Man kann die Lage ungefähr dahin kennzeichnen: was an Gutem noch vor dem Kriege entstand, gehört der Renaissance an, während des Krieges verlernte man alles, und nach demselben entstand zunächst - nichts Gutes.
Der Umschwung zum Besseren begann, als auch in der protestantischen Kirche eine Vertiefung der religiösen Empfindung, mehr Innerlichkeit an Stelle theologischer Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien trat, mit welchen die Eiferer ihrer Sache nur geschadet hatten, weil dabei das Volk keine Befriedigung des Bedürfnisses nach stimmungsvoller Erbauung fand. Mit der Wendung zur innerlichen, milden Frömmigkeit kamen auch die Künste wieder zu Ehren, denn jene bedurfte auch des Ausdruckes und diesen fand sie zunächst in Dichtung und Musik, dann auch in den bildenden Künsten. Damals entstanden jene ergreifenden Kirchenlieder, bei denen Wort und Weise wahrhaft Erbauung erzeugen konnten. - Die Baukunst zeigt freilich sich vorerst noch unbeholfen, um dem neuen Geiste gerecht zu werden, und man greift daher zu dem Auskunftsmittel, die spätgotischen, zum Teil sogar romanischen Formen der Grundanlage mit den Schmuckformen der Renaissance und von Italien her übernommenen Zügen zu verbinden. Das Bestreben «deutsch» zu bleiben, paart sich mit jenem nach heiterer Gefälligkeit und sinniger Schönheit, wenn auch letztere Absicht nicht immer erkannt wird.
Der norddeutsche Barockstil. In den thüringischen Landen, welche durch den Krieg so hart mitgenommen worden waren, regte sich der neue Geist am stärksten. Vielleicht trug gerade der Druck, unter dem man hier so lange gelitten, dazu bei, die Spannkraft zu neuem Aufschwung zu erhöhen. Eine Reihe von fürstlichen Schloß- und Kirchenbauten gab Gelegenheit, die künstlerischen Kräfte wieder zu schulen und die Formensprache auszubilden. Hier finden wir daher die Anfänge des norddeutschen Barockstiles, die sich hauptsächlich an das Auftreten der Baumeisterfamilie Richter knüpfen.
Der Vater, Moritz Richter, vermochte zwar seinen Gedanken noch keinen entsprechenden Ausdruck zu geben und ist in der Behandlung der Formen noch von großer Unbeholfenheit, aber seine Söhne (Johann, Moritz und Christian) und Enkel zeigen schon eine größere Sicherheit und Freiheit und verstehen bereits, eine malerische Wirkung zu erzielen. Neben ihnen erscheint auch der Braunschweiger Hermann Korb als ein beachtenswerter Vertreter der neuen Richtung, der sich redlich bemüht, selbständig eigene Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
Wenn auch die Leistungen dieser und anderer Meister in unseren Augen nicht bedeutend erscheinen, so verdient doch das Streben derselben um so mehr Anerkennung, als sie «Praktiker» waren und meist keine «theoretische» Vorbildung genossen hatten. Sie mußten also die Gesetze des Bauwesens erst selbst finden; daß sie dabei manchmal fehl griffen, ist nicht zu verwundern. Diese Freiheit von Lehrmeinungen und die Unbefangenheit,
^[Abb.: Fig. 628. Die Hedwigskirche in Berlin.] ¶
mit welcher an die Aufgaben herangetreten wurde, bedingte aber auch den frischen Zug von Ursprünglichkeit, der sich in den Bauten dieser Zeit (vor Ausgang des 17. Jahrhunderts) kundgiebt. Das Schloß zu Osnabrück, dann jenes zu Wolfenbüttel und die Bibliothek in letzterem Orte können als für diese Art bezeichnende Schöpfungen gelten.
Es wäre ganz wider deutsches Herkommen gewesen, wenn nicht gegen diese «reinen Praktiker», die ihre eigenen Wege gehen wollten, die wissenschaftliche Gelehrsamkeit aufgetreten wäre, welche Regeln und Grundgesetze verlangte. Der Hauptverfechter der «Theorie» war Leonhard Christof Sturm (1669-1729), ursprünglich Mathematiklehrer, der ein Lehrbuch über Baukunst schrieb, in welchem natürlich Vitruv und die Antike als die Urquellen hingestellt werden. Sturm stellt eine Reihe fester Regeln auf, deren Erfüllung er von jedem Baumeister verlangt; er geht dabei von den Säulenordnungen aus, die für ihn die Grundlage aller baulichen Schönheit sind.
Richtig erkennt er aber, daß die Antike allein doch nicht genüge, weil jede Zeit ihre eigenen Aufgaben habe und daher auch eigener Ausdrucksformen bedürfe; er versucht daher, neue Ordnungen zu erfinden, und zwar sollten sie «deutscher» Art sein. Das starke Heimatsgefühl und der Stolz auf sein Deutschtum, welche wir bei Sturm finden, sind in jenen Tagen doppelt erfreuliche Erscheinungen. Wider Willen trug aber gerade er durch sein Auftreten für eine «antik-klassische» Richtung viel dazu bei, daß die Franzosen, welche ja dergleichen huldigten, das Uebergewicht bekamen und die folgerichtige Entwicklung der eigen-deutschen Barockkunst störten.
Daß der nüchterne Regelmensch Sturm an dem Schwung und der Ungebundenheit der letzteren das größte Mißfallen fand, ist begreiflich, und er bekämpft daher lebhaft die «krummen Züge und runden Ausbiegungen». Seine eigenen Bauten sind daher auch nüchtern, gut ist meist nur der Grundriß; in dem Entwerfen derselben lag überhaupt Sturms Stärke und zu seinen meist bemerkenswerten Leistungen gehören die Schriften über den protestantischen Kirchenbau. Er giebt in denselben eine Anzahl Pläne, welche von dem Grundgedanken ausgehen, daß der Prediger von allen Seiten gesehen und gehört werden müßte.
Sturm verwirft daher die Kreuzform, welche Winkel ergiebt, die Säulenhallen im Innern, weil sie den Blick behindern, überhaupt auch großräumige Bauten, weil die weitab von der Kanzel Stehenden nichts hören. Um eine größere Menge fassen zu können, empfiehlt er daher Galerieen (Emporen) und als Grundrißform das Quadrat oder den Kreis, sogar auch das Dreieck. Eine besondere Art sind endlich noch die Winkelkirchen, die aus zwei in rechtem Winkel auf einander stoßenden Flügeln bestehen; in der Spitze des Winkels steht die Kanzel.
Frauenkirche in Dresden. Den Gedanken Sturms, einen «praktischen» protestantischen Kirchenstil zu begründen, verwirklichte Georg Bähr (1666-1738), von dem - außer den kleinen Kirchen in Loschwitz, Schmiedeberg, Königstein, Hohnstein - die mustergiltige Frauenkirche zu Dresden erbaut wurde (Fig. 623 u. 624).
Sie ist ein Centralbau; der Grundriß zeigt ein Quadrat mit einem kreisförmigen Innenraum, dessen Kuppelgewölbe von 8 Pfeilern gestützt wird. Ueber diesem durch eine
^[Abb.: Fig. 629. Opernhaus in Berlin.] ¶