erscheint, und der unbefangenen Genußfreude des Kindes giebt den Grundton ab für die Stimmung ergreifender Schicksalsschwere.
In den Werken der letzten Zeit, wie dem sterbenden Adonis und der Pietá im Dom zu Florenz, zeigt sich das Bestreben nach Wirklichkeitstreue, welche auf jegliche Verschönerung verzichtet. Eine über das gewöhnliche Maß hinausragende Großartigkeit der Auffassung ist aber auch diesen Werken eigen. Die Unrast, welche in Michelangelos Wesen lag, ließ ihn selten dazu gelangen, seine künstlerischen Gedanken völlig und klar auszuführen. Man merkt die Ungeduld, mit welcher er den Stein bearbeitete, um das, was seine Seele erfüllte, in Erscheinung zu bringen; war die Hauptsache erreicht, der Grundgedanke ersichtlich, dann verlor er die Lust, die feinen Einzelheiten herauszuarbeiten, weil bereits neue Pläne seinen rastlos thätigen Geist beschäftigten. Er konnte eben nur großzügig schaffen und hätte wohl Schüler und Mitarbeiter bedurft, welche in verständnisvollem Eingehen auf seine Absichten das Untergeordnete ausgeführt hatten, wie z. B. Raphael solche fand.
Nachfolger Michelangelos. Seine Gehilfen und Schüler standen jedoch zu tief unter ihm, so sehr sie auch sich bemühten, ihm nachzueifern. Michelangelos Kunst beruht ganz auf dem Eigenpersönlichen, das bei ihm gewaltig und übergroß war, und für welches er seine ureigene Formensprache fand. Diese konnten die Nachfolger wohl ablernen, aber sie hatten aus Eigenem nichts «Großes» zu sagen. So deckten sich die großen Formen nicht mehr mit dem gedanklichen Inhalt und an diesem Widerspruch krankten auch die Werke der Begabteren, welche vielleicht Erfreuliches geschaffen hätten, wenn sie eine ihrem künstlerischen Wesen entsprechende, eigene wenn auch bescheidenere Formgebung gewählt hätten. Unter diesen begabteren Nachfolgern sind hauptsächlich zwei zu nennen. Pierino da Vinci, dessen Arbeiten von hoher Anmut sind, der aber in jungen Jahren starb, und Baccio Bandinelli, der in seiner Eitelkeit als Nebenbuhler Michelangelos auftrat und sein unleugbares Talent dabei vergeudete. Er wollte dem Meister gleichkommen, ja ihn übertreffen und wurde nur ein Nachäffer. Wie groß der Abstand ist, ersieht man aus der Gruppe des Hercules und Cacus, die ein Seitenstück zum David sein sollte; und welches Urteil die Zeitgenossen fällten, ergiebt sich daraus, daß die herzogliche Polizei einige der Spötter über dieses Werk ins Gefängnis setzen mußte.
d. Deutschland.
Nordische Renaissance-Baukunst. Gleichwie die Gotik, als eine nordische Bauweise, in Italien nicht zum Durchbruche und siegreichen Herrschaft gelangen konnte und «volksfremd» geblieben war, so erging es nun ähnlich der Renaissance-Bauweise in Deutschland, auch in Frankreich und im übrigen Norden, kurz überall dort, wo seinerzeit der «germanische Geist» maßgebend gewesen war.
Zwei Gründe kommen für diesen verschiedenen Entwickelungsgang hauptsächlich in Betracht. Der «romanische Stil» war im wesentlichen dem Norden wie dem Süden gemeinsam und hatte nur in den verschiedenen Gruppen eine besondere Ausbildung gefunden. In Frankreich und Deutschland war dann die dem Volksgeiste entsprechende gotische Bauweise entwickelt worden, während man in Italien noch an dem romanischen Stil festhielt, dessen «antike Grundzüge» hier gewissermaßen im Volkstum wurzelten, das für den «Geist» der Gotik nicht empfänglich war. Es war daher nur völlig natürlich, daß sich in Italien der Fortschritt auf der Grundlage der Antike vollzog und somit an den romantischen ^[richtig: romanischen] Stil sich jener der Renaissance anschloß. Im Norden bestand nun kein «inneres» Bedürfnis nach einer solchen Rückkehr zu dem antiken Wesen, da ja der Fortschritt zu einer neuen Richtung bereits erfolgt war.
Ein mehr äußerlicher Grund trat dann noch hinzu. Allerorts hatte man Kirchen im gotischen Stile zu bauen begonnen, und die meisten waren um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch nicht vollendet. Zu bedeutenderen Neuanlagen bestand kein dringlicher Anlaß, dagegen mußte man das Angefangene vollenden. Es fehlte somit geradezu die Gelegenheit, eine neue Bauweise einzuführen, soweit es sich um großartige Kirchen handelte. Sie konnte vorerst nur bei weltlichen Bauten in Betracht kommen; doch auch an solchen war zur gegebenen Zeit in Deutschland das Bedürfnis geringer, da es zu Ende des 15. Jahrhunderts nicht so viel prunkliebende Fürsten gab, wie in Italien, und die Städte mit öffentlichen Gebäuden bereits versorgt waren. Im übrigen hielt namentlich die Bürgerschaft auch an dem Herkömmlichen, d. h. der Gotik, fest und war für grundstürzende Neuerungen nicht leicht zu gewinnen.
Eigenart der deutschen Renaissance. Daraus ergab sich nun, daß im Norden die Bauweise der Früh- und Hoch-Renaissance in der reinen Form, wie sie in Italien aufgekommen war, nur in vereinzelten Fällen zur Anwendung gelangte und erst die Richtung der Barock-Zeit allgemeinere Aufnahme fand. Wenn man daher von einer deutschen - oder nordisch-germanischen - Re-
^[Abb.: Fig. 470. Kilianskirche zu Heilbronn.]