Michelangelo und Palladio. Zwei Hauptmeister waren es, welche die Eigenart der «Hochrenaissance» bestimmt haben: Michelangelo und Palladio, und diese wurden denn auch maßgebend für die weitere Entwicklung der Baukunst. Für das Verständnis derselben erscheint es mir notwendig, nochmals auf einige Verschiedenheiten zwischen diesen Beiden aufmerksam zu machen. Michelangelo hatte die Antike gewissermaßen nur als eine Vorschule betrachtet, in welcher man lernen sollte, für die eigenen neuen Gedanken auch eine entsprechende neue Form zu finden.
«Aus sich heraus etwas Gutes schaffen, nicht anderen nachlaufen», mit diesen Worten hatte er seine Stellung zur Antike gekennzeichnet. Er ist daher durchaus «persönlich» und verlangt auch von jedem Künstler, daß er nach eigenem Willen und Können schaffe, sich selbst seine Gesetze finde. Dieser Forderung zu entsprechen, war nicht leicht, sie hatte zur Voraussetzung eine ebensolche künstlerische Kraft, wie sie Michelangelo zu eigen war. Wir sehen daher auch, daß schon die Zeitgenossen und nächsten Nachfolger des Meisters eigentlich im Gegensatz zu ihm stehen, indem sie davon ausgehen, daß man durch das Studium der Antike deren Gesetze, überhaupt das ganze Wesen derselben vollständig in sich aufnehmen müsse, um dann im Geiste derselben selbständig schaffen zu können.
Sie trachteten also gewissermaßen selbst «antike Künstler» zu werden, während Michelangelo ein «moderner» sein wollte. Nur zwei Meister waren bestrebt, ganz seiner Lehre zu folgen: Ammanati und Vasari, aber diesen fehlte die große künstlerische Kraft, um Bedeutsames zu leisten, und dadurch schienen sie nur die Anschauung der anderen Partei zu bekräftigen, daß nicht die persönliche Freiheit, sondern die Beachtung der Gesetze für die Kunst ersprießlich sei.
Dafür war schon Vignola eingetreten und der Hauptvertreter dieser Richtung wurde Palladio, der in allem und jedem die Antike «neu beleben» wollte. Er wandte nur Formen an, für welche es antike Vorbilder gab, und seine Kirchen sollten ins Christliche übertragene Tempel sein, während Michelangelo, wie seine Entwürfe für die Peterskirche zeigen, eine ursprünglich-neue Form für das christliche Gotteshaus zu erfinden sich bemühte. Doch auch Palladios Lehre in ihrer vollen Strenge drang nicht durch, sondern hatte im Gegenteil zur Folge, daß man wieder mehr dem Standpunkt Michel-
^[Abb.: Fig. 595. Guarini: Palazzo Carignano.
Turin.]
angelos sich näherte und von dem Joche der «antiken Gesetze» sich zu befreien suchte. Der Grundsatz, daß der Künstler seinen eigenen persönlichen Anschauungen folgen dürfe, kam wieder zu Ehren.
In diesem Sinne ist nun Michelangelo der «Vater des Barockstiles» geworden, der zunächst die Richtung Palladios ganz in den Hintergrund drängte. Als jedoch jener «entartete», richtiger gesagt, sich ausgelebt hatte, weil er eine Weiterbildung nicht mehr zuließ, und schließlich nur Uebertreibung seiner Formen, aber keine Erfindung neuer stattfand, griff man wieder auf Palladio zurück, und dieser wurde daher zu Ende des 18. Jahrhunderts der «Vater» jener neuen Richtung, die man mit dem Namen «Klassicismus» bezeichnet.
Carlo Maderna. Der Kampf zwischen den vorhin geschilderten Richtungen spielte sich hauptsächlich an vier Stätten ab, in Florenz, Genua, Venedig und Rom. Gerade
^[Abb.: Fig. 596. Guarini: Kapelle del Sudario.
Turin.]
in letzterer Stadt, wo Michelangelo das Bedeutendste geschaffen hatte, hielt man am zahmsten an der strengeren antiken Auffassung fest, deren Vertreter die beiden Fontana waren. Der neue Geist, welcher nach freierer Entfaltung strebte, regte sich jedoch allenthalben so mächtig, daß auch Rom sich ihm nicht verschließen konnte. Die Wandlung leitete Carlo Maderna (1556-1629) ein, der als Neffe Fontanas zwar der alten Schule angehörte und deren Anschauungen nie ganz preisgab, aber zufolge seiner persönlichen Eigenart von selbst in das neue Fahrwasser geraten mußte.
Ein Künstler von ungemein hohem Selbstbewußtsein, das durch die Berufung zum Baumeister des päpstlichen Stuhles (1592) erheblich gestärkt worden war, geistvoll und kühn in seinen Entwürfen, ging Maderna schon in seinen ersten römischen Bauten über die bisherige gebundene Weise hinaus, indem er die Bauformen verstärkte und den Schmuck steigerte. Seine Hauptthätigkeit entfaltete er an der Peterskirche, deren ursprünglichen Grundplan er umzugestalten hatte. Die Aufgabe, aus dem
^[Abb.: Fig. 597. Pozzo: Altar des hl. Ignatius.
Rom. Kirche del Gesu.]
Centralbau, wie ihn Michelangelo gedacht hatte, einen Langhausbau zu machen, war aber nicht leicht; umsomehr ist das Geschick anzuerkennen, welches Maderna bei deren Lösung bewies. Insbesondere die große Vorhalle (Fig. 589) ist trefflich ausgebildet und auch die Gliederung der Schauseite ist, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt, glücklich durchgeführt. In den Einzelheiten macht sich Michelangelos Einfluß unverkennbar geltend, wie denn überhaupt Maderna bemüht war, dessen Bahnen zu folgen.
Bernini. Zur Zeit als Maderna bereits Baumeister des Petersdomes war, wurde in Neapel Lorenzo Bernini geboren (1599), der das große Werk vollenden und der berühmteste Baukünstler des nächsten Jahrhunderts werden sollte. Die Zeitgenossen haben ihn dem Michelangelo zur Seite gestellt, und in der That hat er für den Barockstil dieselbe Bedeutung, wie jener für die Hochrenaissance; er ist der Hauptmeister der ganzen Richtung, der von keinem seiner Nachfolger überboten werden konnte.
Später freilich, als der «Klassizismus» aufkam, wurde er ebenso maßlos geschmäht, wie er früher gefeiert worden war. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte, und ein gerechtes Urteil muß anerkennen, daß er für seine Zeit die Stellung des «ersten» Baukünstlers und Bildners der Welt verdient hat und für die allgemeine Entwicklung der Kunst eine der bedeutendsten Persönlichkeiten bleibt; auch wenn man an der ganzen Kunstweise des Barock keinen «Geschmack» finden wollte.
^[Abb.: Fig. 598. Juvara: Superga.
Bei Turin.]
Seinen Ruf hatte Bernini begründet durch den Hauptaltar in der Peterskirche (Fig. 590). Bei deren Grundanlage als Centralbau und ihren ungeheuren Verhältnissen war es schon schwierig, die Stelle für den Altar zu bestimmen: wollte man ihn, wie gewöhnlich, an das Ostende verlegen, so hätte er gleichfalls riesig gestaltet werden müssen, um noch Eindruck zu machen. Der einzig richtige Platz, und das erkannte Bellini, war jener unter der Kuppel, wo er auch als Mittelpunkt der Kirche erschien.
Mit feinem Verständnis rückte ihn Bellini jedoch etwas nach hinten, damit der Aufblick zur Kuppel nicht behindert werde. Ebenso ist der ganze Aufbau des Altars den Verhältnissen angepaßt; gegenüber den gerade aufstrebenden Riesenlinien der Bauglieder kommen die geschwungenen und bewegten Formen des Altars zur eindrucksvollen Geltung. Er ist als ein Thron-Himmel gedacht, dessen Dach jedoch durch einen durchbrochenen Aufbau ersetzt wird, weil eine andere, geschlossene Ueberdeckung den Altar verfinstert hätte.
Daß sodann Bernini den Ausbau der Peterskirche vollzog, wurde bereits erwähnt. Nachdem der Versuch gescheitert war, durch Seitenthürme die Stirnseite gegenüber der mächtigen Kuppel zur Geltung zu bringen, fand er in der Anlage der Säulenhallen die glückliche Lösung dieser Aufgabe. Die Gesetze der Perspektive sind dabei in so geistreichem Weise verwertet, daß damit schon die große Kunst des Meisters bewiesen erscheint. Diese sichere Berechnung der perspektivischen Wirkung zeigt sich auch bei der Anlage der Scala regia (königlichen Treppe) im Vatikan, die eines der Prachtstücke dieses Palastes ist (Fig. 591). Auch in seinen anderen römischen Kirchenbauten, sodann in den wirkungsvollen Brunnenanlagen (Fig. 592) erweist sich Bernini als ein Meister von hoher Erfindungsgabe und vornehmem Geschmack, nicht minder aber auch völlig unabhängig von allen Lehrmeinungen und Regeln.
Borromini. Bernini beherrschte das Gebiet der Baukunst derart, daß neben ihm kein anderer aufzukommen vermochte, obwohl es an einem ernstlichen Nebenbuhler nicht fehlte. Es war dies Francesco Borromini (1599-1667), der an hochstrebendem Geist und Kühnheit der Gedanken sicherlich hinter Bernini nicht zurückstand. Bei verschiedenen Werken desselben war er mitbeteiligt, und seine eigenen Bauten geben Zeugnis von den hervorragenden künstlerischen Fähigkeiten, welche ihm wohl unter anderen Umständen das Anrecht auf eine «erste Stelle» gegeben hätten. Im Wetteifer mit Bernini ließ er sich jedoch verleiten, über das richtige Maß hinauszugehen, um starke Wirkungen zu erzielen. Dadurch erhielten seine Werke etwas Unruhiges, und neben fein erdachten Einzelheiten finden sich Uebertreibungen, welche das Ganze schädigen. Man erzählt, daß der Neid auf Berninis Ruhm ihn zum Selbstmord getrieben habe; vielleicht war es mehr noch die Erkenntnis, daß zur Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne, einen alles übertreffenden «neuen Stil» zu erfinden, trotz seiner unleugbaren Kunstfertigkeit und geistigen Beweglichkeit
^[Abb.: Fig. 599. Palazzo Non-Finito.
Florenz.]
doch die innere Kraft ihm fehle. Immerhin aber gebührt ihm das Verdienst, neben Bernini das meiste zur Entwicklung des Barockstiles beigetragen zu haben, und zwar nach der Seite des Groß-Erhabenen und Denkmalmäßigen hin. Die Kuppel der Kirche von S. Agnese in Rom ist eine seiner besten Schöpfungen (Fig. 593).
Pietro da Cortona. Einer anderen Richtung huldigte der aus der Florentiner Schule hervorgegangene Pietro Berettini, genannt da Cortona (1596-1669), welcher das «Malerische» einführte. Er trat auch weniger als Baumeister hervor, obwohl die Zahl seiner Bauten nicht gering ist (darunter der Umbau von S. Maria della Pace in Rom), (Fig. 594) sondern bethätigte seine Kunst hauptsächlich in der Ausschmückung des Innern von Kirchen und Palästen. Auf diesem Gebiete schuf er eine Fülle bedeutsamer Arbeiten, die über ganz Italien verstreut sind, und erwarb sich mit diesen bei den Zeitgenossen den Ruhm der «Unübertrefflichkeit». Das beste Zeugnis für sein Können sind die Saaldecken des Palazzo Pitti, die einen erstaunlichen Reichtum an geschmackvoll erfundenem Zierwerk aufweisen.
Die anderen römischen Baukünstler. Durch die drei Vorgenannten, Bernini, Borromini und Pietro da Cortona, erscheint der römische Barockstil nach allen Seiten hin ausgebildet. Die Baukünstler, die gleichzeitig neben ihnen wirkten, trugen nichts wesentliches mehr bei, so verdienstvoll auch manche ihrer Arbeiten sind. Dem Einfluß der Hauptmeister konnte sich keiner ganz entziehen, obwohl sie ihre Eigenart möglichst zu wahren suchten. Zu dieser Gruppe gehören Girolamo und Carlo Rainardi, Martino Lunghi der Jüngere, Alesso Algardi; durchwegs Künstler von hoher Begabung. Insbesondere zeichnete sich Carlo Rainaldi, durch geschickte Anordnung der Bauglieder und Einteilung des Raumes bei verhältnismäßig einfacher Grundlage aus, während Lunghi das Hauptgewicht auf die ziervolle «malerische» Gestaltung des Bauwerks legte.
Die Schule Berninis bildete dessen Kunstweise hauptsächlich nach der prächtigen und glänzenden Seite hin weiter aus. Rom wurde wieder die Stätte eines vornehm heiteren
^[Abb.: Fig. 600. Bartolomeo Bianco: Vorhalle und Stiege der Universität.
Genua.]
Gesellschaftslebens und prunkender Feste; und diesem weltlich frohen Zuge folgte auch die Kunst. Die bedeutendsten Vertreter der Schule sind Giovanni Antonio de Rossi (1616-1695) und Carlo Fontana (1634-1714). Das Hauptwerk des ersteren ist der weiträumige Palazzo Altieri in Rom; jenes des anderen die Stirnseite der Kirche S. Marcello. Bei Fontana ist bereits die Ermattung der Schule zu bemerken; er sucht zwar durch großen Reichtum an Formen zu wirken, aber diese selbst zeigen keine wesentlich neuen Gestaltungen mehr.
Guarini. Während so die eigentliche Nachfolgerschaft Berninis der Verflachung anheimfiel, erstanden der Barockkunst in dem Theatinermönch Guarino Guarini (1624-85) und dem Jesuiten Andrea dal Pozzo (1642-1709) zwei Meister, welche einen neuen Abschnitt in deren Entwicklung einleiteten und den sogenannten «Hochbarock»-Stil begründeten. Guarini hatte den Gedanken Borrominis aufgegriffen, eine neue zeitgemäße Bauweise zu
^[Abb.: Fig. 601. Longhena: Kirche St. Maria della Salute.
Venedig.]
schaffen, unabhängig von allen Ueberlieferungen und Regeln. Dabei verfiel er bei seinen ersten Werken auf allerlei Absonderlichkeiten, wie sie beispielsweise die Kirche San Gregorio in Messina zeigt, deren Turm ein mit einem spiralförmigen Wulst umzogener, mit eiförmigen Oeffnungen durchbrochener Kegel ist, ein Gebilde, wie es die Phantasie eines Zuckerbäckers ersinnen könnte. Später wird er allerdings etwas klarer und maßvoller, obwohl immer noch allerlei Wunderliches mit unterläuft. Am erfreulichsten sind noch seine Palastbauten, so der Palazzo Carignano in Turin (Fig. 595). Bei den Kirchenbauten sind schon die Grundrisse bemerkenswert, in welchen er die geraden Linien gänzlich zu vermeiden bestrebt ist.
Ueberhaupt zeigt er eine Vorliebe für krumme und verschlungene Linien, selbst bei Gesimsen wendet er sie an, in der seltsamen Form eines gewellten Eierstabs. Guarini wollte mit seinen Kirchen den Eindruck des Geheimnisvollen, Uebersinnlichen und Unerfaßlichen hervorrufen, darum verwarf er alles Einfache und Faßliche, und bot einen verwirrenden Wust wunderlicher Formen. Die Absicht, Ueberraschendes und noch nie Dagewesenes zu schaffen, hat er allerdings erreicht, auch die Bewunderung seiner Zeitgenossen dadurch erlangt, unserem heutigen Empfinden nach erscheint er allerdings geschmacklos. Das muß ihm jedoch zuerkannt werden, daß er aus der Stimmung seiner Zeit heraus schuf und der schwärmerisch-frommen Richtung derselben in einer wirklich «neuen» Form Ausdruck gab. Ein Beispiel für seine Kirchenbauten ist die Grabkapelle S. Sudario in Turin, die sowohl durch ihre eigenartige Kuppel wie durch ihr Inneres bemerkenswert ist (Fig. 596).
^[Abb.: Fig. 602. Longhena: Palazzo Pesaro.
Venedig.]
Pozzo. Den Gegensatz zu ihm bildet Andrea dal Pozzo - man vermutet, er sei ein Deutscher gewesen und habe ursprünglich Brunner geheißen - der mehr den weltlichheiteren Zug der Barockzeit hervorkehrte und durch überreiche Pracht zu wirken suchte. Auch er gefiel sich in manchen abenteuerlichen Gestaltungen, so ist er u. a. der Erfinder der «sitzenden» Säulen, doch strebt er nicht wie Guarini neues um jeden Preis an, sondern begnügt sich mehr damit, mit kühner Unbefangenheit die vorhandene Formensprache ganz nach den Einfällen seiner Phantasie zu behandeln.
Die rücksichtslose Unabhängigkeit von allen Regeln hat er mit Guarini gemein. Der eigentümliche Reiz seiner blendenden Schöpfungen verschaffte ihm einen weitreichenden Einfluß nicht nur auf die italienische, sondern auch auf die deutsche Baukunst, und man kann sagen, daß er es war, der für das 18. Jahrhundert insbesondere hinsichtlich der Kirchenbauten den Ton angab. Von den späteren Baukünstlern tritt keiner mehr bedeutsam hervor, es war ja auch kaum möglich, den Stil Pozzos zu überbieten, der ohnehin bis an die äußerste Grenze gegangen war. Für seine Art bezeichnend ist der Ingnatius-Altar ^[richtig: Ignatius-Altar] in der Kirche del Gesu zu Rom (Fig. 597).
Juvara. Die Bestrebungen, durch starke und gewaltige Mittel blendende und berauschende Reize zu erzielen, mußten schließlich zur Ueberreizung führen und einen Rückschlag hervorrufen; man begann wieder sich nach Einfachheit und Formenstrenge zu sehnen. Die Zeit war gekommen, in der man die reine Antike und Palladio wieder schätzen lernte und den Hochbarockstil eine «Barbarei» nannte. Diese Bewegung hatte schon Filippo Juvara (1685-1735) eingeleitet, dessen Hauptwerk, die Superga bei Turin (Fig. 598), für die eintretende Wandlung zeugt. Hier ist nichts mehr von gewaltsamer Uebertreibung und Häufung der Schmuckformen zu verspüren, sondern vielmehr das Streben nach Klarheit und kühl verständige Verwertung der Formen verschiedener Stile.
***
Florentiner Schule. Im Vorstehenden wurde die Ausbildung zunächst der römischen Schule und im Anschlusse an diese, welche die führende Rolle innehatte, die weitere Entwicklung des Barockstiles geschildert. Es erübrigt nur noch, den Gang der Dinge in den anderen Kunststätten kurz zu schildern.
Florenz tritt nur zu Beginn des Zeitraumes noch einigermaßen bestimmend für den Werdegang der Barockkunst auf. Hier war es Bernardo Buontalenti (1536-1608), ein Schüler Vasaris und noch unter dem Einfluß der Weise Michelangelos stehend, der die neue Richtung einleitete und mit großem Geschick durch Erfindung neuer Formen und geistreiche Zusammenstellung derselben seinen Bauten Eigenart und Schönheit zu verleihen wußte. Er wurde das Haupt einer zahlreichen Schule, aus der auch der ungemein vielseitige Luigi Cardi, genannt Cigoli (1559-1613), hervorging, der nicht nur Baukünstler,
^[Abb.: Fig. 603. Dom in Salzburg.]
sondern auch Maler, Dichter, Musiker und Anatom war. Der Palazzo Non-Finito (d. h. unvollendeter Palast), an dem beide beteiligt waren, läßt die Eigenart des florentinischen Kunstkreises erkennen (Fig. 599).
Die Anregungen, welche von demselben ausgingen, beeinflußten nicht nur Oberitalien sondern auch Rom; und der bereits erwähnte Pietro da Cortona vermittelte eine Verschmelzung der Grundzüge beider Schulen, des mehr bildnerischen der römischen mit dem malerischen der Florentiner.
Aus Buontalentis Kreise ging auch Baccio di Bartolomeo Bianco (1604-1656) hervor, der in Genua die Barockkunst einbürgerte und hier eine Reihe geschmackvoller und ansprechender Werke schuf, unter denen besonders die Villa Paradiso und das Jesuitenkollegium, jetzt Universität, durch reizvolle Durchbildung der Formen und schöne Gliederung der Massen hervorzuheben sind (Fig. 600).
Venezianische Schule. Während in Rom die religiös-kirchliche Stimmung für die Kunst den Ausschlag gab, bewahrte Venedig seine sinnlich-weltliche Richtung. Die ernste Feierlichkeit der Palladianischen Kirchen behagte den genußfrohen Venetianern wenig, welche an Farbenpracht und Glanz gewöhnt waren. Die Art Sansovinos mit ihren lebendig bewegten Formen und ihrem bildnerischen Schmuckreichtum sagte ihnen mehr zu. Auch die Feinheit in der Bildung der Gesimse, wie Sanmicheli sie ausgebildet hatte, entsprach den Verhältnissen der engräumigen Stadt besser, als die wuchtige Formenbildung der Römer, welche auf Fernwirkung berechnet war.
Es ist daher begreiflich, daß die Schule der beiden vorgenannten Meister hier zunächst das Feld behauptete.
Scamozzi. Longhena. Erst mit Vincenzo Scamozzi (1552-1616) kam gegenüber dieser leichten, malerisch freien Richtung eine auf strengere Beachtung der Antike und deren Regeln abzielende auf. Scamozzi versuchte aber auch, selbständig die Formensprache der Antike weiterzubilden und erfand dazu eine «sechste Säulen-
^[Abb.: Fig. 604. Inneres des Domes in Salzburg.]
ordnung", welche er die «heroische» benannte. (Das Kapitäl ist dabei aus einem Wulst und einigen Profilen gebildet; das Gesims mit Zahnschnitt versehen.)
Auch er fand wenig Anklang: und erst Baldassare Longhena (1604-1682) gelang es mit neuen Anschauungen durchzudringen.
Sie schlossen sich im wesentlichen jenen Palladios an, doch verstand es Longhena, durch malerische Gestaltung der Einzelheiten und verschwenderischen Schmuck die Venetianer mit der klassischen Grundanlage zu versöhnen. Sein Hauptwerk, die Kirche Maria della Salute (Fig. 601) blieb denn auch die glänzendste Schöpfung der venetianischen Kirchen-Baukunst in der Barockzeit; während der Palazzo Pesaro (Fig. 602) den gleichen Rang unter den weltlichen Bauten einnimmt, dem nur noch der Palazzo Rezzonico zur Seite gestellt werden kann. Die «echt barocke», das heißt überreich schmuckhafte Weise fand dagegen in der Kirche Maria ai Scalzi ihren Ausdruck, deren Inneres an Prunk das Höchste leistet, aber immerhin doch einen feinen Geschmack im Zierwesen bekundet. Longhenas Art verdient deshalb besondere Anerkennung, weil sie maßvoll bleibt und nie ins Willkürliche und Uebertriebene ausartet; sie stellt eine glückliche Vereinigung des Malerischen mit dem Erhabenen der Antike dar.
Man begreift daher auch, daß Longhenas Richtung, da sie so ganz der venetianischen Eigenart entsprach, in der Lagunenstadt die Herrschaft behielt, und die römische Barockkunst hier keinen Boden fand, da die maßvoll edle Schönheit der Renaissance auch in diesem Zeitraum noch nachwirkte.
^[Abb.: Fig. 615. St. Michaels Hofkirche.
München.]
Deutschland.
Vorbemerkung. Es dürfte vielleicht am Platze sein, auf einige in der Entwicklung der deutschen Kunst überhaupt, am deutlichsten aber in der Baukunst zu Tage tretende Erscheinungen aufmerksam zu machen. Wir finden die frischeste jugendliche Kraft und Ursprünglichkeit im «romanischen» Zeitalter; da zeigt der deutsche Geist sich fruchtbar und schöpferisch, von regster Einbildungskraft und Erfindungsgabe. Dies dauert auch noch an während der ersten Zeit der Gotik, doch späterhin macht sich bereits ein Zug von grübelnder Tüftelei und die Neigung zum Kleinlichen geltend.
Man legt mehr Gewicht auf die Ausgestaltung der Einzelheiten, als auf eine große Auffassung des Ganzen. Zu Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts entfaltet sich die künstlerische Thätigkeit nicht so sehr in großen Denkmalswerken als vielmehr in den Zweigen der Kleinkunst, in welchen sie ihre liebenswürdigsten und reifsten Schöpfungen liefert. Die Baukünstler entwickeln ihre Formgedanken an Altarwerken und Prunk-Geräten, die Maler arbeiten in Holzschnitten und Stichen.
Das Schmuckwerk wird im Allgemeinen zur Hauptsache und auf dieses alle Kraft verwendet. Die deutsche Kunst ist dabei zwar volkstümlich geworden, entbehrt aber des Zuges nach dem Großen. Dies steht im engsten Zusammenhange mit den staatlichen Verhältnissen. Der Zerfall des Reiches brachte auch mit sich, daß alle Einheitlichkeit im öffentlichen und geistigen Leben allmählich verloren gehen mußte. Das deutsche Volk wurde in Theile zerrissen, die untereinander sich oft feindlicher gegenüberstanden als dem Fremden. In diesen kleinen Teilen mußte auch jene Beschränktheit der Weltanschauung, jene Engherzigkeit und kleinliche Auffassung aller Dinge, jene kurzsichtige Selbstsucht, welche für das Allgemeine keine Opfer bringen will, kurz jenes Wesen sich entwickeln, das man mit dem Worte «kleinstädtisch» treffend bezeichnen kann. Die religiöse Bewegung zu Beginn des 16. Jahrhunderts rüttelte zwar die Geister etwas auf und es schien anfänglich, als ob dadurch wieder engere Beziehungen zwischen den verschiedenen auseinander strebenden
^[Abb.: Fig. 606. Inneres der Hofkirche St. Michael.
München.]
Volksteilen angeknüpft werden sollten. Doch nur zu bald zeigte sich, daß im Gegenteil die Gegensätze nur verschärft wurden, und ein neuer Grund zu Parteiungen und Scheidung zu den früheren hinzugekommen war.
Wie sollte nun ein Künstler aus dem «deutschen Volksgeiste» heraus Großes schaffen können, wenn es überhaupt an einem solchen fehlte und es nur mehr oder minder kleine Kreise gab, deren jeder seinen «besonderen Geist» haben wollte. Die wirklich großen Künstler litten unter diesen Verhältnissen und suchten, wie z. B. Albrecht Dürer, sich aus dieser Enge zu befreien, indem sie Fühlung mit der Welt außerhalb der Heimat suchten. Die anderen aber verfielen in den Bann der sie umgebenden Beschränktheit und mußten auch «kleinlich» werden. So kam es denn, daß die eigen-deutsche Kunst gegenüber der fremden in das Hintertreffen geriet, und letztere auch auf deutschem Boden mehr Ansehen gewann, weil sie und ihre Vertreter allenthalben willkommenere Aufnahme fanden, als das Deutsche, wenn es aus einem «anderen Gaue» stammte.
^[Abb.: Fig. 607. Theatiner-Hofkirche.
München.]