überreichen baulichen Formen der Hochgotik aufweist, so daß die eigentlich bildnerischen Gestalten in den einzelnen Nischen weniger hervortreten. Besonders bemerkenswert sind die drei knieenden Figuren, welche den ganzen Bau tragen; sie stellen den Meister mit seinen Gesellen dar. Die schöne Männlichkeit des einen - wohl Kraft selbst - ist mit einer bewundernswerten Feinheit und Kraft herausgearbeitet, sie findet ihr Gegenstück in der holden Lieblichkeit der Madonna und der anderen Frauenköpfe. Die Kunstweise Krafts wurde für die gesamte Steinbildnerei Nürnbergs von bestimmendem Einfluß, wie zahlreiche Werke aus jener Zeit dies deutlich zeigen, welche zum Teil in der Betonung des Anmutig-Schönen noch weiter gehen, dabei aber auch den Fortschritt in der Richtung erkennen lassen, daß mit rein bildnerischen Ausdrucksmitteln die Wirkung erzielt wird.
Man befreit sich immer mehr von der malerischen Auffassung, welche in der Weise eines Gemäldes den Gedanken veranschaulichen will, und gelangt zu der freien Formengebung, wie sie durch den Stoff (Stein, Erz) erfordert wird und welche allen Bedingungen der Darstellung von «Körperlichkeit im Raume» (die Malerei giebt Körperlichkeit in der Fläche) entspricht.
Erzbildnerei. Peter Vischer. Zu dieser vollen Höhe wurde die Nürnberger Bildnereikunst nun von Peter Vischer dem Aelteren (1455-1529) gebracht, der nicht in Stein, sondern in Erz bildete. Er stammte aus einer angesehenen Nürnberger Erzgießerfamilie, deren Werkstatt einen guten Ruf genoß und Arbeiten nach verschiedenen deutschen Gegenden lieferte. Auch Peter Vischer erhielt eine Berufung nach Heidelberg, wo er einige Zeit für den Kurfürsten von der Pfalz arbeitete; doch kehrte er bald wieder nach Nürnberg zurück.
Gleichwie Kraft ist auch er in seinen ersten Arbeiten noch in der Formensprache der Gotik befangen, die er vollkommen beherrscht. Das bauliche Beiwerk ist daher auch besonders reizvoll behandelt; die Gestalten sind den Ueberlieferungen der Gotik gemäß noch mehr demselben angepaßt, als selbständig, und zeigen die für die frühere Zeit bezeichnende Gedrungenheit der Verhältnisse. Auf scharfe Wirklichkeitstreue wird das Hauptgewicht gelegt, in der Durchbildung der Einzelheiten tritt jedoch auch in den Frühwerken schon die Richtung auf das Schöne zu Tage.
Sebaldusgrab. (Fig. 485.) Aus dem Banne der herkömmlichen Weise völlig befreit erscheint der Meister jedoch in seinem Hauptwerke, dem «Sebaldusgrabe» (1508-19),
unstreitig eine der höchsten Leistungen deutscher Kunst. Man kann es wohl auch als das «erste» Werk im Geiste der «Renaissance» bezeichnen, das auf deutschem Boden entstand. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, daß mit der einseitigen Nachbildung der Wirklichkeit gebrochen wird und an deren Stelle die künstlerische Auffassung der Natur und deren Wiedergabe nach einem geistig erschauten Urbilde tritt. Die Italiener waren dazu gelangt hauptsächlich durch das Studium der Antike, der deutsche Meister entbehrte dieser Anregung und fand den Weg zur Vervollkommnung aus Eigenem, indem er die Natur mit freierem Blicke betrachtete und
^[Abb.: Fig. 486. Vischer: Apostel Johannes (Sebaldusgrab).
^[Abb.: Fig. 487. Vischer: St. Petrus.
(Vom Sebaldusgrab.)] ¶
die Grundzüge der wahren Schönheit in derselben erkannte. Vischer griff nicht auf die Antike zurück, sondern entwickelte seine Kunstweise auf der Grundlage der unmittelbaren Vergangenheit, also aus dem Mittelalterlichen heraus, und bewahrt ihr vollkommen die deutsche volkliche Eigenart. Wie bei Kraft ist auch bei ihm die tiefe Empfindung, das Schaffen aus dem Gemüte heraus, bezeichnend; aus einer lebhaften Einbildungskraft fließt jene reiche Erfindungsgabe und Gestaltungsfähigkeit, welche im Verein mit einer ausgebildeten Kunstfertigkeit ihn in den Stand setzte, seinem Werke die Vorzüge großartigen Aufbaus und feiner Durchführung, geistvoller Auffassung und reiner Schönheit zu verleihen. In der Anordnung des Ganzen ist alles wohl abgewogen mit Rücksicht auf den Zweck, auf die Eigenart des Stoffes (Erz), auf den vollen Einklang aller Einzelheiten. Die schwungvollen Formen ergeben sich ganz ungezwungen aus dem Grundgedanken und den Stoffbedingungen; ihre unendliche Mannigfaltigkeit zeugt von einer unversieglichen Gedankenfülle, die Einheitlichkeit des Ganzen von der künstlerischen Kraft des Meisters. - Auf einem mit Flachbildwerken gezierten Unterbau ruht der Sarg, diesen inneren Teil umgeben acht schlanke Pfeiler, welche durch Spitzbogen verbunden sind und einen aus drei Kuppeln bestehenden Aufbau tragen.
Die Bauformen sind von edelstem Maß und reizvoller Durchbildung, dabei völlig zweckmäßig für ihre Bestimmung, bildnerischen Schmuck zu tragen, gestaltet. Die Flachbildwerke schildern die Wunderthaten des heiligen Sebaldus mit einer frischen Lebendigkeit und ausdrucksvollen Kraft, welche mit einfachen Mitteln den Vorgang sinnig und deutlich veranschaulicht. An der einen Schmalseite zwischen den Pfeilern steht die Figur des Heiligen, der mit großartiger Würde verklärt und erhaben dargestellt ist, das Gegenstück dazu bildet auf der anderen Seite die Gestalt des Meisters selbst, in völlig naturtreuer Wiedergabe, ein vollendetes Ebenbildnis (Fig. 488). Dieser Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Ideal, dem gewöhnlichen Menschen und dem Heiligen - ist ein ungemein feiner Zug. An den Pfeilern sind die Standbilder der Apostel (Fig. 486 u. 487) und oben jene der Propheten angebracht, jeder von besonderer, seine Eigenart bezeichnender Haltung, die ganze Stufenleiter von Gefühlen ist hier ausgedrückt.
Sie sind schlank gebildet, naturwahr im Körperlichen, von schönstem Adel in den Zügen und von schwungvollem Linienfluß in der Gewandung. Das sonstige überreiche Zierwerk ist verständnisvoll angeordnet und steigert die einheitliche Schönheit des Ganzen. Vischer verwendet hierbei sinnbildliche und sagenhafte Gestalten (Herkules, Perseus, die Tugenden u. s. w.), Gruppen von spielenden Kindern, Frauen und Satyrn, Delphine, Krabben; Natürliches und Erfundenes in bunter Mannigfaltigkeit.
Diese vollendete bildnerische Kunstweise zeigen nun auch die späteren Werke des Meisters in Nürnberg, Erfurt, Regensburg u. a. O. Eines der schönsten, ein ursprünglich für die Fuggersche Begräbniskapelle bestimmtes, dann im Nürnberger Rathause aufgestelltes Gitter ist leider verloren gegangen, und wir kennen es nur aus Zeichnungen. Es enthielt
^[Abb.: Fig. 489. Vischer: König Arthur.
Innsbruck. Hofkirche.] ¶