auch nicht fähig, ohne solche überhaupt zu schaffen, und so ersetzten sie jene durch das «Vorbild» des Meisters. Dies war eigentlich schlimmer als der frühere Zustand. Die persönliche Eigenart des Künstlers kann in seinen Werken sich nicht ausprägen, sobald er ein Vorbild für maßgebend erachtet und nicht den Mut hat, anders zu handeln. Man glaubte zwar, alles wagen zu können und zu dürfen, aber es sollte nur in der Art und mit den Mitteln des Vorbildes geschehen. Daß man für ein neues Ziel auch neue Wege braucht, eine neue Aufgabe nur dann glücklich zu lösen ist, wenn man die hierzu erforderlichen Mittel sich erfindet, wurde nicht erkannt. Zwischen «Wollen» und «Können» eröffnete sich eine Kluft; nur im ersteren wurde man «schrankenlos», das letztere blieb «gebunden». Die Handfertigkeit wurde wohl ausgebildet, aber die geistige Strebsamkeit war erlahmt.
Dazu trug aber auch nicht wenig bei, daß die Kunst
- namentlich die Bildnerei - die Fühlung mit dem
Volke verloren hatte und sich nach den Anschauungen eines kleinen Kreises richten mußte, der wieder im Banne von Vorurteilen
und Ueberlieferungen lag. In der ganzen breiten Masse eines
Volkes herrscht allzeit einige Bewegung, auch in einer anscheinend
stillen, fortschrittslosen Zeit; die obersten Schichten der Gesellschaft und die Höfe sind «konservativ»,
bleiben in einem Beharrungszustand, bis irgend eine gewaltige Strömung von unten heraus sie aufrüttelt und zur Aufnahme
neuer Anschauungen veranlaßt. Weit mehr als die Malerei war aber die Bildnerei von den höfischen Kreisen und staatlichen
Akademien abhängig. Sie konnte einfach nicht zum «freien» Schaffen gelangen,
weil sie für ein solches kein Verständnis, keine Empfänglichkeit gefunden hätte. Der Künstler bedarf aber derselben;
er ist ja doch mehr oder minder darauf angewiesen, daß man seine Werke abnimmt, muß also auf die Auftraggeber Rücksicht
nehmen.
Eigenart der Bildnerei in der Barockzeit. Schon in der Einleitung zu diesem Zeitraume habe ich darauf
hingewiesen, daß in den maßgebenden Kreisen der Gesellschaft, also vor allem an den Höfen Europas eine gewisse Gleichheit
der Anschauungen und des «Geschmackes» herrschte. Daraus ergiebt sich,
daß auch die Kunst
eine solche Gleichmäßigkeit annehmen mußte. Volkliche Einflüsse konnten ebenso wenig zur Geltung
gelangen wie eine persönliche Eigenart der Künstler, die sich höchstens im rein äußerlichen der
Formgebung, aber auch da nur in geringem Maße äußern konnte. Man findet daher in allen Ländern und bei allen Meistern
eine auffällige Verwandtschaft in den Schöpfungen, keine starken Unterschiede mehr, sondern eine allgemein herrschende
Kunst
weise, wie nicht einmal in der hellenistisch-römischen Zeit dies so ausgeprägt in Erscheinung
getreten war.
^[Abb.: Fig. 656. Girardon: Raub der Proserpina.
Versailles.] ¶
^[Abb.: Fig. 657. Puget: Perseus und Andromeda.
Louvre.] ¶