gefühl Raphaels fehlte dem Giulio Romano, der vielmehr zur Derbheit und zu einer manchmal geradezu gemeinen Auffassung neigte. Diese tritt besonders in einigen Wandgemälden des Palazzo del Te zu Mantua hervor, in welchen das sinnlich Lüsterne in abstoßender Weise sich geltend macht. Auch wird er bisweilen flüchtig und selbst in der Farbengebung legt er zu wenig Gewicht auf schöne Abtönung. Vorzüglich ist er in der Schmuckmalerei, hier brauchte es keiner hohen Auffassung und gedanklichen Vertiefung; die Erfindungsgabe, der Schwung der Einbildungskraft und die erworbene Handfertigkeit konnten sich frei entfalten. Auf die spätere Entwicklung der Schmuckmalerei, welche im nächsten Zeitraume eine bedeutende Rolle spielte, nahm unstreitig auch Giulio Romano neben Correggio und Paolo Veronese einen starken Einfluß.
Seine Werke sind ziemlich zahlreich (manche derselben haben auch lange für solche Raphaels gegolten); zu den besten zählen die Gemälde im Herzogsschlosse der Gonzaga zu Mantua, welche den trojanischen Krieg behandeln. In diesen zeigt er seine guten Eigenschaften und erweist sich wirklich als Erbe der Kunst Raphaels; die Farbengebung ist sorgfältig und ebenmäßig, und in den Formen verrät sich ein genaues Studium der Antike.
Gaudenzio Ferrari. Von den Oberitalienern, welche im Allgemeinen der Richtung ihres Gaugenossen Lionardo zu folgen pflegten, schlossen auch mehrere späterhin sich jener Raphaels an. Die Hauptzüge beider Kunstweisen vereinigte zu einem ansprechenden Mischstil Gaudenzio Ferrari (1471-1526), dessen religiöse Bilder voll tiefer Empfindung, maßvoll ruhiger Formsprache und anmutend in der Farbe sind. Der sehr fruchtbare Meister übertraf darin die übrige mailändisch-piemontesische Schule und behauptete mit Recht nach Lionardos Tode den «ersten» Platz.
Die zahlreichen römischen Maler, welche sonst noch zu der Nachfolgeschaft Raphaels gehörten, sind ohne Bedeutung. Meist geistlose Nachahmung, ohne eine Spur von Streben nach eigener Auffassung, brachte die römische Schule bald in einen künstlerischen Verfall, wenn sie auch in alle Welt sich verbreitete und «tonangebend» wurde. Die Handfertigkeit war bei ihr freilich außerordentlich ausgebildet, die Kunstsprache Raphaels beherrschte man, aber dessen Geist war entschwunden.
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Mailändische Schule. Luini. Wenn man von dem obenerwähnten Ferrari absieht, der zur Gefolgschaft Raphaels gerechnet werden muß, so finden wir unter den Oberitalienern zwar nicht viel bedeutende künstlerische Erscheinungen, aber eine gewisse gediegene
^[Abb.: Fig. 556. Giulio Romano: Raub der Helena.
Mantua. Herzogsschloß.]
Tüchtigkeit. Die Schule Lionardos vertraten hauptsächlich vier Meister, Andrea de Solario, Giovanni Antonio Boltraffio, Marco d'Oggiono und Bernardino da Luino, gewöhnlich Luini genannt. Die beiden erstgenannten hatten sich erst späterhin dem Altmeister angeschlossen und bewahrten daher noch etwas mehr Selbständigkeit, die insbesondere bei Boltraffio angenehm hervortritt. Marco d'Oggiono war der getreueste Schüler Lionardos, der verständnisinnig auf dessen Art einging und es zu einer beträchtlichen Vollkommenheit brachte. Von ihm stammt auch eine vortreffliche Kopie des «Abendmahles», die sich in London befindet. Mit einer mehr äußerlichen Gewandtheit, die allerdings beinahe erstaunlich ist, verstand es Luini (1475-1534) dem Meister in einer Weise nahe zu kommen, daß manche seiner Werke bisweilen dem Lionardo zugeschrieben wurden und er überhaupt als der bezeichnende Vertreter der mailändischen oder Lionardo-Schule gilt. Ungemein fleißig und vielbeschäftigt, hat er eine große Zahl von Kirchenbildern geschaffen, so daß man beinahe in jedem bedeutenden Orte Oberitaliens seinem Namen begegnet, der allerdings oft Arbeiten anderer Hände decken muß. Immerhin zeugt auch dies für das Ansehen und die Beliebtheit, welche der Meister genoß. Eine zarte Weichheit in den Formen und eine feine Tönung des Helldunkels sind die hauptsächlichsten Vorzüge Luinis, dessen liebenswürdige Art in schönstem Reiz sich in den Madonnenbildern entfaltet. Daß späterhin die mailändische Schule auch in «Manierismus» entartete, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.
Oberitalische Schulen. Außer Mailand und Venedig hatten in Oberitalien schon während des Quattrocento einige andere Orte eine bemerkenswerte Kunstpflege aufzuweisen,
^[Abb.: Fig. 557. Daniele da Volterra: Der bethlehemitische Kindermord.
Florenz. Ufficien.]