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alles, was wir von der Stadt wissen, die die Römer Aventicum nannten, die aber vor deren Auftreten einen keltischen, wahrscheinlich aus der in Aventia sich wiederfindenden Wurzel des Wortes Aventicum bestehenden Namen getragen haben dürfte.
Besser bekannt wird die Geschichte der Helvetier von dem Zeitpunkt an, da sie mit Caesar zusammenstiessen. Als sie im Jahre 58 v. Chr. bei ihrem Auszuge ihre zwölf Städte zerstörten, befand sich auch Aventicum unter diesen, wurde aber wieder aufgebaut, als Caesar das Volk nach der entscheidenden Niederlage von Bibracte in seine alten Wohnsitze zurücktrieb. Von den Bauwerken der Stadt vor dem Jahre 58 scheint aber beinahe gar nichts mehr übrig geblieben zu sein.
Nach der Unterwerfung Galliens durch Caesar, um das Jahr 49, trat im Lande ein ungefähr 120 Jahre andauernder Ruhezustand ein, während dessen die Helvetier in ein geschlossenes Staatswesen, die Civitas Helvetia (nach Caesar) oder die Civitas Helvetiorum (nach den Inschriften) zusammengefasst waren.
Wahrscheinlich infolge seiner Bedeutung entwickelte sich Aventicum zur politischen Hauptstadt dieser Civitas Helvetiorum und erhielt Zuzug von Bewohnern römischen Stammes und Namens, die vom Militärdienste unter der Bedingung sich loskaufen konnten, dass sie unter sich in Friedenszeiten eine Bürgergarde bildeten. Wir kennen einige historische Daten aus dieser, den Flaviern vorangehenden Zeit.
Unter der Herrschaft der römischen Kaiser aus der Familie der Flavier (Vespasians und seiner zwei Söhne Titus und Domitian, 69-96 n. Ch.) vollzog sich dann die Umwandlung des Staates der Helvetier in eine römische Kolonie. Damit brach auch für Aventicum die Zeit seiner höchsten Blüte an, die ungefähr 200 Jahre dauerte. Um sich die Gunst zu erklären, deren sich Aventicum von Seiten Vespasians und seiner Nachfolger zu erfreuen gehabt hat, wird mit Recht der Umstand betont, dass die Helvetier in den Kämpfen gegen Vitellius den römischen Herrschern tatkräftigen Beistand geleistet hatten. Man weiss ausserdem aus einer Stelle bei Sueton, dass sich Sabinus, der Vater Vespasians, nach seiner Rückkehr aus Asien bei den Helvetiern als Bankier niederliess und da auch gestorben ist.
Mit dem Anwachsen ihrer politischen Bedeutung nahm auch die äussere Entwicklung der Stadt zu. Nach und nach verschwand die noch in die helvetische Zeit hinaufreichende Einteilung des Landes in vier pagi oder Gaue, und die 12 oppida und 400 Dörfer der Helvetier machten zahlreichen römischen vici (Ortschaften) Platz. Die Glieder der helvetischen Colonie erhielten zwar das römische Vollbürgerrecht nicht; Vespasian oder seine Söhne verliehen ihnen aber die Stellung als Bundesgenossen, die dem Lande eine grössere Autonomie sicherte und zugleich seinen Bewohnern die Möglichkeit gewährte, das römische Bürgerrecht unter Umständen zu erlangen.
Aventicum war das Verwaltungszentrum des Landes der Helvetier. Dieses umfasste den grössern Teil des schweizerischen Mittellandes von den Alpen bis zum Jura und erstreckte sich im O. bis zum Thale der Thur; der westliche Abschnitt zwischen dem Flusse Aubonne und der Rhone (bei ihrem Austritt aus dem Genfersee) war von Caesar vom übrigen Gebiete abgetrennt und zu einer eigenen civitas mit der Hauptstadt Noviodunum (Nyon) erhoben worden, die zuerst den Namen Civitas Equestrium trug und dann zur Kolonie, Colonia Julia Equestrium, umgewandelt wurde.
Das so abgegrenzte, hie und da als römisches Helvetien (der Ausdruck Helvetia findet sich niemals für sich allein in den Urkunden) bezeichnete Gebiet bildete aber keine eigene Provinz des römischen Reiches, sondern war zuerst der Provinz Belgica zugeteilt, die alles Land n. und ö. der Seine und Saône umfasste, und kam später zur Germania Superior (Elsass, Pfalz).
Einen weitern Vorteil zog Aventicum aus dem Umstande, dass es an der grossen Militär- und Handelsstrasse gelegen war, die über den Grossen Sankt-Bernhard nordwärts nach Mainz und Köln, dem Hauptort der Germania Superior, führte. Nicht dass ihm, etwa wie Vindonissa, eine besondere strategische Bedeutung zugekommen wäre; seine Wichtigkeit beruhte vielmehr darauf, dass es als Etappenstation für die in ihre Garnisonen heimkehrenden Soldaten der 21. Legion, Rapax, und später der 11., Claudia Pia Fidelis, sowie für die reisenden Kaufleute diente. Es scheint, dass der Handel in Aventicum vorzüglich blühte, wie man dies aus der grossen Zahl der hier aufgefundenen antiken Münzen schliessen darf. Als Ausfuhrartikel konnte das Land Tannenholz, Harze, Talg, Wachs, Butter und Käse bieten, während die Einfuhr Wein, Oel, Südfrüchte, Austern, wohlriechende Essenzen, italienischen und griechischen Marmor und ägyptischen Porphyr umfassen mochte; auch der Durchgangshandel dürfte von Bedeutung gewesen sein.
Alle Verfasser von Schriften über Aventicum sind mit Ch. Morel darüber einig, dass es nicht in dem Masse wie andere römische Hauptstädte das gesamte Verwaltungsleben in sich vereinigte. Alle Bewohner des Landes, die Bauern wie die Städter, waren sich in civilrechtlicher Beziehung gleichgestellt, alle besassen das Bürgerrecht der römischen Bundesgenossen und konnten Mitglieder des Senates der Kolonie werden. Die Römer liessen den Helvetiern eine ausnahmsweise freiheitliche Verwaltung angedeihen, indem sie mit ausserordentlicher Staatsklugheit sich den örtlichen Ueberlieferungen anbequemten und dem ausgeprägten Selbständigkeitstrieb Rechnung trugen, der manches administrative Räderwerk unnütz machte. Und die Helvetier benützten diese verhältnismässige Freiheit, um unter sich Verbindungen einzugehen, die mehr oder weniger freiwillige Abgaben erhoben und die für ¶
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öffentliche Unternehmungen bestimmten Gelder verwalteten. Die äussere Blüte der Stadt während und nach der Herrschaft der Flavier musste ihrer neuen politischen Stellung und dem Anwachsen ihrer Bevölkerung auf 30-40000 Seelen entsprechen. Die nächste Folge war der Bau einer befestigten Ringmauer, die ein Polygon von 6 km Umfang darstellte und das heutige Dorf Donatyre und den stufenförmigen Abfall s. der Stadt derart umfasste, dass nur der Wald von Châtel mit dem römischen Castellum ausserhalb ihres Umkreises blieb. Dieses letztere, von dem heute noch einige Spuren übrig geblieben sind, datiert aus einer weit spätern Zeit als der Bau der Ringmauer selbst.
Wie die Terrainbeschaffenheit den römischen Baumeistern den Verlauf der Ringmauer vorschrieb, hat sie auch deren Bauart beeinflusst. So ruht in der sumpfigen Niederung gegen den Murtensee ihr Unterbau auf Pfählen aus Eichenholz, und beim Bau der Mauer selbst ist hier der Jurakalk weit mehr zur Verwendung gelangt als auf der S.-Seite der Mauer, wo der weichere Sandstein von Châtel und La Molière vorherrscht. Die Vorwerke sind überall von der Oberfläche des Bodens verschwunden; auf der Terrasse des Museums wird blos noch eine einzige der Steinplatten aufbewahrt, die die Mauer oben in einer Höhe von ca. 6 m über dem Erdboden durchgängig bedeckten. Das am vollständigsten erhaltene Stück der Mauer ist der Abschnitt, der von der Tornallaz (einem römischen Wachtturm) zum Osttore führt.
Die Tornallaz, der einzige der stehen gebliebenen Mauertürme, hat aber ihre ursprüngliche Gestalt nicht mehr beibehalten, indem in ihr am Ende des 18. Jahrhunderts ein Tordurchgang durchgebrochen und sie 1856 einer wenig glücklichen Restauration unterzogen wurde. Der 12 m hohe Turm zählt heute ausser dem Erdgeschoss zwei mit Fenstern und Schiessscharten versehene Stockwerke. Nach den Angaben von Fr. v. Graffenried dürfte die gesamte Ringmauer ca. 80 derartige Wachttürme gezählt haben.
Die zum Zwecke der Anhandnahme systematischer Nachgrabungen 1885 gegründete Association Pro Aventico hat der Reihe nach an den wichtigsten der erhaltenen Mauerreste zwischen dem Bahnhofe und der Oertlichkeit La Maladaire Sicherungsarbeiten vornehmen lassen. Den besten Ueberblick über die ursprüngliche Maueranlage gestattet der Abschnitt Tornallaz-Osttor; hier zeigt die Mauer bei einer Mächtigkeit (an der Basis) von 3 m eine Höhe von 3½-4 m.
Seitdem Secretan im «Bulletin» II der Gesellschaft Pro Aventico 1888 auf das ehemalige, im Centrum der nö. Front der Ringmauer gelegene Osttor aufmerksam gemacht hat, sind 1897-1900 von J. Mayor an dieser Stelle Nachgrabungen vorgenommen worden, die denn auch wirklich den Unterbau eines monumentalen Tores bloslegten. Und zwar musste dieses Tor eines der bedeutendsten der Stadt gewesen sein, da die durch dasselbe führende Strasse, die die alte Stadt der Länge nach durchschnitt und sie in zwei Hälften teilte, selbst die Hauptverkehrsader derselben, die decumana major war.
Direkt der Ringmauer eingefügt, stand dieses Osttor keineswegs etwa in der Art eines Triumphbogens frei für sich da. Ein viereckiges Bauwerk von ca. 29 m Länge und 20 m Breite lehnte es sich mit seiner Längsseite an die Ringmauer an und liess die Fahrstrasse in einem centralen Torweg durchgehen. Seitlich von diesem dienten zwei besondere Gänge dem Fussgängerverkehr, während zwei weitere diesen parallel verlaufende, aber nach Aussen verschlossene ins Innere von zwei runden Aussentürmen führten, die die Front des Tores flankierten und dessen Uebergang in die Ringmauer vermittelten.
Der zentrale Torweg war an jeder Seite durch eine halbkreisförmig ausgebuchtete Ausweichstelle für die Erleichterung des Wagenverkehrs zweckmässig eingerichtet. Auf der Aussenseite des Tores fanden sich Reste einer gepflasterten Römerstrasse, die vermutlich rund um die Ringmauer herumlief. Vielleicht krönte die Mauer auch noch eine ausgezackte Schutzwehr mit dahinter befindlichem Rundgang, zu dem in den Wachttürmen angebrachte Holztreppen hinaufführen mochten.
Der Körper des Osttores bestand aus einem durch festen Mörtel verkitteten Mauerwerk von gerundeten Kieseln und Trümmerstücken aus gelblichem Kalkstein. Den inneren Wall der Mauer bildeten kleine rechteckige Bruchsteine von 10-12 cm Höhe, deren Fugen ein sehr widerstandsfähiger Mörtel ausfüllte und die an einzelnen Stellen wunderbar gut sich erhalten haben. Die grossen behauenen Blöcke des Aussenwalles, die zugleich dem Ganzen zum Schmucke dienen sollten, sind leider überall weggerissen und zu Bauzwecken verwendet worden.
Um den Nachgrabungsarbeiten auf dem ganzen Abschnitte der Ringmauer zwischen dem Tore und der Tornallaz und an dieser letzteren Stelle selbst ihren ungestörten Fortgang zu sichern, haben der Staat Waadt und die Gemeinde Avenches die hiefür notwendigen Grundstücke käuflich erworben. Das Osttor ist von der waadtländischen Kommission für historische Denkmale unter ihre Obhut genommen worden.
Geht man auf dem von Combes herkommenden Wege vom Osttore aus der Stadt entgegen, so findet man zur Linken bei der «En Selley» genannten Stelle die Reste des alten römischen Theaters, das einst das rechteckige Forum (den öffentlichen Platz) nach S. abschloss. Während die Ringmauer und der «Cigognier» Eigentum der Gemeinde sind und das Museum mit dem Amphitheater dem Staate Waadt gehört, waren die Reste des Theaters bis 1896 teilweise der Gemeinde, teilweise Privaten zu Eigen. Im genannten Jahre erwarb die Association Pro Aventico die privaten Grundstücke um die auf dem Wege der Subskription aufgebrachte Summe von 2200 Franken, worauf das Ganze, nachdem auch die Gemeinde ¶