Hier wirkte die Verzettelung der Siedelungen einer gemeindeweisen Kapitalansammlung hemmend entgegen. Hier gestalteten sich nach und nach die Verhältnisse der Armen, aber auch der Schule und der Kirche zu sehr drückenden, weshalb sich hier die Heranziehung des Gesamtstaates für Zwecke, die anderswo den Gemeinden überlassen blieben, als notwendig zeigte.
Rückblick auf die Geschichte der Verfassung.
Es sind drei staatsrechtlich prinzipiell verschiedene Perioden zu unterscheiden:
I. Periode der Stadtsouveränetät 1191 bis 1798. Ueber die Erwerbung der staatlichen Souveränetät und die territoriale Ausbreitung der Zähringer- und späteren Reichsstadt wurde oben (pag. 204) orientiert. Die inneren politischen Institutionen entwickelten sich im freiheitlichen Sinne bis ins 16. Jahrhundert, von da bis 1798 im aristokratischen Sinne. Durch weitherzige Aufnahme immer neuer Bürger, die alle fast gleiches Recht genossen, wessen Standes sie auch waren, wirkte die Stadt Jahrhunderte lang als Zufluchtsort bedrängter, aber freiheitsuchender Elemente des Umkreises.
Ihre Organisation war militärisch und es ergab sich von selbst, dass die Männer ritterlicher Abkunft und ritterlicher Uebung, welche zuerst Ausburger, dann innerhalb der Mauern der Stadt selbst wohnende Bürger wurden, einen grossen Einfluss in der Leitung der stets kriegsbedrängten kleinen Schaar gewannen. Keine Verfassung gab damals dem Adel Vorrechte; aber er leitete die Stadt durch seine militärische Tüchtigkeit.
1295 entstanden die Regierungsformen, die der Hauptsache nach das ganze alte Bern beherrschten. Ein Schultheiss stand an der Spitze. Mit dem Kleinen Rate (12 Mitglieder) bildete er das Gericht der Stadt und übte er die oberste Kriegsleitung. Die Gemeinde, welche in allen wichtigen Angelegenheiten direkt befragt wurde, schoss einen Grossen Rat (von 200, später 300 Mitgliedern) aus; dieser war die Wahlbehörde und erliess die Verordnungen. Zünfte gab es auch in Bern, doch gewannen sie trotz heftiger Kämpfe nie überwiegende politische Macht. 4 unter ihnen (Metzgern, Gerbern, Schmieden und Pfistern) hatten das Recht, dass aus jeder von ihnen einer der 4 Venner gewählt wurden, die die 4 Landgerichte zu verwalten hatten (Konolfingen, Seftigen, Sternenberg und Zollikofen).
In den erworbenen Territorien gewann die Stadt erst nach und nach die Stellung, die in monarchischen Ländern dem Landesherrn zufiel. Von sich aus erteilte sie den Unterthanen weitgehende politische Rechte durch die Institution der Volksanfragen. Dieselben bestanden in einer allgemeinen Umfrage bei allen Gemeinden des Territoriums und bezogen sich namentlich auf Kriege und Friedensschlüsse, Steuern, Glaubenssachen etc. Ihre Resultate waren nur durch die Macht der Thatsache, nicht formell verbindlich. Die Institution dauerte von der Mitte des 15. bis an das Ende des 16. Jahrhunderts. In diese Zeit des Zusammenwirkens von Stadt und Land fällt die Blüteperiode des alten Staates (Burgunderkriege 1474-76, Dornach 1499, Bund mit Frankreich 1521, Einführung der Reformation 1528, Eroberung der Waadt und Hochsavoyens, Bund mit Genf 1536, Friede von Lausanne 1564). ¶
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Von dieser Zeit der gewaltigen Machtausbreitung, besonders aber der im Grunde demütigenden Anschliessung an Frankreich, datiert die nun immer mehr sich ausbildende Verknöcherung der politischen Formen. Die Rechte des Burgers von Bern waren eine Quelle materieller Vorteile geworden. Deshalb begann die Ausschliesslichkeit. Die Unterschiede zwischen den Altburgern und Einwohnern (neu Zugewanderten) wurden immer schärfer formuliert. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Aufnahme ins Burgerrecht vorübergehend gänzlich verboten, was auch später noch mehrfach geschah.
Während jene Volksanfragen (von 1610 an) gänzlich aufgegeben und dem Lande damit Teilnahme und Interesse am Staat entzogen wurden, bildete sich in der Stadt erst jetzt, zu einer Zeit, wo weitaus die meisten ritterlichen Geschlechter ausgestorben waren, eine eigentliche Aristokratie aus. Ein neuer Stand, das Patriziat, meist aus ehrsamen Handwerkersfamilien hervorgegangen, junkerliche Traditionen pflegend und Handel und Gewerbe vernachlässigend, machte zu seinem eigentlichen Beruf das Regieren. Diese an Zahl zusehends abnehmenden Altburger waren einzig regimentsfähig. 1691 waren nur noch 104 Geschlechter im Grossen Rate vertreten. Die Formen der Regierung wurden komplizierter und verfielen bei aller Ehrwürde dem Fluche der Lächerlichkeit. 1783 wurde durch Ratsbeschluss allen regimentsfähigen Geschlechtern gestattet, vor ihren Namen das Prädikat «von» zu setzen.
Gegen diese völlige Umgestaltung des Staates wurde von Seiten der dadurch Vergewaltigten nie ein allgemeiner Widerstand gewagt. Gefährlich ward der Aristokratie einzig der Bauernkrieg von 1653. In der Person des unglücklichen Niklaus Leuenberger verkörperte sich der Rechtssinn und die natürliche Freiheitsliebe, aber auch die Unklarheit, das mangelnde politische Bewusstsein und damit die Schwäche der vergeblich aufgestandenen emmenthalischen und oberaargauischen Bauern. 1749 versuchte in der Stadt selbst der Gelehrte Samuel Henzi mit einigen Freunden das System der patrizischen Ausschliesslichkeit zu brechen. Er unterlag wie Leuenberger und verfiel dem Henker wie dieser. Der Anstoss zu neuen politischen Bewegungen musste von aussen kommen.
II. Unterbrechung des Fortbestandes des Staates, 1798 bis 1803. Die Invasion der französischen Revolutionsarmee, welcher ausser den Urkantonen Bern allein einen ehrenvollen Widerstand leistete, führte zur zeitweiligen Aufhebung des Staates. Das Staatsgebiet wurde geteilt (Kantone Bern, Oberland, Waadt, Aargau) und die Teile zu Verwaltungsgebieten der einen und unteilbaren Helvetischen Republik gemacht. Bern wurde Sitz der Behörden des Einheitsstaates, insbesondere des Direktoriums.
III. Wiederaufbau und Konstituierung des heutigen Kantons Bern. 1803 wurde durch die von Napoleon I. geschaffene Mediationsakte der Kanton Bern konstituiert, indem mit dieser neu aufkommenden Bezeichnung der frühere Titel Stadt und Republik ersetzt wurde. Die alte ständige Souveränetät kehrte zum grossen Teile zurück. Die privilegierte Stellung der Stadt wurde aber nur teilweise wiederhergestellt. Indem man die Zünfte, ohne auf ihre ursprüngliche Bedeutung noch irgendwelche Rücksicht zu nehmen, zu politischen Korporationen umgestaltete, bildete man neben den 13 städtischen 52 neue ländliche.
Die 65 Zünfte wählten nun ebensoviele Mitglieder des Grossen Rates und bezeichneten eine grössere Anzahl Kandidaten für dieselbe Behörde, unter denen sodann das Loos entschied. In einem Kleinen Rate von 27 Mitgliedern war jeder Gerichtsbezirk durch je ein Mitglied vertreten. Der Grosse Rate wählte 2 Schultheisse, die im Amt jährlich abwechselten. Diese sogen. Mediationsverfassung anerkennt das Prinzip, dass Zehnten und andere Bodenzinse loszukaufen seien; sie blieb in Kraft bis 1813.
Der Durchmarsch der Verbündeten durch die Schweiz hatte auch für Bern eine Reaktion der inneren Politik zur Folge. Jetzt gieng man unter dem Einfluss des Metternich'schen Legitimitäts-Prinzips, dessen bedeutendster staatsrechtlicher Verfechter ein Berner, der Enkel des grossen Albrecht v. Haller, Ludwig, war, bis zur beinahe vollständigen Wiederherstellung der alten Stadtsouveränetät. Vom Grossen Rat gehörten nun wieder 200 den Stadtbürgern an, während aus der Landschaft erst 43, später 99 dazu vom Rate selbst adaptiert wurden.
In dieser Periode hiess der Staat konsequenter Weise wieder «Stadt und Republik». 1831 aber veranlasste die durch die Julirevolution in Paris neu geweckte Gährung im Volke die Regierung zur bedingungslosen Abdankung.
In einer neuen Verfassung wurden die Vorrechte der Geburt, die Privilegien der Stadt für alle Zeiten abgeschafft, dagegen die Glaubens-, Lehr- und Pressfreiheit gewährleistet. Der Grosse Rat wurde durch indirekte Wahl bestellt, und die Stimmfähigkeit des einzelnen Bürgers wurde an einen Zensus geknüpft. Zum ersten Mal nach langen Zeiten entschied in der Abstimmung über diese Verfassung das Volk wieder über eine bernische Staatsangelegenheit.
Neue Kämpfe, in denen mehr und mehr die gemeineidgenössische Politik mitspielte, brachten diese Verfassung von 1831 frühzeitig zu Fall. Gegen das «neue Herrentum» verbündeten sich altkonservative und radikale Elemente. 1846 gewannen diese letzteren unter Führern wie Ochsenbein, Niggeler und Stämpfli die Oberhand und brachten eine neue Verfassung zur Genehmigung durch das Volk, welche in allen wesentlichen Zügen als die Grundlage der heutigen zu gelten hat.
Direktes Wahlsystem, fakultatives Referendum, Abschaffung der Beschränkung des Stimmrechts, Oeffentlichkeit der Rats- und Gerichtsverhandlungen waren die wichtigsten Neuerungen. So war die Sonderstellung Berns als eines überwiegend oligarchischen Staates gründlich gebrochen. 1848 wurde Bern Sitz der Bundesbehörden. Der weitere Ausbau der Kantonsverfassung brachte 1869 das obligatorische Gesetzesreferendum und das bedingte Finanzreferendum, 1893, als einen Schlussstein des demokratischen Gebäudes, die Initiative.
Literatur und Quellen.
Thomas Schöpf, Karte des Berngebiets, von 1577. - Kutter-Leuzinger, Karte des Kantons Bern 1:200000. - J. Heinzmann, Beschreibung der Stadt und Republik Bern, 1794. - A. Jahn, Chronik des Kt. Bern alten Teils, 1857. - B. Hildebrand, Ueber das Staatsgebiet des Kt. Bern, 1860. - B. Studer, Beiträge zu einer Monographie der schweizerischen Molasse. - A. Baltzer, Das Aarmassiv. - G. Studer, Das Panorama von Bern. - Derselbe, Ueber Eis und Schnee. Die Berneralpen. - J. Imobersteg, Das Emmenthal; Geschichte, Land und Leute. - Derselbe, Das Simmenthal. - J. Jentzer, Das Amt Schwarzenburg. - J. Elzingre, Der bernische Jura (In: Vom Jura zum Schwarzwald, 1888). - Godet, Flore du Jura. - Fischer, Flora des Berner-Oberlandes und Flora von Bern und Umgebung. - K. Geiser, Studien über die bernische Landwirtschaft im 18. Jahrhundert. - Derselbe, Einleitung zum Katalog der ersten Kantonalen Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung in Thun, 1899. - Derselbe, Geschichte des bernischen Armenwesens. - Mitteilungen des bernischen statistischen Bureau, von 1883 an fortlaufend in 2-3 jährlichen Lieferungen, enthaltend vornehmlich: Bevölkerungs-, Agrikultur- und Gewerbestatistik. - Berichte der kantonalen bernischen Handels- und Gewerbekammer. No. 2: J. Hügli, Die heutige Entwicklung von Handel, Industrie und Kleingewerbe im Kanton Bern.
Periodica. Jahresberichte der Geographischen Gesellschaft von Bern (enthalten u. a. Th. Steck, Die Denudation im Kandergebiet und R. Zeller, Die Schneegrenze im Triftgebiet). - Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft von Bern. -
Neujahrsblätter der Literarischen Gesellschaft von Bern (enthalten u. a. K. Geiser, Land und Leute bei Jeremias Gotthelf und H. Walser, Dörfer und Einzelhöfe zwischen Jura und Alpen).
Geschichte. Fontes Rerum Bernensium (Bernische Geschichtsquellen). - C. Justinger, Berner Chronik. - J. L. Wurstemberger, Geschichte der alten Landschaft Bern. - A. von Tillier, Geschichte des Eidg. Freistaates Bern. - C. Herzog, Geschichte des bernischen Volkes. - W. von Mülinen, Heimatkunde des Kanton Bern. - A. Jahn, Der Kanton Bern, antiquarisch-topographisch beschrieben. - Festschrift zur 700-jährigen Gründungsfeier der Stadt Bern, enthaltend die Geschichte der bernischen Verfassung von K. Geiser.
Der Verfasser ist für die zuvorkommende Herausgabe von handschriftlichem Aktenmaterial und persönliche Auskunft zu Dank verpflichtet: dem eidgenössischen hydrometrischen Bureau (Direktor Herr J. Epper), dem ¶