In den nächsten hundert Jahren nach Berninis Tode hat die italienische Bildnerei keinen Mann aufzuweisen, der die Kunst irgendwie vorwärts gebracht hätte. Man arbeitet in der nun herkömmlich gewordenen Weise mehr oder minder tüchtig und man kann dieser Zeit nur das nachrühmen, daß sie wenigstens die Handfertigkeit nicht verfallen ließ. Erst in Canova erscheint wieder ein Meister, der sich über seine Vorgänger erhebt und an der Schwelle einer neuen Zeit eine bedeutsame, vermittelnde Rolle spielt.
***
Französische Bildnerei. In Frankreich hatte die Bildnerei ihre heimisch-völkische Eigenart bewahren können, da sie in den Zeitgenossen Michelangelos, Bontemps und vor allem Goujon, vortreffliche Meister besaß, die ihre Selbständigkeit nicht aufgaben. Wenn nun eine Wandlung eintrat, so wurde sie den heimischen Künstlern gewissermaßen durch König Louis XIV. aufgezwungen, dessen Wesen die Art Berninis so recht entsprach. Nur allmählich und sozusagen widerwillig betraten die französischen Bildner die neuen Bahnen; jene Gruppe jüngerer Kräfte, die im Anfange des 17. Jahrhunderts wirkten, hielt noch vielfach an den Ueberlieferungen der älteren Schule fest und liefert Werke, die mehr Züge von schlichter Wahrheit und edler Klarheit aufweisen, als daß sie dem neuen Geschmack an hochtrabender, schauspielerischer Prunksucht huldigen. Was sie aber stets auszeichnet, ist jene anmutige Feinheit und Zierlichkeit, welche, selbst wenn sie übertrieben wird, doch gefallsamer bleibt, als die aufdringliche Schwelgerei in üppigen Formen.
Girardon. Puget. Schon mehr der neuen Richtung angehörig, aber doch die trefflichen Eigenheiten der älteren französischen Schule nicht ganz verleugnend, erscheint François Girardon (1628-1715), dessen Werke durch lebensvolle Natürlichkeit sich erfreulich von anderen zeitgenössischen abheben. Der feinere, d. h. maßvollere Geschmack des Franzosen tritt hervor, wenn man seinen «Raub der Proserpina» (Fig. 656) mit jenem Berninis vergleicht. Die Uebereinstimmung in vielen Zügen ist ja schlagend, aber der Pluto Girardons ist doch weniger roh, die Proserpina etwas keuscher und die ganze Gruppe ist schöner angeordnet.
Dagegen huldigt Pierre Puget (1622-1694) ganz der rein malerischen Auffassung - er war ja selbst auch Maler, freilich als solcher unbedeutend - und geht, was unruhige Bewegung anbelangt, bis an die äußersten Grenzen. Die Gruppen «Milon aus Kroton von einem Löwen zerfleischt», dann «Perseus befreit Andromeda» und das Flachbild «Alexander bei Diogenes» wurden seiner Zeit viel bewundert. Anerkennenswert ist, daß die Vorgänge verständlich und naturwahr dargestellt sind; die zweitgenannte ist zwar an-
^[Abb.: 665. Candid: Marienbild.
München, Residenz.] ¶
mutiger in den Formen, dennoch möchte ich das letzterwähnte als das beste Werk des Meisters bezeichnen (Fig. 657 u. 658).
Coyzevox. Pigalle. Vorzüglich in der Bildniskunst ist Charles Antoine Coyzevox (1640-1720), von dem eine Reihe von Büsten herrührt, welche ebensowohl durch die feine sorgfältige Ausführung wie durch die geistvolle Auffassung der dargestellten Persönlichkeiten sich auszeichnen. Wenn der Künstler nicht, wie bei dem König Louis XIV. und den Hofleuten, «schmeicheln» und eine gesuchte Haltung geben mußte, arbeitet er seine Bildnisse mit lebensvoller Natürlichkeit heraus. Beachtenswert ist auch die Kunstfertigkeit, mit welcher der Meister sich mit den Lockenperücken abzufinden versteht. Daß er auch im Gruppenaufbau Gutes leisten und erfundene Gestalten in mehr antikem als barockem Geiste zu bilden verstand, dafür zeugt das Grabmal Mazarins. Bei der Gestalt des Staatsmannes ist zwar mehr die äußerliche Würde als die innerliche Eigenart betont, im ganzen aber wirkt das Denkmal ungemein ansprechend.
Seine Schüler und Nachfolger verfielen jedoch in die Uebertreibung des Aeußerlichen, in den Bildnissen findet sich kaum mehr ein natürlicher Zug, es sind geschminkte Schauspielermasken. Bei den Gruppenwerken hat man die Empfindung, als wären Gemälde oder noch besser gesagt Bühnenbilder in Marmor «übersetzt» worden. In dieser Art ist auch das Grabmal des Marschalls Moritz v. Sachsen in Straßburg gehalten, das von Jean Baptiste Pigalle (1745-85) herrührt. Die Hauptgestalt ist hier wenigstens von wohlthuender Natürlichkeit in der Haltung, auch der Gedanke - ein plötzlicher Tod rafft den Feldherrn hinweg - durch das sorglose Herabsteigen zum Grabe sinnig ausgedrückt, aber das übrige sinnbildliche (allegorische) Beiwerk zerstört mehr die Wirkung, als daß es dieselbe steigert (Fig. 659).
Houdon. Die Rückkehr zur Einfachheit und zum Urquell der Antike bahnt Jean Antoine Houdon (1741-1828) an, welcher in seinen Bildnissen den Ausdruck der ganzen Persönlichkeit meisterhaft trifft und auch in erfundenen Gestalten Sinnigkeit, Anmut und edle Formenschönheit zu vereinigen weiß. Die Standbilder des hl. Bruno (Fig. 660) und Voltaires in Paris und der «Winter» sind bezeichnend für seine Art.
Es ist leicht verständlich, daß die Hauptwerke der französischen Bildnerei dieser Zeit meistenteils in Paris oder in königlichen Schlössern sich befinden, indessen sind die Provinzstädte keineswegs gänzlich arm an solchen Werken. Sie sind nur - namentlich im Ausland - weniger beachtet, wozu vielleicht der Umstand beitragen mag, daß die französischen Landstädte so reich an Kunstwerken der älteren Zeit, insbesondere der Gotik sind. Man findet jedoch in der Provinz, in den Stadthäusern, bischöflichen Palästen, dann auch an Grabmälern bedeutsame Arbeiten der Barockzeit, die zum Teil von dort heimisch gewesenen Künstlern herstammen; so, um nur einige vereinzelte Beispiele zu nennen, das Grabmal Bayards in Grenoble, das Grabmal des hl. Fort in St. Seurin zu Bordeaux, die Flachbilder an dem Triumphbogen in Montpellier und in der «Consigne» zu Marseille u. s. w. Während der französischen Revolution wurde auch manches vernichtet, wie z. B. das Reiterstandbild Louis XIV. in Lyon.
***
Die Bildnerei in Deutschland. Ein solcher Mittelpunkt für die Kunst, wie es Paris für Frankreich war, fehlte in Deutschland, wo überdies gerade in dieser Zeit die allgemeinen Verhältnisse so widrig und ungünstig waren. Die deutsche Bildnerei, die noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts in so erfreulicher Blüte stand, erscheint zu Ende desselben verkümmert. Die Deutschen vermochten sich nicht so rasch den veränderten Anforderungen, die man an die Kunst stellte, anzupassen. Gewohnt, in ihren Werken den Ausdruck tieferer Empfindung, einer gewissen religiösen Stimmung zu geben, wurde es ihnen schwer, sich in die verweltlichte Kunstweise, die auf Aeußerlichkeit und Pracht abzielte, hineinzufinden und so mußten sie zusehen, daß Italiener und Niederländer berufen wurden, um die ohnehin spärlichen Aufträge auszuführen. ¶