das Erwachen des volklichen Bewußtseins allenthalben, insbesondere auch bei den Deutschen herbeigeführt, man erinnerte sich wieder der glänzenden Vergangenheit der eigenen Heimat; das Gemüt und damit auch das Religiöse traten wieder bestimmend hervor. Auf allen geistigen Gebieten zeigt sich diese Wandlung. Beethovens vertiefte Innerlichkeit, welche die höchsten Gedanken und die zartesten Empfindungen der Seele mit sinnigem Ernst erfaßt, steht in scharfem Gegensatz zu der leichten, gefälligen Heiterkeit Mozarts, welche das Sinnliche verklärt.
Die Dichtkunst wendet sich an das Vaterlandsgefühl und die in der Volksseele schlummernden Empfindungen, sucht die Stimmungen des Gemütes, die Träume der Einbildungskraft zum Ausdrucke zu bringen, sie wollte, um mit Schlegel zu sprechen, den «gottverlassenen Vernunftkultus wieder in den Tempel der wahren gotterfüllten Gemütsandacht zurückführen». Dem volksfremden römisch-griechischen Altertum stellte man das deutsche Mittelalter, dem antiken Heidnischen das Christentum gegenüber; aus den luftigen Höhen gedanklicher Vorstellung eines allgemeinen «idealen» Menschentums stieg man wieder zu dem Volke herab, in dessen Leben man das wahrhaft Dichterische suchte.
Man bezeichnet diese geistige Richtung mit dem Worte «romantisch», weil sie das Unsinnliche, das im Gefühl, in der Einbildungskraft Lebende, über das Sinnliche, den Glauben über die vernunftmäßige Erkenntnis stellte, im Märchenhaften und Wunderbaren schwelgte. Im Grunde genommen wurzelte sie aber weit mehr in der Wirklichkeit als die «klassische» Auffassung, die ihre Welt aus Vorstellungen künstlich aufbaute, während die Romantiker die ihre auf die thatsächlich vorhandenen Regungen des Volksgemüts gründeten.
Darum vermochte sie auch volkstümlich zu werden und weitere Kreise als blos jene der Hochgebildeten für das Dichterische empfänglich zu machen. Man schelte und schmähe die «Romantiker» nicht, weil auch bei ihnen Verirrungen und Auswüchse sich finden; sie haben sich um das deutsche Volk große Verdienste erworben, indem sie das volkliche Bewußtsein und die Gefühlsseiten des deutschen Wesens pflegten. Wenn man der Richtung vorwirft, daß sie die Thatkraft einlullte und einseitig nur die Empfindung berücksichtigte, die Geister in traumhafte Unklarheit versenkte, so darf man nicht vergessen, daß die Zeitverhältnisse nach Beendigung der Franzosenkriege einer Bethätigung von Thatkraft und Kritik nicht günstig waren, wohl aber durch die Pflege der Erinnerungen an die Vergangenheit allmählich jene Zeit vorbereitet werden konnte, in der das Volk auch wieder seiner alten «Stärke und Kraft» bewußt wurde.
Für die Kunst, insbesondere aber für die Malerei, mußte eine solche geistige Richtung ungemein förderlich sein, deren bezeichnende Grundzüge ja mit den Voraussetzungen für das künstlerische Schaffen zusammenstimmten; insbesondere aber war sie geeignet, der deutschen Eigenart wieder zum völligen Durchbruch zu verhelfen. Mit dem Auftreten der «Romantiker» begann auch eine «Renaissance»: die «Wiedererweckung der germanischen Kunst» zum neuen Leben; sie haben derselben die Bahn eröffnet, auf welcher sie zur glänzenden Höhe der Vorherrschaft emporschreiten konnte.
Der Naturalismus. Beide Richtungen, die «klassizistische» und die «romantische», bestanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nebeneinander; keine konnte die andere gänzlich verdrängen. Die erstere behauptete jedoch ihre Vorherrschaft bis ungefähr 1820, während die Blütezeit der letzteren in die Jahre 1830-50 fällt. Während derselben bereitete sich aber bereits der Umschwung vor, der zur wirklich «modernen» Kunstauffassung führte, und zwar auf dem Wege des sogenannten «Naturalismus». Es fehlte nicht an Künstlern, welche die Anlehnung an Vorbilder, sei es nun solche der Antike oder des Mittelalters, für überflüssig erachteten und anstatt aus künstlerischen, richtiger gesagt: aus kunstgeschichtlichen Ueberlieferungen, aus der Natur und dem Leben selbst, kurz aus der Wirklichkeit die ihre Kunstweise bestimmenden Grundsätze schöpfen wollten. Immer nachdrücklicher wurde auf selbständige Beobachtung und genaues Studium der Natur Gewicht gelegt; das Streben, sich aus dem Banne des Herkömmlichen und von den Regeln der Schulen zu befreien, trat in immer weiteren Kreisen hervor. Auch die äußeren Verhältnisse gestalten sich günstig für die bildenden Künste; hochsinnige Fürsten, wie König Ludwig I. ¶
von Bayern, und Regierungen fördern sie, die Künstler finden Beschäftigung, und auch die Kunstfertigkeit wird ausgebildet. Es fehlt nur noch dem Zeitgeiste der Zug nach dem Großen, der geistige Gesichtskreis ist noch beschränkt, die Freiheit der Gedanken gebunden.
Dies ändert sich mit Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts; an die politischen Umwälzungen des Jahres 1848 knüpft sich eine völlige Umgestaltung des ganzen Lebens, jetzt erwacht der eigentliche «Geist des 19. Jahrhunderts». Ich will nur einige Punkte berühren, welche auch für Kunstentwicklung wichtig wurden. Das volkliche Bewußtsein kommt allenthalben auch bei den kleinsten Volksstämmen zum Durchbruch und fördert den Wettbewerb in der Kultur; wir sehen daher auch bei verschiedenen, bisher an der Kulturarbeit unbeteiligt gewesenen Völkern auch eine durch volkliche Eigenart gekennzeichnete eigene Kunst sich entwickeln.
Der schärferen Betonung des Volklichen und Heimatlichen gegenüber, die überall zu Tage tritt, bewirkt der hochentwickelte Verkehr einen regeren Austausch der Erkenntnisse und Erfahrungen. Es ist jetzt den Künstlern ein Leichtes, fremde Kunststätten zu besuchen; bedeutende Kunstwerke werden auf Rundreisen von Ort zu Ort gesendet, die internationalen Kunstausstellungen gestatten, sich über die Entwicklung der Künste auch der fremden Völker zu unterrichten.
Die Folge davon ist: man lernt von einander, ohne seine Selbständigkeit aufzuopfern. Die allgemeine Zunahme des Volkswohlstandes bringt es mit sich, daß nicht nur für öffentliche Zwecke der Bedarf an Kunstwerken sich steigert, sondern auch in privaten Kreisen ein solcher sich entwickelt. Das Verständnis für die Kunst nimmt zu, und der Gradmesser hierfür: das Kunstgewerbe, zeigt gegen Ende des Jahrhunderts sich auf einer bewundernswerten Höhe;
künstlerischer Geschmack ist tief ins Volk gedrungen.
Auch neue Aufgaben werden infolge der ganzen Kulturentwicklung den Künsten gestellt. All dies erklärt es hinlänglich, daß eine «neue» Kunstrichtung entstehen, aus inneren und äußeren Gründen ein «Aufschwung» eintreten mußte.
Wie ich schon oben bemerkte, hatte sich in der Malerei der Zug nach dem «Naturalismus» schon lange vor 1850 geltend gemacht; er beschränkte sich in der Figurenmalerei jedoch wesentlich auf die Formbehandlung - deutlicher gesagt: man bildete die Gestalten wirklichkeitstreuer und idealisierte weniger, und nur in der Landschaftsmalerei kam man der vollen Naturwahrheit ziemlich nahe. Dagegen blieb noch die Anschauung vorherrschend, daß das wirkliche Leben der Gegenwart kein der «hohen» Kunst würdiger Gegenstand sei; der Vorwurf, den man behandelte, sollte wenigstens «ideal» sein, zum mindesten der dargestellte Vorgang über die gemeine Wirklichkeit etwas «erhoben» erscheinen.
Die Bildner glaubten, auch Standbilder ihrer Zeitgenossen nur in antikem Gewande oder schlimmstenfalls mit einem malerischen Mantel «drapiert» gestalten zu dürfen; die Genremaler steckten ihre Figuren in alle möglichen Gewandungen der Vergangenheit, und wenn sie «Bauern» malten, so mußten diese mindestens in frischgewaschenem «ästhetischen» Sonntagsstaat erscheinen; kurz, man konnte das Leben nur in der Erscheinungsform lebender Bilder, bühnenmäßig angeordnet und verfeinert, wiedergeben.
Noch in einem zweiten Punkte war man in dem Banne des Herkömmlichen befangen, nämlich hinsichtlich der Farbengebung. Hierin blieben die alten Meister die maßgebenden Vorbilder; nur von ihnen glaubte man die Farbenkunst lernen zu können. Die einen hielten sich an die Quattrocentisten oder die Venetianer, die anderen an Rubens oder Rembrandt, immer aber galt es gewissermaßen als Gesetz, daß auch die neuen Bilder nur in den Farben der alten gemalt werden könnten.
Die «moderne» Kunst. In der Befreiung von diesen zwei Anschauungen lag nun der Fortschritt, bestand die Grundlage der «modernen» Kunst. Ueber die bloße Naturtreue in der Formbildung der Einzelheiten kam man zur vollen Wirklichkeitstreue des Ganzen, das heißt zur Wiedergabe der Erscheinungen, wie sie wirklich sind, ohne jede Idealisierung oder künstliche Anordnung, und zwar in den «wahren Farben» der Natur. Bisher waren nur zwei grundsätzliche Richtungen hinsichtlich der Farbengebung in Geltung gewesen. Die eine ging davon aus, daß die Farbenzusammenstimmung (Harmonie) eines Grundtones bedürfe, nach welchem alle anderen Einzelfarben abgetönt oder gestimmt werden. Die ¶