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Einwohner 1850 Primarschüler, ein Verhältnis, welches weder im Durchschnitt der Schweiz, noch in einem europäischen Staate, Finnland ausgenommen, erreicht wird. In der gemeindeweisen Organisation der Schule besteht die Eigentümlichkeit, dass es viel mehr Schulorte als Gemeinden (830 gegenüber 509) giebt, eine Einrichtung, durch welche die langen Schulwege, besonders der Hofgebiete, auf ein Mass zurückgeführt werden, wobei der Schulzwang durchführbar wird. Im Amt Signau gibt es beispielsweise 46 Schulorte in 9 Gemeinden.
Die Gemeinden wählen die Lehrerschaft und die Kommissionen. In den 12 Inspektoratskreisen übt der Staat die Oberaufsicht.
Die Lehrerbesoldungen sind etwas niedriger als im Durchschnitt der Schweiz. 1200 Fr. für die Lehrer und 800 Fr. für die Lehrerinnen dürften die thatsächlichen Minima sein, obschon das Gesetz, welches die niedrigsten Gemeindebesoldungen und die Staatszulagen vorschreibt, noch etwas niedrigere Summen zulässt. Noch wird an den meisten Orten ein Teil der Gemeindebesoldungen in Naturalien verabfolgt (Holz, Freiwohnung, Ackerland). Die Hauptarbeit der Schulen fällt auf den Winter. 36 Schulwochen sind das jährliche Mindest-Erfordernis.
Der Schulbesuch ist im Vergleich zu den andern Kantonen kein glänzender, woran nicht nur örtliche sondern auch soziale Schwierigkeiten die Schuld tragen. Dies ist bei Beurteilung der Resultate der eidgenössischen Rekrutenprüfungen zu bedenken, in welchen der Kanton keinen ansehnlichen Rang einzunehmen pflegt. Fortbildungsschulen und Rekrutenkurse giebt es im ganzen Kanton. 8,5% aller Schüler besuchen dieselben. Die Gemeinden können sie obligatorisch erklären.
Die Sekundarschulen haben sich auf dem Lande und in den Städten sehr ausgebreitet. Ihre Zahl beträgt über 70. Ein Teil davon besteht freilich nur aus zwei Klassen; die voll ausgebildeten haben fünf Klassen. Diese stehen schon auf gleicher Stufe wie die Progymnasien, indem neben Französisch auch Lateinisch und Englisch als fakultative Fächer unterrichtet werden. Die Lehrerschaft geht meist aus denselben Seminarien hervor, wie die der Primarschule. Sie bildet sich während 4 Semestern an der Universität weiter. Von sämtlichen Schülern des Kantons sind 5,3% Sekundarschüler.
Es giebt 5 öffentliche Lehrerseminarien (wovon je 3 deutsche, 2 französische, und 2 für Lehrer, 3 für Lehrerinnen) und 2 Privatseminarien.
Das grösste Lehrerseminar ist das deutsche Staatsseminar von Hofwyl, das grösste Lehrerinnenseminar ist eine Abteilung der Mädchensekundarschule der Stadt Bern.
An höheren Mittelschulen giebt es 6 Progymnasien (Thun, Biel, Neuveville, Moutier, Delémont, St. Imier) und 4 Gymnasien: Bern, Burgdorf und Porrentruy, sowie ein Privatgymnasium in Bern. Alle Sekundarschulen, Progymnasien und Gymnasien stehen z. Z. unter einem einheitlichen Inspektorat (Mittelschulinspektorat).
Die kantonale Hochschule in Bern wurde 1834 in Ersetzung der bis dahin bestehenden Akademie gegründet. Sie umfasst neben den von Anfang an bestehenden 4 Fakultäten seit 1874 eine altkatholisch-theologische Fakultät. 1887 wurde als Bestandteil der philosophischen Fakultät eine Lehramtsschule errichtet, welche der Vorbildung der Sekundarlehrer dient. Endlich wurde 1900 die Tierarztneischule als sechste Fakultät der Hochschule erklärt. Mit der philosophischen Fakultät ist eine Kunstschule verbunden. Die Zahl der Studenten stieg 1899/1900 auf über 1000 an.
Eine landwirtschaftliche Schule besteht auf der Rüti bei Zollikofen. In Burgdorf und Biel bestehen technische Mittelschulen (Technikum), von welchen die letztere auch eine Eisenbahnschule aufweist.
Die Leistungen der Gemeinden und des Staates betragen für sämtliche Schulen ca. 8 Mill. Fr. jährlich. Davon entfallen auf die Primarschulen 4,8 Mill. (wovon 2,7 Mill. durch die Gemeinden), auf die Sekundarschulen 1,2 Mill. (wovon 760000 Fr. durch die Gemeinden), auf die Gymnasien 374000 Fr. und auf die Hochschule 700000 Fr. Die Kosten der Gymnasien werden ungefähr zur Hälfte, die der Hochschule ganz vom Staate getragen.
Staat.
Die Verfassung datiert vom Gemäss derselben sind die Volksrechte so ausgedehnt, dass der Kanton als eine reine Demokratie mit beschränktem Repräsentativsystem zu bezeichnen ist. Die Stimmberechtigten (Kantonsbürger, welche über 20 Jahre alt und im Kanton wohnhaft, Schweizerbürger, welche die nämlichen Eigenschaften besitzen und mehr als drei Monate niedergelassen resp. mehr als sechs Monate als Aufenthalter eingetragen sind) entscheiden durch Abstimmung über: 1. Verfassungsänderungen, 2. Gesetze, 3. Volksbegehren, 4. Beschlüsse des Grossen Rates, welche eine einheitliche Ausgabe von mehr als 500000 Fr. zur Folge haben, 5. neue Anleihen, 6. Erhöhung der Staatssteuer über den zweifachen Betrag des Einheitsansatzes.
Ein Volksbegehren (Initiative), von 12000 Stimmberechtigten unterstützt, wird der Gesamtheit zur Abstimmung vorgelegt. Es kann fertig formuliert oder in Form einer Anregung eingebracht werden. Der Grosse Rat kann dazu in einer Botschaft seine Ansicht äussern.
Die Stimmberechtigten sind, sofern das 25ste Jahr zurückgelegt ist, wählbar. Aemtervermengung ist verboten. Ausser im Grossen Rate dürfen keine Bluts- oder Heiratsverwandte in derselben Staatsbehörde sitzen. Die Erlasse der Behörden geschehen in deutscher Sprache und werden für den französischen Kantonsteil in diese Sprache übersetzt.
Vorberatende und Volksvertretungs-Behörde ist der Grosse Rat. Auf je 2500 Einwohner wird (in den Wahlkreisen) ein Mitglied desselben vom Volke gewählt. Nicht wählbar sind die Inhaber geistlicher oder weltlicher Stellen, welche vom Staate besoldet sind. Die Wahl findet alle vier Jahre statt, durch Volksbegehren auch in der Zwischenzeit. Es giebt keine Wahlkreisinstruktionen. Der Grosse Rat wählt selbst seinen Präsidenten. Er versammelt sich zu ordentlichen Sitzungen zweimal jährlich. Er übt die Vorberatung der Gesetze aus, fasst Beschlüsse und erlässt Dekrete und ist souverän, soweit es die direkten Volksentscheide und die Bundesverfassung zulassen. Von wichtigen Wahlen fallen ihm insbesondere zu diejenigen der 2 bernischen Ständeräte, des Regierungsrates und des Regierungspräsidenten, des Obergerichtes, der bernischen Stabsoffiziere etc.
Der Regierungsrat besteht aus 9 Mitgliedern, welche unter sich die 14 Direktionen der Verwaltung (Inneres, Justiz, Polizei, Finanzen, Erziehung, Militär, öffentliche Bauten, Eisenbahnen, Vermessung und Entsumpfung, Forsten, Domänen, Kirche, Gemeindewesen und Armenwesen) zu verteilen haben. Die Regierungsräte sollen beider Landessprachen kundig sein. Den politischen Minoritäten ist bei der Wahl Rücksicht zu tragen. Für jeden der 30 Amtsbezirke wird ein Regierungsstatthalter eingesetzt, welcher, vom Volke gewählt, das direkte Organ der Regierung ist.
Die Gerichte gliedern sich in das Obergericht und die Amtsgerichte. Das Obergericht besteht aus 15 Mitgliedern und 4 Ersatzmännern. Die Amtsdauer beträgt 8 Jahre, doch treten je 4 Mitglieder nach 4 Jahren, durch die Ersatzmänner ersetzt, vorübergehend aus. Das Obergericht ist Appellations-, Kassations- und Kriminalgericht. Die Amtsgerichte, bestehend aus einem Präsidenten (Gerichtspräsidenten), 4 Mitgliedern und 2 Ersatzmännern, direkt vom Volke gewählt, sind Civilgericht, Polizeigericht und Friedensgericht. Im Jura gilt in civilrechtlichen Sachen der Code civil.
Es giebt 6 kantonale Geschwornengerichte für die Strafprozesse. Das bernische Strafrecht sieht keine Todesstrafe vor. Die Zuchthaus- und Gefängnisstrafen werden in den folgenden 4 Strafanstalten verbüsst, welche alle mit ländlichen Arbeitsbetrieben verbunden sind: Witzwil, St. Johannsen, Thorberg und Trachselwald.
Alle Gemeinden besitzen das gleiche Mass von Autonomie. Die Gemeindereglemente unterliegen der Genehmigung durch die Regierung. Die Gemeienden wählen selbst ¶
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den Gemeindepräsidenten. Die Altbürger bilden die Burgergemeinden, deren oft sehr grosse und besonders der Wohltätigkeit zu Gute kommenden Güter vom Staate gewährleistet sind.
Staat und Kirche sind getrennt; kein kirchlicher Erlass bedarf staatlicher Genehmigung. Der Staat übt über Einhaltung der Glaubensfreiheit die Aufsicht. Es kann eine besondere Armensteuer erhoben werden, welche bis ¼ der Staatssteuer ausmacht. (Dies geschieht zur Zeit.)
Die Revision der Verfassung kann von 15000 Stimmberechtigten oder vom Grossen Rate angeregt werden. Der letztere muss die Revision in zweimaliger Beratung durch ⅔ Mehrheit beschliessen. Das Volk kann dann die Durchführung der Revision dem Grossen Rat oder einem Verfassungsrat übertragen. Bei der Abstimmung entscheidet das absolute Mehr der Stimmenden.
Staatshaushalt.
Im Jahre 1852, da zum ersten Male die jetzige Währung bestand, betrugen die Staatseinnahmen 4,07 Mill., die Staatsausgaben 4,35 Mill. Fr. Unter beständigem Steigen erreichten dieselben Posten bis 1899 die Werte von 14,8 resp. 14,97 Mill. Fr. In den 50 Jahren 1850-1899 schloss die Staatsrechnung mit kleinen Defiziten in folgenden Rechnungsjahren: 1850, 1852-54, 1862, 1864-67, 1874-79, 1882, 1884, 1892, 1898 und 1899. Die übrigen Jahre ergaben Einnahmenüberschüsse. Die wichtigsten Einnahmen des Staates sind folgende: Direkte Steuern 6 Mill., Gebühren 1,3 Mill., Hypothekarkasse 1,1 Mill., Anteil am eidgen. Alkoholmonopol 1 Mill., Wirtschaftspatente 0,9 Mill., Domänen 0,8 Mill., Waldungen 0,5 Mill., Salzmonopol 0,8 Mill., Stempelsteuer 0,6 Mill., Kantonalbank 0,6 Mill. Fr. etc.
Neben den oben erwähnten Kosten der Verwaltung des Schul- und Armenwesens sind als Hauptausgabeposten ferner zu nennen: 2,2 Mill. für das Bauwesen (Wasserbauten 1 Mill.), 1,9 Mill. für die Verzinsung der Stammschuld, 1 Mill. für Polizei, 1 Mill. für die Kirche, 0,9 Mill. für das Gesundheitswesen, 0,5 Mill. für Volks- und Landwirtschaft.
Der Staat hat seit 1895 vier verschiedene Anleihen im Gesamtbetrag von 134 Mill. Fr. aufgenommen. Davon entfallen jedoch 85 Mill. auf die Vermehrung des Betriebskapitals der beiden staatlichen Banken und kommen teils der Landwirtschaft, teils einer speziellen durch Volksabstimmung von 1897 sanktionierten Zweckbestimmung, der Subventionierung von Nebenbahnen, zu gute.
Die Staatsrechnung pro 1899 schliesst mit einem Bestand des reinen Vermögens von 56,3 Mill. Fr. ab (350,7 Mill. Aktiven gegen 294,4 Mill. Passiven). Am reinen Vermögen sind beteiligt die Domänen mit 27 Mill., die Waldungen mit 14,4 Mill. Fr. In Wertschriften besitzt der Kanton 10,3 Mill. Fr. Sie umfassen Obligationen u. Aktien folgender Natur (Reihenfolge nach den Beträgen): Kantonsanleihen von 1895, Thunerseebahn, Jura-Simplon, Nordostbahn, Emmenthalbahn, Langenthal-Huttwilbahn, Finländische Staatsbahn, Kantonsanleihen von Freiburg 1892, Centralbahn etc.
An Spezialfonds besitzt der Kanton 47, mit einem reinen Vermögen von 17,2 Mill. Fr. Die bedeutendsten sind diejenigen des Inselspitals (8 Mill.), des Ausserkrankenhauses (1,5 Mill.), ferner der kantonale Kranken- und Armenfond (1,1 Mill.), die Viehentschädigungskasse (1,6 Mill.), dis Mueshafenstiftung für Studienunterstützungen (0,8 Mill.), die Viktoriastiftung für Waisenerziehung (0,7 Mill.).
Die örtlichen öffentlichen Güter verteilen sich auf die Einwohnergemeinden und die Burgergemeinden. 1890 betrugen die Güter der Einwohnergemeinden 100 Mill. Fr., wovon Kirchengut 16 Mill., allgemeines Ortsgut 41,8 Mill., Schulgut 22,2 Mill. und Armengut 19,8 Mill. Fr. Die Burgergüter beliefen sich auf 95 Mill. Fr.
Die landschaftliche Verteilung dieser Ortsgüter zeigt grosse Ungleichheiten. Während Mittelland und Jura reichlich versehen sind, bleiben Oberland und namentlich das Emmenthal weit zurück. Hier wirkte die Verzettelung der Siedelungen einer gemeindeweisen Kapitalansammlung hemmend entgegen. Hier gestalteten sich nach und nach die Verhältnisse der Armen, aber auch der Schule und der Kirche zu sehr drückenden, weshalb sich hier die Heranziehung des Gesamtstaates für Zwecke, die anderswo den Gemeinden überlassen blieben, als notwendig zeigte.
Rückblick auf die Geschichte der Verfassung.
Es sind drei staatsrechtlich prinzipiell verschiedene Perioden zu unterscheiden:
I. Periode der Stadtsouveränetät 1191 bis 1798. Ueber die Erwerbung der staatlichen Souveränetät und die territoriale Ausbreitung der Zähringer- und späteren Reichsstadt wurde oben (pag. 204) orientiert. Die inneren politischen Institutionen entwickelten sich im freiheitlichen Sinne bis ins 16. Jahrhundert, von da bis 1798 im aristokratischen Sinne. Durch weitherzige Aufnahme immer neuer Bürger, die alle fast gleiches Recht genossen, wessen Standes sie auch waren, wirkte die Stadt Jahrhunderte lang als Zufluchtsort bedrängter, aber freiheitsuchender Elemente des Umkreises.
Ihre Organisation war militärisch und es ergab sich von selbst, dass die Männer ritterlicher Abkunft und ritterlicher Uebung, welche zuerst Ausburger, dann innerhalb der Mauern der Stadt selbst wohnende Bürger wurden, einen grossen Einfluss in der Leitung der stets kriegsbedrängten kleinen Schaar gewannen. Keine Verfassung gab damals dem Adel Vorrechte; aber er leitete die Stadt durch seine militärische Tüchtigkeit.
1295 entstanden die Regierungsformen, die der Hauptsache nach das ganze alte Bern beherrschten. Ein Schultheiss stand an der Spitze. Mit dem Kleinen Rate (12 Mitglieder) bildete er das Gericht der Stadt und übte er die oberste Kriegsleitung. Die Gemeinde, welche in allen wichtigen Angelegenheiten direkt befragt wurde, schoss einen Grossen Rat (von 200, später 300 Mitgliedern) aus; dieser war die Wahlbehörde und erliess die Verordnungen. Zünfte gab es auch in Bern, doch gewannen sie trotz heftiger Kämpfe nie überwiegende politische Macht. 4 unter ihnen (Metzgern, Gerbern, Schmieden und Pfistern) hatten das Recht, dass aus jeder von ihnen einer der 4 Venner gewählt wurden, die die 4 Landgerichte zu verwalten hatten (Konolfingen, Seftigen, Sternenberg und Zollikofen).
In den erworbenen Territorien gewann die Stadt erst nach und nach die Stellung, die in monarchischen Ländern dem Landesherrn zufiel. Von sich aus erteilte sie den Unterthanen weitgehende politische Rechte durch die Institution der Volksanfragen. Dieselben bestanden in einer allgemeinen Umfrage bei allen Gemeinden des Territoriums und bezogen sich namentlich auf Kriege und Friedensschlüsse, Steuern, Glaubenssachen etc. Ihre Resultate waren nur durch die Macht der Thatsache, nicht formell verbindlich. Die Institution dauerte von der Mitte des 15. bis an das Ende des 16. Jahrhunderts. In diese Zeit des Zusammenwirkens von Stadt und Land fällt die Blüteperiode des alten Staates (Burgunderkriege 1474-76, Dornach 1499, Bund mit Frankreich 1521, Einführung der Reformation 1528, Eroberung der Waadt und Hochsavoyens, Bund mit Genf 1536, Friede von Lausanne 1564). ¶