von Bayern, und Regierungen fördern sie, die Künstler finden Beschäftigung, und auch die Kunstfertigkeit wird ausgebildet. Es fehlt nur noch dem Zeitgeiste der Zug nach dem Großen, der geistige Gesichtskreis ist noch beschränkt, die Freiheit der Gedanken gebunden.
Dies ändert sich mit Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts; an die politischen Umwälzungen des Jahres 1848 knüpft sich eine völlige Umgestaltung des ganzen Lebens, jetzt erwacht der eigentliche «Geist des 19. Jahrhunderts». Ich will nur einige Punkte berühren, welche auch für Kunstentwicklung wichtig wurden. Das volkliche Bewußtsein kommt allenthalben auch bei den kleinsten Volksstämmen zum Durchbruch und fördert den Wettbewerb in der Kultur; wir sehen daher auch bei verschiedenen, bisher an der Kulturarbeit unbeteiligt gewesenen Völkern auch eine durch volkliche Eigenart gekennzeichnete eigene Kunst sich entwickeln.
Der schärferen Betonung des Volklichen und Heimatlichen gegenüber, die überall zu Tage tritt, bewirkt der hochentwickelte Verkehr einen regeren Austausch der Erkenntnisse und Erfahrungen. Es ist jetzt den Künstlern ein Leichtes, fremde Kunststätten zu besuchen; bedeutende Kunstwerke werden auf Rundreisen von Ort zu Ort gesendet, die internationalen Kunstausstellungen gestatten, sich über die Entwicklung der Künste auch der fremden Völker zu unterrichten.
Die Folge davon ist: man lernt von einander, ohne seine Selbständigkeit aufzuopfern. Die allgemeine Zunahme des Volkswohlstandes bringt es mit sich, daß nicht nur für öffentliche Zwecke der Bedarf an Kunstwerken sich steigert, sondern auch in privaten Kreisen ein solcher sich entwickelt. Das Verständnis für die Kunst nimmt zu, und der Gradmesser hierfür: das Kunstgewerbe, zeigt gegen Ende des Jahrhunderts sich auf einer bewundernswerten Höhe;
künstlerischer Geschmack ist tief ins Volk gedrungen.
Auch neue Aufgaben werden infolge der ganzen Kulturentwicklung den Künsten gestellt. All dies erklärt es hinlänglich, daß eine «neue» Kunstrichtung entstehen, aus inneren und äußeren Gründen ein «Aufschwung» eintreten mußte.
Wie ich schon oben bemerkte, hatte sich in der Malerei der Zug nach dem «Naturalismus» schon lange vor 1850 geltend gemacht; er beschränkte sich in der Figurenmalerei jedoch wesentlich auf die Formbehandlung - deutlicher gesagt: man bildete die Gestalten wirklichkeitstreuer und idealisierte weniger, und nur in der Landschaftsmalerei kam man der vollen Naturwahrheit ziemlich nahe. Dagegen blieb noch die Anschauung vorherrschend, daß das wirkliche Leben der Gegenwart kein der «hohen» Kunst würdiger Gegenstand sei; der Vorwurf, den man behandelte, sollte wenigstens «ideal» sein, zum mindesten der dargestellte Vorgang über die gemeine Wirklichkeit etwas «erhoben» erscheinen.
Die Bildner glaubten, auch Standbilder ihrer Zeitgenossen nur in antikem Gewande oder schlimmstenfalls mit einem malerischen Mantel «drapiert» gestalten zu dürfen; die Genremaler steckten ihre Figuren in alle möglichen Gewandungen der Vergangenheit, und wenn sie «Bauern» malten, so mußten diese mindestens in frischgewaschenem «ästhetischen» Sonntagsstaat erscheinen; kurz, man konnte das Leben nur in der Erscheinungsform lebender Bilder, bühnenmäßig angeordnet und verfeinert, wiedergeben.
Noch in einem zweiten Punkte war man in dem Banne des Herkömmlichen befangen, nämlich hinsichtlich der Farbengebung. Hierin blieben die alten Meister die maßgebenden Vorbilder; nur von ihnen glaubte man die Farbenkunst lernen zu können. Die einen hielten sich an die Quattrocentisten oder die Venetianer, die anderen an Rubens oder Rembrandt, immer aber galt es gewissermaßen als Gesetz, daß auch die neuen Bilder nur in den Farben der alten gemalt werden könnten.
Die «moderne» Kunst. In der Befreiung von diesen zwei Anschauungen lag nun der Fortschritt, bestand die Grundlage der «modernen» Kunst. Ueber die bloße Naturtreue in der Formbildung der Einzelheiten kam man zur vollen Wirklichkeitstreue des Ganzen, das heißt zur Wiedergabe der Erscheinungen, wie sie wirklich sind, ohne jede Idealisierung oder künstliche Anordnung, und zwar in den «wahren Farben» der Natur. Bisher waren nur zwei grundsätzliche Richtungen hinsichtlich der Farbengebung in Geltung gewesen. Die eine ging davon aus, daß die Farbenzusammenstimmung (Harmonie) eines Grundtones bedürfe, nach welchem alle anderen Einzelfarben abgetönt oder gestimmt werden. Die ¶
andere gab die Eigenfarben (Lokalfarben) der Gegenstände, also die wahren oder natürlichen, vermochte aber nicht, dieselben zusammenzustimmen; sie standen unvermittelt nebeneinander und wirkten daher hart. Es handelte sich nun darum, die Wahrheit der Eigenfarben festzuhalten und doch jene Zusammenstimmung zu erzielen, wie sie thatsächlich in der Natur erscheint. Dazu bedurfte es nur der Entdeckung, daß das natürliche Sonnenlicht, wie es in der Natur waltet, den Eigenfarben eine bestimmte Tönung (einen «Tonwert») verleihe, und daß in Wirklichkeit dann diese gleichzeitigen Tonwerte zusammenstimmen. Es läßt sich dies vielleicht in folgendem Satze verdeutlichen.
Eine Wiese ist grün und ein Ziegeldach rot; dasselbe Grün und Rot erscheint dem Auge jedoch in verschiedenen Tönungen, je nachdem es Morgen, Mittag oder Abend ist, die Sonne von wolkenlosem Himmel herabstrahlt oder durch Wolken verhüllt ist. Das Grün am Morgen mag vielleicht saftiger und kraftvoller erscheinen, als in der Mittagssonnenglut, das Rot im Abendlichte weniger grell; die betreffenden Farbentöne würden aber nicht zusammenstimmen, dies ist nur der Fall, wenn man die gleichzeitigen wählt. Dies ist der Hauptgrundsatz und die wertvollste Errungenschaft der modernen Farbenkunst.
In der Entwicklung derselben lassen sich verschiedene Stufen unterscheiden. Zunächst begnügt man sich mit der einfachen Wiedergabe der Natur, einer getreuen Darstellung der wirklichen Erscheinung (Realismus); als man hierin die völlige Sicherheit erlangt hatte, konnte man einen Schritt weiter gehen und die Wirklichkeit nach dem Eindrucke, den sie auf das persönliche Empfinden des Künstlers gemacht hatte, selbständig wiedergeben (Impressionismus). Auf der letzten Stufe endlich gestattete die gewonnene Beherrschung der Ausdrucksmittel, selbstschöpferisch vorzugehen, aus der eigenen Einbildungskraft heraus eine Welt zu schaffen, welche alle Eigenschaften der Wirklichkeit besitzt, obwohl sie erdacht und erfunden ist. Dies ist der «moderne Idealismus», die Farbendichtung der Neuzeit.
Wenn ich im Vorstehenden im besonderen von der Entwicklung der Malkunst sprach, so ist dies dadurch gerechtfertigt, daß letztere im 19. Jahrhundert mehr als je die «führende» Kunst war und in ihr sich die allgemeine Richtung des «Kunstgeistes» am deutlichsten kundgiebt. Ich will daher auch gleich eine kurze Uebersicht ihres Entwicklungsverlaufes in den einzelnen Ländern hier anschließen.
Die Malerei in Frankreich. Der Hauptvertreter des Klassizismus in Frankreich war Jacques Louis David (1748-1825), der seine Gestalten nach antiken Standbildern zu zeichnen pflegte, ehe er sie in die Gewandung steckte. Unter seinen zahlreichen Nachfolgern erhob sich nur Jean Auguste Ingres (1780-1867) zu einer höheren Bedeutung, während ein anderer seiner Schüler, Antoine Jean Gros (1771-1835), bereits mit seinen die Thaten Napoleons I. verherrlichenden Bildern die realistische Richtung einschlug.
Gleichzeitig trat Pierre Paul Prudhon (1758-1823) als Gegner der David-Schule auf, um im Geiste Lionardo da Vincis und Correggios das rein Malerische zu pflegen. Die Richtung von Gros setzte Theodore Géricault (1791-1824) fort, dessen Bild: «Das Floß der Medusa» das größte Aufsehen erregte und das Publikum für die neue Auffassung gewann. Er, noch mehr aber Eugene Delacroix (1799-1863) hatten sich die Farbenkunst des Rubens zum Vorbild genommen; letzterer erscheint nun als Hauptmeister der französischen Romantiker, welche dem «antiken» Kunstgeist den «germanischen» gegenüberstellten, und sich ihre Anregungen aus deutschen und englischen Dichtungen und von den Niederländern holten.
Die moderne Landschaftsmalerei begründeten Theodore Rousseau (1812-1867) und Jean Baptist Corot (1796-1875), welche die «Stimmung» und die ganze Eigenart der Natur erfaßten und mit meisterhafter Farbenkunst wiedergaben. Die Geschichtsmalerei fand in Horace Vernet (1789-1863) und Paul Delaroche (1797-1856) ihre bedeutendsten Vertreter. In dem Vordergrund stand jedoch in der Zeit von 1830 bis nach 1860 die Sittenbildmalerei (Genre), auf deren Gebiete Ernst Meissonier (1815-1891) das hervorragendste leistete. Die Schilderung des bäuerlichen Lebens in Verbindung mit der Landschaft gab mit vollendeter Kunst François Millet (1814-75), der Hauptmeister des «Naturalismus», dessen Grundsatz: «Schön ist alles, was wahr ist, und nur das ¶