Klassizismus konnte nur zwischen zwei Abgründen seinen Weg nehmen: entweder mußte er den neuzeitlichen Inhalt der antiken Form anpassen, das hieß aber die Wahrheit wenigstens teilweise opfern, oder er reichte mit der Formensprache nicht aus und wurde daher unzulänglich im Ausdruck, also auch wieder nicht genügend wahr. Daß man dies wohl fühlte, zeigt sich eben darin, daß man doch auch die Natur zur Ergänzung und Berichtigung heranzog.
In der Schilderung der früheren Zeiträume wurde ausgeführt, wie der Kampf zwischen dem «Naturalismus» und der «Antike» sich immer wiederholte; er war stets das Vorspiel einer wirklichen Erneuerung der Kunst. Diese stand auf einem Höhenpunkte, sobald der Kunstgeist der Zeit seinen ureigenen Ausdruck für die Auffassung der Natur, für die Wiedergabe der Gedanken und Empfindungen des jeweiligen Geschlechtes gefunden hatte; erlahmte derselbe, dann vermochte er auch mit der Form nicht mehr dem Gehalte zu entsprechen, es trat das ein, was man «Verflachung» und «Manier» zu nennen pflegt: die Anwendung herkömmlicher Ausdrucksmittel ohne innerliche Anteilnahme an dem Stoffe. Die Rückkehr aus einer solchen Versumpfung erfolgte jedoch stets auf dem Wege der «Antike», diese war die Krücke, mit deren Hilfe man wieder gehen lernte, und darin liegt auch deren große geschichtliche Bedeutung. Die «reinen Naturalisten», welche den Kampf aufnehmen wollten, hatten zu Beginn solcher Wandlungen keinen Erfolg, sie konnten erst zum Siege gelangen, wenn die Klassizisten ihnen vorher die Bresche gebrochen hatten.
Dieser Vorgang wiederholte sich auch jetzt. Die Barockkunst hatte sich erschöpft oder richtiger gesagt, sie war unzeitgemäß geworden; die schwachen Künstler waren in «Manier» verfallen und daher außer stande, mit den überlieferten Ausdrucksmitteln dem neuen Zeitgeiste gerecht zu werden, der den Geschmack an der Ueppigkeit und Ueberschwänglichkeit der Formen verloren und nach Einfachheit sich zu sehnen begonnen hatte.
Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts begegnen wir jenen geistigen Regungen, welche das sogenannte «Zeitalter der Aufklärung» kennzeichnen. Die Macht der Kirche über die Geister sank, und die Philosophie, welche die «reine Vernunft» an Stelle der Religion zu setzen suchte, gewann einen Einfluß, wie sie ihn vorher nie besessen hatte. Der Jesuitenorden, die zuverlässigste und mächtigste Garde des Papsttums, wurde 1773 vom Papste selbst aufgehoben. Die französischen Philosophen hatten den Grundsatz entwickelt, daß die Seele nur ein Teil des Körpers, der Mensch also ein durchwegs leibliches Wesen sei; der Engländer Hume erklärte, das Christentum sei nur durch Vernichtung aller Vernunftgrundsätze annehmbar, und auch Kant wollte die religiösen Lehren aus dem menschlichen Wesen heraus entwickeln.
Die unumschränkten Herrscher nahmen gewaltige Umwälzungen im staatlichen Leben vor und entwickelten fortschrittliche Gedanken, welche ganz neuzeitlich anmuten: der «Staat» sollte alles, Weltliches und Geistliches, beherrschen und im Staate das «Volk» alles gelten, allerdings nicht frei und selbständig, sondern bevormundet von dem fürsorglichen Fürsten. Jetzt erst wurden die Bollwerke der mittelalterlichen Weltanschauung und Staatsordnung gründlich zerstört. Da im schärfsten Gegensatz zu diesem Mittelalterlichen das Antike stand, so kam dieses umsomehr zu Ehren, in den römischen Einrichtungen und Sitten sah man wieder Mustergültiges und Vorbildliches.
Hatten die unumschränkten Herrscher die römischen Imperatoren (Kaiser) zu Vorbildern genommen, so wurde für die französischen Revolutionsmänner die antike «Republik» das «Ideal», man äffte bis zur Lächerlichkeit antikes Wesen nach, und die Pariserinnen kleideten sich in «griechische» Gewänder. Ich habe hier nur wenige Züge hervorgehoben, immerhin lassen sie erkennen, daß sie mit dem «klassischen» Zug in der Kunst übereinstimmen. Man ersieht aber auch, daß die Gestaltung der Dinge in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel Verwandtes mit jener zur Zeit der Renaissance hat.
Die Romantiker. Schon vor dem Zusammenbruch des französischen Weltkaisertums hatte der Zeitgeist sich gewaltig verändert; die Schwärmerei für die antike Gesellschaftsordnung, für das Weltbürgertum und die blos verstandesmäßige Auffassung aller Dinge des Zeitalters der «Aufklärung» verschwand allmählich. Napoleons Gewaltherrschaft hatte ¶
das Erwachen des volklichen Bewußtseins allenthalben, insbesondere auch bei den Deutschen herbeigeführt, man erinnerte sich wieder der glänzenden Vergangenheit der eigenen Heimat; das Gemüt und damit auch das Religiöse traten wieder bestimmend hervor. Auf allen geistigen Gebieten zeigt sich diese Wandlung. Beethovens vertiefte Innerlichkeit, welche die höchsten Gedanken und die zartesten Empfindungen der Seele mit sinnigem Ernst erfaßt, steht in scharfem Gegensatz zu der leichten, gefälligen Heiterkeit Mozarts, welche das Sinnliche verklärt.
Die Dichtkunst wendet sich an das Vaterlandsgefühl und die in der Volksseele schlummernden Empfindungen, sucht die Stimmungen des Gemütes, die Träume der Einbildungskraft zum Ausdrucke zu bringen, sie wollte, um mit Schlegel zu sprechen, den «gottverlassenen Vernunftkultus wieder in den Tempel der wahren gotterfüllten Gemütsandacht zurückführen». Dem volksfremden römisch-griechischen Altertum stellte man das deutsche Mittelalter, dem antiken Heidnischen das Christentum gegenüber; aus den luftigen Höhen gedanklicher Vorstellung eines allgemeinen «idealen» Menschentums stieg man wieder zu dem Volke herab, in dessen Leben man das wahrhaft Dichterische suchte.
Man bezeichnet diese geistige Richtung mit dem Worte «romantisch», weil sie das Unsinnliche, das im Gefühl, in der Einbildungskraft Lebende, über das Sinnliche, den Glauben über die vernunftmäßige Erkenntnis stellte, im Märchenhaften und Wunderbaren schwelgte. Im Grunde genommen wurzelte sie aber weit mehr in der Wirklichkeit als die «klassische» Auffassung, die ihre Welt aus Vorstellungen künstlich aufbaute, während die Romantiker die ihre auf die thatsächlich vorhandenen Regungen des Volksgemüts gründeten.
Darum vermochte sie auch volkstümlich zu werden und weitere Kreise als blos jene der Hochgebildeten für das Dichterische empfänglich zu machen. Man schelte und schmähe die «Romantiker» nicht, weil auch bei ihnen Verirrungen und Auswüchse sich finden; sie haben sich um das deutsche Volk große Verdienste erworben, indem sie das volkliche Bewußtsein und die Gefühlsseiten des deutschen Wesens pflegten. Wenn man der Richtung vorwirft, daß sie die Thatkraft einlullte und einseitig nur die Empfindung berücksichtigte, die Geister in traumhafte Unklarheit versenkte, so darf man nicht vergessen, daß die Zeitverhältnisse nach Beendigung der Franzosenkriege einer Bethätigung von Thatkraft und Kritik nicht günstig waren, wohl aber durch die Pflege der Erinnerungen an die Vergangenheit allmählich jene Zeit vorbereitet werden konnte, in der das Volk auch wieder seiner alten «Stärke und Kraft» bewußt wurde.
Für die Kunst, insbesondere aber für die Malerei, mußte eine solche geistige Richtung ungemein förderlich sein, deren bezeichnende Grundzüge ja mit den Voraussetzungen für das künstlerische Schaffen zusammenstimmten; insbesondere aber war sie geeignet, der deutschen Eigenart wieder zum völligen Durchbruch zu verhelfen. Mit dem Auftreten der «Romantiker» begann auch eine «Renaissance»: die «Wiedererweckung der germanischen Kunst» zum neuen Leben; sie haben derselben die Bahn eröffnet, auf welcher sie zur glänzenden Höhe der Vorherrschaft emporschreiten konnte.
Der Naturalismus. Beide Richtungen, die «klassizistische» und die «romantische», bestanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nebeneinander; keine konnte die andere gänzlich verdrängen. Die erstere behauptete jedoch ihre Vorherrschaft bis ungefähr 1820, während die Blütezeit der letzteren in die Jahre 1830-50 fällt. Während derselben bereitete sich aber bereits der Umschwung vor, der zur wirklich «modernen» Kunstauffassung führte, und zwar auf dem Wege des sogenannten «Naturalismus». Es fehlte nicht an Künstlern, welche die Anlehnung an Vorbilder, sei es nun solche der Antike oder des Mittelalters, für überflüssig erachteten und anstatt aus künstlerischen, richtiger gesagt: aus kunstgeschichtlichen Ueberlieferungen, aus der Natur und dem Leben selbst, kurz aus der Wirklichkeit die ihre Kunstweise bestimmenden Grundsätze schöpfen wollten. Immer nachdrücklicher wurde auf selbständige Beobachtung und genaues Studium der Natur Gewicht gelegt; das Streben, sich aus dem Banne des Herkömmlichen und von den Regeln der Schulen zu befreien, trat in immer weiteren Kreisen hervor. Auch die äußeren Verhältnisse gestalten sich günstig für die bildenden Künste; hochsinnige Fürsten, wie König Ludwig I. ¶