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Die Eisenzeit (La Tène) sah eine besonders zahlreiche und allem Anschein nach kriegsgewohnte Bevölkerung im Seeland (Funde von Port, Brügg, Hagneck, etc.). Der Reichtum an künstlerischem Gerät des damaligen unbekannten Volkes wird bezeugt durch die grosse in phönikischem Geschmack aus Bronze getriebene Urne, die bei Grächwil auf der Höhe des Frienisberges aufgefunden wurde.
Die Kelten werden auf unserem Gebiet speziell bezeugt durch den Namen Thuns, sowie durch fundreiche Grabhügel (Jolimont!) und gewaltige Erdburgen, wie die Knebelburg auf dem Jensberg und die Teufelsburg auf dem Plateau des Bucheggberges bei Rüti.
Römisches findet sich in grosser Menge. Die antoninische Reisekarte verzeichnet selbst den Namen einer Stadt auf bernischem Territorium. Das ist Petinesca, deren Reste in Form eines Thores, zahlreicher Fundamente und Befestigungswälle am Obstabhange des Jensberges bei Studen neu aufgedeckt wurden und zur Zeit unter der Leitung des Vereins Pro Petinesca in Biel ausgegraben werden. Römische Villen bestanden zu Toffen, Muri, Herzogenbuchsee etc. Die römische Hauptstrasse durchzog als Dammweg die Ebene des unteren Aarethales von Murten über das genannte Petinesca nach Solothurn. Sie wurde im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte allmählig an den meisten Stellen vom anwachsenden Alluvium überführt und verschüttet. In der späteren Kaiserzeit wurde die Strasse durch den Jura angelegt, von der die Inschrift am natürlichen Felsenthore Pierre Pertuis Kunde gibt.
Wann die römische Herrschaft durch diejenige der beiden germanischen Völkerschaften abgelöst wurde, kann nur annähernd auf die Mitte des 5ten Jahrhunderts n. Chr. angesetzt werden. Von einer Herrschaft der Alamannen im Kanton Bern meldet die Geschichte nichts; das erste Licht, das sie auf unser Gebiet fallen lässt, zeigt dasselbe vielmehr als Bestandteil zuerst des altburgundischen, dann des neuburgundischen Reiches, bis es 1032 zu deutschem Reichsland wird.
Für die Abstammung der Bevölkerung ist aber aus diesem rein politischen Verhältnis ebensowenig etwas zu schliessen, als aus dem Vorherrschen burgundischer Kulturgegenstände in den berühmten Grabstätten von Elisried, Rubigen und Bassecourt, welche lediglich die Ueberlegenheit der frühchristlichen Kultur der Burgunder über die der heidnisch-rohen Alamannen bezeugen. Einen besseren Schluss gestattet die alamannische Sprache, welche sich zwischen der freiburgischen und luzernischen Grenze als einheitliche Mundart bis heute erhalten hat. Die Berner sind als ein alamannischer Zweig zu betrachten.
Die ländlichen volkstümlichen Siedelungen bieten den höchst auffallenden Gegensatz des Dorf- und des Hofsystems dar. Im Jura und im flacheren Teile des Mittellandes, unterhalb der oben hervorgehobenen Abfallslinie Bern-Langenthal, herrscht das Dorfsystem vor. Hier stehen die Häuser in dichtgeschaarten Gruppen (Haufendorf), während das Feld umher in zahlreiche, lange, schmale und zerstreut liegende Parzellen eingeteilt ist.
Im höheren Teile des Mittellandes dagegen, auch im westlichen Jura (Franches-Montagnes), herrscht das Hofsystem. Hier sind die Wohnungen einzeln ausgestreut, die Bauern sind jeder einzeln Herr in der Bewirtschaftung des um den Hof liegenden Landes mit Acker, Weide, Wasser, Wald und Wegen.
Der Hausbau bleibt sich dabei im grossen ganzen gleich. Es herrscht von der Nordgrenze bis an den Alpenfuss das keltoromanische dreisässige Haus, welches die Alamannen auch sonst adoptiert haben. Im Jura ist es aus Stein, im Mittelland aus Holz erbaut.
Abweichende Verhältnisse zeigen immerhin der westliche Jura und besonders das Oberland. Man vergleiche die Hausbilder, Seite 203 u. ff. Im Oberland kann zwar zwischen den geschaarten Ortschaften der engen Thäler des Ostens und den über fruchtbarere, sanftere Thallehnen weithin ausgestreuten Höfen des Westens unterschieden werden. Doch sind die Gegensätze, weil nicht von der Bewirtschaftung des Ackers bedingt, weit weniger ausgesprochen, als im Flachlande. Das Haus des Oberlandes ist das Länderhaus. Im Osten ist es mit demjenigen des Wallis nahe verwandt, im Westen zeigt es burgundische Einflüsse.
Der Kanton Bern wies früher verschiedene Trachten auf, von denen einige ganz verschwunden oder im Absterben begriffen sind. Eine einzige Tracht lebt noch: es ist die kleidsame Tracht des tieferen Mittellandes. Sie ist so populär und bekannt, dass sie von Ausländern oft einfach als «schweizerische Nationaltracht» bezeichnet wird. Auch diese Tracht hat ihre Geschichte. Im 18. Jahrhundert trugen die Bernerinnen im Seeland und Emmenthal rote Mieder und blaue Röcke; dazu kamen sog. Schwefelhütli oder Hauben mit Rosshaarspitzen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die farbigen Mieder und Röcke durch schwarze verdrängt und dafür die Tracht mit reichem Silberschmuck ausgestattet. So entstand die heutige «Bernertracht».
Die Berner Bauern des 18. Jahrhunderts trugen meist nur Hemd und kurze Hosen aus dicht gefälteltem Zwilch, ohne Träger auf den Hüften sitzend. Die braunrote Weste wurde selten benützt und noch seltener der mit langen Schössen versehene Zwilchrock.
Der Bezirk Schwarzenburg ist die Heimat einer der originellsten Schweizertrachten, der Guggisbergertracht, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ausstarb. Die Frauenröcke waren eigentümlich gefältelt und so kurz, dass sie die Kniee unbedeckt liessen. Die Taille reichte bis zur Mitte des Rückens. Als Schmuck trugen die Bräute prächtige Gürtel und niedliche Brautkrönchen.
Südlich von Thun trug man die sogen. Simmenthaler-Tracht, die ebenfalls nahezu ausgestorben ist. Sie kennt keinen Silberschmuck, dagegen wurde um die Schultern ein mit Fransen verziertes seidenes Halstuch gelegt und das Gesicht war jeweilen mit schwarzen Spitzen umrahmt.
Auch die Haslitracht ist am Erlöschen. Im Anfang des 19. Jahrhunderts trugen die Frauen auf dem Hasliberg Röcke aus naturfarbenem, also gelblich-weissen Wollstoff. Diese Röcke waren in eigenartige Längs- und Querfalten gepresst. Später wurde blauer Wollstoff vorgezogen und der Rock mit einem farbigen Saum versehen. Die Alltagsröcke oder «Gloschli» hängen an Trägern, die Festkleider dagegen weisen schwarze Sammetmieder auf, an denen die Röcke befestigt sind. Die Haslifrauen tragen stets ein das Gesicht eng umschliessendes, rotgewürfeltes Kopftuch und nur an Sonn- und Feiertagen wird der breitrandige, feine Strohhut aufgesetzt.
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Anfänge des Staates.
Städtische Anlagen treten geschichtlich erst später hervor. An eine der letzten derselben, Bern (1191), knüpfen sich die Anfänge des Staates. Im Sinne des Gründers sollte Bern ein Stützpunkt zähringischer Hauspolitik und wohl auch deutsch-nationaler Politik gegen den abfall-lüsternen burgundischen Adel sein.
Die Stadt wurde selbständig nach dem Ausgang der Zähringer, wo sie, um nicht zu einer kiburgischen Landstadt herabzusinken, beim Reiche und vorübergehend beim Herzogshause Savoyen Anlehnung suchte und fand. Als Grundlage ihrer Selbständigkeit hat in erster Linie die sog. Handveste zu gelten, eine Urkunde der Reichsfreiheit, welche von der Tradition dem Kaiser Friedrich II. zugeschrieben und auf das Jahr 1218 datiert wird. Darin erhält die Stadt eigenes Gericht in Sachen der niederen Gerichtsbarkeit und eigenen Markt. Nach und nach erwirbt die Stadt auch die hohe Gerichtsbarkeit, und das Privileg des Königs Sigmund (1415) gibt ihr vollends alle Selbständigkeit in Sachen der eigenen militärischen und finanziellen Verwaltung. Nachdem sie 1339 die Probe bei Laupen siegreich bestanden, wurde sie 1351 ein Glied des Bundes der Waldstätte.
Territorial entwickelte sich der merkwürdige Stadtstaat in grossartiger Weise vom 14. bis zum 16. Jahrhundert.
Im 14. Jahrhundert beginnt Bern um sich zu greifen, indem es sich durch Erwerbung von Laupen und Aarberg die meist gefährdete Westseite strategisch sichert. Dann richtet es in kühner Verkehrspolitik seine Blicke nach dem Oberland, wo es, um den italienischen Handelsweg der Grimsel in seine Gewalt zu bekommen, das kleine Reichsland Hasle sich zum Freund und Schutzbefohlenen macht. Mit den Baronen des unteren Oberlandes führt es darauf einen heftigen Kampf, der bis zum Schlusse des Jahrhunderts u. a. auch die Beherrschung der Gemmi zur Folge hat. Inzwischen hat der Kampf gegen Kiburg mit der Erwerbung Burgdorfs und Thuns, der Schlüssel zum Emmenthal und Oberland und der Angliederung des Seelandes geendigt. Eine grosse Zahl weltlicher und geistlicher Selbständigkeiten des Mittellandes ist bereits durch Burgrecht und Schirmvogtei in Berns Machtbereich getreten und am Schlusse des Jahrhunderts übt dieses zu beiden Seiten der Aare die landgräflichen Rechte in neuer kräftigerer Form.
Im 15. Jahrhundert erobert Bern den Aargau bis an die untere Reuss, und dieser in der Ferne ausgeteilte Schlag lässt näher heran im Oberaargau und Emmenthal zahlreiche nun isolierte Herrschaften mühelos Bern anheim fallen.
Eine grosse Festigung erfährt der Staat durch den glücklichen Ausgang des Twingherrenstreites, 1471: von nun an steht die militärische und hochgerichtliche Hoheit der Stadt zu in allen niederen Gerichten, deren Inhaber die vielen adeligen Bürger der Stadt sind.
Im Burgunderkrieg erwirbt Bern Erlach am Bielersee und fasst, mit Freiburg zusammen, im Waadtland Fuss.
Der Schluss des 15. und der Beginn des 16. Jahrhunderts sehen die Aufhebung und Säkularisierung der Klöster und Stiftungen. Dieses führt besonders zur Abschliessung der Beherrschung der Alpenthäler, wo das Kloster Interlaken Träger eines besonderen politischen Gedankens gewesen war.
Die Eroberung der Waadt 1536 hat u. a. zur Folge, dass sich ein grosser Teil der Besitzungen des 1555 liquidierten Hauses der Grafen von Greyerz Bern um so leichter angliedern lässt. Saanen wird bernisch.
Bis 1798 herrscht Bern über das Land von der untern Reuss bis zum Genfersee. 1798 lösen sich die auswärtigen Vogteien los. Der Kanton Bern entsteht, neben dem nur eine kurze Spanne der Kanton Oberland selbständig bleibt. 1815 geht das Pays-d'Enhaut endgültig an Waadt über, während, wie bereits erwähnt, das Bistum Basel mit Bern vereinigt wird. Damit hat der Kanton die eingangs beschriebenen Grenzen erreicht.
Einteilung und Statistik der Bodenfläche.
Der Kanton umfasst 30 Amtsbezirke, von denen Interlaken mit 679 km2 der grösste und Biel mit 17 km2 der kleinste ist. Die landschaftliche Einteilung wird von der offiziellen Statistik (kantonales statistisches Bureau in Bern) wie folgt berücksichtigt:
1. Oberland, 7 Amtsbezirke: Oberhasle, Interlaken, Frutigen, Ober-Simmenthal, Nieder-Simmenthal, Saanen, Thun.
2. Emmenthal, 2 Amtsbezirke: Signau, Trachselwald.
3. Mittelland, 7 Amtsbezirke: Bern, Schwarzenburg, Seftigen, Konolfingen, Fraubrunnen, Burgdorf, Laupen.
4. Oberaargau, 2 Amtsbezirke: Wangen, Aarwangen.
5. Seeland, 5 Amtsbezirke: Büren, Biel, Nidau, Aarberg, Erlach.
6. Jura, 7 Amtsbezirke: Neuveville, Courtelary, Moutier, Franches-Montagnes, Delémont, Porrentruy, Laufen.
Von der gesamten Bodenfläche sind 78% produktiv und 22% unproduktiv. Das unproduktive Land setzt sich zusammen aus Felsen u. Schutthalden (1000 km2 = 14½%), Gletscher und Firn (288 km2 = 4½%) und Seen (123 km2 = 2%). ⅔ des unproduktiven Bodens entfällt auf das Oberland.
Das produktive Areal verteilt sich folgendermassen: 22% der Gesamtbodenfläche sind mit Wald bedeckt, 19% sind Weiden und Alpen, 37% sind der landwirtschaftlichen Kultur überwiesen (245000 ha).
Landwirtschaft.
Die Bevölkerung des Bernerlandes hat sich von jeher mit grossem Erfolg der landwirtschaftlichen Arbeit zugewendet. Ihr widmete der alte Berner aus dem Bauern- wie aus dem Adelsstande seine ausdauernde Körperkraft, seinen Geist bedächtiger Spekulation, seine Liebe zur Scholle, seine Sparsamkeit, seinen religiösen Sinn. Deshalb erglänzen hier noch heute, wie nirgends in der Schweiz, die grossen Bauernhäuser und die Landsitze so sauber und so stattlich.
Der allmälige Uebergang vom Getreidebau zum Wiesenbau, und allgemeiner von den extensiven Wirtschaftsformen der älteren zu den intensiven der neuen Zeit, hat sich im Kanton Bern in der Weise vollzogen, dass das
Verteilung der Nutzviehhaltung im Kanton Bern
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Lf. 35 & 36. ^[Karte: 7° 26’ 20“ O; 46° 57’ 6“ N; 1:550000]
Verlag von Gebr. Attinger Neuenburg.
Stück Rindvieh auf 100 Einw.
Nombre de bovidés p. 100 hab.
░ 20-40
▒ 41-60
▒ 61-70
▓ 71-100
▐ 101-140
Stück Rindvieh auf ha.
Nombre de bovides par ha.
░ 20-30
▒ 31-40
▒ 41-60
▓ 61-80
▐ 81-100
100 Pferde | = ▲ = | 100 chevaux |
200 Rinder | = ● = | 200 bovidés |
200 Schweine | = ❙ = | 200 porcs |
200 Ziegen | = v = | 200 chèvres |
200 Schafe | = ⥾ = | 200 moutons |
200 Bienenk. | = ^ = | 200 ruches |
1901 | Pferde | Rinder | Schweine |
---|---|---|---|
Chevaux | Bovidés | Porcs | |
Jura | 9781 | 46464 | 26494 |
Seeland | 412 | 27192 | 19818 |
Ober Aargau | 1978 | 23469 | 10813 |
Emmenthal | 3406 | 36274 | 15972 |
Mittelland | 12080 | 92550 | 45908 |
Oberland | 3206 | 67913 | 18772 |
Kanton: | 34563 | 293862 | 137777 |
1:550000
V. Attinger, sc.
VERTEILUNG DER NUTZVIEHHALTUNG IM KANTON BERN
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Oberland den Getreidebau fast ganz aufgab, die übrigen Landesteile ihn stark einschränkten. Der alte Weidgang konnte, als er abgeschafft wurde, nur durch Vermehrung der Wiesen um die neu aufgekommenen Futteräcker ersetzt werden. Dabei verschwand immer mehr das ehemalige Gemisch von Landbau und Weidwirtschaft. Die letztere wurde ins Gebirge verbannt. Aber gerade das erscheint charakteristisch für die Landwirtschaft des Kantons, dass die Beziehungen zwischen den beiden örtlich getrennten Wirtschaftsformen fortbestehen und mit dem grossartig zunehmenden Viehbestand nur immer grössere Bedeutung erlangen.
Das Kulturland ist wie folgt verteilt:
ha | % | . | ||
---|---|---|---|---|
Aecker und Gärten | . | 133750 | = 54,6% | . |
Davon Getreide | 47940 ha = 19,5% | . | . | |
- Hackfrucht | 25970 ha = 10,6% | . | . | |
- Handels- und Gemüsepflanzen | 3470 ha = 1,4% | . | . | |
- Kunstfutter | 55800 ha = 22,7% | . | ↘ | |
Wiesen und Obstgärten | . | 110500 | = 45,1% | 67,8% |
Reben | . | 750 = | = 0,3% | . |
Summe: | . | 245000 = | = 100% | . |
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass nicht weniger als 67,8% des gesamten Kulturlandes der intensiven Futtergewinnung übergeben sind, während der Getreidebau über bloss noch knapp 1/5 derselben Fläche verfügt.
Das meiste Viehfutter wird von den Wiesen gewonnen. Mähmaschinen sind erst seit einem halben Jahrzehnt im allgemeinen Gebrauch. Besondere Dörrvorrichtungen gibt es nicht; zur Unterbringung des Trockenfutters ist das bernische Bauernhaus durch seine Heubühne vorbereitet, welche unter einem gewaltigen Dach den ganzen Raum über der Tenne und den Stallungen einnimmt und zu welcher eine gedeckte Einfahrt führt.
Nur die Herbstweide führt das Stallvieh an die freie Luft. Das ist wenigstens für das zum Schlachten bestimmte Jungvieh ein Uebelstand, welchem sehr viele Viehbesitzer dadurch abhelfen, dass sie gemeinde- oder korporationsweise Bergweiden in höheren Lagen des Alpenrandes erwerben. In den ersten Sommertagen (Mitte Juni) fährt dann der Hirt mit dem Jungvieh zu Berg, und es ist ein spezifisch bernisches Zeichen des Sommers, wenn dann an allen Oberlandstrassen (diejenigen der Bundesstadt nicht ausgenommen) die Nächte durch das Geläute dieser wandernden Herden erklingt. Im Jura gibt es noch viele Gemeindeweiden (Pâturages communaux), auf denen der Weidgang geübt wird von Herden, welche der Winter acht Monate lang in die Ställe gebannt hat. Es besitzt namentlich das Plateau der Freiberge solche durch alle Wälder sich erstreckenden Naturwiesen: eine Parklandschaft von grossartiger Schönheit, aber geringer wirtschaftlicher Bedeutung.
Die Verteilung des Wiesen- und Futterbaues auf die einzelnen Landesteile gestaltet sich folgendermassen: Vom behauten Boden entfallen auf die Wiesen im:
Oberland | 75% |
Emmenthal | 32% |
Mittelland | 27% |
Oberaargau | 29% |
Seeland | 40% |
Jura | 59% |
Von derselben Fläche entfallen auf den Anbau von Futterkräutern (Kunstfutter, meist als sog. Futtermischung: Klee, Lucerne und Esparsette, hin und wieder Grünmais) im:
Oberland | 9% |
Emmenthal | 37% |
Mittelland | 36% |
Oberaargau | 30% |
Seeland | 19% |
Jura | 14% |
Der Gesamtertrag der Wiesen und Futteräcker des Kantons beläuft sich in guten Jahren auf 10 Millionen q. mit einem Geldwert von 75 Mill. Fr. Das Jahr 1893, wo zur seltenen Ausnahme die Regen des Frühjahrs ausblieben, ergab freilich nur 5,2 Millionen q. Dennoch erreichte der Wert dieser Missernte die Summe von 75,6 Mill. Fr., ein schlagender Beweis für die enorme Wichtigkeit einer ordentlichen Futterernte für die gesamte Volkswirtschaft des Kantons Bern.
Getreidebau.
Noch beträgt in den flacheren, trockeneren aber auch in den verkehrsentlegeneren Gegenden sein Anteil bis ¼ des bebauten Areals. Die Bezirke Pruntrut, Aarberg, Burgdorf, Laupen und Schwarzenburg stehen in dieser Hinsicht im ersten, Nidau, Laufen, Erlach, Büren, Delsberg und Trachselwald im zweiten Range. Im Oberland hat nur noch Thun ansehnliche Getreideareale aufzuweisen. Saanen hatte 1895 bloss noch 5 ha mit Getreide bestellt.
Folgende Getreidearten sind in den einzelnen Landesteilen vorherrschend (die Reihenfolge gibt das Verhältnis der Areale an):
Oberland | Korn (d. i. Dinkel), Weizen. |
Emmenthal | Korn, Roggen. |
Mittelland | Korn, Hafer, Roggen, Weizen. |
Oberaargau | Korn, Roggen, Hafer. |
Seeland | Weizen, Roggen, Korn, Hafer. |
Jura | Weizen, Hafer, Gerste. |
Im ganzen Kanton waren 1895 von 46000 ha Getreideland:
ha | mit |
---|---|
13870 | Korn |
11360 | Weizen |
10890 | Hafer |
7600 | Roggen |
2360 | Gerste |
bestellt. Roggen und Gerste waren früher im Gebirge stark vertreten. Sie in erster Linie sind durch den Wiesenbau verdrängt worden.
Dem Kartoffelbau sind bedeutende Areale überwiesen: im Seeland und Oberaargau fast 1/6, im Mittelland 1/9, im Emmenthal 1/11, im Jura 1/12 und im Oberland 1/14 des bebauten Bodens. In den Bezirken Aarberg und Pruntrut ist der Kartoffelbau am bedeutendsten.
Die nämlichen zwei Bezirke weisen auch den meisten Gemüsebau auf. Das gesamte Flachland, besonders aber das Seeland, beginnt seit kurzem einen lebhaften Anbau von Zuckerrüben für die Zuckerfabrik in Aarberg. Im Emmenthal ist das am meisten angebaute Gemüse das Kraut. Reps wird besonders im Amtsbezirk Pruntrut, Hanf und Flachs immer noch in ansehnlichem Masse in Konolfingen und dem obern Emmenthal, Tabak in Laupen und Cichorie im Bezirk Burgdorf gepflanzt.
Der Weinbau spielt nur in der Gegend des Bielersees eine Rolle. Dort ist er aber für vier Gemeinden die Hauptkultur (Neuveville, Ligerz, Twann und Tüscherz). Als schmaler Saum, der 100-150 m am Berge ansteigt, zieht sich das Rebgelände dem jäh abfallenden Jura am Nordufer des Sees entlang bis nach Biel und Bözingen. Der Weisswein, der hier gewonnen wird und unter den Namen Neuveville und Twanner wohlbekannt ist, ähnelt an Säuregehalt dem Neuenburger, ist jedoch leichter als dieser. Auch am Jolimont und bei Ins wächst ein guter Wein. Von der ehemals viel ausgedehnteren Weinkultur durchs ganze Land zeugen noch Reste im Bezirk Büren, im Laufenthal, bei Spiez, Merligen und Oberhofen am Thunersee.
Obstbau.
Die Obstbaumzählung von 1888 ergab folgende Resultate:
Bäume | |
---|---|
Oberland | 459000 |
Emmenthal | 329000 |
Mittelland | 926000 |
Oberaargau | 300000 |
Seeland | 342000 |
Jura | 422000 |
Kanton: | 2778000 |
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davon waren:
Apfelbäume | 1170000 |
Birnbäume | 386000 |
Kirschbäume | 625000 |
Zwetschgen- u. Pflaumenbäume | 434000 |
Nussbäume | 78600 |
Spalierbäume, etc. | 84400 |
Während Apfel- und Birnbäume in allen flacheren Obstbaugegenden des Kantons ziemlich gleichmässig verbreitet sind, findet sich der Kirschbaum in den höheren Lagen am stärksten vertreten, und sind die Nussbäume in den milden Fönthälern des Alpenrandes, dann aber auch im Seeland besonders zu finden. Die reichsten Obsterträge ergeben die Gegenden von Biel, Nidau, Burgdorf, Thun und Interlaken. Die Quantität der Ernten ist durchschnittlich gross. Trotz vielfacher Verbreitung feiner Sorten ist die Qualität im ganzen eher mittelmässig. Modernere und sorgfältigere Verfahren bei der Pflege der Bäume, namentlich aber bei der Ernte und dem Sortieren des Obstes kennt der eigentliche Landmann noch sehr wenig. Und doch würden sowohl die Gunst des Klimas als die Marktlage vielerorts der Tafelobstwirtschaft entgegenkommen. Dem Bauer liefert sein Obst eine tüchtige Zukost und als Most gesunden Trank.
Der Wert der Ernte belief sich 1895 auf 7 Mill., 1898 auf 14½ Mill. Frs. Im ersteren Jahr schlug die Apfelernte fehl, im letzteren war der Ertrag des Steinobstes gering.
Viehstand.
In der geographischen Verbreitung des Viehstandes hat sich im Laufe der letzten hundert Jahre eine bemerkenswerte Veränderung vollzogen. Das Gebiet der dichtesten Viehverbreitung ist aus den Alpen ins Flachland hinuntergerückt. Das engere Mittelland allein übertrifft jetzt das Oberland in dem Bestand aller Vieharten, ausgenommen der Schafe. Gleichzeitig hat aber auch der Viehstand des Kantons in gewaltigem Masse zugenommen, vollständig Schritt haltend mit dem Zuwachs der Bevölkerung. Wuchs nämlich die Volkszahl von 1819-1896 von 338000 auf 542000 an, so vermehrte sich der Viehstand in demselben Zeitraum von 230000 auf 368000 Einheiten. Beide Vermehrungen betragen 60%.
Der Pferdebestand bleibt bei rund 30000 Stück, soweit die Zählungen zurückreichen, ziemlich stabil. Er nimmt zu in den Städten und wohlhabenden Dörfern, ab dagegen in den rein ländlichen Bezirken. Sowohl die alte Pferdezucht des westlichen Oberlandes (Saanen, Erlenbach) als diejenige der Freiberge haben an Bedeutung eingebüsst, nur Kreuzung mit Auslandtieren bringt hier noch Erfolg. Die Nachfrage nach dem schweren Schlag ist infolge des eingegangenen Wagenverkehrs gesunken, während die nach Luxuspferden, wobei fremdes Geblüt bevorzugt wird, gestiegen ist. Ein beträchtlicher Teil der obigen Zahl fällt auf den Bestand an Militärpferden.
Der Rindviehbestand ist in der Periode von 1819-1896 von 158000 auf 276400 Stück angewachsen, die sich folgendermassen verteilen:
Oberland | 66355 |
Emmenthal | 33113 |
Mittelland | 82953 |
Oberaargau | 21729 |
Seeland | 24371 |
Jura | 47888 |
Total | 276409 |
Die Zunahme kommt hauptsächlich dem Mittelland (42000) und dem Seeland (15000) zugute. Etwa die Hälfte des Bestandes entfällt auf die Kühe. An Zahl derselben excellieren besonders die Mittellandsgegenden, während Jura und Alpen sich durch grosse Bestände an Zucht- und Schlachtvieh hervorthun.
Der verbreitetste Schlag ist das Simmenthalerfleckvieh, dieses jetzt durch die ganze Erde verbreitete, durch Grösse sowohl wie durch Milchreichtum ausgezeichnete Tier, dessen Aufzucht im westlichen Oberland nach wie vor mit grossem Erfolg betrieben wird. Der Schlag des Braunviehs ist im östlichen Oberland heimisch.
Milchwirtschaft, Käsebereitung.
In weitaus den meisten Landesteilen ist das Hauptziel der Rindviehhaltung die Gewinnung der Milch und deren Verarbeitung zu Käse. Der jährliche Milchertrag wird auf 3550000 hl geschätzt, was auf den Kopf der Bevölkerung 646 l ausmacht. Davon werden verwendet: 1234000 hl für den direkten Konsum (224 l per Kopf), 1467000 hl zur industriellen Käsebereitung, 438000 hl zur Aufzucht, und 225000 hl zur häuslichen Butter- und Käsebereitung. Dabei ist die Sennerei des Oberlandes nicht berücksichtigt. Die Menge des in den Käsereien gewonnenen und in den Handel gebrachten Käse wird auf 112000 q (Wert 16 Mill. Fr.) jährlich geschätzt.
Nach wie vor ist das Emmenthal das Centrum der feinen Käsebereitung; doch machen ihm Mittelland und Oberaargau scharfe Konkurrenz in der Bereitung derselben Spezialität (Emmenthaler).
Saanen produziert seine kleineren und härteren Saanenkäse (Gruyère), und der Jura hat in seinem Weichkäse von Bellelaye eine ausgezeichnete Sorte aufzuweisen. Die Butterproduktion tritt gegen die des Käse naturgemäss stark zurück.
Die Mästung ist wenig entwickelt, sodass wenigstens in den Städten ein grosser Teil des Fleischbedarfs durch ausländisches Schlachtvieh gedeckt wird. Eine sehr
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bedeutende Ausfuhr an Zuchtvieh hat das westliche Oberland aufzuweisen.
Die Schweinezucht hat von 1819-1896 relativ noch mehr zugenommen als die Rindviehzucht. Von 55000 ist die Zahl der Schweine auf 136000 gestiegen und verteilt sich jetzt wie folgt auf die Landesteile:
Oberland | 19500 |
Emmenthal | 14500 |
Mittelland | 44000 |
Oberaargau | 11000 |
Seeland | 19500 |
Jura | 27500 |
Dagegen ist der Schafbestand in dem genannten Zeitraum von 108000 auf 49600 zurückgegangen. Einzig das Oberland weist mit 19000 Schafen noch einen ansehnlichen Reichtum auf (s. Alpenwirtschaft).
Die Zahl der Ziegen ist von 56000 auf 85000 gestiegen. Ihr Zuwachs kommt mit Ausnahme des Jura allen Landesteilen gleichmässig zugute. Die Ziegen von Saanen und von Brienz bilden je einen eigenen ausgezeichneten Schlag.
Die Bienenzucht hat im 19. Jahrhundert besonders im Oberland, Emmenthal und Jura zugenommen.
gab es Stöcke | |
---|---|
1827 | 29000 |
1896 | 48000 |
Der Wert des ganzen bernischen Viehstandes wird auf mindestens 100 Mill. Fr. geschätzt. Er verteilt sich auf 58720 Besitzer, von denen 17292 nur Kleinvieh, 36880 Klein- und Grossvieh und 4540 nur Grossvieh besitzen. Eigentlicher Grossbesitz ist so selten als in andern Kantonen; doch ist die durchschnittliche Anzahl Stücke, die der einzelne Besitzer sein eigen nennt, etwas grösser als im Durchschnitt der Kantone. Die viehreichsten Gemeinden des Kantons sind Saanen, Köniz, Sumiswald und Langnau, von denen jede z. B. weit über 3000 Stück Rindvieh besitzt.
Der ländliche Grundbesitz ist durchschnittlich ebenso gleichmässig verteilt wie der Viehbesitz. Grösser ist das Besitztum des einzelnen Bauern in den Gebieten der hofweisen Siedelung, kleiner und dazu stark parzelliert und zerstreut gelegen im Gebiete der Dörfer. Im Jura bestehen 2930 von 19100 Besitzungen aus mehr als 20 einzelnen Grundstücken. Im Emmenthal dagegen sind 55% aller Besitzungen vollkommen einheitlich. Dieser Gegensatz wird noch deutlicher illustriert durch folgende Zusammenstellung der durchschnittlichen Grössen der Grundstücke in charakteristischen Bezirken. Es beträgt dieser Grundstücksdurchschnitt:
in | Aren |
---|---|
Laufen | 17 |
Pruntrut | 30 |
Erlach | 25 |
Signau | 213 |
Trachselwald | 298 |
Saanen | 197 |
Kanton: | 63 |
In Pacht gegeben ist ungefähr 1/6 des Kulturlandes; es gibt neben 59000 Grundbesitzern 17390 Pächter. Die Lage derselben ist keineswegs ungünstig, indem das durchschnittliche Areal des Pachtgutes mit 2,3 ha ein bescheidenes Auskommen ermöglicht. Am grössten sind die Pachtgüter auf den Freibergen (Durchschnitt 6,6 ha).
Bei den teilweise ins ungemessene gesteigerten Bodenwerten (Emmenthal!) ist die fortdauernde Verschuldung des Grundbesitzes leicht verständlich. Durch die Schaffung einer kantonalen Hypothekarkasse (1846) und deren fortwährende Ausgestaltung ist indes die grössere nominelle Schuldenlast von heute weit weniger drückend geworden, als es die nominell geringere von ehedem war.
Die Gesamtlage der Bauernschaft ist in den einzelnen Landesteilen so verschieden, als es deren physikalische Verhältnisse bedingen. Karg ist das Land meist im Jura, wo der austrocknende Boden für den Graswuchs, die steinige Ackerkrume für den Pflug hemmend sind. Dort hat der Zug zur Industrie weite Bevölkerungkreise erfasst, während die dem Landbau treugebliebenen allzusehr bei herkömmlichen Systemen verharren. Blühend dagegen ist der Stand der Landwirtschaft im niedrigeren Teil des Mittellandes, wo Fruchtbarkeit und Wegsamkeit des Bodens, Verkehr, gute Marktanlage etc. zur Genüge vorhanden sind.
Die zäheste und schwerste Arbeit verlangen dagegen wieder die höheren mittelländischen Berggebiete von ihren Bebauern. Hier muss noch an einzelnen steilen Bergäckern jedes Jahr die hinuntergeschwemmte und gepflügte Erde durch ein sinnreiches Verfahren (Seilzug) wieder an Ort und Stelle befördert werden, und zu hinterst im Emmenthal ist noch immer das Abbrennen von Erlenbüschen üblich, um dem armen Boden neue Kraft zuzuführen (Brandkultur). Von der Höhe seines Berghofes mag hier der Bauer sehen, wie der Nachbar im Thal, der Wässerbauer, mit leichter Mühe seine Wiese berieselt und zum smaragdenen Teppich umwandelt.
Alpwirtschaft.
Im Oberland sind die Besitzungen im Thal meist klein, aber ertragsreich. Schönere und mit besseren Futtergräsern besetzte Wiesen gibt es nicht als die Bergwiesen um den Thunersee, im Frutigthal und im westlichen Oberland.
Die eigentlichen Alpen (Vorweid oder Vorsäss bei 1300 m, Unterstaffel bei 1600 m, Oberstaffel bei 2000 m) werden nacheinander im Mai, Mitte Juni und Anfang Juli bezogen. Höher noch als die Alpweiden, wo Rinder, Schweine und Ziegen gesömmert werden, sind die sog. Schafläger, an denen besonders die Thalschaft Frutigen für ihre bedeutenden Schafherden wichtige Weideplätze besitzt.
Man zählt im Oberland ca. 500 Alpen. Davon entfallen 240 auf Frutigen, Obersimmenthal und Saanen, 155 auf Thun und Niedersimmenthal, 100 auf Interlaken und Oberhasle. Die Anzahl der Stösse (Genossenschaftsanteile, auch Kuhrecht genannt) ist ca. 36000. Das Sennenpersonal ist männlichen Geschlechts. Am Inventar und am Betrieb der Sennten hat die Neuzeit noch nichts geändert.
Auch das Emmenthal und der Jura (Montoz, Chasseral) haben noch ihre ausgedehnten alpwirtschaftlichen Betriebe. Die Jurasennten liefern eine vorzügliche Butter.
Waldungen.
Dieselben erfuhren von Seiten des Staates schon frühzeitig eine grosse Pflege, ein Umstand, dem es mit zu danken ist, wenn heute der Kanton Bern an Waldareal und Stand der Wälder nur von wenigen Kantonen übertroffen wird.
Von der gesamten Bodenfläche sind 22% mit Wald bedeckt. Vom produktiven Areal beansprucht der Wald mit seinen 152000 ha rund 28%.
Die meisten und auch durchschnittlich geschlossensten Waldungen finden sich auch im Kanton Bern auf den Höhen des Jura. Relativ am spärlichsten sind dagegen die Alpen bewaldet.
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Es sind bewaldet: | der Bodenfl. | des prod. Areals |
---|---|---|
im Jura | 32% | 36% |
im Mittelland | 24% | 29% |
in den Alpen | 13% | 17% |
Besonders grosse Waldungen sind der Bremgartenwald und der Forst westlich von Bern, die Wälder am Gurnigel, an der Honegg etc.
Es entfallen auf je 1000 Einwohner im Jura ca. 480 ha, im Mittelland ca. 235 ha, im Oberland ca. 400 ha Waldfläche.
Der Boden und das Klima begünstigen den Waldwuchs in allen nicht zu hohen Regionen. Die obere Grenze desselben wird nur in den Alpen von baumlosem Gebirg überschritten, und zwar in örtlich sehr verschiedener Höhenlage; meist in ca. 1600 m, sehr selten erst bei 2000 m.
Dort im Gebirge herrschen reine Bestände vor. Dunkler Fichtenwald bedeckt die meisten Gehänge, die unteren Weidestaffeln umfassend und bis hart an das oberste Staffel reichend. Der Ahorn, dieser Schmuck der Alpenweiden, ist selten mehr bestandbildend. Die Arve ist sehr selten geworden. Einer der letzten kleinen Bestände wurde durch den Eisabbruch der Altels zu Grunde gerichtet. Häufiger trifft man die Lärche. Die Buche steigt an geschützten Hängen bis 1400 m empor.
Die Weisstanne ist im Emmenthal und im Jura am häufigsten, jedoch nie in reinen Beständen. Der Jura hat am meisten gemischte Bestände. Die Buchenwälder des Birsgebietes, die Föhren, welche am Wiesenberg und auf den steilen Felsen der Klusen, hier ursprünglich aber auch unzugänglich, ihre Kronen erheben, die an den Boden geschmiegten Buchen des Montoz und des Chasseral, endlich die Haselsträucher der «Studmatten» auf der Höhe von Magglingen gehören zu den zahlreichen typischen Wald- und Baumformen des Jura. Am Vorherrschen der rentablen Rottanne bemerkt man im flacheren Mittelland die dort seit langem geübte intensive Bewirtschaftung.
Folgendes ist die Verteilung des Waldbesitzes:
Es gehören: | ha | = % |
---|---|---|
dem Staat | 12403 | 8% |
den Gemeinden u. Corporationen | 79824 | 53% |
den Privaten | 59429 | 39% |
Es kann dabei als Regel aufgestellt werden, dass die dorfweise Angesiedelten den Wald auch dorfweise aufgeteilt, die hofweise Angesiedelten ihn dagegen als Privatgut aufgeteilt haben. So sind in Saanen 94%, im Emmenthal fast ebensoviel, in einzelnen Gegenden des Jura dagegen nur noch 0,5% des Waldes Privatbesitz.
Die Bewirtschaftung der Waldungen ist demnach sehr ungleich. Die Oberaufsicht des Staates wird geübt durch ein technisch geschultes, resp. wissenschaftlich gebildetes Personal von 18 Kreisförstern in ebensovielen Forstkreisen, welche dem kantonalen Forstinspectorat (3 Inspektoren, 1 Adjunkt) und insgesamt der kantonalen Forstdirektion unterstellt sind. Ausserdem gibt es 7 Gemeindeförster von fachmännischer Bildung. Im Kampfe gegen Waldverwüstung hat der Kanton in den Personen Kasthofers und Marchands mitgewirkt. Die zahlreichen Schriften besonders des ersteren haben im Anfang des Jahrhunderts in der Schweiz am meisten Licht auf diese Frage verbreitet und eine Zeit der erhaltenden Forstpolitik eingeleitet. In den kantonalen Staatswaldungen allein betragen heute die Aufforstungen ca. 100 ha per Jahr.
Bergbau.
Hierin beansprucht der Kanton Bern den ersten Rang unter den Kantonen, indem er die einzige erhebliche Montanindustrie aufweist, die auf schweizerischem Boden vorkommt. Es betrifft dies die Ausbeutung des Eisens im Jura. Hier hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Bergbau, der früher an sehr vielen Stellen betrieben wurde, gänzlich konzentriert. Das Erz (Bohnerz) wird gewonnen bei Delémont und verhüttet in Choindez. Dort, bei Delémont, wird das Erz in einer gelben Mergelmasse (Bolus) in Form kugeliger Gebilde von Erbsen- und Nussgrösse, in ungleicher Verteilung, meist in taschenförmigen Gruben hart auf dem Jurakalk und 50-130 m unter der Oberfläche gefunden. Es ist von hohem Eisengehalt (40 und mehr %). Im Hochofen von Choindez wird jährlich ca. 120000 ts. Erz verhüttet, ein Quantum, das in den letzten Jahren eher zu- als abnimmt. Die Bergwerke und das Hüttenwerk gehören der Gesellschaft der von Roll'schen Eisenwerke (Gerlafingen). Die Eisenproduktion jurassischer Provenienz wird nicht ermittelt.
Neuerdings werden die Eisenvorkommnisse des Oberlandes neu untersucht und wird von einer dort zu erwartenden erheblichen Produktion gesprochen.
Wichtiger als die Metallgewinnung ist diejenige der Bausteine. Gegen 500 Personen sind damit beschäftigt, die Sandsteinbrüche von Stockern und Ostermundingen, viele kleinere ebensolche Brüche im Mittelland, sowie die Kalksteinbrüche des Jura (Bielersee, Birsthal) auszubeuten. Die Steine werden weithin in die übrige Schweiz versandt.
In Frutigen wird ein Schiefer der Tertiärformation ausgebeutet und zu Schreibtafeln verarbeitet. Von 14 wichtigeren Fundorten und in ca. 10 grösseren Betrieben des Jura, in den Aemtern Konolfingen und Interlaken werden Cement und hydraulischer Kalk gewonnen.
Mehr als 30 grosse Ziegeleien verarbeiten den im Jura und Mittelland häufigen Ziegellehm. In Lengnau beutet man immer noch die ausserordentlich feuerfeste «Huppererde» aus. Auch Court, Moutier und Bonfol im Jura liefern feuerfeste Erden. Torf endlich gewinnt man an sehr zahlreichen Orten, doch selten in ausgedehnterem Maasse.
1888 waren 735 Personen mit der Ausbeutung der toten Erdrinde beschäftigt.
Industrie und Gewerbe.
Bern erhebt nicht Anspruch auf den Namen eines eigentlichen Industrielandes, wenn auch von 1000 Bewohnern des Landes je gegen 400 von der Industrie und dem Gewerbe sich ernähren (von der gesamten Urproduktion werden 455‰ der Personen ernährt). Zu sehr ist nämlich an dieser Berechnung das ländliche, mit der Landwirtschaft gemischte Gewerbe mitbeteiligt, als dass von einer vorherrschenden Bedeutung der Industrie im modernen Sinne des Wortes gesprochen werden könnte.
Die geographische und historische Betrachtung der bernischen Industrie lehrt deutlich, dass die wichtigeren Gruppen derselben sich selbständig vom politischem Centrum entwickelt und häufiger den Boden des Kantons von aussen erobert haben, als auf ihm selbst gewachsen sind. Mehrere alt-einheimischen Industrien des Bernerlandes im engeren Sinne sind sogar ausgestorben, oder haben doch viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüsst.
Vor Jahrhunderten waren das Berntuch und die bernische Leinwand grosse Exportartikel. Das Aufkommen der Baumwolle und der Maschinenarbeit haben die erstgenannte Industrie fast verschwinden gemacht und die zweite zu einer auch den einheimischen Markt nur noch
Hauptsächliste Industrien des Kantons Bern
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Lf. 28 & 29. ^[Karte: 7° 26’ 20“ O; 46° 57’ 6“ N; 1:550000]
Verlag von Gebr. Attinger Neuenburg.
Metallindustrie | ⑃ | Métallurgie |
Giesserei | ⊥ | Fonderie |
Spinnerei | * | Filature |
Seidenindustrie | S | Soieries |
Baumwoll | ⧬ | Cotonrades |
Wollindustrie | ▭ | Draps et lainages |
Strickerei | * | Tricoterie |
Confection | ⌂ | Confection |
Schuhwaarenfabrik | ╚ | Chaussures |
Baugewerbe | ⇧ | Ind.ie du bâtiment |
Sägerei | ⟣ | Scierie |
Schreinerei | π | Menuiserie |
Holzschnitzerei | ➚ | Sculpture sur bois |
Ziegel u. Cementfab. | ▄ | Tuilerie, briqueterie |
Töpferei | ∂ | Poterie |
Lebensmittel | ⌓ | Alimentation |
Müllerei | ⟢ | Meunerie |
Bierbrauerei | Br | Brasserie |
Tabakfabrik | ⥾ | Fab. de tabac |
Papierfabrik | P | Fab. de Papier |
Typographie | ▬ | Typographie |
Elektrische Anlagen | ∸ | Usines électriques |
Chemische Producte | ❢ | Produits chimiques |
Zündholzchenfabrik | Z | Fab. d'allumettes |
Uhrenindustrie ⊕ | ░ | Industrie horlogere |
Käsefabrikation ● | ▒ | Fabrication du fromage |
Textilindustrie | ▓ | Industrie textile |
Fremdenverkehr H | ▐ | Ind.ie des hôtels |
Eisenbahnen: | Chemins de fer: | |
---|---|---|
breitspurig | _____ | à voie normale |
schmalspurig | _ _ _ | à voie étroite |
elektrisch | _____ | électriques |
zahnradb. | +++++ | à crémaillère |
projektiert | = = = | projetés |
1:550000
V. Attinger, sc.
HAUPTSÆCHLICHSTE INDUSTRIEN DES KANTONS BERN
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teilweise versorgenden zurückgedrängt. Noch blüht die Leinwandfabrikation im Emmenthal und Oberaargau und liefert Fabrikate von altbewährter Qualität. Der Flachs kommt meist schon fertig gesponnen ins Land. Einzig Burgdorf weist eine Flachsspinnerei auf, die jedoch meist fremden Rohstoff verarbeitet. Die übrigen Hauptplätze dieser Industriegruppe sind Eriswil, Langenthal, Sumiswald und Bleienbach.
Die Wollindustrie kommt neuerdings in moderner Gestalt wieder auf. Bern, Belp, Burgdorf und Langnau sind die Hauptplätze. Die Einflüsse der textilen Nord- und Ostschweiz machen sich bemerkbar im Oberaargau und im Laufenthal. Dort weisen Roggwil und Kirchberg bedeutende mechanische Webereien, Herzogenbuchsee die Seidenbandfabrikation auf; im Laufenthal hat sich, von Basel ausgehend, eine bedeutende Floretspinnerei verbreitet. Bis nach Bern gehen diese Einflüsse, welches die grösste Baumwollspinnerei des Kantons und eine Seidenweberei aufweist.
Der aus Jeremias Gotthelf bekannt gewordene Webstuhl im Kellergelass des emmenthalischen Taunerhauses ^[richtig: Bauernhauses] verschwindet gänzlich, die Arbeit wird auch dort glücklicherweise in menschenwürdigeren Fabriksälen konzentriert.
Kleine Landstädte halten oft mit echt bernischer Zähigkeit irgend eine spezielle Branche der Exportindustrie fest: so Burgdorf seine Bleiweissfabrikation, Wangen seine Rosshaarspinnerei;
dagegen ist die früher weithin bekannte Fassfeckerei der Landschaft der Ungunst des Holzmarktes zum Opfer gefallen.
Eine alte, echt bodenständige Industrie ist die Töpferei des Heimberg. Dieses 4 km lange Strassendorf giebt ein gutes Bild der langgestreckten Industriedörfer der deutschen Mittelgebirge. Das Heimberger Geschirr mit seinen fröhlichen Farben auf dunkelbraunem Grunde findet besonders bei den Fremden während der Saison immer noch ordentlichen Absatz.
In den Gebirgthälern des Oberlandes haben sich ebenfalls einige bodenständige Industrien zu behaupten gewusst. Die Holzschnitzlerei von Brienz, Meiringen und Interlaken ist als Zeugnis rein volkstümlichen Kunstfleisses ein Stolz des Kantons. Sie verarbeitet neuerdings meist nur fremde Holze (Linde, Birnbaum, Nussbaum und Eiche). Man kommt von der Nachahmung fremder Ornamentik wieder zur Bevorzugung der einheimischen Motive zurück. Zeichnungsschulen in Meiringen und Interlaken, besonders aber die Brienzer Schnitzlerschule, fördern in jeder Hinsicht diese schöne Industrie (jährlicher Export von ca. ½ Mill. Franken).
Holz wird auch in den kleinen Parquetterie- und Chaletfabriken von Interlaken verarbeitet.
Die Fabrikation von Phosphorzündhölzchen im Frutigthal und bei Wimmis ist durch den Bundesbeschluss von 1898, welcher die Verwendung des gelben Phosphors verbietet, in ihrer bisherigen Art unmöglich geworden. Man geht nun zur Herstellung schwedischer Zündhölzer über.
Die Herstellung von Bauhölzern, eines der wichtigsten Gewerbe des Kantons ist in den waldreichen Gegenden des westlichen Oberlandes (Saanen und Lenk), des Emmenthales, des Gurnigelberglandes und des ganzen Jura verbreitet.
In den Thälern von Lauterbrunnen, Kandersteg und Oherhasle verschaffen Spitzenklöppelei und Seidenweberei besonders der Armut einen bescheidenen Verdienst. Diese Zweige der Industrie werden deshalb mit Recht von der Regierung väterlich gefördert.
Ganz andere Verhältnisse treffen wir im Jura an. So zersplittert die Industrien des alten Kantons, so einheitlich sind diejenigen des neuen. Hier hängt Wohl und Wehe der Bevölkerung von dem Gange der Uhrenindustrie (Taschenuhren) ab. Diese hat sich von La Chaux-de-Fonds aus in den bernischen Jura verbreitet und wurde erst in den letzten Jahren technisch und kommerziell von jenem Centrum unabhängig. Noch herrscht der Kleinbetrieb bei weitem vor. Hunderte von «Etablis» beschäftigen nur einen oder zwei Arbeiter.
Doch drängt die Zeit mächtig auf Centralisation. So ist Biel das Centrum für den Südfuss des Jura und das angrenzende Seeland, wo die Industrie ihre Ausläufer bis nach Büren, Lyss und Täuffelen sendet, geworden; St. Immer ist das Centrum des gleichnamigen Thales; Tramelan, Moutier und Pruntrut weisen weiterhin eine bedeutende Ansammlung grösserer Fabriken auf. Die Freiberge arbeiten meist noch für La Chaux-de-Fonds. Von dem Uhrenexport der Schweiz kann annähernd die Hälfte (ca. 40 bis 50 Mill. Fr.) für den Kanton Bern in Anspruch genommen werden. Die ökonomische Lage dieser Industrie ist keine so günstige, als sie sein könnte. Die Preise sind seit langem gedrückt. Fabrikanten- und Arbeitersyndikate suchen den Missständen vorzubeugen. Es giebt drei Uhrmacherschulen, deren Sitze Biel, St. Immer und Pruntrut sind. (Ins übrige Bernerland ist die Uhrmacherindustrie des Jura nicht weiter
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vorgedrungen. Selbständig hat sich in Sumiswald die Fabrikation von Wanduhren entwikelt.)
Die jurassische Industrie ist mit der Uhrenindustrie nicht erschöpft. Die reichen Wasserkräfte, welche besonders durch Stauung der Flüsse in den Klusen (barrages) geliefert werden, begünstigen die Verarbeitung schwerer Rohstoffe, wie Kalk zu Cement und hydraulischem Kalk, neuerdings auch zu Carbid (Nidau), Holz zu Holzstoff und Kisten, des Eisens zu Draht (Bözingen). Glasindustrie (Münster) und Velofabrikation (Biel) schliessen sich an.
Der ganze Kanton zeigt seit einigen Jahren einen lebhaften industriellen Aufschwung, der auf der ersten kantonalen gewerblichen Ausstellung in Thun 1899 zum Ausdruck gelangte. Besonders beginnt nun auch die Metallindustrie sich zu verbreiten. Bern, Ostermundingen, Oberburg, Nidau, Biel und Reconvillier weisen in diese Gruppe gehörende Etablissemente auf. Vom Gewerbe ist als spezifisch bernischer Charakterzug hervorzuheben, dass städtisches und ländliches Wesen inniger verknüpft sind, als das meist anderswo der Fall ist. Anforderungen und Leistungen tragen auf dem Lande recht viel städtisches, in der Stadt hinwiederum ländliches Gepräge. Das hervorragendste Gewerbe ist das Baugewerbe. Ihm kommt die Vorliebe des Berners, besonders des auf dem Lande wohnenden, für das Stattliche und nach herkömmlicher Art Geschmückte der Wohnung zu gute.
1889 gab es im Kanton 779 dem Fabrikgesetz unterstellte Etablissemente. Davon entfielen auf die Uhrenindustrie 222, auf die Textilindustrie 50, auf die Verarbeitung des Holzes (worunter meist Sägereien) 110, auf die Eisenindustrie 94, auf die Bierbrauerei 13, Tabakindustrie 13, auf die Papierfabrikation, den Buchdruck etc. 63, auf die Baumaterialienindustrie 43 u. s. w. 1888 waren in der Uhrenindustrie 19157, in der Textilindustrie 7705, in der Holzschnitzlerei 1064, in der Töpferei 543 Personen beschäftigt.
Ausser den bereits genannten industriellen Schulen giebt es ca. 20 Handwerkerschulen, worunter in Bern die einzige Hufbeschlagsschule der Schweiz. Für den höheren technischen Unterricht existieren zwei Technikum, ein kantonales in Burgdorf und ein kommunales in Biel. Ferner hat der Staat ein ansehnliches Gewerbemuseum in Bern begründet.
Handel und Verkehr.
Die wichtigsten Zweige des Handels sind der Handel mit Uhren, Käse, Vieh, Wein, Geweben, Baumaterialien und Schnitzlereien. (Dabei ist das reine Importgeschäft nicht mit berücksichtigt.) Der Käseexport der Schweiz geht zu reichlich zwei Dritteilen vom Kanton Bern aus. Bern, Langenthal, Burgdorf, Langnau und Herzogenbuchsee sind die wichtigsten Plätze dieses Geschäftszweiges. Seit alters wird ein bedeutendes Weingeschäft getrieben, das besonders mit der jeweiligen Ernte des Waadtlandes rasch aufräumen hilft und in der Stadt Bern seinen Hauptsitz hat. Der Artikel Uhren geht vielfach noch ohne Vermittlung des Handels direkt aus den Fabriken in die ausländischen Absatzgebiete. Doch haben wir namentlich in Biel und St. Immer eine Anzahl bedeutender Exporthäuser.
Von den über 100 Geldgeschäften des Kantons bilden die Spar- und Darlehenskassen die weit überwiegende Anzahl. Dem kommerziellen Geldverkehr dienen vorab die Kantonalbank (Sitz in Bern, 6 Filialen), die Schweizerische Volksbank (4 Filialen), die schon erwähnte Hypothekarkasse, die bernische Filiale der Eidgenössischen Bank, sowie eine stattliche Reihe Banken in Bern, Biel, Delémont, Moutier, Porrentruy, St. Imier, Thun, Langenthal, Interlaken etc. (zus. 40).
Eine kantonale Handels- und Gewerbekammer ist seit 1898 neu organisiert; dieselbe vertritt die Interessen des Handels- und Gewerbestandes sowie der handeltreibenden Landwirtschaft gegenüber den Behörden.
Für den kommerziellen Unterricht bestehen eine Handelsabteilung am städtischen Gymnasium von Bern, 11 Fortbildungsschulen von ebensovielen Sektionen des kaufmännischen Vereins und mehrere Fortbildungsschulen an öffentlichen Mittelschulen.
Dem Verkehr dient in erster Linie ein besonders im Mittellande sehr ausgebildetes Netz von Eisenbahnen. Dasselbe besitzt eine Gesamtlänge von 630 km (Ermittlung durch das Kurvimeter, approximativ). Davon entfallen 367 km auf Hauptbahnen und 263 km auf Nebenbahnen. Dieses Netz muss als ein verhältnismässig sehr dichtes bezeichnet werden; es kommen 900 km Eisenbahnlänge auf 10000 km2 des Areals. [Italien 546, Frankreich 782, Deutsches Reich 990, Belgien 2052.] Es entspricht diese Ausbildung des Eisenbahnnetzes genau dem schweizerischen Durchschnitt, wo ebenfalls 900 km auf 10000 km2 entfallen.
Hauptbahnen sind folgende auf den Kanton entfallende Strecken: 1. Flamatt-Bern-Murgenthal. 2. Grellingen-Biel. 3. Delle-Delémont. 4. Oensingen-Wangen und Grenchen-Biel-Neuenstadt. Diese zusammen 210 km ausmachenden Linien dienen in hervorragendem Maasse auch dem internationalen Transit. Fernere Hauptbahnstrecken: 5. La Chaux-de-Fonds-Sonceboz. 6. Biel-Bern-Interlaken. 7. Bern-Trubschachen.
Als Sekundärbahnen sind zu betrachten die kantonalen Strecken: 1. Kerzers-Lyss-Leuzingen. 2. Biberist-Burgdorf-Langnau. 3. Burgdorf-Thun. 4. Herzogenbuchsee-Inkwil. 5. Langenthal-Huttwil. 6. Saignelégier-Chaux-de-Fonds. 7. Spiez-Erlenbach. 8. Bödelibahn. 9. Interlaken-Lauterbrunnen u. Grindelwald. 10. Brienz-Brünig. 11. Tavannes-Tramelan. 12. Pruntrut-Bonfol. Diese ca. 210 km betragenden Sekundärbahnen dienen in erster Linie dem Lokalverkehr, einige von ihnen aber auch dem Touristenverkehr; die Brünigbahn hat nur Sommerbetrieb, sie sowohl als die Lauterbrunnen- und Grindelwaldbahn und die beiden jurassischen Regionalbahnen haben ganz oder teilweise Adhäsionsbetrieb. Dazu gesellt sich eine ganze Zahl von Gebirgsbahnen und kleinen Drahtseilbahnen: Wengernalpbahn (höchste Höhe 2070 m ü. M.), Schynige Platte (2070), Brienzer Rothorn (2300), Lauterbrunnen-Mürren, St. Beatenberg, Giessbach, Reichenbach, Gurten, Magglingen, endlich die begonnene, bis zur Eigerwand fortgeführte und bis dahin vorläufig in Betrieb gesetzte Jungfraubahn.
Keine Gegend der Erde sieht so viele Gebirgsbahnen beisammen. Eine der oben genannten Linien, Burgdorf-Thun, ist eine der ersten elektrischen Vollbahnen der Erde (s. Wasserkräfte).
Neben den Bergbahnen sind technisch interessant die Linien des Jura mit ihren Anstiegswindungen, Brücken und Tunnels, von welch' letztern die beiden Tunnels bei St. Ursanne die bedeutendsten sind (Mont Terri 3,1 km).
Alle Hauptverkehrslinien sind mit Eisenbahnen versehen. Im Jahre 1901 werden eröffnet die Linien Bern-Neuenburg, Bern-Gürbethal und Spiez-Frutigen. Als Fortsetzung der Kanderthallinie ist das Projekt einer Lötschbergbahn aufgestellt. Dieses Projekt will dem Kanton Bern einen Verkehrsweg nach Süden öffnen, wo jetzt die einstigen Handelswege Grimsel und Gemmi nur noch die Rolle von Touristenstrassen spielen können. Die Lötschbergbahn soll Bern mit Brig, dem Ausgangspunkt der Simplonbahn, in Verbindung bringen.
Obschon dieser Berner-Alpenschienenweg der Zukunft den Nachteil einer zweimaligen Ueberschreitung des Kammes aufweisen wird, mag es ihm doch gelingen, einen Teil des ostfranzösischen, niederländischen und britischen Transits an sich zu ziehen. Jedenfalls gewinnt der Kanton selbst einen Ausweg nach Süden, welcher den Handel mit Italien und den Fremdenverkehr ausserordentlich zu beleben fähig ist. Gesichert ist endlich das Projekt einer Linie Bern-Schwarzenburg.
Die Seen des Kantons werden von Dampfschiffen befahren (Thunersee 7, Brienzersee 5, Bielersee 2). Die Schifffahrt auf dem Brienzersee ersetzt die zwischen Interlaken und Brienz zur Zeit noch fehlende Eisenbahn.
Die Schiffe des Thunersees fahren auf einem zu diesem Zwecke erstellten Kanal bis ins Herz des Bödeli (Bahnhof Interlaken).
An Staatsstrassen weist der Kanton 2132 km auf. Diese werden nach Breite und Wichtigkeit in 3 Rangklassen eingeteilt. Der Unterhalt einer vierten Rangklasse fällt den Gemeinden resp. Privaten anheim. Bern besass schon in der Zeit des patrizischen Regiments den Ruf eines Landes mit vorzüglichen Strassen.
Fremdenverkehr.
Derselbe hat sich in den letzten Jahrzehnten bei allen Schwankungen immer noch gesteigert und gilt heute auch den entlegensten Gebirgsthälern. Als zuletzt dem Verkehr erschlossene Thäler können das
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Kienthal und das Diemtigthal genannt werden. Die Zeitströmung bringt es mit sich, dass die lieblichen Niederungen und Seegestade des Gebirgs von vielen Reisenden, insbesondere den eigentlichen Touristen, etwas vernachlässigt werden. Das Hochgebirge aus unmittelbarster Nähe zu schauen, gilt als höchstes Ziel. Daher der Aufschwung der Hotelindustrie und des Verkehrswesens in den Thälern von Grindelwald, Lauterbrunnen, Kandersteg und Adelboden. Wengen ist durch die Wengernalpbahn zu einem grossen Fremdenort geworden.
Meiringen und Thun sind die grossen Durchgangspunkte, zu denen sich Brienz, St. Beatenberg, Spiez und Aeschi hinzugesellen. Interlaken ist nach wie vor das Centrum. Im westlichen Oberland ist die Lenk durch ihre Bäder berühmt. Bern zieht als typischste Schweizerstadt und als Ausgangspunkt der Bahn nach Interlaken sowie nach dem Genfersee zahlreiche Reisende an. Der Gurnigel und der Höhenkurort Magglingen oberhalb Biel sind nach wie vor stark besuchte Fremdenorte.
Man taxiert das im Kanton durch die Fremdenindustrie engagierte Kapital auf ca. 100 Mill. Fr. Eine Enquête des Oberländer Verkehrsvereins ergab als Grundsteuerkapital der oberländischen Hotelerie über 38 Mill. Fr., wovon 12 Mill. auf Interlaken entfallen. Zirka 5000 Personen sind im Hotel- und Fremdenverkehrswesen beschäftigt. Der Monat August ist die Zeit der grössten Frequenz. Aus einer in Interlaken 1898 vorgenommenen Enquête ging hervor, dass unter den Reisenden die Deutschen mit 39%, die Franzosen mit 13%, die Engländer mit 12%, die Amerikaner mit 11% und die Schweizer mit 9% beteiligt waren.
Wasserkräfte, elektrische Anlagen.
Ingenieur R. Lauterburg veranschlagte 1891 die produktiven Wasserkräfte der Kantonsgebietes auf 33470 Pferd = 13,2% derjenigen der ganzen Schweiz. Doch sind heute Fachkreise darüber einig, dass diese Zahl zu niedrig gegriffen ist. Bereits hat der Staat eine grosse Anzahl von Konzessionen erteilt für Ausnützung der Wasserkräfte in elektrischen Anlagen. Die grössten zur Zeit schon erstellten und in Betrieb gesetzten sind die Werke von Hagneck an der Einmündung des Aarekanals in den Bielersee, Winau an der Aare, La Goule in der Schlucht des Doubs und das Kanderwerk bei Einigen, welches die Stadt Bern und die elektrische Eisenbahn Thun-Burgdorf mit Kraft versieht. Ebenfalls erstellt und bereit in Thätigkeit zu treten ist das Werk von Wangen an der Aare. An kleineren Turbinenwerken ist besonders der Jura reich.
Bevölkerungsstatistik
(Soweit möglich auf Grundlage der Zählung von 1900.) Als Ganzes erscheint der Kanton Bern mit 85 Einwohner per km2 ziemlich dicht bevölkert. Auch in diesem Verhältnis gleicht er nahezu dem Gesamtstaate der Schweiz. Es muss aber zum mindesten jeder Landesteil einzeln betrachtet werden, um ein annähernd richtiges Bild von der Verteilung der Bevölkerung zu bekommen.
Die offizielle Statistik ergibt für die oberländischen Bezirke einen Durchschnitt von 32 Einwohnern per km2. Die eigentlichen Hochgebirgsbezirke, Oberhasle, Interlaken, Frutigen und Obersimmenthal ergeben mit 12, resp. 39, 23 und 22 Einwohner per km2 die geringsten Dichtigkeitsgrade. Berücksichtigt man jedoch die Thatsache, dass dort der Bevölkerung als bewohnbare und bebaubare Flächen nur die schmalen Streifen der Thalgründe und der Thalterrassen zur Verfügung stehen, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Auf 1 km2 bebaubare Fläche kommen im Amt Interlaken 355, im Amt Oberhasle 207, im Amt Frutigen 211, im Amt Niedersimmenthal 203, im Amt Saanen 147 und im Amt Obersimmenthal 118 Menschen. Der Einfluss des Fremdenverkehrs des Ostens ist in diesen Zahlen deutlich wahrnehmbar.
Im Emmenthal und Mittelland schwanken die Bevölkerungsdichtigkeiten der Aemter zwischen 69 (Schwarzenburg) und 135 (Konolfingen). Auch hier zeigt jedoch für die gebirgigeren Aemter eine geographische Darstellung, dass gerade in den Aemtern der geringeren Bevölkerungsdurchschnitte die Bewohner auf dem wirklich bewohnbaren Areal weit dichter zusammengedrängt sind, als in den übrigen flacheren Landesgegenden. Und doch ist hier weder Fremdenverkehr noch Industrie mitbeteiligt. So kommen im Amt Signau 231 Menschen auf 1 km2 bebautes Land. Freilich sind hier zum Unterschied vom Oberland auch alle Höhen, doch nur dünn (mit Höfen) besiedelt.
Im Seeland und Oberaargau, wo sich zu einer Landwirtschaft, die an sich schon eine grosse Anzahl von Menschen zu ernähren vermag, die Industrie in namhaftem Masse gesellt, steigert sich die Dichtigkeit auf 126 resp. 155 Einwohner per km2 der gesamten Bodenfläche (Amtsbezirk Nidau 186, Aarwangen 173).
Im Jura würde die Landwirtschaft allein nur eine sehr mässige Ansammlung von Menschen gestatten. So hat das wenig industrielle Amt Delsberg nur 59 Einwohner per km2 aufzuweisen, während das doch weit höher gelegene und weniger fruchtbaren Boden aufweisende Amt Courtelary die gleiche Zahl auf 104 ansteigen sieht. Hier reiht sich eben Fabrikdorf an Fabrikdorf. Auf die bebaubare Fläche allein kommen hier 306 Menschen.
Der Berner Jura ist etwas weniger dicht bevölkert als der benachbarte Neuenburger, doch dichter als der benachbarte Solothurner Jura. Sieht man von den beiden grösseren Städten des Landes, Bern und Biel, ab, so hat der Oberaargau als dichtest bewohnter Landesteil zu gelten. Die günstige Verkehrslage, das bei der niedrigen Höhenlage milde Klima und die Ergiebigkeit des Bodens sind die Faktoren, welche hier eine für ländliches Gebiet ausserordentlich dichte Bevölkerung sich herausbilden liessen.
Von je 100 Einwohner des Kantons wohnen 24 auf der Höhenstufe unter 500 (322-500) m, 71 zwischen 500 und 1000 m und 5 über 1000 m. Die Thalschaft Saanen, welche
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ganz oberhalb 1000 m gelegen ist, und die Franches Montagnes, wo 37% der Einwohner in solcher Höhe wohnen, sind die Gegenden, welche zu den genannten 5% den grössten Anteil liefern. In den hochgebirgigen Teilen des Oberlandes sind einerseits die Thalsohlen so sehr eintieft, dass die Dörfer fast alle unter 1000 m zu liegen kommen, anderseits die Gehänge sehr selten von Siedelungen besetzt.
Der Kanton Bern ist seit alters ein Land grosser natürlicher Volksvermehrung. Während noch 1888 auf 1000 Männer 1015 Frauen kamen, ist 1900 das Verhältnis der Geschlechter: 1000 M., 985 F. Die Zahl der Trauungen ist mit 7‰ fast genau so hoch als im Durchschnitt der Schweiz. Der Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle beträgt in der Regel zwischen 8 und 12,5‰ der Bevölkerung per Jahr. Im Jahrzehnt 1888-97 betrug derselbe 11,8‰ und war am bedeutendsten im Emmenthal (13‰) und im Seeland (12,4‰), im Amt Schwarzenburg sogar 15,4‰, in Courtelary 15,8 und in Moutier 15,4‰, dagegen nur 8,1 resp. 7,1 resp. 6,6‰ in den Aemtern Saanen, Oberhasle und Pruntrut.
Trotzdem vermehrt sich die Bevölkerung des Kantons nur relativ langsam, indem dem natürlichen Zuwachs eine sehr beträchtliche Auswanderung entgegensteht. Zwar hat speziell die überseeische Auswanderung, welche in dem Zeitraum 1887-97 allein dem Kanton 5‰ der Bevölkerung jährlich entführte, neuerdings sehr beträchtlich abgenommen. Im Jahr 1897 wanderten nur noch 470 Menschen (0,87‰) in überseeische Länder. Doch gibt es eine grosse jährliche Auswanderung nach den übrigen Schweizerkantonen und nach den meisten Ländern Europas, welche sich ermessen lässt aus der Thatsache, dass z. B. 1888 im Kanton Neuenburg 31000, im Kanton Waadt 23000, im Kanton Freiburg 10000 Berner Staatsbürger gezählt wurden.
Die Bevölkerung wuchs von 1818-1900 von 333176 auf 586918. Im Beginn des Jahrhunderts erfolgte der Zuwachs rasch, dann ersichtlich langsamer. Dabei zeigt sich bereits seit längerer Zeit die Erscheinung der langsamen Bevölkerungsabnahme verkehrsentlegener Oertlichkeiten. Der Zug in die Stadt hat keinen so grossen Einfluss auf die inneren Verschiebungen der Bevölkerung als der Verlauf der grösseren Verkehrswege. Immerhin zeigt er sich in aller Schärfe bei der Zunahme Biels (jährlich 25,6‰), während die Hauptstadt langsamer anwächst.
Von den 18 Städten des Kantons haben die meisten heute einen ländlicheren Charakter als einige grosse und industrielle Dörfer, die wie Langnau und St. Immer bis 8000 Einwohner aufweisen. 13 von jenen 18 Städten besitzen weniger als 4000, 4 sogar weniger als 1000 Einwohner. Man kann annehmen, dass zirka 20% der Bevölkerung städtisch wohnen.
Physischer Zustand der Bevölkerung.
Die jährliche Untersuchung der (gegenwärtig an 7000) Rekruten ergibt ein durchschnittliches Verhältnis von 50% zum Militärdienst Tauglichen. Bei der reichlichen und kräftigen Ernährung, welche in den meisten Landesteilen die Regel ist, erweist sich der Berner schon durch seinen physischen Zustand als sehr brauchbaren Soldaten. Wenn in einzelnen Gegenden, besonders des Oberlandes, die Zahl der Dienstuntauglichen auffallend gross ist, so ist das zum grossen Teil verschuldet durch die Auswanderung gerade der kräftigsten Elemente unter den jungen Männern.
Viele von diesen pflegen in späteren Jahren, nach der Heimat zurückgekehrt, ihren Dienst nachzuholen. Es giebt aber unverkennbar grosse Bevölkerungskreise, bei denen ungenügende Ernährung die Ursache der physischen Mängel ist. Der Hofbauer des Emmenthales nährt sich und die Seinigen (Dienstboten inbegriffen) luxuriös im Vergleich zum Kleinbauern des Schachenlandes, der Aemter Seftigen und Schwarzenburg, des Oberlandes etc. Hier müssen mehr als recht Kartoffeln und Milchkaffee genügen.
Während die städtischen Orte durchschnittlich eine grössere Anzahl diensttauglicher Rekruten aufweisen, als die ländlichen, besitzen diese allgemein eine langlebigere Bevölkerung, als jene. Das Emmenthal, der Oberaargau und das Oberland zeichnen sich in dieser Beziehung besonders aus. Die Kindersterblichkeit ist im Oberland am geringsten, im Jura am grössten. Und doch ist im ersteren Landesteil das Personal für Geburtshülfe sehr dünn gesäet. Gibt es doch im ausgedehnten Amt Oberhasle zur Zeit nur zwei Aerzte und zwei Hebammen.
In der Krankenpflege waren 1898 258 Aerzte, 31 Zahnärzte, 497 Hebammen und 73 Apotheken thätig. Von den Aerzten entfallen ca. 90 auf die Städte Bern und Biel. In der Stadt Bern kommt ein Arzt auf 625 Einwohner, im Kanton einer auf 2132 Einwohner.
Es gibt zur Zeit einen grossen Kantonsspital (Inselspital) einen Frauenspital und ein «äusseres Krankenhaus» für ansteckende Kranke, alle in Bern, ferner 3 kantonale Irrenanstalten (Waldau, Münsingen, Bellelaye), 30 Bezirksspitäler und eine Anzahl Privatspitäler (meist in Bern).
Als milde Stiftung von allgemeiner Bedeutung, deren Ziel die Bekämpfung der Tuberkulose und des Alkoholismus durch Errichtung von Sanatorien und Trinkerheilanstalten ist, ist zu nennen die Jeremias Gotthelf-Stiftung. Ebenso sucht der Hülfsverein für Geisteskranke der Verarmung der Bevölkerung vorzubeugen.
Das Armenwesen bildet einen wichtigen Zweig der öffentlichen Verwaltung, indem durch Gesetz dafür gesorgt ist, dass die private Wohlthätigkeit (Spend- und Krankenkassen, Burgerliche Armenunterstützung etc.) mit der öffentlichen (Gemeinde und Staat) kombiniert und insgesamt unter die Kontrolle der Regierung gestellt ist. Anspruch auf Unterstützung hat der verarmte Kantonsbürger in der Gemeinde seines Wohnortes.
Es genossen 1898 33984 Personen = 62‰ der Bevölkerung die Unterstützung durch die öffentliche Wohlthätigkeit. Die Gesamtauslagen des Staates, der politischen und bürgerlichen Gemeinden, der Spend- und Krankenkassen etc., beliefen sich in demselben Jahr auf 4,2 Mill. Franken. Seit den Tagen eines Jeremias Gotthelf und Karl Schenk wird die Fürsorge für die Armen energisch befördert.
Kirche und Schule.
Reformiert ist der ganze alte Kanton, sowie vom neuen Kantonsteil Biel, Neuenstadt, St. Immer und Münster diesseits des Mont Raimeux. Katholisch sind die übrigen jurassischen Gebiete. Der römisch-katholische Jura bildet einen Teil des Bistums Basel-Lugano, das an Stelle desjenigen von Basel getreten ist. (Bischofssitz in Solothurn.) Christ-katholische Kirchen gibt es im Laufenthal, in Biel und in Bern. Das geistliche Oberhaupt der Christ-Katholiken der Schweiz (Bischof) residiert in Bern. Die Leitung der reformierten Kirche steht der Landessynode zu. Die drei genannten Kirchen gelten als Landeskirchen. Es gab 1900 506837 Reformierte und 81162 Katholiken, 1572 Israeliten und 1736 Andersgläubige. Im Jura gibt es noch viele Wiedertäufer, meist einstige Deutsch-Berner, die im Laufe der letzten Jahrhunderte nach dem Münsterthal und den Freibergen auswanderten. Das neuere Sektenwesen hat, ausser im Emmenthal, Oberland, und in den Städten wenig Boden gefasst. 90% aller Trauungen innerhalb der Reformierten geschehen auch kirchlich. Zur israelitischen Religion bekannten sich 1888 1195 Personen.
Aus dem bernischen Schulwesen sind die ehemaligen Burgerschulen im Laufe der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts verschwunden; heute ist das ganze Schulwesen auf ausgeprägt staatlich-demokratischer Grundlage organisiert. Die wenigen Privatschulen stehen unter der Aufsicht des Staates.
Die Primarschule, welcher mit 83% aller Schüler der Hauptteil der Erziehung zufällt, ist obligatorisch und umfasst 9 Schuljahre, deren erstes für jedes Kind mit dem zurückgelegten sechsten Altersjahre beginnt. Dieser relativ langen Schulzeit entsprechend entfallen auf je 10000
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Einwohner 1850 Primarschüler, ein Verhältnis, welches weder im Durchschnitt der Schweiz, noch in einem europäischen Staate, Finnland ausgenommen, erreicht wird. In der gemeindeweisen Organisation der Schule besteht die Eigentümlichkeit, dass es viel mehr Schulorte als Gemeinden (830 gegenüber 509) giebt, eine Einrichtung, durch welche die langen Schulwege, besonders der Hofgebiete, auf ein Mass zurückgeführt werden, wobei der Schulzwang durchführbar wird. Im Amt Signau gibt es beispielsweise 46 Schulorte in 9 Gemeinden.
Die Gemeinden wählen die Lehrerschaft und die Kommissionen. In den 12 Inspektoratskreisen übt der Staat die Oberaufsicht.
Die Lehrerbesoldungen sind etwas niedriger als im Durchschnitt der Schweiz. 1200 Fr. für die Lehrer und 800 Fr. für die Lehrerinnen dürften die thatsächlichen Minima sein, obschon das Gesetz, welches die niedrigsten Gemeindebesoldungen und die Staatszulagen vorschreibt, noch etwas niedrigere Summen zulässt. Noch wird an den meisten Orten ein Teil der Gemeindebesoldungen in Naturalien verabfolgt (Holz, Freiwohnung, Ackerland). Die Hauptarbeit der Schulen fällt auf den Winter. 36 Schulwochen sind das jährliche Mindest-Erfordernis.
Der Schulbesuch ist im Vergleich zu den andern Kantonen kein glänzender, woran nicht nur örtliche sondern auch soziale Schwierigkeiten die Schuld tragen. Dies ist bei Beurteilung der Resultate der eidgenössischen Rekrutenprüfungen zu bedenken, in welchen der Kanton keinen ansehnlichen Rang einzunehmen pflegt. Fortbildungsschulen und Rekrutenkurse giebt es im ganzen Kanton. 8,5% aller Schüler besuchen dieselben. Die Gemeinden können sie obligatorisch erklären.
Die Sekundarschulen haben sich auf dem Lande und in den Städten sehr ausgebreitet. Ihre Zahl beträgt über 70. Ein Teil davon besteht freilich nur aus zwei Klassen; die voll ausgebildeten haben fünf Klassen. Diese stehen schon auf gleicher Stufe wie die Progymnasien, indem neben Französisch auch Lateinisch und Englisch als fakultative Fächer unterrichtet werden. Die Lehrerschaft geht meist aus denselben Seminarien hervor, wie die der Primarschule. Sie bildet sich während 4 Semestern an der Universität weiter. Von sämtlichen Schülern des Kantons sind 5,3% Sekundarschüler.
Es giebt 5 öffentliche Lehrerseminarien (wovon je 3 deutsche, 2 französische, und 2 für Lehrer, 3 für Lehrerinnen) und 2 Privatseminarien.
Das grösste Lehrerseminar ist das deutsche Staatsseminar von Hofwyl, das grösste Lehrerinnenseminar ist eine Abteilung der Mädchensekundarschule der Stadt Bern.
An höheren Mittelschulen giebt es 6 Progymnasien (Thun, Biel, Neuveville, Moutier, Delémont, St. Imier) und 4 Gymnasien: Bern, Burgdorf und Porrentruy, sowie ein Privatgymnasium in Bern. Alle Sekundarschulen, Progymnasien und Gymnasien stehen z. Z. unter einem einheitlichen Inspektorat (Mittelschulinspektorat).
Die kantonale Hochschule in Bern wurde 1834 in Ersetzung der bis dahin bestehenden Akademie gegründet. Sie umfasst neben den von Anfang an bestehenden 4 Fakultäten seit 1874 eine altkatholisch-theologische Fakultät. 1887 wurde als Bestandteil der philosophischen Fakultät eine Lehramtsschule errichtet, welche der Vorbildung der Sekundarlehrer dient. Endlich wurde 1900 die Tierarztneischule als sechste Fakultät der Hochschule erklärt. Mit der philosophischen Fakultät ist eine Kunstschule verbunden. Die Zahl der Studenten stieg 1899/1900 auf über 1000 an.
Eine landwirtschaftliche Schule besteht auf der Rüti bei Zollikofen. In Burgdorf und Biel bestehen technische Mittelschulen (Technikum), von welchen die letztere auch eine Eisenbahnschule aufweist.
Die Leistungen der Gemeinden und des Staates betragen für sämtliche Schulen ca. 8 Mill. Fr. jährlich. Davon entfallen auf die Primarschulen 4,8 Mill. (wovon 2,7 Mill. durch die Gemeinden), auf die Sekundarschulen 1,2 Mill. (wovon 760000 Fr. durch die Gemeinden), auf die Gymnasien 374000 Fr. und auf die Hochschule 700000 Fr. Die Kosten der Gymnasien werden ungefähr zur Hälfte, die der Hochschule ganz vom Staate getragen.
Staat.
Die Verfassung datiert vom Gemäss derselben sind die Volksrechte so ausgedehnt, dass der Kanton als eine reine Demokratie mit beschränktem Repräsentativsystem zu bezeichnen ist. Die Stimmberechtigten (Kantonsbürger, welche über 20 Jahre alt und im Kanton wohnhaft, Schweizerbürger, welche die nämlichen Eigenschaften besitzen und mehr als drei Monate niedergelassen resp. mehr als sechs Monate als Aufenthalter eingetragen sind) entscheiden durch Abstimmung über: 1. Verfassungsänderungen, 2. Gesetze, 3. Volksbegehren, 4. Beschlüsse des Grossen Rates, welche eine einheitliche Ausgabe von mehr als 500000 Fr. zur Folge haben, 5. neue Anleihen, 6. Erhöhung der Staatssteuer über den zweifachen Betrag des Einheitsansatzes.
Ein Volksbegehren (Initiative), von 12000 Stimmberechtigten unterstützt, wird der Gesamtheit zur Abstimmung vorgelegt. Es kann fertig formuliert oder in Form einer Anregung eingebracht werden. Der Grosse Rat kann dazu in einer Botschaft seine Ansicht äussern.
Die Stimmberechtigten sind, sofern das 25ste Jahr zurückgelegt ist, wählbar. Aemtervermengung ist verboten. Ausser im Grossen Rate dürfen keine Bluts- oder Heiratsverwandte in derselben Staatsbehörde sitzen. Die Erlasse der Behörden geschehen in deutscher Sprache und werden für den französischen Kantonsteil in diese Sprache übersetzt.
Vorberatende und Volksvertretungs-Behörde ist der Grosse Rat. Auf je 2500 Einwohner wird (in den Wahlkreisen) ein Mitglied desselben vom Volke gewählt. Nicht wählbar sind die Inhaber geistlicher oder weltlicher Stellen, welche vom Staate besoldet sind. Die Wahl findet alle vier Jahre statt, durch Volksbegehren auch in der Zwischenzeit. Es giebt keine Wahlkreisinstruktionen. Der Grosse Rat wählt selbst seinen Präsidenten. Er versammelt sich zu ordentlichen Sitzungen zweimal jährlich. Er übt die Vorberatung der Gesetze aus, fasst Beschlüsse und erlässt Dekrete und ist souverän, soweit es die direkten Volksentscheide und die Bundesverfassung zulassen. Von wichtigen Wahlen fallen ihm insbesondere zu diejenigen der 2 bernischen Ständeräte, des Regierungsrates und des Regierungspräsidenten, des Obergerichtes, der bernischen Stabsoffiziere etc.
Der Regierungsrat besteht aus 9 Mitgliedern, welche unter sich die 14 Direktionen der Verwaltung (Inneres, Justiz, Polizei, Finanzen, Erziehung, Militär, öffentliche Bauten, Eisenbahnen, Vermessung und Entsumpfung, Forsten, Domänen, Kirche, Gemeindewesen und Armenwesen) zu verteilen haben. Die Regierungsräte sollen beider Landessprachen kundig sein. Den politischen Minoritäten ist bei der Wahl Rücksicht zu tragen. Für jeden der 30 Amtsbezirke wird ein Regierungsstatthalter eingesetzt, welcher, vom Volke gewählt, das direkte Organ der Regierung ist.
Die Gerichte gliedern sich in das Obergericht und die Amtsgerichte. Das Obergericht besteht aus 15 Mitgliedern und 4 Ersatzmännern. Die Amtsdauer beträgt 8 Jahre, doch treten je 4 Mitglieder nach 4 Jahren, durch die Ersatzmänner ersetzt, vorübergehend aus. Das Obergericht ist Appellations-, Kassations- und Kriminalgericht. Die Amtsgerichte, bestehend aus einem Präsidenten (Gerichtspräsidenten), 4 Mitgliedern und 2 Ersatzmännern, direkt vom Volke gewählt, sind Civilgericht, Polizeigericht und Friedensgericht. Im Jura gilt in civilrechtlichen Sachen der Code civil.
Es giebt 6 kantonale Geschwornengerichte für die Strafprozesse. Das bernische Strafrecht sieht keine Todesstrafe vor. Die Zuchthaus- und Gefängnisstrafen werden in den folgenden 4 Strafanstalten verbüsst, welche alle mit ländlichen Arbeitsbetrieben verbunden sind: Witzwil, St. Johannsen, Thorberg und Trachselwald.
Alle Gemeinden besitzen das gleiche Mass von Autonomie. Die Gemeindereglemente unterliegen der Genehmigung durch die Regierung. Die Gemeienden wählen selbst
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den Gemeindepräsidenten. Die Altbürger bilden die Burgergemeinden, deren oft sehr grosse und besonders der Wohltätigkeit zu Gute kommenden Güter vom Staate gewährleistet sind.
Staat und Kirche sind getrennt; kein kirchlicher Erlass bedarf staatlicher Genehmigung. Der Staat übt über Einhaltung der Glaubensfreiheit die Aufsicht. Es kann eine besondere Armensteuer erhoben werden, welche bis ¼ der Staatssteuer ausmacht. (Dies geschieht zur Zeit.)
Die Revision der Verfassung kann von 15000 Stimmberechtigten oder vom Grossen Rate angeregt werden. Der letztere muss die Revision in zweimaliger Beratung durch ⅔ Mehrheit beschliessen. Das Volk kann dann die Durchführung der Revision dem Grossen Rat oder einem Verfassungsrat übertragen. Bei der Abstimmung entscheidet das absolute Mehr der Stimmenden.
Staatshaushalt.
Im Jahre 1852, da zum ersten Male die jetzige Währung bestand, betrugen die Staatseinnahmen 4,07 Mill., die Staatsausgaben 4,35 Mill. Fr. Unter beständigem Steigen erreichten dieselben Posten bis 1899 die Werte von 14,8 resp. 14,97 Mill. Fr. In den 50 Jahren 1850-1899 schloss die Staatsrechnung mit kleinen Defiziten in folgenden Rechnungsjahren: 1850, 1852-54, 1862, 1864-67, 1874-79, 1882, 1884, 1892, 1898 und 1899. Die übrigen Jahre ergaben Einnahmenüberschüsse. Die wichtigsten Einnahmen des Staates sind folgende: Direkte Steuern 6 Mill., Gebühren 1,3 Mill., Hypothekarkasse 1,1 Mill., Anteil am eidgen. Alkoholmonopol 1 Mill., Wirtschaftspatente 0,9 Mill., Domänen 0,8 Mill., Waldungen 0,5 Mill., Salzmonopol 0,8 Mill., Stempelsteuer 0,6 Mill., Kantonalbank 0,6 Mill. Fr. etc.
Neben den oben erwähnten Kosten der Verwaltung des Schul- und Armenwesens sind als Hauptausgabeposten ferner zu nennen: 2,2 Mill. für das Bauwesen (Wasserbauten 1 Mill.), 1,9 Mill. für die Verzinsung der Stammschuld, 1 Mill. für Polizei, 1 Mill. für die Kirche, 0,9 Mill. für das Gesundheitswesen, 0,5 Mill. für Volks- und Landwirtschaft.
Der Staat hat seit 1895 vier verschiedene Anleihen im Gesamtbetrag von 134 Mill. Fr. aufgenommen. Davon entfallen jedoch 85 Mill. auf die Vermehrung des Betriebskapitals der beiden staatlichen Banken und kommen teils der Landwirtschaft, teils einer speziellen durch Volksabstimmung von 1897 sanktionierten Zweckbestimmung, der Subventionierung von Nebenbahnen, zu gute.
Die Staatsrechnung pro 1899 schliesst mit einem Bestand des reinen Vermögens von 56,3 Mill. Fr. ab (350,7 Mill. Aktiven gegen 294,4 Mill. Passiven). Am reinen Vermögen sind beteiligt die Domänen mit 27 Mill., die Waldungen mit 14,4 Mill. Fr. In Wertschriften besitzt der Kanton 10,3 Mill. Fr. Sie umfassen Obligationen u. Aktien folgender Natur (Reihenfolge nach den Beträgen): Kantonsanleihen von 1895, Thunerseebahn, Jura-Simplon, Nordostbahn, Emmenthalbahn, Langenthal-Huttwilbahn, Finländische Staatsbahn, Kantonsanleihen von Freiburg 1892, Centralbahn etc.
An Spezialfonds besitzt der Kanton 47, mit einem reinen Vermögen von 17,2 Mill. Fr. Die bedeutendsten sind diejenigen des Inselspitals (8 Mill.), des Ausserkrankenhauses (1,5 Mill.), ferner der kantonale Kranken- und Armenfond (1,1 Mill.), die Viehentschädigungskasse (1,6 Mill.), dis Mueshafenstiftung für Studienunterstützungen (0,8 Mill.), die Viktoriastiftung für Waisenerziehung (0,7 Mill.).
Die örtlichen öffentlichen Güter verteilen sich auf die Einwohnergemeinden und die Burgergemeinden. 1890 betrugen die Güter der Einwohnergemeinden 100 Mill. Fr., wovon Kirchengut 16 Mill., allgemeines Ortsgut 41,8 Mill., Schulgut 22,2 Mill. und Armengut 19,8 Mill. Fr. Die Burgergüter beliefen sich auf 95 Mill. Fr.
Die landschaftliche Verteilung dieser Ortsgüter zeigt grosse Ungleichheiten. Während Mittelland und Jura reichlich versehen sind, bleiben Oberland und namentlich das Emmenthal weit zurück. Hier wirkte die Verzettelung der Siedelungen einer gemeindeweisen Kapitalansammlung hemmend entgegen. Hier gestalteten sich nach und nach die Verhältnisse der Armen, aber auch der Schule und der Kirche zu sehr drückenden, weshalb sich hier die Heranziehung des Gesamtstaates für Zwecke, die anderswo den Gemeinden überlassen blieben, als notwendig zeigte.
Rückblick auf die Geschichte der Verfassung.
Es sind drei staatsrechtlich prinzipiell verschiedene Perioden zu unterscheiden:
I. Periode der Stadtsouveränetät 1191 bis 1798. Ueber die Erwerbung der staatlichen Souveränetät und die territoriale Ausbreitung der Zähringer- und späteren Reichsstadt wurde oben (pag. 204) orientiert. Die inneren politischen Institutionen entwickelten sich im freiheitlichen Sinne bis ins 16. Jahrhundert, von da bis 1798 im aristokratischen Sinne. Durch weitherzige Aufnahme immer neuer Bürger, die alle fast gleiches Recht genossen, wessen Standes sie auch waren, wirkte die Stadt Jahrhunderte lang als Zufluchtsort bedrängter, aber freiheitsuchender Elemente des Umkreises.
Ihre Organisation war militärisch und es ergab sich von selbst, dass die Männer ritterlicher Abkunft und ritterlicher Uebung, welche zuerst Ausburger, dann innerhalb der Mauern der Stadt selbst wohnende Bürger wurden, einen grossen Einfluss in der Leitung der stets kriegsbedrängten kleinen Schaar gewannen. Keine Verfassung gab damals dem Adel Vorrechte; aber er leitete die Stadt durch seine militärische Tüchtigkeit.
1295 entstanden die Regierungsformen, die der Hauptsache nach das ganze alte Bern beherrschten. Ein Schultheiss stand an der Spitze. Mit dem Kleinen Rate (12 Mitglieder) bildete er das Gericht der Stadt und übte er die oberste Kriegsleitung. Die Gemeinde, welche in allen wichtigen Angelegenheiten direkt befragt wurde, schoss einen Grossen Rat (von 200, später 300 Mitgliedern) aus; dieser war die Wahlbehörde und erliess die Verordnungen. Zünfte gab es auch in Bern, doch gewannen sie trotz heftiger Kämpfe nie überwiegende politische Macht. 4 unter ihnen (Metzgern, Gerbern, Schmieden und Pfistern) hatten das Recht, dass aus jeder von ihnen einer der 4 Venner gewählt wurden, die die 4 Landgerichte zu verwalten hatten (Konolfingen, Seftigen, Sternenberg und Zollikofen).
In den erworbenen Territorien gewann die Stadt erst nach und nach die Stellung, die in monarchischen Ländern dem Landesherrn zufiel. Von sich aus erteilte sie den Unterthanen weitgehende politische Rechte durch die Institution der Volksanfragen. Dieselben bestanden in einer allgemeinen Umfrage bei allen Gemeinden des Territoriums und bezogen sich namentlich auf Kriege und Friedensschlüsse, Steuern, Glaubenssachen etc. Ihre Resultate waren nur durch die Macht der Thatsache, nicht formell verbindlich. Die Institution dauerte von der Mitte des 15. bis an das Ende des 16. Jahrhunderts. In diese Zeit des Zusammenwirkens von Stadt und Land fällt die Blüteperiode des alten Staates (Burgunderkriege 1474-76, Dornach 1499, Bund mit Frankreich 1521, Einführung der Reformation 1528, Eroberung der Waadt und Hochsavoyens, Bund mit Genf 1536, Friede von Lausanne 1564).
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Von dieser Zeit der gewaltigen Machtausbreitung, besonders aber der im Grunde demütigenden Anschliessung an Frankreich, datiert die nun immer mehr sich ausbildende Verknöcherung der politischen Formen. Die Rechte des Burgers von Bern waren eine Quelle materieller Vorteile geworden. Deshalb begann die Ausschliesslichkeit. Die Unterschiede zwischen den Altburgern und Einwohnern (neu Zugewanderten) wurden immer schärfer formuliert. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Aufnahme ins Burgerrecht vorübergehend gänzlich verboten, was auch später noch mehrfach geschah.
Während jene Volksanfragen (von 1610 an) gänzlich aufgegeben und dem Lande damit Teilnahme und Interesse am Staat entzogen wurden, bildete sich in der Stadt erst jetzt, zu einer Zeit, wo weitaus die meisten ritterlichen Geschlechter ausgestorben waren, eine eigentliche Aristokratie aus. Ein neuer Stand, das Patriziat, meist aus ehrsamen Handwerkersfamilien hervorgegangen, junkerliche Traditionen pflegend und Handel und Gewerbe vernachlässigend, machte zu seinem eigentlichen Beruf das Regieren. Diese an Zahl zusehends abnehmenden Altburger waren einzig regimentsfähig. 1691 waren nur noch 104 Geschlechter im Grossen Rate vertreten. Die Formen der Regierung wurden komplizierter und verfielen bei aller Ehrwürde dem Fluche der Lächerlichkeit. 1783 wurde durch Ratsbeschluss allen regimentsfähigen Geschlechtern gestattet, vor ihren Namen das Prädikat «von» zu setzen.
Gegen diese völlige Umgestaltung des Staates wurde von Seiten der dadurch Vergewaltigten nie ein allgemeiner Widerstand gewagt. Gefährlich ward der Aristokratie einzig der Bauernkrieg von 1653. In der Person des unglücklichen Niklaus Leuenberger verkörperte sich der Rechtssinn und die natürliche Freiheitsliebe, aber auch die Unklarheit, das mangelnde politische Bewusstsein und damit die Schwäche der vergeblich aufgestandenen emmenthalischen und oberaargauischen Bauern. 1749 versuchte in der Stadt selbst der Gelehrte Samuel Henzi mit einigen Freunden das System der patrizischen Ausschliesslichkeit zu brechen. Er unterlag wie Leuenberger und verfiel dem Henker wie dieser. Der Anstoss zu neuen politischen Bewegungen musste von aussen kommen.
II. Unterbrechung des Fortbestandes des Staates, 1798 bis 1803. Die Invasion der französischen Revolutionsarmee, welcher ausser den Urkantonen Bern allein einen ehrenvollen Widerstand leistete, führte zur zeitweiligen Aufhebung des Staates. Das Staatsgebiet wurde geteilt (Kantone Bern, Oberland, Waadt, Aargau) und die Teile zu Verwaltungsgebieten der einen und unteilbaren Helvetischen Republik gemacht. Bern wurde Sitz der Behörden des Einheitsstaates, insbesondere des Direktoriums.
III. Wiederaufbau und Konstituierung des heutigen Kantons Bern. 1803 wurde durch die von Napoleon I. geschaffene Mediationsakte der Kanton Bern konstituiert, indem mit dieser neu aufkommenden Bezeichnung der frühere Titel Stadt und Republik ersetzt wurde. Die alte ständige Souveränetät kehrte zum grossen Teile zurück. Die privilegierte Stellung der Stadt wurde aber nur teilweise wiederhergestellt. Indem man die Zünfte, ohne auf ihre ursprüngliche Bedeutung noch irgendwelche Rücksicht zu nehmen, zu politischen Korporationen umgestaltete, bildete man neben den 13 städtischen 52 neue ländliche.
Die 65 Zünfte wählten nun ebensoviele Mitglieder des Grossen Rates und bezeichneten eine grössere Anzahl Kandidaten für dieselbe Behörde, unter denen sodann das Loos entschied. In einem Kleinen Rate von 27 Mitgliedern war jeder Gerichtsbezirk durch je ein Mitglied vertreten. Der Grosse Rate wählte 2 Schultheisse, die im Amt jährlich abwechselten. Diese sogen. Mediationsverfassung anerkennt das Prinzip, dass Zehnten und andere Bodenzinse loszukaufen seien; sie blieb in Kraft bis 1813.
Der Durchmarsch der Verbündeten durch die Schweiz hatte auch für Bern eine Reaktion der inneren Politik zur Folge. Jetzt gieng man unter dem Einfluss des Metternich'schen Legitimitäts-Prinzips, dessen bedeutendster staatsrechtlicher Verfechter ein Berner, der Enkel des grossen Albrecht v. Haller, Ludwig, war, bis zur beinahe vollständigen Wiederherstellung der alten Stadtsouveränetät. Vom Grossen Rat gehörten nun wieder 200 den Stadtbürgern an, während aus der Landschaft erst 43, später 99 dazu vom Rate selbst adaptiert wurden.
In dieser Periode hiess der Staat konsequenter Weise wieder «Stadt und Republik». 1831 aber veranlasste die durch die Julirevolution in Paris neu geweckte Gährung im Volke die Regierung zur bedingungslosen Abdankung.
In einer neuen Verfassung wurden die Vorrechte der Geburt, die Privilegien der Stadt für alle Zeiten abgeschafft, dagegen die Glaubens-, Lehr- und Pressfreiheit gewährleistet. Der Grosse Rat wurde durch indirekte Wahl bestellt, und die Stimmfähigkeit des einzelnen Bürgers wurde an einen Zensus geknüpft. Zum ersten Mal nach langen Zeiten entschied in der Abstimmung über diese Verfassung das Volk wieder über eine bernische Staatsangelegenheit.
Neue Kämpfe, in denen mehr und mehr die gemeineidgenössische Politik mitspielte, brachten diese Verfassung von 1831 frühzeitig zu Fall. Gegen das «neue Herrentum» verbündeten sich altkonservative und radikale Elemente. 1846 gewannen diese letzteren unter Führern wie Ochsenbein, Niggeler und Stämpfli die Oberhand und brachten eine neue Verfassung zur Genehmigung durch das Volk, welche in allen wesentlichen Zügen als die Grundlage der heutigen zu gelten hat.
Direktes Wahlsystem, fakultatives Referendum, Abschaffung der Beschränkung des Stimmrechts, Oeffentlichkeit der Rats- und Gerichtsverhandlungen waren die wichtigsten Neuerungen. So war die Sonderstellung Berns als eines überwiegend oligarchischen Staates gründlich gebrochen. 1848 wurde Bern Sitz der Bundesbehörden. Der weitere Ausbau der Kantonsverfassung brachte 1869 das obligatorische Gesetzesreferendum und das bedingte Finanzreferendum, 1893, als einen Schlussstein des demokratischen Gebäudes, die Initiative.
Literatur und Quellen.
Thomas Schöpf, Karte des Berngebiets, von 1577. - Kutter-Leuzinger, Karte des Kantons Bern 1:200000. - J. Heinzmann, Beschreibung der Stadt und Republik Bern, 1794. - A. Jahn, Chronik des Kt. Bern alten Teils, 1857. - B. Hildebrand, Ueber das Staatsgebiet des Kt. Bern, 1860. - B. Studer, Beiträge zu einer Monographie der schweizerischen Molasse. - A. Baltzer, Das Aarmassiv. - G. Studer, Das Panorama von Bern. - Derselbe, Ueber Eis und Schnee. Die Berneralpen. - J. Imobersteg, Das Emmenthal; Geschichte, Land und Leute. - Derselbe, Das Simmenthal. - J. Jentzer, Das Amt Schwarzenburg. - J. Elzingre, Der bernische Jura (In: Vom Jura zum Schwarzwald, 1888). - Godet, Flore du Jura. - Fischer, Flora des Berner-Oberlandes und Flora von Bern und Umgebung. - K. Geiser, Studien über die bernische Landwirtschaft im 18. Jahrhundert. - Derselbe, Einleitung zum Katalog der ersten Kantonalen Gewerbe- und Landwirtschaftsausstellung in Thun, 1899. - Derselbe, Geschichte des bernischen Armenwesens. - Mitteilungen des bernischen statistischen Bureau, von 1883 an fortlaufend in 2-3 jährlichen Lieferungen, enthaltend vornehmlich: Bevölkerungs-, Agrikultur- und Gewerbestatistik. - Berichte der kantonalen bernischen Handels- und Gewerbekammer. No. 2: J. Hügli, Die heutige Entwicklung von Handel, Industrie und Kleingewerbe im Kanton Bern.
Periodica. Jahresberichte der Geographischen Gesellschaft von Bern (enthalten u. a. Th. Steck, Die Denudation im Kandergebiet und R. Zeller, Die Schneegrenze im Triftgebiet). - Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft von Bern. -
Neujahrsblätter der Literarischen Gesellschaft von Bern (enthalten u. a. K. Geiser, Land und Leute bei Jeremias Gotthelf und H. Walser, Dörfer und Einzelhöfe zwischen Jura und Alpen).
Geschichte. Fontes Rerum Bernensium (Bernische Geschichtsquellen). - C. Justinger, Berner Chronik. - J. L. Wurstemberger, Geschichte der alten Landschaft Bern. - A. von Tillier, Geschichte des Eidg. Freistaates Bern. - C. Herzog, Geschichte des bernischen Volkes. - W. von Mülinen, Heimatkunde des Kanton Bern. - A. Jahn, Der Kanton Bern, antiquarisch-topographisch beschrieben. - Festschrift zur 700-jährigen Gründungsfeier der Stadt Bern, enthaltend die Geschichte der bernischen Verfassung von K. Geiser.
Der Verfasser ist für die zuvorkommende Herausgabe von handschriftlichem Aktenmaterial und persönliche Auskunft zu Dank verpflichtet: dem eidgenössischen hydrometrischen Bureau (Direktor Herr J. Epper), dem