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über keine Nahrung, weil sie ihn schlafend zubringen. Für alle Tiere dieser Region ist es von grösster Wichtigkeit, den kurzen Sommer möglichst ausnützen zu können, daher sehen wir, wie das Eileben abgekürzt, die Verwandlungszeit dagegen in den Winter verlegt u. verlängert wird; so die Insekten; die Alpenreptilien gehen in dieser Richtung noch weiter: sie sind lebendig gebärend, während ihre Verwandten im Thale sämtlich Eier legen. Bei den Käfern tritt häufig Flügellosigkeit auf; sie entgehen dadurch der Gefahr, von Winden in unwirtliche Gebiete verschlagen zu werden oder selber zu verfliegen.
Bei ihnen mehr als bei den Schmetterlingen, die nicht selten noch bunte Flügelzeichnungen aufweisen, tritt fast durchweg dunkle Färbung auf, auch bei denjenigen Arten, deren Verwandte in der Ebene durch prächtigen Metallglanz sich auszeichnen (Laufkäfer). Gegen die Unbill der Witterung schützen sich die höhern Tiere durch ein sehr dichtes Haar- oder Federkleid, und einzelne von ihnen, so der Alpenhase, vertauschen mit dem eintretenden Winter ihr dunkles Sommergewand gegen ein weisses Kleid, das sie gegen Nachstellungen sichert.
Die Bewohner der kleinen Alpenseen und Tümpel, alles Vertreter der niedern Tierwelt aus den Ordnungen der Platt-, Faden- und Ringelwürmer, der Gliedertiere (Krebse, Insektenlarven), der Weichtiere (Schnecken und Muscheln), stehen wohl an Artenzahl, jedoch durchaus nicht an Menge der Individuen gegen denen der grösseren Wasserbecken der ebenen Schweiz zurück. So fanden sich auf der Mürtschenalp, 1650 m, in 60 cm3 Schlamm und Wasser eines Bächleins 160 Borsten-, viele Fadenwürmer, zahlreiche Müschelchen (Pisidium) und Insektenlarven.
Dass übrigens auch der Boden ein ungemein reiches Leben bergen kann, beweist eine Zählung von Cresta im Avers, 1900 m; darnach sind dort auf 1 m2 Wiesenfläche als Bestandteile der Bodenfauna gegen 2000 Regen- und 80000 kleine Borstenwürmer zu rechnen. Jene kommen im Bündnerland noch in 2600 m Höhe vor, wurden sogar im Wallis bis 3200 m beobachtet. Die Schnecken treten sehr zurück, eine Vitrina steigt bis 2400 und eine Helix bis 2300 m, das vorerwähnte Müschelchen, Pisidium, bis 2200 m Höhe an.
Die Gliedertiere zeigen meistens die auch in der Ebene vorkommenden Arten; anderseits macht sich eine bedeutende Differenz in dieser Fauna zwischen den nördlichen und südlichen Gebieten geltend; Spinnen sind immer noch recht häufig und es tummeln sich Heere der verschiedensten Insekten, die sehr oft in ungemeiner Individuenzahl auftreten. Saugkerfe und Libellen treten nach oben sehr zurück oder fehlen ganz, dagegen sind die Fliegen immer noch in Menge vorhanden; so fehlt auch die Stubenfliege nicht.
In den vielen Wasserlachen, Tümpeln und Seelein haben ihre Larven eine grosse Auswahl günstiger Gelegenheiten für die Entwicklung. Von Hartflüglern konstatirte Heer in den Glarnerbergen zwischen 1800 und 2300 m noch 40 Spezies; überall sind Felsen- und Erdhummeln häufig, die bis 2400 m Höhe Blütenstaub und Honig eintragen. Noch weiter oben treffen wir nicht selten Ameisen. Die vielen Missbildungen an Weiden und Alpenrosen beweisen, dass Gallwespen durchaus nicht selten sind.
Unter den Schmetterlingen überwiegen die Tag- gegenüber den Nachtfaltern, da sie mehr als die Hälfte ausmachen, während im Thal auf eine Art der erstern 6 der letztern zu rechnen sind. Vielfach entbehren sie des bunten Farbenschmuckes, wie auch die Käfer fast durchweg braune oder schwarze Färbung tragen. Ob die lange Winterruhe in dunkeln Verstecken, das Bedürfnis nach Wärmeaufnahme oder nach einer schützenden Tracht hiefür als Ursache in Anspruch zu nehmen sind, bleibt weitern Untersuchungen zu ergründen übrig.
Die Holzfresser und Rüssler treten sehr zurück, ebenso die Wasserkäfer, wiewohl einzelne Arten noch bis 2000 m ihr Wesen treiben, während dagegen die Mist- und Raubkäfer sehr häufig sind. Interessant ist, wie die Verhältniszahl der letztern mit ⅔ gegen ⅓ Pflanzenfresser sich zu ihren Gunsten gestaltet. In der Ebene machen die räuberischen Arten bloss ⅓ die letztern die Hälfte der ganzen Artenzahl aus. Somit sind die Alpenpflanzen vor den Nachstellungen durch die Käfer sicherer als die im Thal. Ein Borkenkäfer ist diesem Gebiete eigentümlich, Bostrichus bi-tridentatus, der hauptsächlich die Arven und Lärchen heimsucht und nicht unter 1600 m gefunden wird. An Lärche und Fichte saugt ferner eine Rindenlaus, eine Chermes-Art. Dass und warum die Mehrzahl dieser Deckflügler des Fliegens unfähig ist, wurde bereits oben erwähnt.
Von Lurchen kommt der braune Grasfrosch noch häufig vor, an der Bernina sogar bis 2600 m. Die Fähigkeit, lange Zeit ohne Nahrung auszukommen, macht der gemeinen Kröte bis in die obern Gebiete der Alpenregion die Existenz möglich; bei günstiger Witterung ist ihr Tisch mit Kerbtieren dann allerdings reich gedeckt. Der Bergmolch ist nicht nur hier, sondern auch im Thal zu Hause;
der schwarze Salamander lässt sich durch den Regen verlocken, seine Schlupfwinkel auch am Tage zu verlassen. Er ist wie die Bergeidechse, die oft noch vorkommende Blindschleiche und die überall verbreitete giftige Kreuzotter, lebendig gebärend;
im Thale unten legen die letztern beiden normalerweise Eier;
erstere ist eine echte Gebirgsform.
Nur den südlichen Alpen kommt die Redi'sche Viper zu.
Dem Reichtum an Pflanzen und kleinem Getier verdankt eine verhältnismässig zahlreiche Vogelwelt ihr Dasein. Ein auffälliger Charakterzug derselben ist das Ueberwiegen der Standvögel, da die Zugvögel nur ungefähr ¼ ihrer Artenzahl ausmachen. Immerhin bewohnen nur wenige jahraus jahrein das gleiche Gebiet; es sind also zumeist Strichvögel, da sie im Winter in das Thal hinab gehen. Viele Thalbewohner steigen auch bis an die obere Holzgrenze hinauf und tragen viel zur Belebung der Bergabhänge bei.
Dass die Zugvögel beim Ueberschreiten der Alpen nur wenig sich bemerkbar machen, hängt zusammen mit ihren nächtlichen
Reisen, oder dann fliegen sie hoch oben in der Luft. Schlechte Witterung zwingt sie bisweilen zu kurzer Rast in der Alpenregion.
Von Arten, die für dieses Gebiet charakteristisch sind, können angeführt werden der Nusshäher, von
Drosseln die stattliche Ringamsel, einige Piegerarten, ^[Berichtigung: Pieperarten.] der grüngelbe hübsche Zitronenfink.
Die graue Bachstelze zeigt das Gebahren ihres Verwandten im Thale, die Alpenflühlerche, wie jene auf Insekten pirschend, nistet mit Vorliebe in Dickichten der Alpenrosen. Von Schwalben findet sich die Felsenschwalbe vor; sie hat hier ihren nördlichsten Standpunkt. Der Alpenmauerläufer, durch sein buntes Gefieder ausgezeichnet, steigt bis 3000 m hinauf. Auch die Hühner sind vertreten durch das farbenschillernde grosse Birk- und das nicht minder schöne Steinhuhn, die beide gerne das Alpenrosengestrüpp bewohnen. Hoch in den Lüften schweben der bald ausgerottete Lämmergeier, der grösste europäische Vogel, und noch häufiger der stattliche Steinadler.
Eine merkliche Abnahme erfahren die Vierfüsser. Von den Handflüglern fliegt am höchsten die Alpenfledermaus, nämlich bis 2300 m, die damit ihre Verwandten zurücklässt. Das Mardergeschlecht ist ebenfalls spärlicher vertreten als im Thale, und seine Zugehörigen, Marder, Iltis, Wiesel begegnen dem Jäger, wie der Fuchs, nur selten. In Wald und Weide finden die Wald- und Feldmäuse immer noch hinreichende Atzung; die Hausmaus bleibt auch da des Menschen treuer, wenn auch unerwünschter Begleiter.
Die Insektenfresser, wiewohl nur noch in den untern Gebieten zu Hause, haben in der Alpenspitzmaus eine diesen Höhen eigene Art. Der gemeine Hase wird ersetzt durch den Alpenhasen, der im Winter einen dichten weissen Pelz trägt. Namentlich charakteristisch sind aber das Murmeltier, dessen eigentliches Verbreitungsgebiet von 1300-2600 m sich erstreckt - bekanntlich kommt ihm ein langer Winterschlaf zu - und die Königin der Berge, die zierliche Gemse, die allerdings auch der letzten, der Schneeregion, angehört.
Während diese dank der überall eingerichteten Schonreviere immer noch in oft zahlreichen Rudeln die einsamen Gebirgshöhen belebt, ist der stattlichere Steinbock vollständig verschwunden. Dem Aussterben nahe sind der selten gewordene Luchs, der nur hie und da auftretende Wolf und der Bär, der sich vor dem Menschen in die unzugänglichsten und abgelegensten Thäler zurückgezogen hat. Im Süden und Osten der Schweiz hat er sich immer noch halten können und wird deswegen alljährlich in einigen wenigen Exemplaren erlegt. Sie alle gehören bald, wie Hirsch und Wildschwein, der Geschichte an. ¶
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In der obersten, der Schneeregion, endlich prägt sich die Verflachung der Lebenswelle in ausgesprochenstem Masse aus; immerhin ist bloss ein Rückgang, nicht ein völliges Erlöschen zu konstatiren. Flora und Fauna verhalten sich in dieser Beziehung ganz gleich, d. h. der sehr reduzierten Pflanzenwelt entspricht ein spärliches Tierleben. Hier sind für beide die klimatischen Verhältnisse am ungünstigsten; ein wenige Monate dauernder von Frost und Schneegestöber unterbrochener Sommer wechselt in ewiger Einförmigkeit mit einem entsprechend verlängerten Winter ab. Der überwiegende Teil der Niederschläge besteht aus Schnee, der oft in donnernden Lawinen der Tiefe zustürzt.
Es ist klar, dass auch in diesen unwirtlichen Gebieten sich eine ganze Reihe von Besuchern von unten her einfinden, sei es dass sie in der schönen Jahreszeit bis dahin der Jagd obliegen oder der pflanzlichen Nahrung nachgehen, sei es dass sie durch Verfolger hinauf getrieben worden sind oder endlich die Beute eines Sturmes geworden sind, der sie hieher verschlagen hat. So werden häufig Fluginsekten der verschiedensten Ordnungen nicht selten auf dem Firn getroffen, die den tiefern Regionen entstammen und nun dem Tode verfallen sind. Solche freiwillige oder unfreiwillige Gäste stellen eine breite Verbindungsbrücke her zwischen der Fauna der nivalen und der weiter unten gelegenen Regionen. Doch sind sie immer mehr oder weniger zufällige Bestandteile der erstern, die weniger Interesse beanspruchen können.
Der niederen Tierarten, die in der Schneeregion ihren ständigen Wohnsitz haben, zählt man bereits über 30. Zu ihnen gehören über 2800 m 18 Insekten, 13 Spinnen und 1 Schnecke, Vitrina, die im Spätherbst auch im Flachland auftritt. ¾ dieser Tiere führen eine räuberische Lebensweise, ein ganz eigenartiges Verhältnis, das zum Teil darin seine Erklärung findet, dass die vorerwähnten Besucher aus tiefern Lagen ihnen als willkommene Beute anheimfallen. In den Glarneralpen wurden die obersten Spuren tierischen Lebens in 2900 m, in Bünden bei 3500 m konstatirt, in den südlichen Alpen steigt er noch höher. Dass die Spinnen noch in so grosser Anzahl vorhanden sind, ist ein Beweis ihrer grossen Lebenszähigkeit; sie sind auf tierische Kost angewiesen, während der Gletscherfloh, der mit Hülfe seiner Schwanzgabel auf den Firnfeldern herumhüpft, wahrscheinlich die in solchen Mengen vorkommende Schneealge als Nahrung wählt, dass sie den Schnee auf weite Strecken rot färbt. Alle diese nivalen Insekten sind von dunkler Färbung und nur wenige geflügelt.
Gegen die untere Grenze der nivalen Region steigert sich die Artenzahl sehr rasch, so dass wir hier schon ein Dutzend Schmetterlinge zu verzeichnen hätten, von denen nur drei auch den obern Teilen derselben angehören. Den grössten Bestandteil machen aber die Käfer, fast ausschliesslich Kurzflügler und Laufkäfer, aus.
Diesen Höhen gehören die Lurche nicht mehr an; die Bergeidechse und die Kreuzotter haben da ihre vorgeschobensten Stationen. Die hier vorhandenen Vögel sind ausnahmslos Standvögel. Zu ihnen gehören die rotschnäblige Stein- und die gelbschnäblige Schneekrähe, die meistens in grösseren Gesellschaften beisammen hausen. Das Geschlecht der Finken ist durch den Schneefinken vertreten, der am liebsten über der Waldgrenze nistet. In den Alpenrosenbüschen und zwischen dem Steingeröll leben die schönen Schneehühner; auch sie wissen ihr Kleid ihrer Umgebung anzupassen, indem es im Winter weiss, im Sommer braunfleckig wird, so dass sie nur geübten Jägeraugen auffallen.
Vielleicht der einzige Vierfüsser, der beständig in der Schneeregion lebt, ist die Schneemaus; gewiss muss sie sich während des Winters kümmerlich genug durchschlagen. Wohl alle anderen Säuger, die im Sommer da oben getroffen werden, verbringen die kalte Jahreszeit in tieferen Lagen, sind also mehr als Gäste dieser höchst gelegenen Gebiete anzusehen. Aus naheliegenden Gründen ist jedoch gerade das Winterleben ihrer tierischen Bewohner noch nicht genügend erforscht, so dass die Liste derselben noch eine, wenn auch wohl unbedeutende, Bereicherung erfahren dürfte.
(In vorzüglichster und erschöpfender Weise ist das ganze einschlägige Material behandelt in Frdr. von Tschudi, das Tierleben der Alpenwelt).
[Dr C. Bretscher].
G. WIRTSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE.
Das Gebiet der Alpen zeigt eine Reihe von Eigentümlichkeiten in der Waldwirtschaft, der Viehzucht und Alpwirtschaft, sowie in der Fremdenindustrie. Aber alles dies ist so eng mit den übrigen Teilen des Landes verbunden, dass es richtiger in den betreffenden Abschnitten des Artikels «Schweiz» behandelt wird.