Spanien.
Eigenart der spanischen Baukunst.
Wenn man das Wort «barock» in der üblichen
Nebenbedeutung anwenden will, so könnte man vielfach schon die spanische Renaissance als Barock bezeichnen. Die strengere
Richtung, welche die Einfachheit der reinen Antike in etwas schwerfälliger und düsterer Weise aufnahm, hatte nur etwa ein
halbes Jahrhundert
lang Bestand. Der führende Hauptmeister, Juan de Herrera, und sein hervorragendster
Nachfolger, Francisco de
Mora, hatten ganz die Wege Palladios eingeschlagen, ohne daß irgend eine unmittelbare Einflußnahme
stattgehabt hätte. Es trat eben ein zeitweiliger Rückschlag gegen die bisher vorherrschend gewesene malerische und phantastische
Stilrichtung ein, welcher noch durch äußere Umstände begünstigt wurde, nämlich durch die Neigung
des
Königs Philipp II. zum finsteren Ernst und erhabenen Feierlichkeit.
Dieser klassische Stil konnte dem spanischen Geiste nur in einem Punkte wirklich entsprechen: in dem Zuge nach gewaltiger
Großartigkeit, deren Wirkung man durch riesige Abmessungen zu erreichen suchte. Im Uebrigen aber war das Einfache und
Schmucklose gar nicht nach dem Sinne der Spanier, die gerade weit mehr an einem Ueberschwang in den Formen Gefallen fanden.
Ihr Kunst
geschmack, wie er sich geschichtlich entwickelt hatte, entbehrte stets der anmutigen Feinheit, die man sonst in
den besten Zeiten bei anderen Völkern findet; er ist immer auf das Derbe, Ueppige, Abenteuerliche gerichtet,
daher sind die Formen krauser und verwickelter als anderswo, die Farben kräftig bunt, eher gegensätzlich als zusammengestimmt.
Die spanische Einbildungskraft ergeht sich eben gerne im Abenteuerlichen und Ueberschwänglichen, der Hang zur Maßlosigkeit
ist immer vorhanden.
Es erscheint daher wohl nur natürlich, daß die klassische Richtung nicht volkstümlich werden konnte
und rascher wieder in den Hintergrund gedrängt werden mußte, als sie aufgekommen war. Die Wendung erfolgte schon in den
ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhun
derts, unter dem Einflüsse der Maler aus dem Kreise Francisco Herreras des Aelteren, die
selbstverständlich für eine freiere, malerischere Auffassung eintraten. Der erstaunliche Aufschwung, den
weiterhin die spanische Malerei unter Velasquez und Murillo nahm, und die gleichzeitige Blüte, der Bildnerei, welche ganz
in der spanischen Eigenart entwickelt war, hätten auch dann die Abkehr von der klassischen Richtung herbeigeführt, wenn
nicht noch außerdem der allgemeine Umschwung in Italien und Frankreich eingetreten, die Kunst
weise der Bernini und
Borromini zur Herrschaft gelangt wäre.
Der vielseitige Alonso
Cano, als Bildner einer der Ersten, in der Malerei durch Velasquez-Murillo zu stark in Schatten gestellt,
dann Francisco Herrera der Jüngere hatten erheblichen Anteil an dieser Entwicklung der Baukunst
im Sinne des Schmuckhaften,
sie blieben aber noch ziemlich maßvoll und bethätigten die neue Weise mehr in der Ausgestaltung des
Innern und an den Einzelheiten. Von Herrera stammt auch der Entwurf zu der Hauptkirche «Unser
lieben Frau von Pilar» in Zaragoza, ein Bau von streng spanischer Art von fremden Zügen unbeeinflußt. Die Kirche
ist von bedeutenden Abmessungen, 137 m lang und 70 m
^[Abb.: Fig. 654. Bernini: Pluto u. Proserpina.
Rom. Villa Ludovisi.] ¶
breit, dreischiffig, mit Kapellen-Reihen zu beiden Seiten; eine mächtige Kuppel erhebt sich über der Vierung des Langhauses und Querhauses, das Mittelschiff wird überdies noch von zwei, die Seitenschiffe von je vier Kuppeln gekrönt.
Die Fülle von Bildungen, welche durch die Baufügung nicht notwendig bedingt erscheinen, giebt dem Ganzen einen unruhigen und bunten Charakter. Immerhin ist hier noch mehr auf Großzügigkeit der Formen Gewicht gelegt und soll durch Mächtigkeit eine starke Wirkung erzielt werden (Fig. 648).
Die Schwelgerei in dem abenteuerlichsten, von einer zügellosen Einbildungskraft erfundenen Schmuckwerk findet man in den Bauten anderer spanischer Meister, namentlich in jenen des Don Jose Churriguera, so daß dessen Name für die Bezeichnung des spanischen Hochbarock-Stiles gebraucht zu werden pflegt. Dieser ausschweifende Ueberschwang findet sich jedoch auch mehr in der Innengestaltung der Bauwerke, als im Aeußeren, und einzelne derselben wie z. B. die Universität in Valladolid sind verhältnismäßig maßvoll. Eine bezeichnende Probe von der ganzen Art giebt das Hauptthor des Palastes San Telmo in Sevilla (1682), bei dem selbst die Säulen flachbildnerisch bearbeitet oder wenigstens mit gewellter Riffelung versehen sind (Fig. 649).
Nach dem Aussterben des habsburgischen Königshauses ging der spanische Thron bekanntlich an die französischen Bourbonen
über, doch gewann damit keineswegs die französische Kunst
einen größeren Einfluß, sondern man folgte
vielmehr den Italienern. Der bedeutendste Baumeister aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhun
derts, Sacchetti, war ein Schüler
des Italieners Juvara, von welchem auch der Entwurf zu dem königlichen Palaste in Madrid herrührt. Dieser Bau wirkt nur
durch seine ungeheure Masse (er hat sechs Stockwerke), sonst ist er ziemlich nüchtern und schwunglos.
Der Niedergang Spaniens im Verlauf des 18. Jahrhun
derts ließ auch die künstlerische Kraft völlig erlahmen, und was späterhin
noch erstand, entbehrt jeder Bedeutung und Eigenart; man hielt sich entweder an fremde Vorbilder oder griff auf die ältere
heimische Weise zurück. Nur der eine spanische Grundzug erhielt sich, durch große Abmessungen und Massen
den Eindruck stolzer Größe hervorzurufen.
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