welches die religiösen Vorstellungen anregt und damit die frommen Empfindungen erweckt, diese sollen sich als Folge der Wirkung auf das Gemüt ergeben, welche «Schönheit an sich» hervorruft. Seine Madonna ist weder die über das Menschliche erhabene Gottesmutter, noch ein im blos Menschlichen befangenes Weib. Er giebt sie nicht als begnadete Jungfrau, als freudvolle oder schmerzerfüllte Mutter; nicht als demütige Magd oder mit der Würde einer Fürstin, auch nicht als heldenhaftes Weib, wie Michelangelo. Doch von all diesen
^[Abb.: Fig. 522. Raphael: Die «Disputa».
Wandgemälde aus dem Siegelsaal (Stanza della Segnatura). Rom, Vatikan.]
^[Abb.: Raphael: Die sixtinische Madonna.
(Teilstück.) Dresden. Gemäldegalerie.]
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Zügen ist etwas zu finden, sie sind alle auch «wahr» gegeben, aus ihrer Vereinigung ergiebt sich aber das gedanklich gezeugte Geschöpf der «Himmelskönigin», welche Göttliches und Menschliches, Lebenswahres und blos Gedachtes vereinigt. Der «Himmel», in welchem diese Königin «lebt», ist nicht jener, den die religiöse Einbildungskraft schafft, sondern die geheimnisvolle unbekannte Welt, welche jedem sehnenden Menschen vorschwebt, von dem künstlerisch Empfindenden aber als das «Reich der ewigen Schönheit» aufgefaßt wird. Von diesem Standpunkte aus muß man Raphaels Madonnen betrachten. Sie werden darum auch ihre volle Wirkung nur auf jene ausüben, welche für die Feinheit einer vergeistigten Darstellung, für das nicht unmittelbar zu den Sinnen sprechende Urbildliche
^[Abb.: Fig. 523. Raphael: Die Schule von Athen.
Wandgemälde in der Stanza della Segnatura. Rom, Vatikan.]
empfänglich sind. Das Letztere möchte ich noch dahin erläutern, daß nicht in starken sinnfälligen Ausdrücken die jedem Menschen geläufigen Seelenregungen und Empfindungen verdeutlicht werden; sie sind von einer höheren Art, zwar mit den uns Gewohnten verwandt, aber veredelt und erhoben.
Im letzten Jahre seines Florentiner Aufenthaltes hatte Raphael, da Lionardo und Michelangelo die Stadt verlassen hatten, bereits die erste Stelle unter den Malern eingenommen, von denen keiner sich seinem Einflusse zu entziehen vermochte. Das «Schöne» hatte er in einer Weise klar und deutlich hingestellt, daß ein höheres Urbild aufzustellen unmöglich schien, und um das seine zu erreichen, man auch seine Wege einschlagen zu müssen glaubte.
Die Stanze. Im Jahre 1509 wurde Raphael nach Rom berufen, um die Prunkgemächer im Vatikan (stanze oder camere), zunächst den sogenannten Siegelsaal (stanza della segnatura) mit Gemälden zu schmücken. Hier hatte der Sienese Sodoma - von dem später die Rede sein wird - mit einigen anderen mit der Ausmalung begonnen, seine Arbeiten befriedigten jedoch nicht, und Raphael mußte sie beseitigen lassen. In dem Siegelsaal sollte nach den vom Papste getroffenen Anordnungen in sinnbildlichen Darstellungen die Theologie oder Religion, Philosophie oder menschliche Weisheit, Dichtkunst und Gerechtigkeit verherrlicht werden.
Es war dies eine Aufgabe, welche den Meister veranlaßte, seine Kunst nach einer anderen Seite hin zu erweitern. Bisher hatte er neben den Andachtsbildern der Madonnen u. A. nur noch Ebenbildnisse geschaffen, und bei diesen Arbeiten waren die Studien nach der Natur ausschlaggebend. Wohl hatte er schon in Perugia und Florenz auch die Antike in den Kreis seiner Betrachtung gezogen, sie aber in ihrer ganzen Bedeutung kennen zu lernen, war überhaupt nur in Rom möglich, zumal um diese Zeit man zahlreiche alte Kunstwerke aufgefunden hatte und mit weiteren Ausgrabungen sich beschäftigte. Für solche sinnbildliche Darstellungen, wie man sie wünschte, war nun die Antike geradezu vorbildlich, umsomehr, als die humanistische Gelehrsamkeit an dem päpstlichen Hofe herrschte und somit auch die Stoffe des antiken Sagenkreises in «Mode» gekommen waren. Mit der schon betonten außerordentlichen Sprungkraft seines Geistes eignete sich Raphael
^[Abb.: Fig. 524. Raphael: Die Messe von Bolsena.
Wandgemälde aus der Stanza d'Eliodoro. Rom, Vatikan.]
Form und Gehalt der Antike in einer Weise an, daß er sie bald völlig beherrschte und sie wie als ein Eigenes wiedergeben konnte.
Die Gemälde im Siegelsaal zeigen den Meister auf dem Höhenpunkte seiner Schöpferkraft und es ist daher gerechtfertigt, derselben etwas ausführlicher zu gedenken. An der Decke brachte Raphael die Verkörperung der obenerwähnten Begriffe (Theologie, Gerechtigkeit, Philosophie und Dichtkunst) in Gestalten an. Gewissermaßen als Erläuterungen treten Bilder mit Vorgängen hinzu: zur Religion der «Sündenfall», zur Gerechtigkeit das «Urteil Salomons», zur Philosophie die «Betrachtung der Himmelskugel», zur Dichtkunst: «Apollo und Marsyas». (Ob diese Bilder von ihm herrühren, ist nicht ganz sicher.) Die Hauptgemälde befinden sich an den Wänden. Die sogenannte «Disputà del Sacramento» (Unterhaltung über das Sakrament) verherrlicht den christlichen Glauben; der Heiland ist der Mittelpunkt des Ganzen, Maria, Johannes, Erzväter, Apostel, Heilige und Engel, dann Gruppen von Päpsten, Bischöfen und Volksgestalten bilden die Umgebung. - Die Anordnung dieser Gestalten-Menge, deren Gliederung in Gruppen, ist mit vollendeter Kunst getroffen; alles ist in schönen Einklang gebracht, jede Gruppe nimmt die
^[Abb.: Fig. 523. Raphael: Die Theologie.
Von der Decke der Stanza della Segnatura. Rom, Vatikan.]
ihrer Bedeutung entsprechende Stellung ein, jeder Teil hebt den anderen. Die Gestalten selbst sind nicht minder ausdrucksvoll und vor allem malerisch schön. Was meisterhafte Zeichnung anbelangt, wird dieses Bild beinahe noch übertroffen von jenem, welches die Gerechtigkeit - richtiger die Staatskunst - in der Gruppe der «Klugheit, Mäßigung und Kraft» versinnbildlicht. Die «menschliche Weisheit» findet ihre Verherrlichung in der «Schule von Athen»; in einem Palast - der den Stil Bramantes unverkennbar trägt - bewegen sich die Gestalten der griechischen Weltweisen (in der Mitte Aristoteles und Plato) mit ihren Schülern. Die Dichtkunst endlich versinnlicht der «Parnaß», Apollo umgeben von Musen
^[Abb.: Fig. 526. Raphael: Die hl. Cäcilie.
Bologna, Pinakothek.]
und Dichtern des Altertums und des Mittelalters. (Petrarca befindet sich auch darunter, während Dante in der Disputà Aufnahme fand.)
Mit der Ausführung dieser Gemälde war der Papst (Julius II.) außerordentlich zufrieden gewesen und Raphael erhielt daher den Auftrag, noch eine Reihe anderer Prunksäle in gleicher Weise auszustatten. Bei diesen Arbeiten waren jedoch bereits Gehilfen und Schüler des Meisters in sehr erheblichem Maße beschäftigt, so daß eigentlich letzterem selbst nur die Entwürfe ausschließlich zuzuschreiben sind. Bemerkenswert ist bei diesen Werken, daß Raphael sich hierbei von den Gemälden Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle beeinflußt zeigte; er hatte auch von diesem Mitstrebenden «abgelernt» und etwas mehr «wuchtige Kraft» als bisher seinen Gestalten zu verleihen sich bemüht. In der «Messe von Bolsena» läßt sich diese Wendung deutlich erkennen.
Spätere Werke. Der gewonnene Ruhm drohte dem Meister gerade so verhängnisvoll zu werden, wie seinem Lehrer Perugino. Nicht nur der Papst nahm ihn fast über Gebühr in Anspruch, sondern von allen Seiten wurde er mit Aufträgen bedrängt, und bei seinem liebenswürdigen Wesen konnte er sich nur schwer entschließen, solche Anträge abzulehnen. Immer mehr sah er sich daher darauf angewiesen, nur den Entwurf zu machen - manchmal sogar blos die Anordnung anzugeben - und die weitere Ausführung seinen Gehilfen zu überlassen, deren Arbeiten er nur überwachte und wenn nötig in Einzelheiten verbesserte.
Unter den nach 1512 entstandenen Bildern sind daher nur wenige noch ganz «eigenhändig» von ihm gemalt. Dazu gehören sein berühmtestes Madonnenbild, die «sixtinische Madonna» in der Dresdner Galerie und die hl. Cäcilia in Bologna. Das erstere Gemälde (es ist so bekannt, daß hier eine vollständige Abbildung zu geben überflüssig erscheint) bringt keine Neuerung, sondern zeigt nur sein Madonnen-Urbild in dem oben besprochenen Sinne in vollster Reinheit entwickelt.
Wohl aber ist es lehrreich, den Kopf der Madonna mit jenem des Ebenbildnisses zu vergleichen, da man daraus ersieht, in wie weit Raphael die Wirklichkeit «verklärte». An malerischem Reiz ist der sixtinischen Madonna die hl. Cäcilia vollkommen ebenbürtig, wie ich überhaupt dieses Bild als eines der Hauptwerke Raphaels erachte. Der - vollendet ebenmäßige - Ausbau der Gruppe unterscheidet sich wesentlich von jenem der Sixtinischen und anderen Madonnen, es liegt ihm nicht das Dreieck (die «Regel» Lionardos), sondern das Rechteck
^[Abb.: Fig. 527. Raphael: Bildnis der Maddalena Doni.
(Ausschnitt.) Florenz, Palazzo Pitti.]
^[Abb.: Fig. 528. Raphael: Bildnis des Papstes Leo X.
(Ausschnitt.) Florenz, Palazzo Pitti.]
zu Grunde. Die beiden Gestalten rechts und links überragen fast die Hauptfigur, dennoch oder vielleicht besser: dadurch leiten sie die Blicke auf diese, und machen sie zum Mittelpunkt. Daß man von dem Meister nicht nur «große» Werke verlangte, sondern Viele auch von seiner Hand abgebildet zu werden wünschten, ist begreiflich. Die Zahl seiner Ebenbildnisse ist daher nicht minder beträchtlich, wie jene seiner Madonnen. In jenen der früheren Zeit tritt die einfache Wirklichkeitstreue stärker hervor, später veredelt oder «verschmiert» er etwas mehr, und «leiht» sozusagen den Dargestellten ein wenig von dem Ausdruck seines eigenen inneren Wesens. Wie scharf und mit welch packender Kraft er aber doch die persönliche Eigenart eines Urbildes wiederzugeben wußte, das lehrt das Bildnis des Papstes Leo X., das auch in seiner malerischen Ausarbeitung von einer Feinheit und Vollkommenheit ist, die nicht übertroffen werden konnte.
War Raphael schon als «Maler» mit Arbeit überlastet, so kam nun noch dazu, daß er nach Bramantes Tod auch zum päpstlichen Baumeister ernannt wurde und als solcher den Bau der Peterskirche zu leiten hatte. Er wurde dadurch auf ein ihm mehr fremdes, weil seiner Natur weniger zusagendes Gebiet gedrängt, und bei seiner Gewissen-
^[Abb.: Fig. 529. Raphael: Kopf des hl. Franziskus.
(Aus der Madonna da Foligno.) Rom. Vatikan.]
haftigkeit und seinem Lerneifer bemühte er sich in der That, auf diesem Felde heimisch zu werden und auch wirklich etwas zu leisten. Zuletzt wurde er auch noch mit der Leitung der Ausgrabungen des alten Roms betraut und dieses Geschäft brachte ihm im vollsten Sinne des Wortes den Tod, denn er zog sich dabei ein Malariafieber zu, dem der übermäßig angestrengte Körper erlag.
Zu den gewissermaßen «außerordentlichen» Arbeiten zählen auch noch die Entwürfe zu den für die sixtinische Kapelle bestimmten Wandteppichen (Gobelins), welche Vorgänge aus dem Neuen Testamente darstellen. (Nach diesen Zeichnungen hergestellte Teppiche sind in mehreren späteren Wiederholungen vorhanden.) Ferner gehört dahin der Auftrag, die Laubengänge (Loggien) des Vatikans mit Gemäldeschmuck zu versehen. Raphael scheint hier nur den Grundgedanken für das ganze umfängliche Werk gegeben und Anordnung wie Aufbau der einzelnen Gemälde festgestellt zu haben; die Ausführung erfolgte unter seiner Ueberwachung von Schülern, und sind hauptsächlich Giulio Romano, Penni, Pellegrino und Pierino del Vaga dabei beteiligt.
Selbst in der Bildnerei hatte sich Raphael zu beteiligen veranlaßt gesehen; der Jonas in der Kirche S. Maria del Popolo wurde unter seiner Leitung (von Lorenzetto) ausgeführt und man kann an dieser Gestalt ersehen, wie er seine malerische Auffassung auf das Bildnerische übertrug.
Kurz vor seinem Tode hatte Raphael sich entschlossen, durch ein eigenhändiges Werk mit einem Mitbewerber sich zu messen, der einerseits aus der Schule Michelangelos, andererseits aus seiner venetianischen Heimat tüchtige Eigenschaften mitgebracht hatte. Es war dies Sebastiano del Piombo, der mit seiner «Auferweckung des Lazarus» Aufsehen erregt hatte. Michelangelo soll selbst an der Zeichnung mitgearbeitet haben und was die Farbe anbelangt, so zeigt das Bild jene satte Kraft und Lichtfülle, in welcher die Venetianer sich auszeichneten.
Das von Raphael geplante Gegenstück sollte die «Verklärung Christi auf dem Berge Tabor» (genannt Transfiguration) werden und mit diesem Werke war er beschäftigt, als ihn der Tod überraschte, so daß er es unvollendet hinterlassen mußte. Der Aufbau des Ganzen ist großartig gedacht; die oberste Gruppe - Christus zwischen zwei Aposteln - ist auch ganz in der eigenen Weise Raphaels empfunden; die unterste dagegen mit ihrer überaus bewegten Lebendigkeit hat einen fremden Zug, und man glaubt zu fühlen, daß der Meister bereits von einer seinem künstlerischen Wesen nicht entsprechenden inneren Unruhe ergriffen war.
***
Fra Bartolomeo. Lionardo und Raphael waren fast gleichzeitig dahingegangen, Michelangelo hatte seine Malthätigkeit eingestellt und so wäre nach 1520 in Rom und Florenz das Feld gänzlich den «Schülern» und Nachfolgern jener Meister überlassen geblieben, wenn nicht an letzterer Stätte noch eine Gruppe von Künstlern sich erhalten
^[Abb.: Fig. 530. Raphael (Lorenzetto): Jonas.
Rom. St. Maria del Popolo.]
hätte, die zwar an Bedeutung jenen nicht gleich, doch immerhin ziemlich nahestehend erscheint.
Schon bei Raphaels Lebensgang wurde erwähnt, daß er in Florenz mit einem Meister in Beziehung getreten war, von dem er «lernte», was schon zur Genüge andeutet, daß Jener eine bedeutsame Eigenart besessen haben mußte. Baccio della Porta, genannt Fra Bartolomeo (1475-1517), hatte als Mönch des Klosters San Marco in den hier vorhandenen Werken Fra Angelicos Vorbilder gefunden, die seinen schwärmerisch-religiösen Sinn bestechen mußten, jedenfalls ihm mehr zusagten, als die damalige Florentiner Kunstrichtung, welche die weltliche Wirklichkeit so stark betonte.
Auch hatte er die Werke Peruginos studirt und Lionardos Anregungen empfangen, so daß er in die gleiche Bahn einlenkte, in der Raphael vorwärts ging, und nach einem empfundenen Schönheits-Urbild strebte, das mit dem höchsten malerischen Reiz zur Erscheinung gebracht werden sollte. In der That eignete er sich eine hohe Kunstfertigkeit in der Farbengebung an, die auf Raphael Eindruck machte, auch übertraf er des letzteren Lehrer Perugino einerseits in der Anordnung, die großzügiger ist, andrerseits in der ungezwungenen Auffassung. Das Bild «Maria erscheint dem hl. Bernhard» läßt diese trefflichen Eigenheiten des Künstlers deutlich erkennen, der in seinen späteren Werken dann wieder von Raphael lernte.
Francia Bigio. In gleicher Richtung thätig war sein Mitarbeiter Mariotto Albertinelli, - eine Zahl von Bildern hatten sie gemeinsam gemalt - und in des letzteren Werkstatt hatte sich Francia Bigio ausgebildet, der ohne stark hervortretende persönliche Eigenart, doch in ähnlicher Weise wie Raphael aufnahmsfähig, es zu einer hohen Vollkommenheit in der Verwertung aller bedeutsamen Grundzüge der führenden Geister brachte. Am besten kennzeichnet ihn wohl die Thatsache, daß eine Reihe von Bildern dem Raphael zugeschrieben wurden - wie auch seine «Madonna am Brunnen» - und in der That reicht er in seinen Ebenbildnissen nahezu an diesen heran.
Andrea del Sarto. Dieser liebenswürdige Meister vermittelte nun seine, von Fra Bartolomeo bestimmte Kunstweise einem Freunde und Genossen: Andrea del Sarto (1486-1531), der von stärkerer Eigenart war und daher auch zu einer Selbständigkeit
^[Abb.: Fig. 535. Die Berufung der Apostel.
Wandteppich nach einer Zeichnung von Raphael.]
^[Abb.: Raphael: Die Verklärung Christi.
Rom, Vatikan.]
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