Malers Francesco da Ponte, Jacopo (1510-92) war nach Venedig übersiedelt und betrieb hier als Besonderheit die Malerei biblischer Vorgänge in breiten Landschaften mit Volks-Scenen und Viehherden, welche eigentlich die Hauptsache sind. Man hat es im Grunde mit einer Verbindung von Landschafts- und Sittenbild-Malerei zu thun, nur daß dem Volksleben ein biblischer Anstrich gegeben wird. Die vier Söhne Jacopos setzten das «Geschäft» fort, da diese Art Darstellungen sich einer Beliebtheit erfreuten, die kaum gerechtfertigt erscheint. Wenn man sie mit den niederländischen Sittenbildern vergleicht, so fällt die Unwahrhaftigkeit unangenehm auf, und auch die Farbengebung, die sich an Tintoretto anschließt, ist wenig erfreulich.
^[Abb.: Fig. 564. Tintoretto: Die Ehebrecherin.
Venedig. Akademie.]
b. Deutschland und die Niederlande.
Deutschland. Die deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts besaß eine sie hauptsächlich kennzeichnende Eigenschaft, die man am besten mit dem schlichten Worte «Tüchtigkeit» ausdrücken kann. Die Malerwerkstätten lieferten nichts Außerordentliches und Blendendes, aber «gediegene» Arbeit, wie sie einem zwar nicht überfeinen, doch verständigen und gesunden Geschmack bürgerlicher Kreise entsprach. Die einzelnen «Meister» traten nicht sonderlich hervor, denn ihre «Gesellen» waren ihnen mehr ebenbürtige Mitarbeiter als nachahmende Schüler.
Nicht so sehr die Persönlichkeit, als vielmehr die Oertlichkeit - der Geist und die Anschauungen städtischer und landschaftlicher Kreise - bestimmt die Richtung, in welcher da und dort die Kunst gepflegt wird. Wir finden nur «örtliche Schulen», die von einander nicht sehr erheblich verschieden sind, oder mit anderen Worten: die deutsche Malerei hat eine «allgemeine Kunstsprache», die nur in den einzelnen Gauen «mundartlich» verschieden gesprochen wird.
Zu Ende des 15. Jahrhunderts tritt nun der Umschwung ein. Eine Anzahl von Meistern erheben sich über das allgemeine Mittelmaß der Werkstattkunst und treten mit ihrer eigenen künstlerischen Persönlichkeit hervor: sie befreien sich aus dem Banne des Zünftigen und Oertlichen, ihr selbständiger Geist giebt sich in den Werken kund und bestimmt die Eigenart der Kunstweise. Außerhalb des Kreises dieser großen und freien Künstler sehen wir aber auch in den «örtlichen Schulen» einen Fortschritt zu einer höheren Auffassung im Geiste der neuen Zeit: also mit Grundzügen der «Renaissance» in dem Sinne, wie dies zu Beginn des Abschnittes erörtert wurde. Der Aufschwung der deutschen
^[Abb.: Fig. 565. Dürer: Das Rosenkranzfest.
Kloster Strahow.]
Malkunst vollzieht sich auf süddeutschem Boden, in Franken und Schwaben, und wird vornehmlich durch zwei Meister herbeigeführt, welche alle anderen überragen: Albrecht Dürer und Hans Holbein den Jüngeren. In zweiter Reihe neben diesen stehen dann noch einige andere Künstler, die gleichfalls selbständige Bedeutung erlangen.
Albrecht Dürer. Nürnberg war um 1480 unstreitig die Hauptstätte der deutschen Kunst, deren Ruf mit Recht den aller anderen Schwesterstädte übertraf. Hier besaß die Pleydenwurff-Wolgemutsche Malerwerkstätte das größte Ansehen, und in diese trat 1466 der junge Albrecht Dürer ein. Im Jahre 1471 als Sohn eines Nürnberger Goldschmiedes geboren, sollte er ursprünglich das Handwerk des Vaters erlernen, aber die hervorragende Begabung für das Zeichnen, welche der Knabe bewies, bestimmte die Eltern, diesen zu Wolgemut in die Lehre zu geben.
Mit 13 Jahren hatte Dürer ein Selbstbildnis, im 14. Jahre eine Madonna gezeichnet (beide befinden sich in Wien), welche selbst einem gereiften Manne zur Ehre gereicht hätten. Bei Wolgemut konnte er wohl nicht viel anderes lernen als die Handfertigkeit, und in dieser bildete er sich während seiner dreijährigen Lehrzeit gründlich aus. Wie er selbst berichtet, hatte er dabei von den «Gesellen viel zu leiden», welche den aufstrebenden, ihnen überlegenen Geist wohl herausfühlten und eine solche «Ueberhebung» mißgünstig ansahen.
Mit hingebendem Fleiß studierte er auch die Werke anderer Meister, insbesondere auch jene Schongauers, welcher fast größeren Einfluß auf ihn übte, als Wolgemut selbst. Die Arbeiten aus dieser Lehrzeit lassen aber bereits erkennen, wie sein eigener Geist durchbricht und dem Schulmäßigen entwächst. Im Jahre 1490 ging Albrecht Dürer auf die Wanderschaft und wandte sich nach Kolmar, um hier in der Werkstatt Schongauers - welche nach Martins Tode dessen Bruder Ludwig weiterführte - zu arbeiten, trat dann in eine Straßburger Malerwerkstatt
^[Abb.: Fig. 566. Dürer: Randzeichnung.]
ein und zog schließlich (über Basel) nach Italien, wo er von den Werken Bellinis und Mantegnas starke Anregungen empfing. In dieser Wanderzeit bildete er namentlich auch seine Fertigkeit im Holzschnitt und im Kupferstich aus, welche ihm zunächst die Mittel bieten mußte, um 1494 in Nürnberg seinen Hausstand zu gründen. In der ersten Zeit (bis 1500) erscheint er daher hauptsächlich mit Zeichnungen (Fig. 566), zum Teil nach italienischen Meistern, beschäftigt, und auch in seinen Gemälden - z. B. in dem dreiflügeligen Altarwerk «Maria mit dem Kinde», jetzt in der Dresdner Galerie, und einigen Bildniswerken - ist das Hauptgewicht auf die Zeichnung gelegt, in welcher er bereits eine völlig selbständige Art bekundet, während die Farbenkunst noch unentwickelt ist. Aus diesen Jahren stammt das aus 15 Blättern bestehende Holzschnittwerk: Apokalypse (Offenbarung des hl. Johannes), ausgezeichnet durch großartige Auffassung, Kraft des Ausdrucks und strenge Formbehandlung.
Neben den «bestellten» Arbeiten betrieb Dürer mit niemals rastendem Fleiße Naturstudien und gewann dadurch die volle Sicherheit in der Beherrschung der Form, welcher er bedurfte, um das innerlich Geschaute und Empfundene mit ganzer künstlerischer Wahrheit zum Ausdruck zu bringen. Das Ergebnis dieser Studien zeigt sich hauptsächlich in den Ebenbildnissen, die um und nach 1500 entstanden; in dem Selbstbildnis und jenem seines jüngeren Bruders Hans (Fig. 567.) Es ist schwer zu sagen, welches von diesen beiden Meisterwerken den Vorzug verdiene, sie sind wohl als gleichwertig zu betrachten, wenngleich das Selbstbildnis gefallsamer erscheinen mag wegen des wundervoll innigen Ausdrucks der Augen. Es giebt wohl keinen zweiten Künstler, welcher mit gleich vollendeter Meisterschaft die Seele, die ganze innere Persönlichkeit, in dem Blicke der Augen lebendig zu machen verstände.
Dieses Selbstbildnis wirkt wie ein «Idealbildnis», in welchem der Künstler das Urbild eines im Geist und Körper «schönen» und vollendeten Mannes geben wollte. Den ebenmäßigen Kopf umwallen lange Locken, welche mit ihren weichen, gefälligen Linien die scharfzügigen des Gesichtes ergänzen und zu dem Ausdruck der männlichen Kraft des Willens jenen der Milde des Gemütes fügen, wie andererseits die hohe prächtig gebildete Stirne und der volle geschlossene Mund die Gedankentiefe und die Glut der Empfindung verdeutlichen und aus der fein gezeichneten Hand der Adel des ganzen Wesens spricht. Die ganze Haltung ist von vornehmer Würde, und die Einzelheiten - Bart, Haar, Gewandung - sind mit einer liebevollen Sorgfalt ausgeführt, welche zeigt, wie sehr der Meister von dem Grundsatze durchdrungen war, daß in der Natur auch das Kleinste für die große Gesamterscheinung Bedeutung habe. Die höchste Lebenswahrheit vereinigt sich hier mit der Schönheit des Urbildlichen, und damit ist wohl das Höchste erreicht, was die Kunst anstreben kann.
Das andere Bild, Hans Dürer, weist die gleichen Vorzüge auf; die Schönheit und Gefälligkeit der Linien, die kraftvolle Herausarbeitung der für die Eigenart bezeichnenden Züge, die Wiedergabe des Seelischen in den Augen. Kann man das Selbstbildnis ein Idealbild eines geistig und künstlerisch thätigen Menschen nennen, so ist in Hans Dürer
^[Abb.: Fig. 567. Dürer: Hans Dürer.
München. Pinakothek. (Photographie Bruckmann.)]
ein solches des arbeitenden Bürgers geschaffen. In dem markigen Kopf prägt sich der Ernst des Kampfes um das Dasein, in den Augen der Friede des Gemütes aus.
Auch in der Farbengebung zeigt sich der Fortschritt; es ist nicht mehr die Zeichnung allein das Entscheidende, die Farbe kommt zur Geltung und vollendet den Ausdruck. Dürer mochte jedoch fühlen, daß er in dieser Hinsicht noch nicht die gleiche Sicherheit und Herrschaft wie im Zeichnerischen erlangt habe, und das durfte den rastlos Strebenden veranlaßt haben, nochmals nach Italien zu gehen, wo er bei Bellini und den anderen Venetianern die Farbenkunst in so hohem Maße ausgebildet gefunden hatte. Gelegenheit und Mittel dazu bot ihm der Wunsch der deutschen Kaufherren in Venedig, welche 1505 ihr Warenhaus (fondaco dei Tedeschi) neu erbaut hatten, daß ein deutscher Meister das Altarbild für ihre Begräbniskirche San Bartolomeo male.
Im Herbste 1505 begab sich Dürer nach Venedig und schuf hier das großartige Altarbild, das unter dem Namen «Rosenkranzfest» bekannt ist und sich jetzt im Kloster Strahow bei Prag befindet (Fig. 565.) Im Wetteifer mit den Venetianern bildete er hierbei seine Farbenkunst weit über das bisherige Maß aus, ohne dabei seine Selbständigkeit einzubüßen, und errang sich die volle Anerkennung der Künstler wie der Kunstfreunde, so daß ihn die venezianische Regierung durch einen Jahresgehalt an Venedig fesseln wollte. Dürer zog
^[Abb.: Fig. 568. Dürer: Die Anbetung der hl. Dreifaltigkeit.
Wien. Kaiserl. Gemäldesammlung.]
es jedoch vor, 1507 nach der Heimat zurückzukehren und hier die gewonnenen Fortschritte und Eindrücke zu verwerten.
Noch im selben Jahre entstanden die Bilder «Adam und Eva», bei welchen er seine eifrigen Venetianer Naturstudien in der Behandlung und Durchbildung des Nackten verarbeitete. Das nächste bedeutsame Werk war dann das große Altarbild «Maria Himmelfahrt» für den Frankfurter Kaufmann Heller (1509), welches Dürer selbst für sein bestes Kirchenbild hielt. Leider ist das Mittelstück, welches in das königliche Schloß von München gekommen war, 1674 bei einem Brande vernichtet worden, und die beiden noch vorhandenen Flügel sind hauptsächlich von Gesellen ausgeführt worden.
Dem erwähnten Hellerschen Altarwerke in der Ausführung ebenbürtig, nur von kleinerem Umfang und einfacherer Anordnung ist jedoch das in Wien befindliche Gemälde «Anbetung der heiligen Dreifaltigkeit», das 1511 vollendet wurde. Man hat dieses Bild wiederholt mit Raphaels Disputà verglichen, mit welchem es in der That in Anordnung und Inhalt viel Verwandtschaft zeigt (Fig. 568.) In beiden handelt es sich um die Verherrlichung des religiösen Gedankens «der Erlösung der Menschheit». In dem Glauben an die göttliche Dreieinigkeit vereinigen sich alle Stände und alle Zeiten, der Mittelpunkt der ganzen Welt ist der Erlöser: das ist der Grundgedanke, welcher hier wie dort durch die Vorführung der Gestalten von Propheten, Erzvätern und Heiligen, Päpsten und Königen und Vertretern aller Volkskreise ausgedrückt wird. In der weiteren Ausführung sehen wir jedoch erhebliche Unterschiede.
Raphael giebt den Erlöser in der Verklärung. Dürer stellt ihn auf dem Kreuze dar; dort kommt also nur die ruhige himmlische Schönheit, hier das zwar ergreifendere, aber doch auch peinlich wirkende Leiden zum Ausdruck. Die gleiche Verschiedenheit der Stimmung finden wir in dem Kreise der Menschen. Bei Raphael beseelt sie leidenschaftliche Begeisterung, bei Dürer tritt die innige Empfindung des Gemütes hervor; dem italienischen Meister ist der Glaube mehr eine Sache des Verstandes, dem Deutschen ein Bedürfnis des Herzens. Die Gestalten der Disputà sind heitere und vornehme Renaissancemenschen, die über die gemeine Not des Irdischen sich erhoben haben; bei Dürer tragen alle mehr oder weniger die Spuren des Daseinskampfes und gewissermaßen «bürgerliche» Züge.
Man ersieht aus diesen Andeutungen, wie die beiden Werke nicht nur die Verschiedenheit der künstlerischen Persönlichkeiten,
^[Abb.: Fig. 569. Dürer: Madonna mit dem Apfel.
Wien. Kaiserl. Gemäldesammlung.]
^[Abb.: Fig. 570. Dürer: Geburt Christi.
München. Pinakothek.]
sondern vielmehr noch jene zwischen deutschem und italienischem Wesen kennzeichnen. Die gedankliche Auffassung ist bei beiden großartig, aber doch jeweils von anderer Art, weil sie durch das Volkstum bestimmt wird, in welchem die künstlerischen Persönlichkeiten wurzeln. Dürer ist «deutsch» durch und durch, der einfache, schlichte Bürger, voll Gemütstiefe und gläubiger Hingebung, dem das «Ergreifende» in den religiösen Dingen die Hauptsache ist, Raphael ist der humanistisch gebildete, mit fürstlich vornehmer Art vertraute Mann, der im Himmlischen nur das Urbildlich-Schöne und Erhabene sucht. Darum sind auch Dürers Gestalten weit mehr wirklichkeitstreu, jene Raphaels verklärt gebildet.
Im übrigen zeigt Dürer in diesem Gemälde die volle Befreiung nicht nur von allen fremden Einflüssen, sondern auch von jenem des eigenen zeichnerischen Stiles; das heißt, die Zeichnung tritt in den Hintergrund und das rein Malerische kommt zur herrschenden Geltung. Dies prägt sich in der Bildung der Körper, in der freien Bewegung der Geberden, wie auch in der Linienführung der Gewandung aus, vor allem aber in der ebenmäßig schönen Anordnung, die von unvergleichlicher Wirkung ist.
Dürer hatte jetzt die Höhe der Kunst erreicht; nicht mehr auf dem Zeichnerischen lag das Schwergewicht, sondern das Malerische tritt bestimmend hervor. Leider war es ihm nicht vergönnt, gleichwie seine italienischen Zeitgenossen, als «Farbenkünstler» große Werke
^[Abb.: Fig. 575. Dürer: Johannes, Petrus, Paulus und Markus.
München. Pinakothek.]
zu schaffen. Wie Raphael durch den Papst von dem eigentlichen Felde seiner Kunst durch allerlei Aufträge abgezogen wurde, so erging es Dürer, als im Jahre 1512 er mit Kaiser Maximilian in Verbindung trat. Der Herrscher des «heiligen römischen Reiches deutscher Nation» war zwar kunstsinnig, aber nicht in der glücklichen Lage wie der Papst, über reiche Mittel zu verfügen. Er konnte dem «deutschen Raphael» nicht große Gemälde in Auftrag geben, sondern nur Holzschnitte. So mußte Dürer wieder zum Zeichenstift greifen, und dazu kam noch, daß er bei diesen Arbeiten für den Kaiser nicht seinen eigenen Gedanken frei folgen durfte, sondern die Vorwürfe ausführen sollte, welche ihm angegeben wurden. Es sind drei Werke, welche Dürer für Maximilian in der Zeit von 1512-19 zu liefern hatte: des «Kaisers Ehrenpforte» (92 Holzschnittblätter),
des «Kaisers Triumphwagen» (unvollendet) und den «Buchschmuck zu einem Gebetbuche», letzteren gemeinschaftlich mit einer Anzahl anderer Meister.
In diesen Holzschnitten vermochte Dürer nur seine vollendete zeichnerische Kunstfertigkeit, nicht aber seinen eigenen künstlerischen Geist zu bethätigen, und so liegt der Wert dieser Arbeit nur in der meisterhaft behandelten schönen Formgestaltung sowie in dem nie versiegenden Quell der Einbildungskraft, welche immer neue Formenspiele erfand. Nur ab und zu fand der Künstler noch Muße zu Gemäldearbeiten; es sind meist Ebenbildnisse, die aus dieser Zeit stammen.
Daß Dürer aber auch das Bedürfnis fühlte, einmal etwas «anderes» zu malen, bezeugt die «Lucretia» (1518),
mit welcher er wohl seine italienischen Erinnerungen auffrischen wollte. Das Bild ist allerdings mehr als eine «Studie» zu betrachten, erscheint jedoch deshalb bemerkenswert, weil es zeigt, wie Dürer sich mit derartigen weltlichen Stoffen abfand. Dem unermüdlich strebenden Künstlergeiste Dürers waren die Verhältnisse zu enge geworden, er mochte befürchten, daß er unter dem Zwange der «Arbeiten», mit denen er
^[Abb.: Fig. 572. Burgkmair: Esther.
München. Pinakothek (Photographie Bruckmann).]
^[Abb.: Selbstbildnis Albrecht Dürers aus dem Jahre 1500.
München, Pinakothek.]
^[leere Seite]
^[Abb.: Holbein d. J.: Madonna.
Darmstadt.]
^[leere Seite]
sich beschäftigen mußte, verkümmern würde. Ihn drängte es, wieder Neues zu sehen in Natur und Kunst, wieder zu lernen und dabei seinen Geist zu erfrischen, stärkere Anregungen zu empfangen, als sie ihm das gleichförmige Leben innerhalb der Mauern Nürnbergs bieten konnte. Im Jahre 1512 entschloß er sich, mit seiner ganzen Familie nach den Niederlanden zu reisen. Die Fahrt ging den Rhein entlang über Köln nach Antwerpen, Brüssel, Gent u. a. O. Die Reise war für Dürer ungemein fruchtbar; eine Fülle von Zeichnungen, Skizzen und Studien brachte er heim.
Denn wie seinerzeit der wandernde Geselle, war der gereifte Meister unermüdlich bestrebt, alles was sich ihm darbot, mit dem Stifte festzuhalten. Auch einige Gemälde entstanden während dieser Reisezeit. Außer dem Gewinn an neuen Eindrücken und an Kenntnissen von Kunstwerken anderer Meister vermittelte diese Fahrt auch neue Beziehungen zu Kunstgenossen, so zu dem damaligen Hauptmeister der Niederlande, Quentin Massys, und auf solche legte Dürer hohen Wert, wie er ja auch daheim mit allen geistig bedeutenden Persönlichkeiten in regstem Verkehr stand.
Mit gekräftigtem und gehobenem Geiste, leider aber körperlich krank, kehrte Dürer 1522 in die Heimat zurück, wo inzwischen die Bewegung der Reformation die Gemüter tief erregt hatte. Auch auf Dürer übte sie großen Einfluß, wie dies bei seiner tiefen innerlichen Religiosität nicht anders zu erwarten war. Die Erneuerung des religiösen Lebens, die Wiederkehr der wahren Herzensfrömmigkeit war ihm dabei die Hauptsache und diese erhoffte er von der Bewegung, um den Streit der Lehrmeinungen kümmerte er sich wenig. Nicht eine Scheidung sondern eine Vereinigung aller Gläubigen auf dem Boden einer von allen weltlichen Auswüchsen gereinigten Kirche glaubte er erwarten zu dürfen. In dieser gehobenen frommen Stimmung schuf er noch ein Hauptwerk von großer Kraft des Ausdrucks und gewaltiger Wirkung: die «Apostel», welches er 1526 der Stadt Nürnberg als Geschenk widmete (Fig. 571).
Erinnert das Dreifaltigkeitsbild an Raphael, so lassen sich die Apostel mit den Gestalten Michelangelos vergleichen. Lebenswahr bis in die kleinsten Züge und doch in das Ueberirdische erhoben erscheinen diese vier Männer zugleich als Vertreter der verschiedenen menschlichen Eigenart und als Träger der christlichen Gedanken. Petrus, der sinnende, gedankentiefe, grübelnde und zweifelnde Verstandesmensch, und Johannes, milden und innigen Gemütes, sind auf der einen Tafel zusammengestellt; auf der anderen sehen wir Paulus, den willensstarken Mann der That und des Wortes, und Markus den leidenschaftlich erregten, begeisterten Schilderer des Lebens des Erlösers.
Jene verkörpern die hohen Lehrgedanken und die Herzensfrömmigkeit des Christentums, diese die Aufgabe, das Evangelium der ganzen Welt mit Wort und Schrift zu verkünden. Dem gedanklichen Gehalt entspricht auch die Formbehandlung. Die Haltung ist feierlich, von eindrucksvoller Würde, das ganze innere Leben, die seelische Bewegung und Erregung prägt sich in den Gesichtern aus. Nicht minder meisterhaft ist die Farbengebung, welche die Wirkung zur Vollendung steigert. Die einfachen, kraftvollen Farben sind schön zusammengestimmt und von ebenmäßiger Ruhe. Das Werk ist in Wahrheit eines der größten Schöpfungen nicht nur der deutschen, sondern
^[Abb.: Fig. 573. Holbein d. J.: Bildnis des John Chambers.
Wien. Kaiserl. Gemäldesammlung.]