mit welcher an die Aufgaben herangetreten wurde, bedingte aber auch den frischen Zug
von Ursprünglichkeit, der sich in den Bauten
dieser Zeit (vor Ausgang des 17. Jahrhun
derts) kundgiebt. Das Schloß zu Osnabrück, dann jenes zu Wolfenbüttel und die
Bibliothek in letzterem Orte können als für diese Art bezeichnende Schöpfungen gelten.
Es wäre ganz wider deutsches Herkommen gewesen, wenn nicht gegen diese «reinen
Praktiker», die ihre eigenen Wege gehen wollten, die wissenschaftliche Gelehrsamkeit aufgetreten wäre, welche Regeln
und Grundgesetze verlangte. Der Hauptverfechter der «Theorie» war Leonhard
Christof
Sturm (1669-1729
), ursprünglich Mathematiklehrer, der ein Lehrbuch über Baukunst
schrieb, in welchem natürlich
Vitruv und die Antike als die Urquellen hingestellt werden.
Sturm stellt eine Reihe fester Regeln auf,
deren Erfüllung er von jedem
Baumeister verlangt; er geht dabei von den Säulenordnungen aus, die für ihn die Grundlage
aller baulichen Schönheit sind.
Richtig erkennt er aber, daß die Antike allein doch nicht genüge, weil jede Zeit ihre eigenen Aufgaben
habe und daher auch eigener Ausdrucksformen bedürfe; er versucht daher, neue Ordnungen zu erfinden, und zwar sollten sie
«deutscher» Art sein. Das starke Heimatsgefühl und der Stolz auf sein
Deutschtum, welche wir bei
Sturm finden, sind in jenen Tagen doppelt erfreuliche Erscheinungen. Wider
Willen trug
aber gerade er durch sein Auftreten für eine «antik-klassische» Richtung
viel dazu bei, daß die Franzosen, welche ja dergleichen huldigten, das Uebergewicht bekamen und die folgerichtige Entwicklung
der eigen-deutschen Barockkunst
störten.
Daß der nüchterne Regelmensch Sturm an dem Schwung und der Ungebundenheit der letzteren das größte Mißfallen fand, ist begreiflich, und er bekämpft daher lebhaft die «krummen Züge und runden Ausbiegungen». Seine eigenen Bauten sind daher auch nüchtern, gut ist meist nur der Grundriß; in dem Entwerfen derselben lag überhaupt Sturms Stärke und zu seinen meist bemerkenswerten Leistungen gehören die Schriften über den protestantischen Kirchenbau. Er giebt in denselben eine Anzahl Pläne, welche von dem Grundgedanken ausgehen, daß der Prediger von allen Seiten gesehen und gehört werden müßte.
Sturm verwirft daher die Kreuzform, welche Winkel ergiebt, die Säulenhallen im Innern, weil sie den Blick behindern, überhaupt auch großräumige Bauten, weil die weitab von der Kanzel Stehenden nichts hören. Um eine größere Menge fassen zu können, empfiehlt er daher Galerieen (Emporen) und als Grundrißform das Quadrat oder den Kreis, sogar auch das Dreieck. Eine besondere Art sind endlich noch die Winkelkirchen, die aus zwei in rechtem Winkel auf einander stoßenden Flügeln bestehen; in der Spitze des Winkels steht die Kanzel.
Frauenkirche in Dresden. Den Gedanken
Sturms, einen «praktischen» protestantischen Kirchenstil zu begründen,
verwirklichte Georg Bähr (1666-1738
), von dem - außer den kleinen Kirchen in Loschwitz, Schmiedeberg, Königstein, Hohnstein
- die mustergiltige Frauenkirche zu Dresden erbaut wurde (Fig. 623 u.
624).
Sie ist ein Centralbau; der Grundriß zeigt ein Quadrat mit einem kreisförmigen Innenraum, dessen Kuppelgewölbe von 8 Pfeilern gestützt wird. Ueber diesem durch eine
^[Abb.: Fig. 629. Opernhaus in Berlin.] ¶
Kreisöffnung durchbrochenen Gewölbe baut sich dann erst eine hohe Turmkuppel auf, deren gleichfalls sehr schlanke Laterne mit einer Haube abschließt. Drei Seiten des Quadrates enthalten Thore, auf der vierten ist eine halbkreisförmige Nische hinaus gebaut, welche den durch einen Lettner abgeschlossenen Altarraum enthält, zu dem seitlich Freitreppen hinaufführen. In diesem befinden sich an den Seiten ein Lesepult und die Kanzel, während die Mitte der Abendmahltisch einnimmt.
Die Ecken des Quadrates bilden übereck gestellte, mit Türmen bekrönte Treppenhäuser, welche die Aufgänge zu den vier
übereinander angeordneten Galeriebühnen aufnehmen, welche ungemein malerisch wirken. Der Altarraum und die Galeriebrüstungen
sind mit bescheidenem Barockschmuck ausgestattet. In dem Grundriß war ein völlig neuer Gedanke in meisterhafter
Form zum Ausdruck gebracht worden, die Anlage erscheint vollständig «zweckmäßig»,
sie entsprach dem Bedürfnisse des protestantischen Gottesdienstes mit der Abendmahlsfeier und der Predigt. Im ganzen Aufbau
und in den Einzelheiten sind alle antiken Formen vermieden; der Bau wirkt durch die schlichte Gliederung
der Massen mit den großzügigen Linien; er ist vollkommen einheitlich, wie es die italienische Renaissance verlangt, und
doch kommt jeder Teil zu der seiner Aufgabe entsprechenden Geltung, wie dies in der deutschen Eigenart liegt. Das Werk ist
eine durchaus im deutschen Geiste empfundene und in völliger Selbständigkeit ausgeführte Schöpfung,
welche der deutschen Baukunst
zur hohen Ehre gereicht. Als Gegenstück dazu erscheint die Hofkirche (Fig.
625), welche in deutsch-italienischem Stil aufgeführt wurde.
Andere Bauten. Wenn auch für die Entwicklung der eigen-deutschen Bauweise hauptsächlich der Kirchenbau maßgebend war,
so entstanden um jene Zeit (zwischen 1680 bis nach 1700
) doch auch einige weltliche Bauten, an welchen
die deutsche Eigenart ausgeprägt erscheint; von diesen sind namentlich bemerkenswert das Lusthaus im großen Garten zu Dresden
und die Börse in Leipzig, die beide reichen, malerisch wirkenden Schmuck zeigen.
Eine besondere Art von Kirchenbauten verdient noch eine kurze Erwähnung, nämlich die sogenannten Friedens- und
Gnadenkirchen in Schlesien. Nach dem westfälischen Frieden war hier der Katholizismus eingeführt worden, und den Protestanten
blieben nur drei Kirchen (die Friedenskirchen in Jauer, Schweidnitz und Glogau) zugestanden, für welche die Bestimmung galt,
daß sie nur als Fachwerkbauten errichtet werden durften. Da sie eine große Gemeinde zu fassen hatten (in
jener zu Schweidnitz hatten 7500 Menschen Platz), so wurden sie großräumig angelegt; die Baufügung mußte sich natürlich
dem vorwiegenden Baustoffe (Holz) anpassen. Im Jahre 1709
erhielten die Protestanten nicht nur 121 Kirchen zurück, sondern
auch das Recht, sechs neue (Gnadenkirchen) zu bauen, bei deren Anlage man an dem Vorbilde der Friedenskirchen
festhielt. Eine künstlerische Gestaltung war dabei ausgeschlossen, aber als Leistungen des Handwerkes sind sie immerhin beachtenswert.
Hugenottenstil. Die aufstrebende deutsche Kunst
, welche aus dem Volksgeiste heraus einen eigenen Stil zu bilden suchte, begegnete
jedoch im 16. Jahrhun
derte Hemmungen, welche um so bedenklicher waren, als die Gunst der Fürsten dieselben
unterstützte. Vorgänge in Frankreich übten dabei eine verhängnisvolle Rückwirkung. Im Jahre 1685 war das Edikt von Nantes
aufgehoben worden, welches den französischen Protestanten (Hugenotten) die Religionsfreiheit gewährleistet hatte, und dies
veranlaßte eine starke Auswanderung.
Die Hugenotten wandten sich hauptsächlich nach England, Holland und Brandenburg; und sie brachten nicht nur französische
Künstler, sondern auch französischen Kunst
geist mit in die neue Heimat. Die Niederlande erfuhren zunächst den Einfluß
dieser der antiken, klassischen Auffassung huldigenden Richtung, welche die niederländische Kunst
in neue Bahnen lenkte.
Für diese war bisher Naturwahrheit und Lebenstreue das Endziel gewesen, jetzt wurde gelehrt, daß die Kunst
die Natur veredelt
wiedergeben solle und das Vorbild die Antike sei, deren Auffassung und Formen daher maßgebend sein müßten. Dies gelte
für alle Kunst
zweige, somit auch für die Baukunst. Die neue Richtung war schon um 1700
in Holland siegreich zum Durchbruch
gelangt, inzwischen war sie aber auch
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