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stetsfort den Charakter eines Wildwassers. Ihr Thal, das Haslithal, ist steil eingeschlossen von himmelhohen Granitwänden, die nur bei dem freundlichen Thalkessel von Guttannen etwas auseinander treten. Bei Innertkirchen aber öffnet sich das Thal zu einem breitern Becken und aus dem Gadmenthal von rechts, dem Urbachthal von links empfängt die Aare starke Zuflüsse. Hier verlässt sie auch das Urgebirge und tritt in die Zone der nördlichen Kalkalpen. Ein Felsriegel aus hartem Jurakalk, das Kirchet, schliesst hier das Thal vollständig ab und scheint dem Fluss jeglichen Ausgang zu verwehren.
Die Aare aber hat sich einen Weg hindurch
gebahnt und durchquert diese
Barriere in einer canonartigen,
engen
Schlucht
(Lamm); es ist die berühmte Aareschlucht
bei
Meiringen. Merkwürdigerweise hat die Aare diese
Schlucht keineswegs
auf der tiefsten Einsattelung des Felsrückens eingeschnitten, der die Strasse folgt. Der diluviale Aaregletscher dessen
Moränenblöcke noch auf dem
Kirchet herumliegen, mag sie von dieser bereits angefangenen Furche gegen O.
abgedrängt haben.
Die Aareschlucht
ist, seit sie zugänglich gemacht worden, eine «great attraction»
des Berneroberlandes und ^[Note:] über kurz oder lang wird man auch die
Landstrasse durch
die
Schlucht führen, um die zeitraubende
Steigung über den Riegel des
Kirchets abzuschneiden. Die Becken und Thalstufen von
Innertkirchen,
Guttannen,
Handeck und Rhäterichsboden
verdanken übrigens der Gletscherzeit ihre Entstehung, worauf schon hinweist, dass sie an denjenigen Punkten des Haslithals
gelegen sind, wo Seitengletscher zum alten
Aargletscher stiessen und wo heute noch die Abflüsse der entsprechenden geschwundenen
Eisströme in die junge Aare sich ergiessen.

Nach Passierung der Aareschlucht
eilt die Aare, immer noch rasch fliessend, in korrigiertem
Bett bei
Meiringen
vorbei durch
eine ca. 2 Stunden lange
ebene Thalfläche zum
Brienzersee. Der ganze Thalboden von
Meiringen bis
Brienz ist von
der Aare aufgeschüttet worden; die Wellen des
Brienzersees brandeten einst an den
Felsen des
Kirchets, dann baute die Aare
ein Delta in den
See; dieses rückte im Laufe der Zeiten immer weiter thalabwärts und nahm die ganze
Thalbreite (2 km) ein.
Auf dem angeschwemmten Boden floss die Aare in
Serpentinen träge dahin, bei Hochwasser alles überschwemmend und das Land
der Versumpfung und Vertorfung überlassend. In den Jahren 1866-75 wurde ihr
Lauf mit Hülfe des Bundes
auf einer Strecke von 12,75 km korrigiert, und sie erhielt dadurch
ein Gefälle von durchschnittlich 3,36‰, welches sie
befähigt, alle Geschiebe in den
Brienzersee hinauszuschaffen (Kosten 1208
000 Fr.). Später wurde die Aare auch noch weiter
flussaufwärts im Becken von
Innertkirchen eingedämmt. Mit dem Eintritt in den
Brienzersee 566 m hat die
Aare ihren Charakter als Wildwasser verloren. Auf der bisherigen Strecke von 36 km hat sie ein Gefälle von 1677 m aufzuweisen.
Das 14 km lange, eigentümlich blaugrüne Becken des Brienzersees liegt eingebettet in einem Längsthal zwischen der Kreidekette des Brienzergrates und den steilen Abstürzen der aus jurassischen Ablagerungen gebildeten Faulhorngruppe, aus deren Centrum herkommend der Giessbach in einer Reihe malerischer Wasserfälle sich in den See stürzt. Am Westende des Brienzersees bei Bönigen mündet die Lütschine, das wilde Bergwasser des Lauterbrunnen- und Grindelwaldthales.
![vergrössern: Das Bödeli. ^[Karte: 5° 30’ O; 46° 40’ N; 1:50000]. vergrössern: Das Bödeli. ^[Karte: 5° 30’ O; 46° 40’ N; 1:50000].](/meyers/teile/41/41_0020-3.jpg)
Sie soll früher im Bödeli in die Aare geflossen und wegen ihrer Ueberschwemmungen von den Mönchen des Klosters Interlaken in den Brienzersee abgeleitet worden sein. Die häuserbesäet Ebene zwischen Brienzer- und Thunersee, das Bödeli, ist ein Anschwemmungsprodukt von Lütschine und Lombach, deren gewaltige Schuttkegel von Süden und von Norden ¶
Aare

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her einander die Hand reichen. An die tiefsten und von Aufschüttung freigebliebenen Stellen gedrängt, verlässt deshalb die Aare den Brienzersee zu äusserst rechts an den Brienzergrat sich anschmiegend, dann geht sie quer über das Bödeli und mündet nach 5 km. langem, bei Anlass der neuen Hafenanlage von Interlaken korrigiertem Laufe, dem Lombachschuttkegel ausweichend, an der linken Thalseite in den Thunersee. Vergl. Kärtchen.
Den Niveauunterschied der beiden Seen und das daherige Gefälle von 6,2 m. benutzen die Gemeinden Interlaken und Unterseen zu industriellen Anlagen. Auf dem Bödeli als dem Verkehrs-Centrum des Berneroberlandes ist das weltberühmte Interlaken entstanden. (Vergl. Art. Interlaken.)
Im Gegensatz zum Brienzersee, dem Gebirgssee par excellence, gehört der ungefähr gleich grosse Thunersee
(18 km. lang) zu den alpinen Randseen und seine Ufer zeigen namentlich in der unteren Hälfte offenes Gelände. Er erhält
zwei wichtige Zuflüsse, 1. den bereits erwähnten Lombach, ein Wildwasser schlimmster Art, das in den weichen Flyschschiefern
des Habkernthales stark erodiert und 2. bei Einigen die Kander. Auch diese hat ein grosses Delta in den See hinausgebaut und
zwar erst seit 1714, da sie vorher, durch
die grosse Moräne von Strättlingen vom See abgeschnitten, erst unterhalb Thun in
die Aare mündete.
Stete Stauungen und Ueberschwemmungen durch
die veränderliche und gefährliche Kander veranlasste die
Regierung von Bern,
den Fluss in den Thunersee abzuleiten. Bei den Vorarbeiten und der Vermessung des Sees ergab sich, dass an der
Stelle des heutigen bereits ein altes Delta existierte, das abgelagert worden war, bevor die Kander durch
die Moräne abgelenkt
wurde. Durch
Vergleichung des anno 1712 vermessenen mit dem heutigen Delta erhielt die Wissenschaft einmal
eine genaue Angabe für die Masse von Geschiebematerial, die Kander und Simme in einer bestimmten Zeit in den See führten und
damit auch einen Wert für die Abtragung der Gebirge im Einzugsgebiete dieser beiden Flüsse. (Vergl. Steck: Die
Denudation im Kandergebiet. Jahresb. der geograph. Ges. v. Bern
1891/92.)
Der Abfluss der Aare aus dem Thunersee wird reguliert durch
eine 3 m. hohe Schleuse. In zwei Armen durchfliesst sie raschen
Laufes das Städtchen Thun, zwischen sich den Stadtteil des Bälliz einschliessend.
2. Mittelschweizerischer Anteil.
Bei Thun verlässt die Aare die Alpen und betritt das mittelschweizerische Alpenvorland, die sog. schweizerische
Hochebene. Sie durch
quert zunächst diese Zone bis an den Fuss des Jura, dann folgt sie dessen südlichsten Ketten bis Aarburg,
wo sie, eine neue Phase ihres Laufes beginnend, in den Jura eintritt. Der Verlauf des Flusses wie die Physiognomie
seiner Thallandschaft sind in diesem mittlern Teile wesentlich bedingt durch
den Plateaucharakter der meist horizontal liegenden
Molasse und durch die Ausgestaltung, welche das durch die Flüsse bereits vorgearbeitete Relief dieser Platte durch die Gletscher
der Eiszeit erfahren hat. Bald wiegt das eine vor, bald das andere, bald ist ihr Einfluss gemischt und
darnach ist auch das Landschaftsbild des Aarelaufes ein sehr verschiedenes, was auch dem Laien auffällt und infolge grösserer
oder geringerer Wirksamkeit auch für die Anlage der Siedelungen bestimmend gewesen ist.
Unterhalb Thun wendet sich die Aare nach N., durchfliesst zunächst einen alten Seeboden des Thunersees (Allmend), empfängt dabei von rechts die bei Gewittern sehr wilde Zulg, während links ein Wald im sog. Kandergrien die Stelle bezeichnet, wo bis anno 1714 die Kander ihre trüben Fluten in die Aare wälzte. Nahe der Eisenbahnstation Uttigen, wo die Bahn die Aare überschreitet, bezeichnet der Hügel des Thungschneit das alte Nordufer des einstigen, grössern Thunersees.
Von da ab ist das Aarethal eine ebene, mindestens 1 km. breite Kiesfläche, auf der der Fluss früher in zahlreichen Armen und Serpentinen dahinfloss; jetzt hält er sich in künstlich abgedämmten Bett, an den Belpberg sich anschmiegend stets auf der linken Thalseite. Das neu gewonnene und gesicherte Land aber wird bereits intensiv kultiviert und bebaut (Irrenanstalt Münsingen). Auch das grosse Becken des Belpmooses ist seit der Korrektion der Aare der Kultur erschlossen worden. Es wird nördlich begrenzt durch Kiesterassen und Moränen, in welche die Aare sich eingeschnitten hat bis nach der nur 3 km. entfernten Stadt Bern.
Von Zuflüssen der Aare zwischen Thun und Bern sind ausser den bereits erwähnten noch zu nennen, rechtsseitig die Rotachen und der Kiesenbach, linksseitig die Gürbe, welche ebenfalls kanalisiert, das dem Aarethal parallel laufende, zwischen Belpberg und Längenberg gelegene grosse Gürbethal durchfliesst, ein Thal das jedenfalls nicht von der Gürbe, sondern zur Eiszeit von der vereinigten Kander und Simme gebildet und durch den Gletscher noch weiter ausgeschliffen worden ist. Es öffnet sich bei Belp in das oben erwähnte Becken, welches Gürbe und Aare separat durchfliessen und erst am Ausgang sich vereinigen.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der jetzige Charakter des Aarethales von Thun nach Bern als einer offenen, flachen Thallandschaft mit dem breiten Thalboden und dem Abschluss durch die Moränen von Bern, nach der ursprünglichen Ausarbeitung durch den Fluss in den Molassenschichten wesentlich durch die Thätigkeit des diluvialen Aaregletschers und seiner Abflüsse zur Zeit der letzten Eisperiode modifiziert worden ist (Vergl. Karte des diluvialen Aaregletschers).
Eine total andere Physiognomie bietet die Aare in der folgenden Strecke von Bern bis Aarberg. Zahlreiche Schlingen bildend, hat sich die Aare in den Sandstein der Molasselandschaft ein tiefes, oft schluchtartiges Bett eingegraben. Bern selbst steht auf Molassefels, der allerdings eine dünne Decke von Kies oder Moräne trägt. Moräne kleidet auch die Gehänge der Aareschlinge aus, welche die Stadt auf drei Seiten einschliesst, was das voreiszeitliche Alter des Flussbettes beweist.
Als Typus einer mittelalterlichen Stadtanlage, die den natürlichen Graben des Flusses als Schutz benützt, erhebt sich das alte Bern auf dem vorspringenden Sporn der ersten Aareschlinge und sucht die einst so vorteilhafte, jetzt mehr und mehr unbequeme Isolierung durch den Bau stolzer Brücken auszugleichen, von denen nicht weniger als 7, darunter 4 stolze Hochbrücken die Aare oder das Aarethal überspannen. Ein grosses Stauwehr (Schwelle) führt am untern Stadtteil (Matte) das Hauptwasser der Aare in einen vielfach benutzten Gewerbekanal.
Nördlich von Bern macht die Aare eine interessante 9 km. lange Schlinge, deren Endpunkt nur 550 m. vom Anfangspunkt entfernt ist, dann wendet sie sich gegen Westen. Diese Westumbiegung der Aare und ihr Uebergreifen in das Flussgebiet der Saane ist eines der merkwürdigsten Phänomene des Aarelaufes. Zwar ist es nicht immer so gewesen; als zur Eiszeit der Rhonegletscher in der Nähe von Bern endigte, fanden die Gewässer des Aaregletschers ihren Abfluss gegen Norden in der Richtung gegen Jegenstorf-Utzenstorf-Wangen, da wo jetzt z. T. die Emme durchfliesst.
Diese breite Thalfurche ist jedenfalls ein alter Aarelauf wie auch das Thal von Münchenbuchsee nach Lyss, dessen schwacher Bach zu der Breite und Tiefe des Thales in keinem Verhältniss steht. Der Lauf nach Westen muss aber doch schon vor der Gletscherzeit bestanden haben, und die Aare ist nach dem Verschwinden des Rhoneeises, abgedrängt durch die Moränen nördlich von Bern, wieder in ihre alte Richtung gekommen, die sie seither beibehalten hat. Oft schluchtartig in das Molasseplateau eingesenkt, oft Serpentinen bildend, unterwegs die in gleichartiger Thallandschaft von Süden herkommende Saane aufnehmend, fliesst sie, dem Blick gleichsam entzogen von Bern bis Aarberg, wo sie in die ausgedehnte Niederung des Seelandes hinaustritt.
Diese Ebene, das sog. grosse Moos ist nur ein Teil der grossen Senke am Südrand des Jura, welche sich von Entreroches bei La Sarraz bis Solothurn hinerstreckt und das ganze Gebiet der 3 Seen samt dem Broyethal umfasst. Da die Niveauunterschiede äusserst geringe sind: Entreroches 445 m., Solothurn 430 m., Entfernung beider Orte ca. 100 km., und die Aare namentlich bei Büren grosse Schottermassen angehäuft hat, so waren Ueberschwemmungen und Verwandlung der ganzen Senke in einen einzigen See keine Seltenheit bis zur Fertigstellung der Juragewässerkorrektion.
Ausgenommen vielleicht die Rheinkorrektion im St. Gallischen Rheinthal, ist kein solches Werk von ähnlicher Bedeutung in
der Schweiz angeführt ^[Berichtigung: ausgeführt] worden. Mangels jeglichen Gefälles bewegte sich die
Aare von
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