ganz oberhalb 1000 m gelegen ist, und die Franches Montagnes, wo 37% der Einwohner in solcher Höhe wohnen, sind die Gegenden,
welche zu den genannten 5% den grössten Anteil liefern. In den hochgebirgigen Teilen des Oberlandes sind einerseits die Thalsohlen
so sehr eintieft, dass die Dörfer fast alle unter 1000 m zu liegen kommen, anderseits die Gehänge sehr
selten von Siedelungen besetzt.
Der Kanton Bern
ist seit alters ein Land grosser natürlicher Volksvermehrung. Während noch 1888 auf 1000 Männer 1015 Frauen kamen,
ist 1900 das Verhältnis der Geschlechter: 1000 M., 985 F. Die Zahl der Trauungen ist mit 7‰ fast genau
so hoch als im Durchschnitt der Schweiz. Der Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle beträgt in der Regel zwischen 8 und
12,5‰ der Bevölkerung per Jahr. Im Jahrzehnt 1888-97 betrug derselbe 11,8‰ und war am bedeutendsten im Emmenthal (13‰)
und im Seeland (12,4‰), im Amt Schwarzenburg sogar 15,4‰, in Courtelary 15,8 und in Moutier 15,4‰,
dagegen nur 8,1 resp. 7,1 resp. 6,6‰ in den Aemtern Saanen, Oberhasle und Pruntrut.
Trotzdem vermehrt sich die Bevölkerung des Kantons nur relativ langsam, indem dem natürlichen Zuwachs eine sehr beträchtliche
Auswanderung entgegensteht. Zwar hat speziell die überseeische Auswanderung, welche in dem Zeitraum 1887-97
allein dem Kanton 5‰ der Bevölkerung jährlich entführte, neuerdings sehr beträchtlich abgenommen. Im Jahr 1897 wanderten
nur noch 470 Menschen (0,87‰) in überseeische Länder. Doch gibt es eine grosse jährliche Auswanderung nach den übrigen
Schweizerkantonen und nach den meisten Ländern Europas, welche sich ermessen lässt aus der Thatsache, dass z. B. 1888 im Kanton Neuenburg
31000, im Kanton Waadt
23000, im Kanton Freiburg
10000 Berner Staatsbürger gezählt wurden.
Die Bevölkerung wuchs von 1818-1900 von 333176 auf 586918. Im Beginn des Jahrhunderts erfolgte der Zuwachs rasch, dann ersichtlich
langsamer. Dabei zeigt sich bereits seit längerer Zeit die Erscheinung der langsamen Bevölkerungsabnahme
verkehrsentlegener Oertlichkeiten. Der Zug
in die Stadt hat keinen so grossen Einfluss auf die inneren Verschiebungen der Bevölkerung
als der Verlauf der grösseren Verkehrswege. Immerhin zeigt er sich in aller Schärfe bei der Zunahme Biels (jährlich 25,6‰),
während die Hauptstadt langsamer anwächst.
Von den 18 Städten des Kantons haben die meisten heute einen ländlicheren Charakter als einige grosse
und industrielle Dörfer, die wie Langnau und St. Immer bis 8000 Einwohner aufweisen. 13 von jenen 18 Städten besitzen weniger
als 4000, 4 sogar weniger als 1000 Einwohner. Man kann annehmen, dass zirka 20% der Bevölkerung städtisch wohnen.
Physischer Zustand derBevölkerung.
Die jährliche Untersuchung der (gegenwärtig an 7000) Rekruten ergibt ein durchschnittliches Verhältnis von 50% zum Militärdienst
Tauglichen. Bei der reichlichen und kräftigen Ernährung, welche in den meisten Landesteilen die Regel ist, erweist sich
der Berner schon durch seinen physischen Zustand als sehr brauchbaren Soldaten. Wenn in einzelnen Gegenden, besonders
des Oberlandes, die Zahl der Dienstuntauglichen auffallend gross ist, so ist das zum grossen Teil verschuldet durch die Auswanderung
gerade der kräftigsten Elemente unter den jungen Männern.
Viele von diesen pflegen in späteren Jahren, nach der Heimat zurückgekehrt, ihren Dienst nachzuholen. Es giebt aber unverkennbar
grosse Bevölkerungskreise, bei denen ungenügende Ernährung die Ursache der physischen Mängel ist.
Der Hofbauer des Emmenthales nährt sich und die Seinigen (Dienstboten inbegriffen) luxuriös im Vergleich zum Kleinbauern
des Schachenlandes, der Aemter Seftigen und Schwarzenburg, des Oberlandes etc. Hier müssen mehr als recht Kartoffeln und Milchkaffee
genügen.
Während die städtischen Orte durchschnittlich eine grössere Anzahl diensttauglicher Rekruten aufweisen,
als die ländlichen, besitzen diese allgemein eine langlebigere Bevölkerung, als jene. Das Emmenthal, der Oberaargau und das
Oberland zeichnen sich in dieser Beziehung besonders aus. Die Kindersterblichkeit ist im Oberland am geringsten, im Jura am
grössten. Und doch ist im ersteren Landesteil das Personal für Geburtshülfe sehr dünn gesäet. Gibt
es doch im ausgedehnten Amt Oberhasle zur Zeit nur zwei Aerzte und zwei Hebammen.
In der Krankenpflege waren 1898 258 Aerzte, 31 Zahnärzte, 497 Hebammen und 73 Apotheken thätig. Von den Aerzten entfallen
ca. 90 auf die Städte Bern
und Biel. In der Stadt Bern kommt ein Arzt auf 625 Einwohner, im Kanton einer auf 2132 Einwohner.
Es gibt zur Zeit einen grossen Kantonsspital (Inselspital) einen Frauenspital und ein «äusseres
Krankenhaus» für ansteckende Kranke, alle in Bern,
ferner 3 kantonale Irrenanstalten (Waldau, Münsingen, Bellelaye), 30 Bezirksspitäler
und eine Anzahl Privatspitäler (meist in Bern).
Als milde Stiftung von allgemeiner Bedeutung, deren Ziel die Bekämpfung der Tuberkulose und des Alkoholismus
durch Errichtung von Sanatorien und Trinkerheilanstalten ist, ist zu nennen die Jeremias Gotthelf-Stiftung. Ebenso sucht der
Hülfsverein für Geisteskranke der Verarmung der Bevölkerung vorzubeugen.
Das Armenwesen bildet einen wichtigen Zweig der öffentlichen Verwaltung, indem durch Gesetz dafür gesorgt ist,
dass die private Wohlthätigkeit (Spend- und Krankenkassen, Burgerliche Armenunterstützung etc.) mit der öffentlichen (Gemeinde
und Staat) kombiniert und insgesamt unter die Kontrolle der Regierung gestellt ist. Anspruch auf Unterstützung hat der verarmte
Kantonsbürger in der Gemeinde seines Wohnortes.
Es genossen 1898 33984 Personen = 62‰ der Bevölkerung die Unterstützung durch die öffentliche Wohlthätigkeit.
Die Gesamtauslagen des Staates, der politischen und bürgerlichen Gemeinden, der Spend- und Krankenkassen etc., beliefen
sich in demselben Jahr auf 4,2 Mill. Franken. Seit den Tagen eines Jeremias Gotthelf und Karl Schenk wird die Fürsorge für
die Armen energisch befördert.
Kirche und Schule.
Reformiert ist der ganze alte Kanton, sowie vom neuen Kantonsteil Biel, Neuenstadt, St. Immer und Münster
diesseits des Mont Raimeux. Katholisch sind die übrigen jurassischen Gebiete. Der römisch-katholische Jura bildet einen Teil
des Bistums Basel-Lugano, das an Stelle desjenigen von Basel
getreten ist. (Bischofssitz in Solothurn.)
Christ-katholische Kirchen gibt es im
Laufenthal, in Biel und in Bern.
Das geistliche Oberhaupt der Christ-Katholiken der Schweiz (Bischof) residiert
in Bern.
Die Leitung der reformierten Kirche steht der Landessynode zu. Die drei genannten Kirchen gelten als Landeskirchen. Es
gab 1900 506837 Reformierte und 81162 Katholiken, 1572 Israeliten und 1736 Andersgläubige. Im Jura gibt es noch viele
Wiedertäufer, meist einstige Deutsch-Berner, die im Laufe der letzten Jahrhunderte nach dem Münsterthal und den Freibergen
auswanderten. Das neuere Sektenwesen hat, ausser im Emmenthal, Oberland, und in den Städten wenig Boden gefasst. 90% aller
Trauungen innerhalb der Reformierten geschehen auch kirchlich. Zur israelitischen Religion bekannten sich 1888 1195 Personen.
Aus dem bernischen Schulwesen sind die ehemaligen Burgerschulen im Laufe der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts
verschwunden; heute ist das ganze Schulwesen auf ausgeprägt staatlich-demokratischer Grundlage organisiert. Die wenigen
Privatschulen stehen unter der Aufsicht des Staates.
Die Primarschule, welcher mit 83% aller Schüler der Hauptteil der Erziehung zufällt, ist obligatorisch und
umfasst 9 Schuljahre, deren erstes für jedes Kind mit dem zurückgelegten sechsten Altersjahre beginnt. Dieser relativ langen
Schulzeit entsprechend entfallen auf je 10000
mehr
Einwohner 1850 Primarschüler, ein Verhältnis, welches weder im Durchschnitt der Schweiz, noch in einem europäischen Staate,
Finnland ausgenommen, erreicht wird. In der gemeindeweisen Organisation der Schule besteht die Eigentümlichkeit, dass es
viel mehr Schulorte als Gemeinden (830 gegenüber 509) giebt, eine Einrichtung, durch welche die langen Schulwege, besonders
der Hofgebiete, auf ein Mass zurückgeführt werden, wobei der Schulzwang durchführbar wird. Im Amt
Signau gibt es beispielsweise 46 Schulorte in 9 Gemeinden.
Die Gemeinden wählen die Lehrerschaft und die Kommissionen. In den 12 Inspektoratskreisen übt der Staat die Oberaufsicht.
Die Lehrerbesoldungen sind etwas niedriger als im Durchschnitt der Schweiz. 1200 Fr. für die Lehrer und 800 Fr.
für die Lehrerinnen dürften die thatsächlichen Minima sein, obschon das Gesetz, welches die niedrigsten Gemeindebesoldungen
und die Staatszulagen vorschreibt, noch etwas niedrigere Summen zulässt. Noch wird an den meisten Orten ein Teil der Gemeindebesoldungen
in Naturalien verabfolgt (Holz, Freiwohnung, Ackerland). Die Hauptarbeit der Schulen fällt auf den Winter. 36 Schulwochen
sind das jährliche Mindest-Erfordernis.
Der Schulbesuch ist im Vergleich zu den andern Kantonen kein glänzender, woran nicht nur örtliche sondern auch soziale
Schwierigkeiten die Schuld tragen. Dies ist bei Beurteilung der Resultate der eidgenössischen Rekrutenprüfungen zu bedenken,
in welchen der Kanton keinen ansehnlichen Rang einzunehmen pflegt. Fortbildungsschulen und Rekrutenkurse
giebt es im ganzen Kanton. 8,5% aller Schüler besuchen dieselben. Die Gemeinden können sie obligatorisch erklären.
Die Sekundarschulen haben sich auf dem Lande und in den Städten sehr ausgebreitet. Ihre Zahl beträgt über 70. Ein Teil
davon besteht freilich nur aus zwei Klassen; die voll ausgebildeten haben fünf Klassen. Diese stehen
schon auf gleicher Stufe wie die Progymnasien, indem neben Französisch auch Lateinisch und Englisch als fakultative Fächer
unterrichtet werden. Die Lehrerschaft geht meist aus denselben Seminarien hervor, wie die der Primarschule. Sie bildet sich
während 4 Semestern an der Universität weiter. Von sämtlichen Schülern des Kantons sind 5,3% Sekundarschüler.
Es giebt 5 öffentliche Lehrerseminarien (wovon je 3 deutsche, 2 französische, und 2 für Lehrer, 3 für Lehrerinnen) und 2 Privatseminarien.
Das grösste Lehrerseminar ist das deutsche Staatsseminar von Hofwyl, das grösste Lehrerinnenseminar ist eine Abteilung
der Mädchensekundarschule der Stadt Bern.
An höheren Mittelschulen giebt es 6 Progymnasien (Thun, Biel, Neuveville, Moutier, Delémont, St. Imier) und 4 Gymnasien:
Bern,
Burgdorf und Porrentruy, sowie ein Privatgymnasium in Bern.
Alle Sekundarschulen, Progymnasien und Gymnasien stehen z. Z. unter einem
einheitlichen Inspektorat (Mittelschulinspektorat).
Die kantonale Hochschule in Bern
wurde 1834 in Ersetzung der bis dahin bestehenden Akademie gegründet. Sie
umfasst neben den von Anfang an bestehenden 4 Fakultäten seit 1874 eine altkatholisch-theologische Fakultät. 1887 wurde
als Bestandteil der philosophischen Fakultät eine Lehramtsschule errichtet, welche der Vorbildung der Sekundarlehrer dient.
Endlich wurde 1900 die Tierarztneischule als sechste Fakultät der Hochschule erklärt. Mit der philosophischen Fakultät
ist eine Kunstschule verbunden. Die Zahl der Studenten stieg 1899/1900 auf über 1000 an.
Eine landwirtschaftliche Schule besteht auf der Rüti bei Zollikofen. In Burgdorf und Biel bestehen technische Mittelschulen
(Technikum), von welchen die letztere auch eine Eisenbahnschule aufweist.
Die Leistungen der Gemeinden und des Staates betragen für sämtliche Schulen ca. 8 Mill. Fr. jährlich.
Davon entfallen auf die Primarschulen 4,8 Mill. (wovon 2,7 Mill. durch die Gemeinden), auf die Sekundarschulen 1,2 Mill.
(wovon 760000 Fr. durch die Gemeinden), auf die Gymnasien 374000 Fr. und auf die Hochschule 700000 Fr. Die
Kosten der Gymnasien
werden ungefähr zur Hälfte, die der Hochschule ganz vom Staate getragen.
Staat.
Die Verfassung datiert vom Gemäss derselben sind die Volksrechte so ausgedehnt, dass der Kanton als eine reine
Demokratie mit beschränktem Repräsentativsystem zu bezeichnen ist. Die Stimmberechtigten (Kantonsbürger, welche über 20 Jahre
alt und im Kanton wohnhaft, Schweizerbürger, welche die nämlichen Eigenschaften besitzen und mehr als
drei Monate niedergelassen resp. mehr als sechs Monate als Aufenthalter eingetragen sind) entscheiden durch Abstimmung über: 1. Verfassungsänderungen, 2. Gesetze, 3. Volksbegehren, 4. Beschlüsse
des Grossen Rates, welche eine einheitliche Ausgabe von mehr als 500000 Fr. zur Folge haben, 5. neue Anleihen, 6. Erhöhung
der Staatssteuer über den zweifachen Betrag des Einheitsansatzes.
Ein Volksbegehren (Initiative), von 12000 Stimmberechtigten unterstützt, wird der Gesamtheit zur Abstimmung vorgelegt. Es
kann fertig formuliert oder in Form einer Anregung eingebracht werden. Der Grosse Rat kann dazu in einer Botschaft seine Ansicht
äussern.
Die Stimmberechtigten sind, sofern das 25ste Jahr zurückgelegt ist, wählbar. Aemtervermengung ist verboten.
Ausser im Grossen Rate dürfen keine Bluts- oder Heiratsverwandte in derselben Staatsbehörde sitzen. Die Erlasse der Behörden
geschehen in deutscher Sprache und werden für den französischen Kantonsteil in diese Sprache übersetzt.
Vorberatende und Volksvertretungs-Behörde ist der Grosse Rat. Auf je 2500 Einwohner wird (in den Wahlkreisen) ein Mitglied
desselben vom Volke gewählt. Nicht wählbar sind die Inhaber geistlicher oder weltlicher Stellen, welche vom Staate besoldet
sind. Die Wahl findet alle vier Jahre statt, durch Volksbegehren auch in der Zwischenzeit. Es giebt keine Wahlkreisinstruktionen.
Der Grosse Rat wählt selbst seinen Präsidenten. Er versammelt sich zu ordentlichen Sitzungen zweimal jährlich.
Er übt die Vorberatung der Gesetze aus, fasst Beschlüsse und erlässt Dekrete und ist souverän, soweit es die direkten
Volksentscheide und die Bundesverfassung zulassen. Von wichtigen Wahlen fallen ihm insbesondere zu diejenigen der 2 bernischen
Ständeräte, des Regierungsrates und des Regierungspräsidenten, des Obergerichtes, der bernischen Stabsoffiziere etc.
Der Regierungsrat besteht aus 9 Mitgliedern, welche unter sich die 14 Direktionen der Verwaltung (Inneres,
Justiz, Polizei, Finanzen, Erziehung, Militär, öffentliche Bauten, Eisenbahnen, Vermessung und Entsumpfung, Forsten, Domänen,
Kirche, Gemeindewesen und Armenwesen) zu verteilen haben. Die Regierungsräte sollen beider Landessprachen kundig sein. Den
politischen Minoritäten ist bei der Wahl Rücksicht zu tragen. Für jeden der 30 Amtsbezirke wird ein
Regierungsstatthalter eingesetzt, welcher, vom Volke gewählt, das direkte Organ der Regierung ist.
Die Gerichte gliedern sich in das Obergericht und die Amtsgerichte. Das Obergericht besteht aus 15 Mitgliedern und 4 Ersatzmännern.
Die Amtsdauer beträgt 8 Jahre, doch treten je 4 Mitglieder nach 4 Jahren, durch die Ersatzmänner ersetzt,
vorübergehend aus. Das Obergericht ist Appellations-, Kassations- und Kriminalgericht. Die Amtsgerichte, bestehend aus einem
Präsidenten (Gerichtspräsidenten), 4 Mitgliedern und 2 Ersatzmännern, direkt vom Volke gewählt, sind Civilgericht, Polizeigericht
und Friedensgericht. Im Jura gilt in civilrechtlichen Sachen der Code civil.
Es giebt 6 kantonale Geschwornengerichte für die Strafprozesse. Das bernische Strafrecht sieht keine
Todesstrafe vor. Die Zuchthaus- und Gefängnisstrafen werden in den folgenden 4 Strafanstalten verbüsst, welche alle mit
ländlichen Arbeitsbetrieben verbunden sind: Witzwil, St. Johannsen, Thorberg und Trachselwald.
Alle Gemeinden besitzen das gleiche Mass von Autonomie. Die Gemeindereglemente unterliegen der Genehmigung durch die Regierung.
Die Gemeienden wählen selbst
mehr
den Gemeindepräsidenten. Die Altbürger bilden die Burgergemeinden, deren oft sehr grosse und besonders der Wohltätigkeit
zu Gute kommenden Güter vom Staate gewährleistet sind.
Staat und Kirche sind getrennt; kein kirchlicher Erlass bedarf staatlicher Genehmigung. Der Staat übt über Einhaltung der
Glaubensfreiheit die Aufsicht. Es kann eine besondere Armensteuer erhoben werden, welche bis ¼ der
Staatssteuer ausmacht. (Dies geschieht zur Zeit.)
Die Revision der Verfassung kann von 15000 Stimmberechtigten oder vom Grossen Rate angeregt werden. Der letztere muss die
Revision in zweimaliger Beratung durch ⅔ Mehrheit beschliessen. Das Volk kann dann die Durchführung der Revision dem Grossen
Rat oder einem Verfassungsrat übertragen. Bei der Abstimmung entscheidet das absolute Mehr der Stimmenden.
Staatshaushalt.
Im Jahre 1852, da zum ersten Male die jetzige Währung bestand, betrugen die Staatseinnahmen 4,07 Mill., die Staatsausgaben
4,35 Mill. Fr. Unter beständigem Steigen erreichten dieselben Posten bis 1899 die Werte von 14,8 resp. 14,97 Mill. Fr. In den 50 Jahren
1850-1899 schloss die Staatsrechnung mit kleinen Defiziten in folgenden Rechnungsjahren: 1850, 1852-54, 1862, 1864-67, 1874-79,
1882, 1884, 1892, 1898 und 1899. Die übrigen Jahre ergaben Einnahmenüberschüsse. Die wichtigsten Einnahmen des Staates
sind folgende: Direkte Steuern 6 Mill., Gebühren 1,3 Mill., Hypothekarkasse 1,1 Mill., Anteil am eidgen. Alkoholmonopol 1 Mill.,
Wirtschaftspatente 0,9 Mill., Domänen 0,8 Mill., Waldungen 0,5 Mill., Salzmonopol 0,8 Mill., Stempelsteuer 0,6 Mill., Kantonalbank
0,6 Mill. Fr. etc.
Neben den oben erwähnten Kosten der Verwaltung des Schul- und Armenwesens sind als Hauptausgabeposten ferner zu nennen:
2,2 Mill. für das Bauwesen (Wasserbauten 1 Mill.), 1,9 Mill. für die Verzinsung der Stammschuld, 1 Mill.
für Polizei, 1 Mill. für die Kirche, 0,9 Mill. für das Gesundheitswesen, 0,5 Mill. für Volks- und Landwirtschaft.
Der Staat hat seit 1895 vier verschiedene Anleihen im Gesamtbetrag von 134 Mill. Fr. aufgenommen. Davon entfallen jedoch 85 Mill.
auf die Vermehrung des Betriebskapitals der beiden staatlichen Banken und kommen teils der Landwirtschaft,
teils einer speziellen durch Volksabstimmung von 1897 sanktionierten Zweckbestimmung, der Subventionierung von Nebenbahnen,
zu gute.
Die Staatsrechnung pro 1899 schliesst mit einem Bestand des reinen Vermögens von 56,3 Mill. Fr. ab (350,7 Mill. Aktiven
gegen 294,4 Mill. Passiven). Am reinen Vermögen sind beteiligt die Domänen mit 27 Mill., die Waldungen
mit 14,4 Mill. Fr. In Wertschriften besitzt der Kanton 10,3 Mill. Fr. Sie umfassen Obligationen u. Aktien folgender Natur
(Reihenfolge nach den Beträgen): Kantonsanleihen von 1895, Thunerseebahn, Jura-Simplon, Nordostbahn, Emmenthalbahn, Langenthal-Huttwilbahn,
Finländische Staatsbahn, Kantonsanleihen von Freiburg
1892, Centralbahn etc.
An Spezialfonds besitzt der Kanton 47, mit einem reinen Vermögen von 17,2 Mill. Fr. Die bedeutendsten
sind diejenigen des Inselspitals (8 Mill.), des Ausserkrankenhauses (1,5 Mill.), ferner der kantonale Kranken- und Armenfond
(1,1 Mill.), die Viehentschädigungskasse (1,6 Mill.), dis Mueshafenstiftung für Studienunterstützungen (0,8 Mill.), die
Viktoriastiftung für Waisenerziehung (0,7 Mill.).
Die örtlichen öffentlichen Güter verteilen sich auf die Einwohnergemeinden und die Burgergemeinden. 1890 betrugen
die Güter der Einwohnergemeinden 100 Mill. Fr., wovon
Kirchengut 16 Mill., allgemeines Ortsgut 41,8 Mill., Schulgut 22,2
Mill. und Armengut 19,8 Mill. Fr. Die Burgergüter beliefen sich auf 95 Mill. Fr.
Die landschaftliche Verteilung dieser Ortsgüter zeigt grosse Ungleichheiten. Während Mittelland und
Jura reichlich versehen sind, bleiben Oberland und namentlich das Emmenthal weit zurück. Hier wirkte die Verzettelung der Siedelungen
einer gemeindeweisen Kapitalansammlung hemmend entgegen. Hier gestalteten sich nach und nach die Verhältnisse der Armen,
aber auch der Schule und der Kirche zu sehr drückenden, weshalb sich hier die Heranziehung des Gesamtstaates
für Zwecke, die anderswo den Gemeinden überlassen blieben, als notwendig zeigte.
Rückblick auf die Geschichte der Verfassung.
Es sind drei staatsrechtlich prinzipiell verschiedene Perioden zu unterscheiden:
I. Periode der Stadtsouveränetät 1191 bis 1798. Ueber die Erwerbung der staatlichen Souveränetät und die territoriale
Ausbreitung der Zähringer- und späteren Reichsstadt wurde oben (pag. 204) orientiert. Die inneren politischen
Institutionen entwickelten sich im freiheitlichen Sinne bis ins 16. Jahrhundert, von da bis 1798 im aristokratischen Sinne.
Durch weitherzige Aufnahme immer neuer Bürger, die alle fast gleiches Recht genossen, wessen Standes sie auch waren, wirkte
die Stadt Jahrhunderte lang als Zufluchtsort bedrängter, aber freiheitsuchender Elemente des Umkreises.
Ihre Organisation war militärisch und es ergab sich von selbst, dass die Männer ritterlicher Abkunft und ritterlicher Uebung,
welche zuerst Ausburger, dann innerhalb der Mauern der Stadt selbst wohnende Bürger wurden, einen grossen Einfluss in der
Leitung der stets kriegsbedrängten kleinen Schaar gewannen. Keine Verfassung gab damals dem Adel Vorrechte;
aber er leitete die Stadt durch seine militärische Tüchtigkeit.
1295 entstanden die Regierungsformen, die der Hauptsache nach das ganze alte Bern
beherrschten. Ein Schultheiss stand an der Spitze.
Mit dem Kleinen Rate (12 Mitglieder) bildete er das Gericht der Stadt und übte er die oberste Kriegsleitung.
Die Gemeinde, welche in allen wichtigen Angelegenheiten direkt befragt wurde, schoss einen Grossen Rat (von 200, später 300 Mitgliedern)
aus; dieser war die Wahlbehörde und erliess die Verordnungen. Zünfte gab es auch in Bern,
doch gewannen sie trotz heftiger Kämpfe
nie überwiegende politische Macht. 4 unter ihnen (Metzgern, Gerbern, Schmieden und Pfistern) hatten das
Recht, dass aus jeder von ihnen einer der 4 Venner gewählt wurden, die die 4 Landgerichte zu verwalten hatten (Konolfingen,
Seftigen, Sternenberg und Zollikofen).
In den erworbenen Territorien gewann die Stadt erst nach und nach die Stellung, die in monarchischen Ländern dem
Landesherrn zufiel. Von sich aus erteilte sie den Unterthanen weitgehende politische Rechte durch die Institution der Volksanfragen.
Dieselben bestanden in einer allgemeinen Umfrage bei allen Gemeinden des Territoriums und bezogen sich namentlich auf Kriege
und Friedensschlüsse, Steuern, Glaubenssachen etc. Ihre Resultate waren nur durch die Macht der Thatsache, nicht formell
verbindlich. Die Institution dauerte von der Mitte des 15. bis an das Ende des 16. Jahrhunderts. In diese Zeit des Zusammenwirkens
von Stadt und Land fällt die Blüteperiode des alten Staates (Burgunderkriege 1474-76, Dornach 1499, Bund mit Frankreich 1521,
Einführung der Reformation 1528, Eroberung der Waadt
und Hochsavoyens, Bund mit Genf
1536, Friede von Lausanne 1564).
mehr
Von dieser Zeit der gewaltigen Machtausbreitung, besonders aber der im Grunde demütigenden Anschliessung an Frankreich,
datiert die nun immer mehr sich ausbildende Verknöcherung der politischen Formen. Die Rechte des Burgers von Bern
waren eine
Quelle materieller Vorteile geworden. Deshalb begann die Ausschliesslichkeit. Die Unterschiede zwischen den Altburgern und
Einwohnern (neu Zugewanderten) wurden immer schärfer formuliert. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde
die Aufnahme ins Burgerrecht vorübergehend gänzlich verboten, was auch später noch mehrfach geschah.
Während jene Volksanfragen (von 1610 an) gänzlich aufgegeben und dem Lande damit Teilnahme und Interesse am Staat entzogen
wurden, bildete sich in der Stadt erst jetzt, zu einer Zeit, wo weitaus die meisten ritterlichen Geschlechter
ausgestorben waren, eine eigentliche Aristokratie aus. Ein neuer Stand, das Patriziat, meist aus ehrsamen Handwerkersfamilien
hervorgegangen, junkerliche Traditionen pflegend und Handel und Gewerbe vernachlässigend, machte zu seinem eigentlichen
Beruf das Regieren. Diese an Zahl zusehends abnehmenden Altburger waren einzig regimentsfähig. 1691 waren
nur noch 104 Geschlechter im Grossen Rate vertreten. Die Formen der Regierung wurden komplizierter und verfielen bei aller
Ehrwürde dem Fluche der Lächerlichkeit. 1783 wurde durch Ratsbeschluss allen regimentsfähigen Geschlechtern gestattet,
vor ihren Namen das Prädikat «von» zu setzen.
Gegen diese völlige Umgestaltung des Staates wurde von Seiten der dadurch Vergewaltigten nie ein allgemeiner
Widerstand gewagt. Gefährlich ward der Aristokratie einzig der Bauernkrieg von 1653. In der Person des unglücklichen Niklaus
Leuenberger verkörperte sich der Rechtssinn und die natürliche Freiheitsliebe, aber auch die Unklarheit, das mangelnde
politische Bewusstsein und damit die Schwäche der vergeblich aufgestandenen emmenthalischen und oberaargauischen Bauern. 1749 versuchte
in der Stadt selbst der Gelehrte Samuel Henzi mit einigen Freunden das System der patrizischen Ausschliesslichkeit zu brechen.
Er unterlag wie Leuenberger und verfiel dem Henker wie dieser. Der Anstoss zu neuen politischen Bewegungen musste von aussen
kommen.
II. Unterbrechung des Fortbestandes des Staates, 1798 bis 1803. Die Invasion der französischen
Revolutionsarmee, welcher ausser den Urkantonen Bern
allein einen ehrenvollen Widerstand leistete, führte zur zeitweiligen Aufhebung
des Staates. Das Staatsgebiet wurde geteilt (Kantone Bern,
Oberland, Waadt,
Aargau)
und die Teile zu Verwaltungsgebieten der einen und unteilbaren
Helvetischen Republik gemacht. Bern
wurde Sitz der Behörden des Einheitsstaates, insbesondere des Direktoriums.
III. Wiederaufbau und Konstituierung des heutigen Kantons Bern.
1803 wurde durch die von Napoleon I. geschaffene Mediationsakte der Kanton Bern
konstituiert, indem mit dieser neu aufkommenden Bezeichnung der frühere Titel Stadt und Republik ersetzt wurde. Die alte
ständige Souveränetät kehrte zum grossen Teile zurück. Die privilegierte Stellung der Stadt wurde
aber nur teilweise wiederhergestellt. Indem man die Zünfte, ohne auf ihre ursprüngliche Bedeutung noch irgendwelche Rücksicht
zu nehmen, zu politischen Korporationen umgestaltete, bildete man neben den 13 städtischen 52 neue ländliche.
Die 65 Zünfte wählten nun ebensoviele Mitglieder des Grossen Rates und bezeichneten eine grössere Anzahl Kandidaten für
dieselbe Behörde, unter denen sodann das Loos entschied. In einem Kleinen Rate von 27 Mitgliedern war
jeder Gerichtsbezirk durch je ein Mitglied vertreten. Der Grosse Rate wählte 2 Schultheisse, die im Amt jährlich abwechselten.
Diese sogen. Mediationsverfassung anerkennt das Prinzip, dass Zehnten und andere Bodenzinse loszukaufen seien; sie blieb
in Kraft bis 1813.
Der Durchmarsch der Verbündeten durch die Schweiz hatte auch für Bern
eine Reaktion der inneren Politik zur Folge. Jetzt gieng
man unter dem Einfluss des Metternich'schen Legitimitäts-Prinzips, dessen bedeutendster staatsrechtlicher Verfechter ein
Berner, der Enkel des grossen Albrecht v. Haller, Ludwig, war, bis zur beinahe vollständigen Wiederherstellung der
alten Stadtsouveränetät. Vom Grossen Rat gehörten nun wieder 200 den Stadtbürgern an, während aus der Landschaft erst
43, später 99 dazu vom Rate selbst adaptiert wurden.
In dieser Periode hiess der Staat konsequenter Weise wieder «Stadt und Republik». 1831 aber
veranlasste die durch die Julirevolution in Paris neu geweckte Gährung im Volke die Regierung zur bedingungslosen
Abdankung.
In einer neuen Verfassung wurden die Vorrechte der Geburt, die Privilegien der Stadt für alle Zeiten abgeschafft, dagegen
die Glaubens-, Lehr- und Pressfreiheit gewährleistet. Der Grosse Rat wurde durch indirekte Wahl bestellt, und die Stimmfähigkeit
des einzelnen Bürgers wurde an einen Zensus geknüpft. Zum ersten Mal nach langen Zeiten entschied in
der Abstimmung über diese Verfassung das Volk wieder über eine bernische Staatsangelegenheit.
Neue Kämpfe, in denen mehr und mehr die gemeineidgenössische Politik mitspielte, brachten diese Verfassung von 1831 frühzeitig
zu Fall. Gegen das «neue Herrentum» verbündeten sich altkonservative und
radikale Elemente. 1846 gewannen diese letzteren unter Führern wie Ochsenbein, Niggeler und Stämpfli
die Oberhand und brachten eine neue Verfassung zur Genehmigung durch das Volk, welche in allen wesentlichen Zügen als die
Grundlage der heutigen zu gelten hat.
Direktes Wahlsystem, fakultatives Referendum, Abschaffung der Beschränkung des Stimmrechts, Oeffentlichkeit der Rats- und
Gerichtsverhandlungen waren die wichtigsten Neuerungen. So war die Sonderstellung Berns als eines überwiegend
oligarchischen Staates gründlich gebrochen. 1848 wurde Bern
Sitz der Bundesbehörden. Der weitere Ausbau der Kantonsverfassung
brachte 1869 das obligatorische Gesetzesreferendum und das bedingte Finanzreferendum, 1893, als einen Schlussstein des demokratischen
Gebäudes, die Initiative.
Literatur und Quellen.
Thomas Schöpf, Karte des Berngebiets, von 1577. - Kutter-Leuzinger, Karte desKantons Bern
1:200000. - J. Heinzmann,
Beschreibung der Stadt und RepublikBern,
1794. - A. Jahn, Chronik desKt. Bernalten Teils, 1857. - B. Hildebrand, Ueber das StaatsgebietdesKt. Bern,
1860. - B. Studer, Beiträge zu einer Monographieder schweizerischen Molasse. - A. Baltzer, DasAarmassiv. - G. Studer, Das Panorama vonBern.
- Derselbe, Ueber Eis und Schnee. Die Berneralpen. - J. Imobersteg, Das Emmenthal;
Geschichte, Land und Leute. - Derselbe, Das Simmenthal. - J. Jentzer, Das Amt Schwarzenburg. - J. Elzingre, Der bernische Jura
(In: Vom Jura zum Schwarzwald, 1888). - Godet, Flore du Jura. - Fischer, Flora des Berner-Oberlandes und
Flora vonBernund Umgebung. - K. Geiser, Studien über die bernische Landwirtschaft im 18. Jahrhundert. - Derselbe, Einleitungzum Katalog der ersten Kantonalen Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung in Thun, 1899. - Derselbe, Geschichte des bernischenArmenwesens. - Mitteilungen des bernischen statistischen Bureau, von 1883 an fortlaufend in 2-3 jährlichen
Lieferungen, enthaltend vornehmlich: Bevölkerungs-, Agrikultur- und Gewerbestatistik. - Berichte der kantonalen bernischenHandels- und Gewerbekammer. No. 2: J. Hügli, Die heutige Entwicklung von Handel, Industrie und Kleingewerbe imKanton Bern.
Periodica. Jahresberichte der Geographischen GesellschaftvonBern
(enthalten u. a. Th. Steck, Die Denudationim Kandergebiet und R. Zeller, Die Schneegrenze im Triftgebiet). - Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft von Bern. -
Neujahrsblätter der Literarischen Gesellschaft vonBern
(enthalten u. a. K. Geiser, Land und Leute bei Jeremias Gotthelf und H.
Walser, Dörfer und Einzelhöfe zwischen Jura und Alpen).
Geschichte. Fontes Rerum Bernensium (Bernische Geschichtsquellen). - C. Justinger, Berner Chronik. - J. L. Wurstemberger, Geschichteder alten LandschaftBern.
- A. von Tillier, Geschichte des Eidg. FreistaatesBern.
- C. Herzog, Geschichte des bernischen Volkes. -
W. von Mülinen, Heimatkunde desKanton Bern.
- A. Jahn, DerKanton Bern,
antiquarisch-topographisch beschrieben. - Festschriftzur 700-jährigen Gründungsfeier der Stadt Bern, enthaltend die Geschichte der bernischen Verfassung von K. Geiser.
Der Verfasser ist für die zuvorkommende Herausgabe von handschriftlichem Aktenmaterial und persönliche Auskunft zu Dank
verpflichtet: dem eidgenössischen hydrometrischen Bureau (Direktor Herr J. Epper), dem
mehr
kantonalen statistischen Bureau (Direktor Herr C. Mühlemann), sowie den Herren Dr. K. Geiser und J. Hügli, Sekretär der
bernischen Handels- und Gewerbekammer. Herr J. Heierli, Zürich,
lieferte den Text über die Trachten.
Amtsbezirk. Derselbe umfasst das Gebiet auf beiden Ufern der Aare, rings um die Stelle, wo
dieser Fluss aus der Richtung NNW. scharf nach W. umbiegt und gleichzeitig jene Serie von Serpentinen bildet, in deren erster
die Stadt sich erhebt. Der Bezirk umfasst 231 km2. Er lehnt sich im O. und S. an das höhere Bergland, indem die Grenze
vom Grauholz über den Bantiger zum Weggissen, von da, die Aare bei Muri
überschreitend, über den Gurten und den Zingg an das Schwarzwasser
zieht. Im W. bilden das Schwarzwasser und die Sense,
darauf der Forst die Grenze, welche bei Wohlen abermals die Aare erreicht. Im NW.
lehnt sich das Gebiet an den Frienisberg, dessen Südabhang es zum grossen Teil in sich schliesst. Ueber
den Schüpberg kehrt die Grenze zum Grauholz zurück.
Die Bodengestalt ist sehr mannigfaltig. Man unterscheidet am besten die folgenden drei Höhenstufen: 1. Das enge und steilwandige
Aarethal, dessen Gehänge oft senkrechte Flühe von felsiger Molasse aufweisen, meist bewaldet und nur
da mit Ansiedlungen besetzt sind, wo die Erosion sie einst terrassenförmig zerschnitten hat. Bis zur Schwelle in der Stadt
Bern liegt die Sohle des Thales tiefer als 500 m ü. M. 2. Die grosse Terrasse oder das Plateau zu beiden Seiten der Aare.
Hier treten, unterbrochen durch Anschwellungen und Hügel, ausgedehntere Ebenen hervor, die den Namen
«Felder» tragen. Fast alle Ansiedlungen liegen auf dieser Stufe, deren
Höhe zwischen 550 und 600 m schwankt. In Form enger Thälchen dringt dieselbe in die dritte und höchste, die Stufe
des Erosionsberglandes ein. Dieses umgiebt auf fast allen Seiten die Hochterrasse mit höckerförmigen
Bergen, die nur Teile einer ursprünglichen höheren Bergmasse sind. Im Weggissen (965 m) und Zingg (945 m) erreicht diese
Stufe ihre höchsten Punkte. Der Frienisberg ist bedeutend niedriger.
Der Untergrund des Bezirkes ist oberhalb Berns marine Molasse, ein grünlichblauer, ziemlich leicht verwitternder Sandstein.
Ab und zu unterbricht ihn eine Lage Nagelfluh. Unterhalb Bern
ist im Aarethal die untere Süsswassermolasse
aufgeschlossen. Das Gebiet der grossen Terrasse ist an den meisten Stellen von Eiszeitschutt bedeckt, welcher bald als Moräne
gehäuft ist, bald als flache Schottermasse die Unebenheiten der Felsunterlage verhüllt. Bis zu den höchsten Punkten hinauf
trifft man die erratischen Blöcke, deren Gesteinsart beweist, dass die einen unter ihnen vom Berneroberland,
die anderen aber aus dem Rhonegebiet stammen.
Vom
Areal sind rund 95% produktiv und 5% (meist überbautes Terrain) unproduktiv. 29,4% sind mit Wald, 16,8 mit Wiesen und
48,8 mit Aeckern und Gärten bedeckt. Die Waldungen sind in der Regel zerstreut und von geringem Umfang.
Aber im Westen des Bezirks liegen zwei grosse Waldungen, der Bremgartenwald und der«Forst», die zu den stattlichsten der Schweiz
gehören. Beide sind zum grössten Teile Eigentum der Burgergemeinde Bern.
Die Buche ist hier reich vertreten.
Von den 92000 Einwohnern des Bezirkes entfallen 64000 auf die Stadt und 28000 auf die 11 Land-Gemeinden:
Köniz, Oberbalm, Bümpliz, Wohlen, Kirchlindach, Bremgarten, Zollikofen, Bolligen, Stettlen, Vechigen und Muri.
Von diesen Gemeinden besitzt
nur Zollikofen nicht auch seine eigene Kirche. Dieses ist zu Bremgarten
kirchgenössig.
Die ländlichen Wohnorte sind nur selten von stattlicher Grösse. Meist gehören zu einem Dorfe noch
eine grosse Anzahl von Weilern und zerstreuten Höfen und Besitzungen, welche oft die Einwohnerschaft einer Gemeinde auf mehr
als das dreifache von derjenigen des Hauptdorfes anschwellen machen. Diese Ausstreuung der Ansiedlungen zeigt sich besonders
auffallend in den Berggemeinden Oberbalm, Köniz, Wohlen und Kirchlindach, aber auch bei Bolligen und Muri,
wo die
vielen Moränenhügel die günstigsten Lagen zur Erstellung isolierter Wohnungen bieten. Durch diese Zerstreuung der Wohnorte
wird das Bild der Landschaft zu einem ausserordentlich belebten.
Trotz der Nähe der Hauptstadt hält der Bezirk seinen vorzugsweise bäuerlichen Charakter fest. Wohl sind seit alters jene
Hügel von Muri
und Bolligen von städtischen Familien zu Landsitzen auserkoren, wohl sehen die Dörfer Ostermundingen,
Wabern, Bümpliz und Zollikofen Vorstadthäuser emporwachsen, wo kleine städtische Beamte und Arbeiter billige Wohnungen finden,
doch herrscht noch überall das ursprüngliche bernische Bauernhaus in seiner gefälligen Form vor.
Unter den bäuerlichen Erwerbszweigen nimmt die Milchwirtschaft die erste Stelle ein. Ueberall giebt
es Dorfkäsereien. Köniz ist eine der viehreichsten Gemeinden des Kantons. Das Amt besass 1896 17016 Stück Rindvieh, worunter 11747 Kühe.
Die Aufzucht von Schlachtvieh, der Gemüsebau und der Obstbau sind trotz der günstigen Marktverhältnisse nicht sehr entwickelt.
Die Milchproduktion nimmt das Hauptinteresse in Anspruch.
Auf industriellem Gebiete haben sich die Verhältnisse in bemerkenswerter Weise verändert. Korn- und
Holzsägemühlen, sowie Branntweinbrennereien sind selten geworden; dagegen hat die alte Bausteingewinnung (Molassesandstein)
von Ostermundigen und Geristein bedeutende Dimensionen angenommen, und in Zollikofen, bei Wohlen und bei Bümpliz sind grosse
Ziegelbrennereien entstanden. Sehr
bedeutend ist auch die Bierbrauerei (Wabern und Reichenbach). Im Thale der Worblen liefert der wasserreiche Bach die Kraft für
eine eidgenössische Pulverfabrik und eine kleinere Papierfabrik etc. Ostermundingen ist als günstiger Verkehrsplatz nicht
nur der Sitz eines ansehnlichen Bausteinversandts, sondern neuerdings auch einer Fabrik von Kupfergeräten und Heizungseinrichtungen.
Eine Menge von Arbeitern entsendet das Land zur täglichen Arbeit (meist im Baugewerbe) in die Stadt,
mit der es durch ausgezeichnete Strassen verbunden ist.
Ueber die Aare führen ausserhalb der Stadt 4 Brücken, alle im NW. Es sind dies die schöne steinerne, 1850 dem Verkehr übergebene
Tiefenaubrücke, die alte Holzbrücke bei «Neubrücke», die Holzbrücke bei Hinterkappelen und ein eiserner
Steg bei Wohlen. Ausserdem setzt man an verschiedenen Stellen auf Drahtseilfähren über den Fluss.
Zu den bereits bestehenden Eisenbahnen (s. Kärtchen) wird sich in kurzen eine Bahn über Köniz nach Schwarzenburg gesellen.
^[Note:] Die Fortsetzung der Strassenbahn Bern-Worb bis Walkringen würde eine neue Zufahrt vom Emmenthale
her schaffen.
Die Dörfer des Amtes sind älter als die Stadt. Diese gehörte unmittelbar nach ihrer Gründung kirchlich eine Zeit lang
zu Köniz.
Die sogenannten 4 Kirchspiele Muri, Vechingen, Stettlen und Bolligen bildeten nebst Köniz den ältesten Territorialbestand Berns.
Das übrige Gebiet gehörte vor 1798 zu den Landgerichten: Das rechte Ufer der Aare zum Landgericht Zollikofen,
das linke zum Landgericht Sternenberg. Die letzte territoriale Veränderung erfolgte 1880, indem die bisherige Gemeinde Bremgarten-Stadtgericht
zu Kirchlindach geschlagen wurde. Die jetzige Gemeinde Bremgarten hiess damals noch Bremgarten, die Herrschaft. Abweichend von
allen übrigen bernischen Aemtern hat das Amt Bern zwei Regierungsstatthalter.
Stadt, Bundesstadt der Schweiz. Eidgenossenschaft und Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, liegt im Centrum
der westlichen Schweiz, mitten zwischen Alpen und Jura, auf der Hochfläche des Mittellandes. Sie ist von der nächsten Grenzstrecke,
der französischen Grenze am Doubs, 50 km entfernt. Auf der bernischen Sternwarte beträgt die geographische
Breite 46° 57' 6" N., die östliche Länge von Greenwich 7° 26' 20" (von Paris 5° 6' 11"). Die mitteleuropäische Zeit
geht der Ortszeit um 30' 14" vor.
Landschaftliche Lage.
Eine kurze Stunde südöstlich von der Stadt verlässt die Aare das breite von Thun sich herunterziehende Querthal. Sie dringt,
Mäander bildend, in ein sehr enges Thal ein, welches in das Plateau des Mittellandes eingetieft ist. Gleichzeitig biegt der
Fuss des höheren mittelländischen Berglandes rechts der Aare nach NO. und links der Aare nach SW. um. So liegt Bern
an der Kreuzungsstelle
der verlängerten Linie des Aarequerthals und des Fusses des höheren Mittellandes, dessen Linie von Langenthal
nach Freiburg
zieht. Auf dieser Kreuzung beruht die natürliche Verkehrslage Berns.
Die Flusshalbinsel, auf welcher sich das alte Bern
erhebt, ist ein Stück des umliegenden Plateaus. Auf diesem breiten sich die
Aussenquartiere aus. Die Halbinsel liegt etwas niedriger als das Plateau. Mit hohen Türmen muss daher
die Altstadt versuchen, in der weiteren Landschaft zur Geltung zu kommen, und es giebt viele Stellen der Umgebung, wo über
den dunklen Wäldern des Plateaus weiter nichts von Bern
zu sehen ist als der hellgraue Helm des Münsters.
Die Meereshöhe der Aare beträgt nahe der Umbiegungsstelle im O. 500 m. Die Sternwarte, welche auf dem
Plateau im W. gelegen ist, notiert 573 m. Als mittlere Höhenlage hat seit der Ueberbauung des Aussenplateaus 545 m zu
gelten.
Das Bodenrelief des Stadtgebietes ist sehr wechselvoll. Die Halbinsel selbst senkt sich von W. nach O., erst sehr allmählig,
gegen das Ende hin mit einer stärkeren Böschung. Da wo die Aare von S. her auf die Stadt zufliesst, ist
links das Thal ausgeweitet: hier fällt der Sulgenbach, dessen Ursprung hinter Köniz liegt, mit lebhaftem Gefälle in die einstige
Au des heutigen Stadtteils Marziele. Gleich nach der Biegung am Fuss des Stadthügels liegt rechts
vom Fluss die grüne, baumreiche
Au des Schwellenmätteli.
Dieses hat seinen Namen von einem grossen Staudamm, welcher schräg durch den Fluss durchzieht und einen Teil desselben nach
dem nächstfolgenden Thalsohlenstück, der «Matte», leitet. Ueber die Schwelle fällt der blaugrüne Fluss mit grossem Rauschen.
Er fliesst ungestüm zur gegenüberliegenden, steilen und bewaldeten Halde und lässt am Fuss der Schwelle
eine grosse Menge von Geröllen liegen, welche zur Zeit des gewöhnlichen Wasserstandes als öde Kiesbänke aus dem Wasser
schauen. Im nördlichen Thalflügel sind die Säume des Thalbodens gänzlich eingeschrumpft und bieten nur wenigen Gebäuden
Raum.
Der Fluss hat eine mittlere Breite von 30 m. Seine Geschwindigkeit ist 1,5 bis 4 m in der Sekunde. Die
Wassermengen des echten Gebirgsflusses sind beträchtlichen Schwankungen unterworfen. Nach ungefähren Schätzungen führt
der Fluss bei sehr niedrigem Stande (im Dezember und Januar meist) wenig mehr als 20 m3 per Sekunde, bei hohem Stande dagegen,
der im Sommer häufig mit den Gewittern des Einzugsgebietes einzutreten pflegt, bisweilen über 600 m3.
Doch existieren noch keine genaue Messungen. Die Hochwasser sind trübbraun und bringen das Gerölle der vielen Kiesbänke
zum Weiterwandern. Sie entstammen den Zuflüssen herwärts vom Thunersee, welcher die eigentlichen Alpenhochwasser regelt,
sodass diese nicht unmittelbar nach Bern
gelangen. Die mittlere Temperatur des Aarewassers beträgt nach E.
Schmid:
im
°C
Luft °C
Mai
10.1
11.7
Juni
13.6
16.0
Juli
15.1
18.9
August
14.9
16.6
September
14.9
14.3
Oktober
11.0
7.6
Durchschnittlich ist das Aarewasser um 1,4° wärmer als die umgebende Luft, offenbar eine Wirkung der Erwärmung der
Oberlandseen.
Das Thal der Aare ist ein reines Erosionsthal. Zu beiden Seiten desselben besteht das Plateau aus der Süsswassermolasse, welche
indes im Weichbild der Stadt sehr selten unmittelbar hervortritt. Dagegen bildet sie wenig stromabwärts malerische, das
Thal einrahmende Felspartien. Die Meeresmolasse setzt die sämtlichen höheren Bergmassen im NO., O., S.
und SW. zusammen. Bern
liegt auf der Grenzlinie. Den Baugrund der Stadt bildet fast überall der eiszeitliche Schutt, dessen Anhäufungen
in Form von Moränen der gesamten Landschaft um Bern
erst recht das entscheidende Gepräge geben.
Bern
liegt nämlich am innern Rande einer grossen bogenförmigen Folge von Hügeln, der Endmoräne des eiszeitlichen
Aaregletschers. Der Rhonegletscher hatte sich zurückgezogen, so dass die Zunge des Aaregletschers an der Stelle der heutigen
Stadt halt machen und die Moränen sich bilden konnten. Darauf zog sich das Eis für die lange Folgezeit in die Alpen zurück.
Des Hauptzug der Wälle geht von der Schosshalde zum Schänzli, wo der ganze Hang und stückweise die Sohle
des Aarethales selbst mit Eiszeitschutt bedeckt sind, darauf zur grossen Schanze, zum Donnerbühl, zur Insel und über Lentulushubel
und Steinhölzli an die Nordostgehänge des Gurten, wo einst der eratische Block «Teufelsburde» lag.
Aeusserst interessante Spuren der Gletscherzeit birgt auch der zum Bahnhof abfallende Hang der grossen
Schanze. Hier zeigten sich, anlässlich der Erweiterung des Bahnhofes, von Gletscherbächen in die Molasse geschnittene Riesentöpfe.
Auch der Halbinselboden besteht in der obersten Schicht aus Blockschutt und Kies der Eiszeit. Einige der interessantesten
hier und dort aus dem Schutt gegrabenen erratischen Blöcke sind gruppenweise aufgestellt auf der Promenade
der grossen Schanze, sowie am nördlichen Brückenkopf der Kornhausbrücke. Ausserhalb der Moränen schütteten die Gletscherabflüsse
auf dem Plateau alle Vertiefungen mit Kiesmassen auf und schufen so die jetzt «Felder»
genannten ebenen Fluren, wie das Breitenrainfeld, das Wilerfeld, Beundenfeld etc.
Fast nach allen Seiten ist der Gesichtskreis Berns durch Wälder begrenzt, von denen aber nur der Bremgartenwald
im NW. eine grosse Ausdehnung besitzt. Sowohl dieser wohlgepflegte Forst von Buchen und Fichten, als die Waldung Dählhölzli
im SO. können in wenigen
mehr
Minuten von der Stadt aus erreicht werden. 1-2 Stunden von der Stadt erheben sich die waldigen Bergrücken des Gurten, des
Könizberges, des Ostermundingenberges, des Bantigers und des Grauholzes.
Ueber die klimatischen Verhältnisse mögen folgende Angaben kurz orientieren: Mittlerer Barometerstand 712,3 mm. Die mittleren
täglichen Oscillationen des Luftdrucks betragen im Sommer 2,0, im Winter 3,6 mm. Das Jahresmittel der
Temperatur ist 8,1 °C. Das Mittel des wärmsten Monats (Juli) ist +18 °C, das des kältesten (Januar) -2,7 °C. Die mittleren
Extreme sind +29,2 und -19,8 °C. Am zeigte das auf dem freien Felde des Plateaus (Engelmösli) befindliche Minimumthermometer
-25,6 °C, am wurde von Fueter genau dieselbe extrem niedrige Temperatur abgelesen.
Die vorherrschenden Winde wehen ans SW. und NO. Jene bringen feuchtwarmes, diese kalttrockenes Wetter. Der Föhn macht sich
meist nur als gelinder absteigender Luftstrom geltend, der die Berge des Oberlandes sehr nahe scheinen lässt. Die mittlere
Menge der Niederschläge beträgt 940 mm. Bern
ist in einer relativ trockenen Zone des Mittellandes gelegen. Die Niederschläge
sind im Sommer am ausgiebigsten, in ihrer Häufigkeit sind sie jedoch auf das ganze Jahr ziemlich gleichmässig verteilt.
(Mittlere Zahl der Tage mit Niederschlägen 163, Mittel der relativen Feuchtigkeit 78,2, mittlere Bewölkung
6,4). Bern
hat viel Nebel. An ruhigen Tagen des Sommerhalbjahrs pflegen wochenlang allmorgendlich leichte Bodennebel durch das
Aarethal zu wallen. Der grossen relativen Bewölkung steht eine ebenso bedeutende Intensität der Sonnenstrahlung ausgleichend
gegenüber. Die Zahl der Gewitter schwankt zwischen 10 und 30 per Jahr. Gefährlich sind dieselben selten, die
eigentlichen Hochgewitterzüge wenden sich in der Regel in das nahe Schwarzwasserbergland.
Das erste Blühen des Kirschbaums fällt, nach einer 38jährigen Beobachtungsreihe, durchschnittlich auf den 26. April, das erste
Eintreffen der Schwalbe auf den 10. April.
Die natürliche Lage Berns erhält ihre Weihe durch die Nähe der Alpen des Berner Oberlandes, deren wunderbare
Gipfelreihe von jedem freien Punkte der Stadt aus durch die Oeffnung des Aarequerthales sichtbar ist. Man kennt Bern
nicht, wenn
man es bloss an einem bedeckten Tage gesehen hat. Das sozusagen stadtbernische Alpenpanorama reicht vom Stockhorn im W. bis
zur Schrattenfluh im O. Genau in der Mitte desselben stehen Jungfrau, Mönch und Eiger.
Die merkwürdige Lage Berns spricht eine deutliche
Sprache. Diese Stadt, so gut wie eine Burg über dem tiefen Thal und dem
reissenden Fluss, sollte in dem Sinne ihres Gründers ein fester Platz sein, und wurde es wirklich durch den Arm ihrer Bürgerschaft.
Der kulturellen Entwickelung setzte ebendieselbe Lage manche grosse Schwierigkeit entgegen. Verhältnismässig
früh gelang die definitive Bändigung des Flusses durch Ufermauern. Dagegen war eine dem Verkehr genügende Ueberbrückung
desselben erst der jüngsten Zeit vorbehalten.
Bis zum Jahre 1841 besass Bern
einzig die sogenannte Unterthorbrücke, welche den ältesten Stadtteil bei der Nideck mit dem
Ostufer der Aare verbindet. Sie überbrückt nur den Fluss, nicht aber das 35-40 m tiefe Flussthal. In geringer Entfernung
davon entstand 1841-1844 unter Leitung von K. E. Müller aus Altdorf die imposante, ganz in Stein ausgeführte Nideckbrücke.
Sie besteht aus 2 Bogen, deren kleinerer die sogenannte Mattenenge, eine feuchte und dunkle Gasse, und
deren grösserer den Fluss selbst überspannt.
Dieser Hauptbogen ist mit 50 m Spannweite einer der grössten steinernen Brückenbogen der neueren Zeiten. Hat schon die
Nideckbrücke eine Höhe von 26 m über dem Aaremittelwasser, so erheben sich erst recht als eigentliche Hochbrücken die
neuen Eisenkonstruktionen über den Fluss und vermitteln den Verkehr der Stadtteile ohne jedes störende
Gefälle der Zufahrtsstrassen. Dies sind die Eisenbahnbrücke, die Kirchenfeld- und die Kornhausbrücke. Die Eisenbahnbrücke
verbindet das obere westliche Ende der Altstadt nach N. hin mit dem rechten Aareufer. Sie wurde 1858 als Gitterbrücke konstruiert.
Obwohl auch für den gewöhnlichen Verkehr bestimmt, genügt sie diesem doch nur in beschränktem Masse.
Die Kirchenfeldbrücke eröffnet der Stadtmitte einen Ausgang nach Süden. Sie besteht ganz aus Eisen und besitzt zwei gleich
grosse Bogen von je 87 m Spannweite. Der südliche Bogen ruht schon ganz jenseits des Flusses und überbrückt die obengenannte
Au des Schwellenmätteli. Die Brücke ist äusserst elegant. Ihre Höhe ist 34,5 m. Sie wurde 1882-1883 erstellt
und kostete 1250000 Franken.
Von der Stadtmitte nach Norden führt die Kornhausbrücke. Sie bildet eine stolze Folge von 8 eisernen Bogen und Oeffnungen,
die auf massiven Steinpfeilern ruhen. Die Höhe der Brücke ist 48 m. Die Spannweite des den Fluss selbst
überwölbenden Bogens ist 114,86 m. In einer Länge von 355,4 m steigt die Fahrbahn von S. nach N. mit 2,7% gleichmässig
an. Dies ist die grösste und schönste Brücke Berns. Sie wurde 1898 eingeweiht.
mehr
Zwei weitere Brücken vermitteln den Verkehr in der Tiefe des Aarthales.
Die Raumverhältnisse der vier Hauptbrücken mögen an Hand der folgenden Zusammenstellung verglichen werden:
Auf den ersten Blick fällt die überaus scharfe Sonderung auf, welche in Bern
zwischen der alten historischen und der neuen Aussenstadt
besteht. Hier im Innern der Halbinsel ist der verfügbare ebene Raum eng mit massigen Häuserpolygonen
überbaut, draussen auf dem Aussenplateau herrscht eine grosse Verzettelung der Gebäude und ist nur selten eine eigentliche
Gasse, überall dagegen das Grün der Gärten. Zwischen beide Teile schiebt sich das Aarethal mit seinen im Süden terrassenförmig
aufgemauerten, im Norden dagegen natürlich abfallenden, steilen und unüberbaubaren Halden. Nur im W.
geht die Altstadt teilweise unmittelbar in die äussere Stadt über. Man nennt in Bern
die Halbinselstadt innere Stadt oder die
Stadt schlechthin.
Die innere Stadt ist 1300 m lang und 3-400 in breit. Ihre Strassenzüge sind von Anfang an durch die Natur des Bodens in so
bestimmter Weise bedingt gewesen, dass noch heute die ganze Stadtanlage, so sehr sich auch die Détails der Konstruktionen
geändert haben mögen, ein getreues Abbild der ursprünglichen genannt werden kann. In dieser Hinsicht steht Bern
fast einzig
da.
Eine geringe Anzahl von Gassen (in der obern Hälfte der Stadt 5-6, in der untern 3-5) zieht nämlich
in westöstlicher Richtung durch die Länge des Halbinselplateaus. Diese Längsstrassen sind in der Regel nur durch ganz
enge überwölbte Durchschlüpfe, «Gässchen», in der Querrichtung verbunden.
Aber an zwei Stellen, zwischen den beiden Hochbrücken in der Stadtmitte und höher oben, wo die eigentliche Halbinsel sich
öffnet, gehen breite Querstrassenzüge.
Diese müssen die freien Plätze ersetzen, welche sonst der inneren Stadt fast gänzlich fehlen. Sie nehmen die Stellen ein,
wo sich einst der erste und der zweite befestigte Stadtabschluss befanden. Da wo der mittlere Längsstrassenzug, einst die
alleinige Hauptverkehrsader für das öffentliche Leben der Stadt, diese querlaufenden Plätze
kreuzt,
erheben sich je an den Eingängen zu der nächstunteren Längsstrasse mächtige Thortürme, die Wahrzeichen der alten Stadt.
Die ganze innere Stadt hat den Charakter des Massiven. Einheitlich füllen die Bürgerhäuser den Raum aus bis an die breiten
Gassen. An den Aussenseiten der innern Stadt befinden sich die meisten öffentlichen Gebäude Berns. Dort
tronen sie frei über dem Hang des Aarethals.
Die breitere Stadthälfte vom Bahnhof bis zum Zeitglockenturm zwischen den beiden Hauptbrücken hat den Vorteil der besseren
Verkehrslage. Nicht nur lehnt sie sich an die direkt zugänglichen Aussenquartiere gleicher Höhenlage im Westen, sondern
sie liegt auch in gleicher Höhe mit den Hauptbrücken. Dies ist die obere Stadt.
Machen wir vom Bahnhof aus einen Rundgang, so fällt der Blick gleich am oberen Stadtende, wo bis 1864 der gewaltige
Christoffelturm drohend den Eingang bewachte, auf die äusserst elegante Heiliggeistkirche, einen Rococobau aus den Jahren
1726-1729. Sie ist, wie weitaus der grösste Teil der Gebäude der dem Stadt, aus dem grünlich-bläulichen
Sandstein gebaut, der in der östlichen Umgehung Berns gewonnen wird (s. Amtsbezirk). Hier öffnet sich die Spitalgasse und
damit gleichzeitig ein Blick auf das ausgezeichnete Bild einer altbernischen Gasse. In nicht ganz gerader Flucht umsäumen
die Bürgerhäuser eine breite Strasse, in deren Mitte sich von Abstand zu Abstand laufende Brunnen mit
farbigen Statuen auf hohen, schlanken Sockeln erheben.
Die Häuserfronten sind in der Regel schmal; am häufigsten sind die zweifenstrigen. Fast alle Häuser besitzen 3 Stockwerke,
sodass die weit zurückliegenden Dächer in fast übereinstimmender Höhe auf die Façaden aufgesetzt
sind. Die Dachkanten ragen um 2-4 m in die Strasse hinein. Zu dieser grossen Einheitlichkeit kommt das übereinstimmende
Baumaterial. Auch die Bürgerhäuser sind durchwegs aus Sandsteinblöcken aufgebaut. Französisch geschulte Baumeister des
beginnenden 18. Jahrhunderts schmückten die Façaden, die damals in ausgedehntem Masse erneuert wurden, mit den einfach
schönen Fensteröffnungen, die ihnen den Charakter eines wahrhaft bürgerlichen Stiles geben.
Das eigenartigste im Strassenbilde sind aber die «Lauben». Diese dem Fussgängerverkehr und den Geschäftsausstellungen dienenden
Durchgänge unter den Fronten zu ebener Erde gehen ununterbrochen auf beiden Strassenseiten von einem Ende der Gasse bis zum
andern. Sie werden gebildet von mächtigen, etwas niedrigen Pfeilern und
mehr
flachen Steinbogen, welche häufig die ganze Front eines Hauses tragen und bei welchen sich die Kellereingänge befinden.
Umsomehr diese Lauben den Personenverkehr aufnehmen, um so eigenartiger bleibt das Bild der Strasse selbst. In der Strassenmitte,
wo unter grossen Steinplatten der Stadtbach läuft, der von Holligen her zur Stadt geleitet und hier in
alle Gassen verteilt ist, sieht man lange Reihen von Karren, Haufen von Fässern und Kisten. Da die Häuser keine Einfahrten
besitzen, ist ein Teil der Funktionen der Höfe hierher auf die offene Strasse verlegt. Beiden Laubenreihen entlang ziehen
sich an den Markttagen die Marktstände. Der Markt ist in Bern
seit alters nicht an einen besonderen Platz gefunden,
er vollzieht sich in der ganzen Flucht der Hauptgassen der obern Stadt.
Das Gassenbild ist in der Perspektive abgeschlossen durch den breiten, in schönem Barokportal durchbrochenen Käfigturm,
dessen schlanker Helm von vier kleineren Türmchen flankiert ist.
Vor ihm öffnet sich in die Quere die erste jener Unterbrechungen der innern Stadt, der Bärenplatz.
Auf diesen sonnigen Platz schaut von S. her die mächtige braune Kuppel des Mittelbaus des Bundeshauses. Dasselbe nimmt fast
die ganze Südfront der oberen Stadt ein. Es besteht aus den drei zwischen 1851 und 1901 erbauten und untereinander
verbundenen Renaissancepalästen, Westbau, Ostbau und Mittelbau. Die beiden Flügel treffen unter einem sehr stumpfen Winkel
zum Mittelbau ein. Während von der Stadtseite auch nach den projektierten und zur Zeit vor sich gehenden Abräumungen der
Blick auf das Gesamtgebäude nie ganz frei werden wird, zeigt sich die Südfront von dem Aarethal und
den jenseitigen Höhen aus in einer Ausdehnung, die für das Stadtbild auf dieser Seite bestimmend wird.
Auf gewaltigen Stützmauern - die des Mittelbaues springt als Halbrund vor und entspricht so der rundgebogenen Südfaçade
dieses Teils - erhebt sich der helle Steinbau mit seiner grossen Zahl schöngewölbter Fenster. Der von
Friedr. Studer gebaute Westbau (1851-1855) ist von edler Einfachheit der Formen, der Mittelbau (Bauzeit 1895 bis 1902) zeigt
mit reichem Prunke den Geist der Generation, die ihn schuf, der Ostbau gleicht dem Westbau, unterscheidet sich immerhin darin
wesentlich von ihm, dass die Ruhe seiner Façaden unterbrochen ist durch die Vertiefung der Blockfugen.
Prof. Auer hat den Ostbau 1890 erbaut und leitet noch die Vollendung des Ganzen im Mittelbau. Die Kuppel des Mittelbaus erreicht
die Höhe von 60 m über dem Baugrund und ca. 100 m über der Sohle des Aarethals. Die Flucht der Gebäude ist annähernd 300 m
lang.
Die Fortsetzung des Bärenplatzes nach N. heisst Waisenhausplatz. Derselbe schliesst sich mit einem ächt
altbernischen Baue aus der Zeit kurz vor dem Uebergang, dem bürgerlichen Knabenwaisenhaus (1782). Mit
seinem umgitterten
Pappelhofe ist der schwere Bau unter seinem grossen, nach allen Seiten ausladenden Dache ein ins Kasernenhafte übersetzter
Patrizierhof und ein gutes Bild altväterischer öffentlicher Fürsorge.
Unweit des Waisenhauses schauen noch zwei edle, neuere Renaissancebauten nach dem nördlichen Flügel des Aarethals hinaus.
Dies sind das Naturhistorische und das Kunstmuseum, beide um 1880 erbaut. Unter dem letztern zieht sich der einzige noch
erhaltene Teil der Stadtmauern die Halde hinunter bis zu einem Turme, der, dicht ans Wasser des Flusses
gestellt, im Volksmund das «heimliche Gericht», genannt wird. Vor alters
hiess er der Blutturm. In den Namen inneres und äusseres Bollwerk, welche zwei von hier zum Bahnhofplatz ziehende Strassen
tragen, ist die Richtung und Lage der Stadtumwallung von ehedem noch erkennbar.
Vom Käfigturme führt die Marktgasse weiter stadtabwärts. Dies ist die farbenreichste der Gassen. Einige
Zunfthäuser mit grossen Emblemen mischen sich unter die Bürgerhäuser, ohne die Einheit der Gasse zu unterbrechen. Hier
tritt es am deutlichsten hervor, dass in Altbern wohl die Gassen, höchst selten jedoch das einzelne Haus individuelles Gepräge
besitzen. Am untern Ende der Marktgasse setzen der Kornhausplatz und der Theaterplatz die zweite Queröffnung
zusammen, eine Stelle, die nicht nur durch die beiden Hauptbrücken, die hier ansetzen, sondern auch durch die grosse Zahl
der hier stehenden öffentlichen Gebäude hervorragt.
Das Kornhaus vor allem steht mit seiner mächtigen Hallenunterführung und den übrigen grossen Dimensionen
als würdevoller Repräsentant des alten Bern
da. Seine Erbauung fällt in die Jahre 1711-1716. Als Kinder des ausgehenden 18. Jahrhunderts
erweisen sich die eleganten Rococofaçaden der Hauptwache und des früheren historischen Museums nahe dem viel zu engen Zugang
zur Kirchenfeldbrücke. Vom Kornhaus verdeckt, erhebt sich an der Zeughausgasse die Französische Kirche,
ehedem die Kirche des Prediger- oder Dominikanerklosters, ein ernster frühgotischer Bau; sie und die anstossenden übrigen
Klostergebäude datieren als einzige Reste aus der Zeit vor dem grossen Brande Berns 1405. Bedeutende Teile dieses Komplexes
wichen in neuerer Zeit dem Neubau des Stadttheaters, dessen Façade sich dicht an dem Eingange der Kornhausbrücke
erhebt.
Als eigentliches Wahrzeichen der Stadt ragt am Eingang zur Kramgasse, und damit zur untern Stadt überhaupt, der Zeitglockenturm
in die Lüfte, ein graziös-kraftvolles Bauwerk, das erst vor einigen Jahren durch Uebermalung neu zur Geltung gekommen ist.
Das noch heutigen Tags gern angestaunte Uhrwerk mit dem Sceptermann, den Bären, dem Hahn und andern beweglichen
Figuren entstammt der Technik des 16. Jahrhunderts. Vom Zeitglockenturm aus sind alle Strassen des Kantons vermessen worden.
mehr
Die untere, schmalere Stadthälfte «die untere Stadt» duckt sich in den
Thalkessel des Halbinselendes hinein. Dieser älteste Stadtteil liegt vom Verkehre ziemlich entrückt und besitzt vorzugsweise
den Charakter einer Altstadt.
In derselben sind die Laubengassen noch ausgesprochener als in der obern. Hier trifft man auch öfter auf bemalte Häuser,
seltener auf solche mit Erkern. Der schönste derselben (aus dem Jahre 1515) ziert die Kesslergasse, durch
die wir auf den Münsterplatz gelangen. Aus der Enge dieses Platzes und der benachbarten Gassen strebt das Münster beinahe überwältigend
mit seinem Turm, der auf dieser Seite alles andere verdeckt, in die Höhe. Den bis zur höchsten Kreuzblume
aus Stein aufgeführten Helm sieht man von fast allen Stellen der an Ausblicken so reichen Stadt in den Himmel ragen.
Der spätgothische Bau wurde 1421 von Matthäus Ensinger aus Ulm begonnen. Der über dem reichverzierten Hauptportal emporragende
Turm wurde anfangs etwas zu gross angelegt und blieb, von einem stumpfen Dache bedeckt, in der Höhe der
ersten Gallerie, wo das Viereck in das Achteck übergeht, jahrhundertelang unvollendet, bis in den Jahren 1891-1896 unter
der Leitung von Prof. Beyer (Ulm) das Achteck und der Helm in möglichster Anlehnung an die gegebenen Verhältnisse ausgeführt
wurden.
Dem alten Bauplane im vollen Umfange nachzukommen, gelang jedoch leider unserer Zeit nicht. Das Innere
der Kirche ist mit seinen drei Schiffen und den leuchtenden Glasmalereien des Chores von dem vollen Reiz der gothischen Kunst
in ihrer einfacheren Ausgestaltung. Auf der Südfront tauchen die Münstermauern in das Grün der Linden der Plattform. Dies
ist ein aus der Tiefe des Thales im Rechteck aufgemauerter Platz, der eine köstliche Aussicht auf das Aarethal,
die Kirchenfeldbrücke und die Alpen bietet. Hier steht das Standbild des Gründers der Stadt. Die Plattform ist 35 m über
der Aare, die Spitze des Helmes des Münsters 100 m über der Plattform. Man muss diesen Aufbau von der
Thalsohle aus sehen, um den vollen Eindruck der grossgeplanten Bauweise und den Reiz dieses Details des bernischen Stadtbildes
zu empfinden.
Neben diesem Bilde schrumpft das ehemalige Barfüsser-Kloster und jetzige Universitätsgebäude, das dicht am Eingang der Kirchenfeldbrücke
ebenso nach S. schaut, zum Idyll aus der guten alten Zeit zusammen. Den Blick auf die Altstadt von Süden
her fesseln endlich die alten, kunstreich aufgemauerten, an Raum höchst bescheidenen Gärten und die wunderlichen, mit vielen
Läubchen wie beklebten Hintenausfronten der Herrengasse.
Auf den nördlichen Aarethalflügel schaut das Rathaus hinunter. Seine Hauptfaçade geht freilich auf die enge Stadtseite.
Es ist der einzige schöne Profanbau gothischen Stils, den Bern
besitzt. Sein ins Einfache übersetztes Ebenbild hat es im Rathaus
von Freiburg
i/Ue.
Im untern Stadtende tritt in der Anlage insofern eine wichtige Veränderung ein, als hier nun auch die schmalen Gelände
am Aareufer selbst überbaut sind. Bevor die Nideckbrücke existierte, öffneten sich alle Hauptstrassen
auf den «Stalden», welcher sich, mit teilweise sehr alten, jetzt ziemlich vernachlässigten Häusern besetzt, nach der alten
Nideckbrücke hinabwindet. Von dort nach rechts ziehen sich die Häuser des Quartiers Matte, welches von einem grossen, wasserreichen
Industriekanal durchflossen ist. Dieses Quartier ist einerseits der Standort einer lebhaften Industriethätigkeit,
andererseits seiner tiefen Lage und ungenügenden Bauart wegen nicht mit Unrecht ein Sorgenkind der Stadt.
Die Nideckkirche krönt mit ihrem schlanken, gothischen Turm und Helm den Aufbau dieses ältesten Teiles der Stadt Bern. Wandert
man über die Nideckbrücke am altberühmten Bärengraben vorbei, in dessen feuchtschattiger Tiefe einige
Familien des Wappenthieres seit 4 Jahrhunderten gehegt werden, auf einer der schön ansteigenden Strassen empor, so hat man,
vom Aargauer- oder Muristalden sich rückwärts wendend, den ausgeprägtesten und reizvollsten Anblick der innern Stadt:
Man blickt über das westwärts anschwellende Gewirr der hohen und breiten Dächer;
man sieht die Hauptgasse sich
in die Stadt hinaufwinden, man erkennt die Turmprofile des Zeitglocken und Käfigturms;
vor den Kuppeln und platten Dächern
der Bundeshäuser ragt der schön durchbrochene Helm des Münsterturmes hoch über alles andere an die Lüfte.
Die graue
Stadt ist umfangen vom grünen Aarethal, über dessen Tiefe die Hochbrücken kühne Linien bilden.
Die Aussenquartiere Berns sind mannigfaltig, wie es die Oertlichkeiten und die ruckweise erfolgende bauliche Entwicklung mit
sich brachten.
Rechts von der Aare sind zunächst die alten Villeggiaturbezirke Rabbenthal, Altenberg und Schosshalde. Während die beiden erstgenannten
sich an den Sonnhalden des nördlichen Aarethalflügels ausbreiten, erklimmen die alten Landsitze und neuen kleineren
Bürgerlandhäuser der Schosshalde die hügelreiche Höhe im Osten der Stadt. Hier liegt anmutig
mehr
zwischen aussichtsreichen Moränen der kleine See Egelmoos, dessen Fläche in den Frostperioden des Winters die schönste
Eisbahn Berns ist.
Vom Ostende der Nideckbrücke an beginnen sich die Landstrassen des alten Bern
unter hohen Ulmen und Linden nach allen Richtungen
strahlenförmig zu verzweigen: Muristrasse, Schosshaldenstrasse, Ostermundingenstrasse, Bolligenstrasse und Papiermühlestrasse.
Die letztere führt an den weitläufigen Gebäuden der Militäranstalten vorbei, wo Kaserne, Zeughaus und
Stallungen einen grossen quadratischen Platz auf 3 Seiten einrahmen.
Von grösserer Bedeutung sind die beiden durch die Hauptbrücken erschlossenen Aussenquartiere Kirchenfeld und Spitalacker.
Dort im Süden geniesst der Bewohner den Vorteil einer ruhigen und an Spaziergängen nach der Aare und
dem benachbarten Wald Dählhölzli reichen Lage. Das Kirchenfeld ist Villenviertel und nimmt am Geschäftsleben wenig Anteil.
Es besitzt die beiden grossen öffentlichen Bauten des historischen Museums und des eidg. Archivs. Das erstere, nach dem
Vorbilde eines Schlosses des 16. Jahrhunderts 1890-1894 erstellt, dominiert mit seinen Türmen über das
ganze Gebiet. Der Spitalacker empfängt zur Zeit sein Leben und seinen Verkehr noch vorzugsweise von den nahen Militäranstalten.
Ueber dem rechtsseitigen Brückenkopf der Kornhausbrücke, die ja das genannte Quartier erst ins Leben rufen konnte, liegt
in hohen Bäumen der Garten und das Châlet des Schänzli, dessen Ruf bei allen Besuchern Berns sich fort und
fort durch die herrliche Stadt- und Alpenansicht erneuert.
Hinter ihm liegen auf einem in Terrassen westwärts geneigten Boden die beiden Bezirke Breitenrain und Lorraine mit ihren vielen
billigen Wohnungen.
Links von der Aare fand das Raumbedürfnis der ihre alten Grenzen und Wälle sprengenden Stadt von den
50er Jahren des 19. Jahrhunderts an zuerst Befriedigung. Während die schönen Lagen, die nordwärts das Aarethal dominieren,
bis heute den Landsitzcharakter bewahrt haben (Enge, Brückfeld), erstand auf dem weiten Felde, durch das seit alters die Länggasse
zum Bremgartenwalde führte, das nach dieser Strasse genannte volksreiche Quartier. Der gegen die Stadt
gelegene vordere Teil der Länggasse ist reich an öffentlichen Gebäuden. In kurzem wird hier die Universität neu erstehen,
für die die alten Klosterräume zu eng geworden sind.
Zwischen den dicht überbauten Donnerbühl und die westliche Ausfahrt des Bahnhofes schiebt sich der ländlich gebliebene
Bezirk Stadtbach. Gleich jenseits der Bahnanlagen ist das an grossen Gärten und Landsitzen reiche Viertel
der Villette.
Die tiefere, weitere Mulde südlich der Villette hat der Stadtentwicklung den meisten Raum geboten. Hier erheben sich angesichts
des nahen Gurten und der Alpen die Bezirke Mattenhof und Sulgenbach. Hier mischt sich der Charakter der Arbeitervorstadt mit
dem der bürgerlichen Gartenwohnungen.
Durch das Monbijou, wo der alte Friedhof dem Schulgebäude der städtischen Töchterschule Platz gemacht, erreichen wir die
«Zwischen den Thoren» genannte Gegend am oberen Ende der innern Stadt. Hier strahlen wieder die Strassen des linken Aareufers,
wie die des rechten bei der Nideckbrücke, in einer Stelle zusammen. Hier steht der Lieblingsheld der
Berner, Adrian von Bubenberg, auf hohem Granitsockel, an derselben Stelle, wo einst das äussere Oberthor den nach Bern
Wandernden
empfieng, bevor er des
Hauptthores beim Christoffelthurm ansichtig ward. Hier ist der Bubenbergplatz, dessen Nordseite das
stattliche Barockgebäude des Burgerspitals einnimmt. Die früher davorgelegene sog. Rossschwemme, ein
von Linden flankiertes Wasserbassin, ist jetzt zugefüllt. Die Strassen sind hier von stattlicher Breite und die Häuser meist
von bemerkenswert vornehmer moderner Architektur (Bundes- und Christoffelgasse, Hirschengraben etc.)
Endlich nimmt unter den Stützmauern der Bundeshäuser das Quartier Marziele den dort flachen Thalgrund an der Aare ein. Ein
ummauerter Weg führt von ihm aus zur obern Stadt, in die man durch das kleine Münzthor, ein hübsches
Rococobauwerk in der Nähe des eidgenössischen Münzgebäudes, eintritt.
Bevölkerung.
Bern
ist mit 64064 Einwohnern die vierte Stadt der Schweiz. Ueber die Einwohnerzahl früherer Jahrhunderte ist man nur sehr unvollkommen
unterrichtet. Im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert begnügte sich die Obrigkeit, die Zahl der militärpflichtigen
Haushaltungen (Feuerstätten) festzustellen. Wagt man aus diesen mangelhaften Daten einen Rückschluss, so dürfte das mittelalterliche
Bern
kaum mehr als 5000 Einwohner gehabt haben, eine Zahl, die bis 1653 auf ca. 10000 anstieg. Vollständige Erhebungen datieren
seit 1764, und es mögen die folgenden Zahlen das seitherige Anwachsen der Bevölkerung veranschaulichen:
1764
13681
1818
17552
1850
27558
1860
29016
1870
35452
1880
43197
1888
46009
1900
64064
(Ortsanwesende Bevölkerung 65373.)
Von 65373 Personen waren am 30056 männlichen und 35317 weiblichen Geschlechtes. Es kommen somit 1175 Frauen auf 1000 Männer.
Bern
ist nach der Zusammensetzung seiner Bevölkerung bei weitem die nationalste unter den grossen Städten der Schweiz. Es haben
die Heimat:
Die Ausländer machen 9,28% der Gesamtbevölkerung aus.
Der grosse Zuwachs der letzten Jahre rekrutierte sich zum weitaus grössten Teil aus dem deutschen Teil des Kantons Bern.
Würde nicht
die Verwaltung des Bundes alljährlich eine bedeutende Zuwanderung von Beamten aus allen Kantonen mit sich bringen, so wäre
Bern
noch viel ausgesprochener eine rein bernische Stadt. Indessen ist die Zahl der Altburger, die ihren Wohnsitz
in der Stadt behalten haben, eine auffallend geringe (6%).
Obschon die Hinneigung der patrizischen Familien zur französischen Sprache noch immer traditionell fortbesteht, macht sich
das romanische Wesen trotz der Nähe der Sprachgrenze (20 km) sehr wenig geltend.
Nach der Muttersprache verteilt sich die Bevölkerung wie folgt:
Deutsch
60622
Französisch
3087
Italienisch
902
Romanisch u. andere
762
Nur die zweisprachige Verwaltung des Bundes und des Kantons verleiht heute noch dem romanischen, spez. dem französischen
Elemente der Stadt ein ordentliches Gewicht.
mehr
Konfessionell ist die Bevölkerung fast ebenso einheitlich wie sprachlich:
Reformierte
57946
Katholiken
6278
Israeliten
668
Uebrige
481
Von den 64064 Bewohnern Berns entfallen 20286 = 31% auf die innere, 43778 = 69% auf die äussere Stadt. Die 43778 Bewohner
der äusseren Stadt verteilen sich wie folgt: Rechtes Aareufer (mit Länggasse, Mattenhof, Marzieli) 26669,
linkes Aareufer (mit Kirchenfeld, Schosshalde, Altenberg, Spitalacker, Lorraine etc.) 17109.
Man zählte 1900 13947 Haushaltungen zu durchschnittlich 4,7 Personen. Diese verteilen sich auf 4285 bewohnte Häuser, sodass
durchschnittlich auf ein Haus 15 Personen oder 3,2 Haushaltungen entfallen. Dabei zeigen sich interessante Unterschiede von
Ort zu Ort. Während nämlich in der inneren Stadt auf 1 Haus durchschnittlich 4 Haushaltungen oder 16,8
Personen kommen, sind die entsprechenden Ziffern für die Aussenstadt 3 und 14,2. Die ganze Situation der inneren Stadt bringt
es mit sich, dass hier überhaupt die Bewohnerschaft auf den engsten Raum beschränkt ist. Hier kommen auf 1 ha
231,5 Personen, während im gesamten Stadtgebiet die Bevölkerungsdichtigkeit mit 20,54 per 1 ha eine auffallend geringe
ist. Einzelne Quartiere neigen zur Ueberfüllung der Häuser, so Matte-Stalden mit 18,7 und Lorraine mit 22,4 Personen per Wohnhaus.
Die Villen und Einfamilienhäuser sind am häufigsten in den Bezirken Schosshalde mit 8, Kirchenfeld mit
9,5 und Länggasse mit 13 Bewohnern per Wohnhaus.
Die 1896 angeordnete Wohnungsenquête, deren Kosten die Summe von Fr. 45804 betrugen, hat mannigfache Misstände der Wohnungsverhältnisse
ergeben. In der inneren Stadt können 18,9% aller Wohnungen bei Feuerausbruch nicht leicht von den Bewohnern verlassen werden.
Hier sind die Treppen entsprechend der allgemeinen traditionellen Bauart häufig schmal und dunkel. Durch
die ganze innere Stadt mit der vorherrschend westöstlichen Orientierung ihrer Strassen ist der Gegensatz der Sonnseite und
Schattseite der Gassen fühlbar. In den Quartieren Stalden und Matte sind 76% aller Wohnungen ohne Anschluss an die Wasserleitung
und besitzen gar 96% derselben mangelhafte Aborte.
Dagegen ist die grosse Mehrzahl der Wohnungen der Aussenquartiere nach modernen Gesichtspunkten eingerichtet.
Bern
ist in erster Linie politisches Centrum. Als Hauptstadt des volksreichsten Kantons, als Bundesstadt und Sitz einer Reihe
internationaler Institutionen erhält die Stadt den Charakter einer Beamtenstadt. Das giebt dem Leben
den regelmässigen und etwas nüchternen Charakter. In der Gleichartigkeit der Erwerbsverhältnisse eines bedeutenden Teils
der Bevölkerung, des Beamtenstandes, liegt der Grund, warum in Bern
die sozialen Gegensätze ausgeglichener sind als in Basel,
Zürich
oder Genf.
Der
Eigenschaft des Bundessitzes verdankt Bern
nicht nur die stattlichen öffentlichen Bauten, sondern auch eine
mannigfaltige materielle und geistige Befruchtung.
Zwar
vollzieht sich das Leben der obersten Landesbehörde neben der Arbeit in der Stille eines rein bürgerlichen Privatlebens,
aber dem Gang der politischen Geschäfte und Ereignisse (Sessionen der Räte, eidgenössische Abstimmungen) folgt man mit
besonderer Aufmerksamkeit. Institutionen, wie das eidg. Archiv, die Landesbibliothek, die Centralbibliothek,
das topogr. Bureau, die Sammlungen des Generalstabsbureaus etc. bedeuten eine wesentliche Bereicherung der geistigen Kultur
der Stadt. 13 Gesandtschaften und mehrere Konsulate fremder Staaten haben in Bern
ihren Sitz.
Nachdem 1879 im sogen. Rathaus des äussern Standes die Abordnungen der Mächte die Schaffung eines internationalen Weltpostvereins
beschlossen hatten, wurde Bern
zum Sitz des Bureaus desselben erkoren. Seither hat sich die Zahl der internationalen
Bureaux auf 4 vermehrt und es besteht neben dem erwähnten ein internationales Bureau der Telegraphenverwaltungen, ein solches
für gewerbliches, literarisches und künstlerisches Eigentum und das Controlamt für internationalen Eisenbahntransport.
Die Wahl der Direktoren und des Personals dieser Bureaux steht dem Bundesrate zu.
Bern
ist Waffenplatz der III. Division. In Bern
finden in der Regel auch die Kurse erst neu zu organisierender Truppenteile (Radfahrer-,
Luftschifferabteilung, Maximkompagnien etc.) statt. Für die Luftschifferabteilung ist auf dem Wankdorffelde in der Nähe
des Exerzierplatzes ein Ballonhaus errichtet worden. In Bern
finden die Kurse der Generalstabsschule statt.
Handel und Industrie.
Bern
besitzt einen sehr ansehnlichen Produktenmarkt. Die wöchentlichen Markttage (Dienstage) und die beiden jährlichen Messen
(April und Dezember) sind vom Lande her ausserordentlich gut besucht, und es dürfte keine andere Schweizerstadt im Strassenbild
so grosse Veränderungen durch den Markt erfahren, als Bern,
wo sich an der Aarbergergasse die «Bernerwägeli»
zu einem langen Parke reihen, wo durch beinahe alle Gassen und Plätze der inneren Stadt die «Stände» sich drängen und das
Kleinvieh fast genau im Stadtzentrum für seinen Markt den Platz behauptet. Wo der Kleinhandel Berns es versteht, dem ländlichen
Käufer entgegenzukommen (in der Konfektion, den landwirtschaftlichen Geräten und häuslichen Bedarfsartikels,
in Chemikalien, Colonialwaren und Getränken), da blüht er aufs beste.
Das wichtigste Stapelprodukt für den Grosshandel ist der Käse. Es existiert eine Anzahl namhafter Exportfirmen.
Bern
ist der Sitz der bedeutendsten Banken des Kantons. Es giebt 21 Banken und sonstige Geldgeschäfte. Der
wichtigste Geschäftszweig ist derjenige der gewerblichen und baulichen Kredite. Ueber die kantonale Hypothekarkasse etc.
s. Art. Bern,
Kanton, pag. 207 und 210.
Lange hat Bern
auf dem Gebiete des Gewerbes und der Industrie keine über das Lokale hinausgehende Bedeutung beansprucht. In der
langen Zeit des vorzugsweise politischen Treibens des alten Bern
giengen die alten Gewerbe zurück und als
die modernen Industrien aufkamen,
mehr
fanden sie hier keine entwickelungsfähigen Organisationen vor. Die Gunst der Lage und der beständige Zustrom arbeitslustiger
Elemente von auswärts her, schufen indes auch in Bern
die Anfänge einer vielversprechenden Industrie. Es bestehen eine grosse
Baumwollspinnerei, eine Seidenstoffweberei, eine Maschinenstrickerei, einige Tuchfabriken, eine Filiale der von Rollschen
Eisenwerke, je eine Firma für physikalische Instrumente und Telegraphie, zwei Chocoladefabriken, einige
Fabriken von Kohlensäure-Getränken und Branntwein, zwei Schreibbücherfabriken etc., endlich mehrere Mühlen und Sägemühlen.
Eine grosse Zahl von Arbeitern werden von den Militärbehörden beschäftigt. Auf dem Wylerfelde im Norden der Stadt ist die
eidgenössische Waffenfabrik, welche nur Ordonnanzgewehre herstellt, und im nahen Zeughaus arbeiten Schneider,
Sattler etc. an der Herstellung des Kriegsmaterials. Von den städtischen Gewerben ist das Baugewerbe am bedeutendsten. Eine
hohe Stellung nimmt in der Verwaltungszentrale naturgemäss die Buchdruckerei ein, und auch die Lithographie hat einige namhafte
Firmen aufzuweisen. Die Konditorei liefert als Spezialität die «Bärenmutzen».
In den verschiedenen Schmuckgewerben ist in der Regel dem Wappentier eine ganz besondere Beachtung zugewandt.
Es wird viel für die Fremden gearbeitet, die in den Sommermonaten Bern
in grosser Zahl zu besuchen pflegen. Man darf nach den
letzten Erhebungen der Gasthoffrequenz die Zahl der alljährlich Bern
passierenden und daselbst eine Nacht zubringenden Fremden
auf 120000 taxieren. Die grösste Anziehungskraft übt immer noch die kleine Schanze mit ihrer herrlichen
Alpensicht aus. Den Reisenden stehen zahlreiche und teilweise luxuriös eingerichtete Gasthöfe zur Verfügung (32 Gasthöfe,
worunter 3 ersten Ranges). Unter den Restaurationen ist der von der Stadt erstellte grosse Kornhauskeller mit seinem bernisch-nationalen
Holzgetäfel als eine grosse Sehenswürdigkeit hervorzuheben. Auf dem hochgelegenen Schänzeli unterhält
Bern
ein besonderes Sommertheater, und im Münster spielt an den Sommerabenden der Organist die grosse Orgel.
Verkehr.
Ehedem spielte die Aare als Verkehrsweg eine wichtige Rolle. Auf langen flachen Kähnen, deren Enden leicht aufwärts gebogen
waren, befuhr man den reissenden Fluss. Berns Schifflände war an der Matte. Von dort fuhr alle Wochen
2-3 mal die sog. Kälberflotte nach Thun, um von dort meist Vieh auf den Berner Markt zu bringen. Dieser Flussverkehr hörte
schon im 18. Jahrhundert auf, als die guten Landstrassen gebaut wurden. Noch bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts
dagegen dauerte die
Flösserei von Bauholz. Die Flosse giengen nur unter Gefahr des Zerschellens über die Schwelle, wurden
daher nur noch vom Schwellenmätteli aus vom Stapel gelassen.
Das Postwesen war 1675-1832 an eine patrizische Familie (v. Fischer) verpachtet. Bern
besass nie eigene Postwertzeichen.
1857 erhielt Bern
die erste Eisenbahn. Es war die Linie Bern-Olten, die aber in diesem Jahre erst bis zur Haltestelle
auf dem Wiler kursierte. Erst 1858 erfolgte durch die Vollendung der Eisenbahnbrücke die Einführung der Bahn in den Bahnhof.
Heute vereinigen sich 5 Hauptlinien, deren Zahl bald um eine weitere Hauptlinie und 2 Sekundärbahnen vermehrt
sein wird, in Bern
(s. Karte). Schon ist die Zahl der täglich ein- und auslaufenden Züge auf über 100 gestiegen. Bern
leidet unter
der zeitraubenden Verbindung mit der Gotthardbahn und sieht deshalb mit grossen Hoffnungen dem Zustandekommen des Lötschbergbahnprojektes
entgegen.
Der Bahnhof besitzt eine den Interessen der Stadt in hohem Masse förderliche zentrale Lage, ist aber
so sehr zwischen einigen der teuersten und dicht überbauten Grundstücke einerseits und dem 20 m hohen Abfall des Plateau
der Länggasse anderseits eingeengt, dass die schmalen Einfahrten, mit denen man sich anfangs zufrieden gab, schon vor 12 Jahren
durch eine Umgestaltung der ganzen Anlage und Zurücklegung jenes Abfalls verbessert werden mussten.
Heute erfordert die Einführung der neuen Neuenburgerlinie eine zweite grosse und kostspielige Erweiterung. Auch der Güterverkehr
leidet unter der Unmöglichkeit, einen einheitlichen Rangierbahnhof zu schaffen.
An lokalen Verkehrsmitteln ist Bern
verhältnismässig reich. Ein pneumatischer Tram vermittelt den Verkehr durch die grosse westöstliche
Längsachse der Stadt, und ein Dampftram verbindet das äussere Ende der Länggasse mit Wabern am Fusse des Gurten, auf welchen
eine elektrisch betriebene Bergbahn führt. Die Kreuzungsstelle der Tramways ist auf dem Christoffelplatz. Vom Kirchenfeld
aus fährt eine schmalspurige Eisenbahn nach Worb. Die tiefgelegenen Quartiere sind mit der Hochstadt durch
eine kleine Seilbahn, beziehungsweise elektrischen Aufzug (Lift) verbunden. Man arbeitet zur Zeit an der Betriebsumwandlung
und Erweiterung des Tramway-Netzes. Die Stadt ist mit elektrischer Kraft zu diesem Zwecke wohlversehen. Sie besitzt selbst
ein kleines Turbinenwerk an der Matte und übernimmt vertragsgemäss vom Kanderwerk in Spiez-Einigen Strom von 1000 HP.
Wissenschaft und Kunst.
Bern
ist erst seit 1834 Universitätsstadt. Es war die unter dem Einfluss der Burgdorfer