Türmen. In der Verteilung der Massen, in der Gliederung durch Säulenstellungen und Wandpfeiler, in der Ueberfülle des Zierwerkes geben sich ebensowohl hohes Schönheitsgefühl wie eine unerschöpfliche Erfindungsgabe kund. Die Kapitäle, die verkröpften Gesimse, die Giebel, dann die Blumengewinde, Wappen, Standbilder u. s. w. weisen einen Formenreichtum auf, der erstaunlich ist. Dennoch ist das Ganze eine vollkommene einheitliche Schöpfung, deren Anmut kaum übertroffen werden könnte (Fig. 627 und Tafel).
Pöppelmann hat außer diesem seinem Hauptwerke noch verschiedene andere Bauten in Sachsen wie in Polen (Warschau) ausgeführt, in denen er sich als wahrhafter Meister der Barockkunst erwies. Leider ist vieles davon wieder zu Grunde gegangen. Eine stattliche Reihe von zeitgenössischen Baukünstlern schloß sich seiner Richtung an, und in Dresden wie auch in Leipzig entstanden damals Palastbauten und Bürgerhäuser von köstlich-malerischem Reiz. Wie Georg Bähr auf dem Gebiete des Kirchenbaues hatte Pöppelmann auf jenem der weltlichen Bauten das Höchste geleistet, was der eigen-deutschen Barockkunst zu erreichen vergönnt war.
Auch in Sachsen wurde die heimische Bauweise mit ihrer aus der frischquellenden Einbildungskraft und Formenfreude entsprießenden Vielgestaltigkeit, ihrem gefallsamen, berauschenden Reiz und ihrer köstlichen Ursprünglichkeit wieder verdrängt durch die französische Richtung, die auf das Getragene und eindrucksvolle Größe hinarbeitet und mit ihrer Regelrichtigkeit das innere künstlerische Empfinden und Erfinden ersetzen will, dabei aber nur leer und kalt wird.
Die französische Richtung in Preußen. In Sachsen war auf August den Starken ein nicht minder kunstliebender Fürst gefolgt, August II., dem insbesondere Dresden seine weitere Entwicklung zu einer Kunststätte ersten Ranges verdankt. Hatte jedoch schon die Verbindung mit Polen die Mittel des Landes stark erschöpft, so brachte der siebenjährige Krieg den Verlust der früheren Machtstellung mit sich, was natürlich nicht ohne Rückwirkung auf die künstlerischen Verhältnisse bleiben konnte. Preußen war seit 1763 unbestritten die Vormacht in Norddeutschland und übte den tonangebenden Einfluß. Um so bedauerlicher blieb es, daß Friedrich der Große, so sehr deutsch er in der Staatskunst war, den deutschen Künsten keine Achtung entgegenbrachte. - Wie das Schrifttum und die Dichtung, behandelte er auch die deutsche Baukunst geringschätzig.
In Berlin war schon unter Friedrich Wilhelm I. der Niederländer Johann Boumanns (1706-1776) zu einem maßgebenden Einfluß gelangt, der anfänglich die französisch-niederländische Art oder den Hugenottenstil vertrat, später jedoch, dem Willen Friedrichs
^[Abb.: Fig. 632. Maisons sur Seine (Lafitte).] ¶
nachgebend, mehr der klassizistischen Richtung sich zuwandte, ohne sich jedoch in der königlichen Gunst erhalten zu können. Friedrich der Große war auch in dem Punkte dem Beispiele Frankreichs gefolgt, daß er die dort zur Herrschaft gelangte Richtung, welche in Palladio ihr Vorbild sah, begünstigte. Die Antike wurde wieder «mustergiltig», und schon Boumanns hatte antike Bauten nachahmen müssen. So sind beispielsweise die Hedwigskirche und die französische Kirche Nachbildungen des Pantheons (Fig. 628).
Diese neufranzösische «klassische» Bauweise, die eigentlich unter englischem Einflusse sich herausgebildet hatte, fand in Georg von Knobelsdorff (1699-1753) einen Vertreter, der dem Geschmack des Königs völlig zu entsprechen verstand. Er hatte in Paris seine Studien gemacht und brachte nun die dortigen Anschauungen und Formen nach der Heimat zurück.
Seine Bauten in Rheinsberg, das neue Schloß in Charlottenburg, namentlich aber Sanssouci sind ganz in französischem Geiste gehalten. Beachtenswert dabei ist, daß zwar im Baulichen die strenge und einfache Formensprache der Antike beziehungsweise Palladios herrscht, im Zierwerk jedoch die bereits gekennzeichnete Art des «Rokoko» mit ihren krausen Schnörkeln und willkürlich launenhaften Umbildungen von Naturformen fast ausschweifend waltet. Die innere Ausgestaltung von Sanssouci giebt hierfür das eindringlichste Zeugniß. Hier ist das «Rokoko» mit einer anmutigen Feinheit und in einem Reichtum ausgebildet, wie man es in Deutschland kaum noch wiederfindet.
Die für die baukünstlerische Auffassung Knobelsdorffs und somit für die ganze Richtung am meisten bezeichnende Schöpfung ist das Opernhaus in Berlin, dem der Gedanke eines Apollotempels, dessen Cella die Bühne ist, zu Grunde liegt (Fig. 629). Das war nun freilich «geistreich» im Sinne jener Zeit, in der man sich allerlei philosophischen Schwärmereien hingab und auch die Natur nur durch die Brille der antik-klassischen Gelehrsamkeit ansah. Dem inneren Wesen der Baukunst widerspricht es aber, wenn auf bedeutungsvolle Beziehungen das Hauptgewicht gelegt wird, anstatt auf den Zweckgedanken, und in der Regel ist damit auch der Mangel an Formgefühl verbunden. Für erkünstelte Gedanken lassen sich eben keine wahrhaft künstlerischen Formen finden.
Mit Knobelsdorff hatte die «klassische» Richtung in Berlin den vollen Sieg errungen; ihr huldigte auch Carl von Gontard (1738-1802), der, gleichfalls aus der französischen Schule hervorgegangen, bis zu Ende des Jahrhunderts der tonangebende Meister blieb. Als eine auffällige Ausnahme erscheint nur die Bibliothek in Berlin, für welche Fischers Wiener Hofburg das Vorbild abgab.
Die Franzosen in Süddeutschland. In Norddeutschland hatten die Franzosen die deutsche Eigen-Kunst überwältigt und verderbt; länger widerstand ihnen Süddeutschland, doch auch hier kamen sie schließlich obenauf, dank - oder richtiger zu Undank - der Fürstengunst, welche sich den Fremden zuwandte. Die «Pariser» Baukünstler durften an den Höfen nicht fehlen, welche in allem und jedem dem glänzenden Vorbilde des französischen Königtums nacheiferten.
In München, wo man doch so bedeutende Kräfte, wie Effner und Gunezrhainer besaß, tauchte schon 1723 der Franzose François Cuvilliés (1698-1768) auf, der auch kurz vor seinem Tode die oberste Leitung des Bauwesens erhielt, welche Stelle dann an seinen gleichnamigen Sohn (+ 1770) überging. Von den Bauten Cuvilliés' (des Aelteren) sind hauptsächlich zu nennen das Residenztheater und die Amalienburg im Nymphenburger Parke, bei denen die innere Ausgestaltung das wichtigste ist. In derselben erweist sich Cuvilliés allerdings als ein Meister in der Behandlung des Schmuckwerkes, das mit vornehmer Feinheit, aber auch mit einer bemerkenswerten sicheren Kraft gebildet ist. Unverkennbar zeigt sich dabei, daß der Franzose sich dem Einflusse der deutschen Genossen nicht zu entziehen vermochte und sich deren malerischer Auffassung anzuschließen bestrebt war. Die deutsche Kunst erwies sich noch stark genug, um den Fremden zu einer Wandlung seiner Eigenart zu bestimmen, so daß ihn seine Landsleute nicht mehr als vollgiltigen Pariser, sondern als «Provinzler» betrachteten. ¶