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Verlag Th. Schröter, Obere Kirchgasse 25, Zürich.
1905. 5. Februar. Inhalt: Wie äußert sich beginnende Nervosität bei Kindern? - Das Bett. - Zehn Gebote der Hühnerzucht. - Hülsenfrüchte. - Kochrezepte. - Briefwechsel der Abonnenten unter sich. - Zum Preisausschreiben der Kochschule. - Inserate.
Wie äußert sich beginnende Nervosität bei Kindern?
Von Dr. G. Rheiner m St. Gallen.
(Fortsetzung.)
Ich komme weiterhin auf die nervösen Angstzustände von Kindern zu sprechen.
Sie sind durchwegs nicht der alleinige Ausdruck von einfacher Nervosität, sondern die Frucht unvernünftiger Erziehungsweise, die unartige oder ängstlich veranlagte Kinder durch Furcht, Drohungen mit Räubern, dem Teufel oder dem Doktor etc. zum Gehorsam zu bringen sucht, oder es schließen sich genannte Beängstigungen von albernen Gespenstergeschichten an.
Zumal unter dem Einfluß der überall verbreiteten nervösen Belastung, ferner einer durch körperliche Schwäche besonders reizbaren Konstitution, nervenreizender Nahrung (viel Fleisch) und Getränke (Alkohol, Kaffee, Tee etc.), geschlechtlicher Laster, ungesunder Zerstreuungen, (moderne Theaterstücke etc.), geistiger Ueberanstrengung etc. können bei einem vorher normal erscheinenden Menschen plötzlich schwere Angstzustände sich einstellen, deren Spuren man von jener Zeit an bis ins höhere Alter, manchmal zeitlebens verfolgen kann.
Sehen wir ab von den schlechten Nächten gesunder Erwachsener infolge Existenzsorgen, Verdrießlichkeiten des Alltagslebens, großer Projekte etc., sowie von der gestörten Nachtruhe kleiner Kinder durch zu warmes Schlafzimmer oder zu große Bettwärme, durch Brosamen oder Falten im Leintuch, durch Verdauungsstörungen verschiedener Art, so können wir manchmal größere Kinder beobachten, die durch Schauermärchen und andere oben erwähnte Momente seelisch so betroffen werden, daß die schädlichen Gehirneindrücke auch in der Ruhe des Köreprs ^[richtig: Körpers] im dunkeln Schlafzimmer noch stundenlang in den ohnehin reizbaren kindlichen Nerven nachzittern.
Solche Kinder zeigen große Unruhe im Bett, werfen sich hin und her, um nach endlich eingetretenem Schlaf andern Morgens in Schweiß gebadet und unerquickt wieder aufzuwachen.
Ein achtjähriger, allerdings nervös belasteter, intelligenter, reizbarer Knabe wurde zur Strafe in eine dunkle Kammer gesperrt. Im Anschluß hieran äußerten sich bei geringen Veranlassungen (Tadel, herzuspringende kleine Hunde etc.), Anfälle heftiger Angst, in denen er sich an seine Begleiter anklammerte mit nachfolgenden unruhigen Nächten;
es traten hinzu alle möglichen Wahnideen, fallendes Weh, sichtbare Abnahme der Geisteskräfte.
Mit 15 Jahren war das Kind vollständig stumpfsinnig.
Einzelne am Tage nervös überreizte Kinder rufen im Schlaf, schreien auf, geben aber den herbeieilenden Eltern auf gestellte Anfrage keine Antwort, sie ziehen sich mitten in der Nacht schlafend an und wieder aus.
Weckt man sie auf, so sind sie erstaunt, außer Bett zu sein und sind sich ihrer Handlungen im traumhaften Zustand nicht bewußt.
Moreau erzählt, daß Kinder im nachtwandelnden Zustande schon schwere Verbrechen, Handlungen von großer Tragweite begonnen haben, die mit ihren Charaktereigenschaften in völligem Widerspruch standen. So berichteten denn auch die amerikanischen Zeitungen 1876 von einem Knaben, der im Schlaf aufstand, schlafend in das Zimmer eines Freundes ging und diesen ermordete.
Ins Gefängnis gebracht, versuchte der arme Missetäter wiederum schlafend in seinen Traumgedanken einen andern Menschen zu töten.
Solche Unglückliche gehören natürlich nicht ins Zuchthaus, sie bedürfen aber einer weisen Erziehung und steten Ueberwachung.
Hiedurch können solche Keime tiefer Nervenleiden gänzlich ausgerottet werden, andernfalls bei fortgesetzten Verstößen gegen zweckmäßige Pädagogik schließlich unheilbare Geisteszerrüttung oder Selbstmord das junge Leben traurig beschließen. ¶
Zu den Zwangsbewegungen, die selbstredend zu den Zwangsideen in naher Beziehung stehen, und nur einzelne Muskelgruppen oder den ganzen Muskelapparat des Körpers betreffen, gehört das nervöse Augenblinzeln, das sinnlose Hin- und Herwerfen des Kopfes, Zähneknirschen im Schlaf,, oft auch Nagelkauen, Hautabbeißen an den Fingern, veitstanzartiges Hin- und Herschleudern der Gliedmaßen, allgemeine körperliche Unruhe zu Hause oder in der Schule.
Die Lebhaftigkeit intelligenter Kinder im Denken und Fühlen überträgt sich bei beginnender Nervosität in maßlosem Grade auf deren Muskelnerven und führt zu Zappeligkeit zu Hause und im Unterricht.
Durch Ermahnungen, eventuell Strafen eingeschüchtert, vermag das Kind anfangs durch Energie seine Nerven im Zaum zu halten;
allmählich aber erlischt diese Fähigkeit, der Schüler kann infolge seiner Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit dem Gedankengang des Lehrers nicht folgen, die gestellten Fragen nicht beantworten, macht keine Fortschritte, wird von den guten Mitschülern vernachlässigt, eventuell verspottet, bekommt schlechte Schulzeugnisse etc. etc., kommt damit in ein immer gefährlicheres Fahrwasser hinein.
Ein solches unrichtig beurteiltes Kind, auch wenn von Natur aus fröhlich konstituiert, läßt zusehends mehr wie eine unrichtig gepflegte Blume den Kopf hangen, seine frühere schalkhaft blitzenden Augen sind umflort, sie scheinen nach Hülfe und besserem Verständnis zu flehen, eine früher nicht gekannte Traurigkeit, Neigung zum Weinen läßt die Eltern an ein bevorstehendes, schweres körperliches Leiden denken, doch macht sie gelegentliches Aufblitzen des früheren Frohsinns wieder stutzig, daß sie das häufig wechselnde seelische Verhalten doch mehr als Ausdruck von Launenhaftigkeit betrachten, wiederkehrende Gemütsverstimmung als Verstellung, Heuchelei, Hinterlist, Lügenhaftigkeit u.s.f.
Ist in solchen Fällen ernster Tadel, vielleicht Strafe nicht unter Umständen ganz verkehrt und wirkt verschlimmernd statt heilend, weil sie der Ursache nicht angepaßt ist?
(Schluß folgt.)
Das Bett.
Wie man sich bettet, so schläft man. (Sprichwort.)
Das Bett ist das Symbol des Lebens.
Der berühmte französische Dichter sagte: «Es ist die Tür, die alles abschließt, nachdem sie diejenige gewesen, welche die Welt öffnet.» Dort wird man geboren, dort stirbt man.
Das Bett ist unser Vertrauter;
es weiß unsere Freuden, unsere Leiden;
es ist das erste und auch das letzte Möbel unserer Wohnung.
Das Gesetz schützt und respektiert es, und der Gerichtsvollzieher ergreift alles, nur das Bett nicht. ¶