menschen", die loszubrechen droht. - Von den übrigen Figuren wurden nur zwei Sklaven fertig, die sich jetzt im Louvre befinden, von welchen insbesondere der Eine (der Sterbende) hinsichtlich der edlen Körperformen und des Ausdruckes seelischen und körperlichen Schmerzes wohl unübertroffen dasteht (Fig. 467).
Zwar nicht ganz vollendet, aber doch als Ganzes abgeschlossen erscheinen die Grabmäler der Medici, für welche Michelangelo auch den Raum selbst schuf, so daß hier Bau und Bildnerei einheitlich zusammenstimmen. Die Anordnung beider Denkmäler ist die gleiche; jedes enthält drei Gestalten; oben in einer Nische das Bildnis des Verstorbenen, darunter, auf einem Sarge ruhend, ein Mann und ein Weib, welche bei dem einen Grabmal mit «Tag und Nacht», bei dem anderen als «Morgenröte und Abend» bezeichnet werden. Die Gestalten der Herzoge sind keine Ebenbildnisse, sondern dichterisch erfundene Verkörperungen der geistigen Eigenart der Dargestellten. Lorenzo ist gewissermaßen das Urbild eines «Denkers», Giuliano jenes des thatkräftigen Feldherrn. Vollendet sind nur die beiden weiblichen Figuren. Morgenröthe und Abend sind in zwangloser Haltung dargestellt und der Linienfluß ist hier von wundervoller Schönheit. Bei der Nacht ist die Stellung zwar gekünstelt und unnatürlich, aber der Ausdruck von Trauer ist so ergreifend, daß man darüber alle Mängel vergißt. Wer die «Nacht» je gesehen, wird zeitlebens den Eindruck nicht vergessen (Fig. 468 u. 469).
In der Kapelle befindet sich eine sitzende Madonna, zwar unvollendet, aber dennoch von packender Wirkung. Die Haltung und die Bewegungen mögen gesucht und gewaltsam erscheinen, dies ist aber bedingt durch den Aufbau der Gruppe, welcher durch den Zusammenklang der Linien von mustergültiger Schönheit ist. Der Gegensatz zwischen dem träumerischen Ernst Marias, welche von der Ahnung des kommenden großen Leides erfüllt
^[Abb.: Fig. 469. Michelangelo: Die Nacht.
Florenz. Mediceer-Kapelle. S. Lorenzo.]
erscheint, und der unbefangenen Genußfreude des Kindes giebt den Grundton ab für die Stimmung ergreifender Schicksalsschwere.
In den Werken der letzten Zeit, wie dem sterbenden Adonis und der Pietá im Dom zu Florenz, zeigt sich das Bestreben nach Wirklichkeitstreue, welche auf jegliche Verschönerung verzichtet. Eine über das gewöhnliche Maß hinausragende Großartigkeit der Auffassung ist aber auch diesen Werken eigen. Die Unrast, welche in Michelangelos Wesen lag, ließ ihn selten dazu gelangen, seine künstlerischen Gedanken völlig und klar auszuführen. Man merkt die Ungeduld, mit welcher er den Stein bearbeitete, um das, was seine Seele erfüllte, in Erscheinung zu bringen; war die Hauptsache erreicht, der Grundgedanke ersichtlich, dann verlor er die Lust, die feinen Einzelheiten herauszuarbeiten, weil bereits neue Pläne seinen rastlos thätigen Geist beschäftigten. Er konnte eben nur großzügig schaffen und hätte wohl Schüler und Mitarbeiter bedurft, welche in verständnisvollem Eingehen auf seine Absichten das Untergeordnete ausgeführt hatten, wie z. B. Raphael solche fand.
Nachfolger Michelangelos. Seine Gehilfen und Schüler standen jedoch zu tief unter ihm, so sehr sie auch sich bemühten, ihm nachzueifern. Michelangelos Kunst beruht ganz auf dem Eigenpersönlichen, das bei ihm gewaltig und übergroß war, und für welches er seine ureigene Formensprache fand. Diese konnten die Nachfolger wohl ablernen, aber sie hatten aus Eigenem nichts «Großes» zu sagen. So deckten sich die großen Formen nicht mehr mit dem gedanklichen Inhalt und an diesem Widerspruch krankten auch die Werke der Begabteren, welche vielleicht Erfreuliches geschaffen hätten, wenn sie eine ihrem künstlerischen Wesen entsprechende, eigene wenn auch bescheidenere Formgebung gewählt hätten. Unter diesen begabteren Nachfolgern sind hauptsächlich zwei zu nennen. Pierino da Vinci, dessen Arbeiten von hoher Anmut sind, der aber in jungen Jahren starb, und Baccio Bandinelli, der in seiner Eitelkeit als Nebenbuhler Michelangelos auftrat und sein unleugbares Talent dabei vergeudete. Er wollte dem Meister gleichkommen, ja ihn übertreffen und wurde nur ein Nachäffer. Wie groß der Abstand ist, ersieht man aus der Gruppe des Hercules und Cacus, die ein Seitenstück zum David sein sollte; und welches Urteil die Zeitgenossen fällten, ergiebt sich daraus, daß die herzogliche Polizei einige der Spötter über dieses Werk ins Gefängnis setzen mußte.