1484) und Matteo Civitale, welche mehr dem Donatello zuneigen, während Bernardo (1409 bis 1464) und Antonio Rosselino (1427-1478) und Benedetto da Majano (1442 bis 1497) etwas stärker von Luca della Robbia abhängig sind. Es sind durchwegs tüchtige Künstler, und besonders ist Desiderio auch für die Weiterbildung der Florentiner Bildnerei von großer Bedeutung, doch eine so ausgesprochene persönliche Eigenart, wie Verrocchio, besitzt keiner von ihnen, so daß ein näheres Eingehen nicht notwendig ist. Ich begnüge mich daher mit der Nennung einiger Hauptwerke.
Diese sind meist reich geschmückte Grabdenkmale und Zierwerke für Bauten, wie das Grabmal Marsuppini in S. Croce zu Florenz von Desiderio (Fig. 453). Von diesem stammt auch eine fein empfundene Mädchenbüste im Berliner Museum. - Von Bernardo Rossellino ist das Grabmal des Lionardo Bruni, ebenfalls in S. Croce; von Antonio, dem Bruder Bernardos, das Grab Johannes von Portugal in S. Miniato und das Standbild des heiligen Sebastians in Empoli zu nennen. Von Benedetto da Majano wären die Kanzel von S. Croce mit kleinen Standbildern und Flachbildern, dann das in Aufbau und Feinheit der Ausführung vollendet schöne Ciborium in Siena (Fig. 454), das Marmorgrab Strozzis in S. Maria Novella zu Florenz und die bemalte Thonbüste Philippo Strozzis (Berliner Museum) hervorzuheben. In Terracotta-Arbeiten zeigt sich Benedetto den Robbias ebenbürtig; ja in sorgfältiger Bildung der Einzelheiten vielleicht sogar überlegen.
Verbreitung der florentinischen Kunst. Es war die Bestimmung der toskanischen Hauptstadt Florenz, in der ganzen Zeit der Frührenaissance die Führerin zu sein. Ihrem Einfluß entzog sich keine Landschaft Italiens gänzlich und selbst deutsche Künstler erhielten - durch Vermittlung oberitalienischer Genossen - von ihr Anregung.
In Padua war es Donatello selbst, welcher während seines zehnjährigen Aufenthaltes daselbst der Bildnerei den Weg in die neue Zeit wies. Unter seinen dortigen Schülern sind Giovanni da Pisano und Andrea Riccio zu nennen. - Bologna wurde zunächst mittelbar durch den Sienesen Jacopo della Quercia (1371-1438) beeinflußt, welcher
^[Abb.: Fig. 460. Sansovino (Contucci): Die hl. Jungfrau und die hl. Anna.
Rom. S. Agostim.]
als Zeitgenosse Ghibertis zu jenen gehörte, welche den Uebergang zu der neuen Richtung anbahnten. (Er war auch Mitbewerber um die Erzthüren.)
Lucca besaß in Matteo Civitale (1435-1501) einen Meister, dessen Arbeiten sich durch ungemeine Lieblichkeit und Innigkeit des Ausdrucks auszeichnen. In Modena findet sich wieder ein Künstler, welcher den allgemeinen Durchschnitt des künstlerischen Wollens und Könnens etwas überragt: Guido Mazzoni. Sein Hauptwerk, eine Thongruppe der Beweinung Christi, zeigt seine Fähigkeit für naturwahren Ausdruck, doch fehlt der innere Zusammenhang, es spiegelt kein wirkliches Leben sich wieder und die Gruppe wirkt deshalb wie das geschickt gestellte Schlußbild eines Schauspiels (Fig. 455).
In der Lombardei gab die Certosa von Pavia seit 1473 einem Kreise von fremden Künstlern Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Kräfte, von welchen dann auch die heimischen Künstler der Umgebung Schulung und Anregung empfingen. Die Hauptthätigkeit bestand in Schmuckwerk, namentlich in Flachbildnerei, dessen ja dieser Bau in Menge bedurfte. Ein unmittelbarer Einfluß von Florenz aus fand nicht statt, sondern mehr eine Mischung der durch viele Vermittler hierher gelangten Formen mit deutschen Zügen, wie es in einer Grenzlandschaft leicht möglich war.
Den meisten Eindruck macht das Hauptportal, das auch schon in baulicher Hinsicht bemerkenswert ist. Die Kreuzgänge der beiden Klosterhöfe sind mit reichem Bildwerk aus gebranntem Thon ausgestattet. Da an der Ausschmückung der Certosa vom 15. bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts gearbeitet wurde, läßt sich hier die Entwicklung der lombardischen Bildnerei am besten verfolgen (Fig. 456).
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Die Bildnerei im 16. Jahrhundert. In dem eifrigen Bemühen, die Natur genau zu erfassen und sie «wahr» wiederzugeben, hatte die Bildnerei auch die Fähigkeit erworben, über die Natur hinauszugehen und «frei» zu schaffen. Sie gelangt dabei auch zur vollen Unabhängigkeit, sowohl von der Baukunst wie von den malerischen Einflüssen, und findet ihren ureigenen «Stil», oder deutlicher gesagt: die eigenen Gesetze der Kunstweise, wie sie der Stoff, aus dem die Werke bestehen, und die besonderen Verhältnisse - greifbare Körperlichkeit im freien Raume - sie bedingen.
Aus der früheren Zeit übernahm man deren größten Vorzug: die Gedankentiefe, und fügte nur die Vollendung der Form hinzu. Die infolge der planmäßigen Ausgrabungen jetzt zahlreich zu Tage getretenen Werke der Antike förderten diese Ausbildung in der Formgebung; der ganze Zug der Zeit wies auf das Große und Erhabene hin. So entwickelte sich eine «ideale» Richtung, welche in den ersten Jahrzehnten des Cinquecento herrliche Schöpfungen erzeugte, bei denen der gedankliche Gehalt nicht mehr blos in den der Natur abgelauschten, sondern in nach einem gedanklichen Urbild veredelten Formen großartigen Ausdruck erhielt. Dieses Hinausgehen über die gewöhnliche Natur giebt sich auch kund in der äußerlichen Größe der Werke, man liebt es, in überlebensgroßen Formen zu schaffen.
Diese Blütezeit währte freilich nicht lange. Die Beschäftigung mit der Antike verleitete zur bloßen äußerlichen Nachahmung, die errungene Beherrschung der Formensprache zu Künsteleien, das Streben nach einem Schönheitsurbild zur Ueberfeinerung und Betonung des Sinnereizenden. Indem man glaubte, der Naturbeobachtung ganz entbehren zu können, verlor man wieder den festen Boden, auf dem sich der reine und edle Idealismus ent-
^[Abb.: Fig. 461. Cellini: Perseus.
Florenz. Loggia dei Lanzi.]
wickelt hatte. Der «Wirkung» zuliebe wird die innere Wahrheit geopfert, und zuletzt kommt wieder der «malerische Zug" allenthalben zur Geltung, welcher übrigens in den Flachbildern auch der besten Zeit sich forterhalten hatte.
Dies ist in großen Zügen der Gang der Entwicklung, den die Bildnerei nimmt, seit die Schule Donatellos ihren beherrschenden Einfluß verloren hatte.
Auf denselben wirkte bestimmend der Geist eines vielseitigen Meisters ein, der auf allen Gebieten bahnbrechend auftrat, obwohl die Zahl seiner eigenen Werke gering ist. Dies war Lionardo da Vinci. Seine großartige Schöpfung, das Modell des Reiterstandbildes des Franz Sforza ist freilich zerstört worden, und wir kennen es nur aus Zeichnungen; auch sonst ist kein Bildnereiwerk erhalten geblieben, dennoch ist sein Einfluß auf die Künstler zu Beginn des 16. Jahrhunderts unverkennbar.
Florentinische Meister. Zu diesen zählen auch die zwei hervorragendsten Künstler der Uebergangszeit in Florenz, das noch immer die Hauptpflegestätte der Bildnerei blieb: der Mitschüler Lionardos: Giovanni Francesco Rustici (1474-1554) und Andrea Contucci genannt Sansovino (1460-1529). Neben diesen sind noch Andrea Ferucci (1465-1526), Benedetto da Roverrano (1476-1556) und Baccio da Montelupo (1469-1533) als tüchtige, doch für die Kunstentwicklung weniger bedeutsame Meister zu nennen.
Rustici zeigt in seinen Formen noch die meiste Abhängigkeit von der Art des 15. Jahrhunderts, so daß seine Bronzegruppe, der predigende Johannes zwischen zwei Zuhörern (Pharisäer und Levit), noch ebenso gut zu den Ausläufern der alten florentiner Schule, wie durch die Versuche, den Gestalten mehr inneres Leben zu geben, zu der neuen Richtung gerechnet werden kann. Die Gewandbehandlung ist sehr malerisch, der Ausdruck der Köpfe nähert sich schon dem Großartigen (Fig. 457).
Sansovino. Viel tiefer hatte sich Contucci Sansovino in die neue Ausdrucks- und Empfindungsweise hineingelebt, so daß seine Bronzegruppe: die Taufe Christi durch Johannes schon vollkommen der Hochrenaissance angehört (Fig. 458). Der Unterschied zwischen dem Kunstempfinden der Früh- und Hochrenaissance ist an diesem Werk sehr leicht zu verstehen, wenn man es mit jenem Gemälde Verrocchios vergleicht, das denselben Vorgang darstellt. Die Aehnlichkeit ist wohl keine zufällige, sondern beruht auf bewußter Nachbildung mit der Absicht, den Vorwurf großartiger und freier zu behandeln.
Verrocchio sucht ein möglichst getreues Bild des Vorganges zu geben, Sansovino ein möglichst schönes. Dadurch bekommt das Werk Sansovinos etwas Weihevolles und Erhabenes, es giebt nicht nur einfach die Handlung wieder, sondern sucht auch die Stimmung, die seelische Erregung auszudrücken. Die Neigung zum Idealisieren, die Betonung des «Schönen» giebt sich hier in der Haltung der Gestalten, der Gewandbehandlung, vor allem aber in der Durchbildung des nackten Körpers kund.
Auf Sansovino wirken hier die guten Vorbilder der Frührenaissance noch stärker ein, als jene der Antike; diese lernte er erst genauer kennen, als er 1505 nach Rom kam. Die Grabmäler der Basso della Rovere und Ascanio Sforza (Fig. 459) in S Maria del Popolo, die während seines römischen Aufenthaltes entstanden, lassen
^[Abb.: Fig. 462. Sansovino (Tatti): Bacchus.
Florenz. Nationalmuseum.]
den antiken Einfluß deutlich erkennen, doch hielt Sansovino immerhin Maß in der Anlehnung. Beachtenswert ist hier die Haltung der Standbilder der Tugenden: die eine Schulter ist gehoben und vorwärts gerichtet, während die andere Körperseite zurücktritt. Dieser Zug des «Gegensatzes», welcher schon in der Antike ein maßgebender war, wird jetzt wieder aufgenommen und bald auch zu einer Kunstregel.
Eines der großartigsten Werke der ganzen Zeit ist die Madonnengruppe in San Agostino, in welcher die Anmut vollendet zum Ausdruck kommt (Fig. 460). Den Rest seines Lebens widmete er der Casa santa in Loreto, deren reiche bildnerische Ausschmückung teils von ihm selbst, teils von seinen Schülern nach seinen Entwürfen ausgeführt wurde.
Nachfolger Sansovinos. Die anderen Florentiner Künstler arbeiteten hauptsächlich in Zierwerk; ihre Standbilder sind von geringerer Bedeutung. Auf die späteren wirken auch schon römische Einflüsse Michelangelos ein.
Von den jüngeren Meistern, welche sich mehr Sansovino anschließen, nenne ich Nicolo Pericolo Tribolo (1485-1550), der in Bologna die Seitenthore von San Petronio mit anziehenden, noch die zarte Schönheit Sansovinos atmenden Bildwerken schmückte, und Benvenuto Cellini (1500-1572), dessen unübertrefflich feine Arbeiten der Goldschmiedekunst - so das berühmte Salzfaß in Wien - seinen dauernden Ruf begründeten, während seine größeren Werke, wie der Perseus in Florenz (Fig. 461), noch von einiger Befangenheit zeugen.
Oberitalien und Venedig. In Oberitalien ist der Einfluß der florentinischen Kunstrichtung auch während der Hochrenaissance noch ziemlich bedeutend. Die meisten Künstler verbrachten ihre Lehrjahre in Florenz und nahmen die dortige Weise nach ihren späteren Wirkungsstätten mit. Von größerer Bedeutung war jedoch nur die Bildnerei Venedigs, in den übrigen Städten erhob sie sich nicht über ein gutes Mittelmaß.
In Venedig gelangte ein Schüler Andrea Sansovinos, Jacopo Tatti, der nach seinem Meister ebenfalls Sansovino sich nannte, zu größerer Bedeutung. Aus seiner florentinischen Zeit ist als schönstes Werk der Bacchus (im Museo Nazionale) (Fig. 462) zu nennen, der eine beliebte Darstellung der Antike, doch ohne Anlehnung an diese, wiederholt.
Bald darauf ging Sansovino nach Rom und gelangte 1527 nach Venedig, wohin er gerade recht kam, um die Bildnerei, die in Verfall zu geraten drohte, neu zu beleben.
^[Abb.: Fig. 463. Lombardo: Grabmal des Dogen Mocenigo.
Venedig. S. Giovanni e Paolo.]
Die Bildnerei Venedigs hatte sich im 15. Jahrhundert allmählich aus den Fesseln der Gotik zu lösen begonnen, und in vielen Werken, die sich zwar äußerlich an die üblichen gotischen Bauformen anschlossen, jedoch schon im Geiste der Frührenaissance erdacht waren, den Boden für die neue Kunst vorbereitet.
Der bedeutendste Künstler dieser Zeit ist Bartolomeo Bon (Buono), der 1483 den Schmuck der Porta della Casa des Dogenpalastes schuf und in diesem, wie in anderen Werken - meist Grabmälern - die Ueberleitung zur Renaissance vollzog. Der erste, welcher auf die gotischen Formen durchaus keine Rücksicht mehr nahm, war Antonio Rizzo. Sein bestes Werk ist das Standbild Adams am Dogenpalast, während die Eva ziemlich unbeholfen und unfrei gebildet ist; bemerkenswert sind diese Figuren als zwei der wenigen nackten Gestalten der Frührenaissance. Auch das erste Renaissance-Grabmal, das des Dogen Tron, wird ihm zugeschrieben.
Mit Rizzo gleichzeitig thätig war der Begründer der Künstlerfamilie Lombardi: Pietro Lombardo, dessen Bedeutung jedoch auf dem Felde der Baukunst liegt. Die venezianische Prachtliebe stellte der Bildnerei hauptsächlich die Aufgabe, den Schmuck für die zahlreichen Dogen- und Patriziergräber, für Altäre und Kanzeln, überhaupt für Bauten zu liefern.
Die Hauptwerke der Lombardi sind deshalb auch Grabmäler, bei welchen die Verbindung von Bauformen mit rein bildnerischen in meisterhafter Weise durchgeführt wurde, wie dies besonders schön das Grabmal des Dogen Mocenigo in S. Giovanni e Paolo zeigt (Fig. 463).
Die Söhne Lombardos, Tullio und Antonio, suchten durch eindringliches Studium der Antike die venezianische Bildnerei in neue Bahnen zu leiten und fanden darin in Alessandro Leopardi - dem Vollender des Colleoni-Denkmals - Unterstützung. Auch ihre gemeinsame Thätigkeit bestand zumeist in der Ausführung von Grabmälern, deren schönstes das Grabmal des Dogen Andrea Vendramin in S. Giovanni e Paolo ist (Fig. 464). Von Leopardi stammen auch die schönen Flaggenständer auf dem Markusplatz.
Im Wesentlichen war also die venezianische Bildnerei Zierkunst, und so ist es erklärlich, daß auch Jacopo Sansovino weniger mit selbständigen Bildwerken hervortrat und sich mehr darauf beschränkte, seine Bauten mit reichem bildnerischen Schmuck zu zieren. Das reizendste Werk dieser Art sind vielleicht die Flachbilder und Einzelfiguren der Loggetta, die besten größeren Werke die Standbilder des Mars und Neptun an der Riesentreppe im Hof des Dogenpalastes.
Die einflußreiche Stellung, welche Sansovino - vor allem als Baumeister - einnahm, führte zu einer ansehnlichen Gefolgschaft, doch sind nur zwei: Girolamo Campagna und Alessandro Vittoria von größerer Bedeutung.
^[Abb.: Fig. 464. Leopardi: Grabmal des Dogen Vendramin.
Venedig. S. Giovanni e Paolo.]
^[Abb.: Moses, von Michelangelo.
Vom Grabmal Julius II. in S. Pietro in Vincoli, Rom.]
^[leere Seite]
Von Campagna stammen eine große Altargruppe in S. Giorgio Maggiore her, sowie zahlreiche Bronzebilder der Madonna und der Heiligen in verschiedenen Kirchen Venedigs. Die Uebertreibung in den Bewegungen und die unruhige Gewandbehandlung treten noch stärker bei Vittoria hervor, dessen bestes Werk das eigene Grabmal in S. Zaccaria ist. Neben diesen größeren Arbeiten haben die Genannten auch treffliche Bildnisse geliefert, von denen die besten in das Berliner Museum gelangten.
Michelangelo. Die gesamten Errungenschaften der Zeit: Erfassen der Natur und Erkenntnis der Antike, den hohen Gedankenflug und die volle Herrschaft über die Form, den Kunstgeist und die Kunstfertigkeit finden wir nun vereinigt in den Werken Michelangelos, der in vollster Ursprünglichkeit und Unabhängigkeit, weder Regeln noch Ueberlieferungen beachtend, seinen eigenen Weg ging, der ihn zur einsamen Höhe führte.
Alle Gebiete der Kunst beherrschend, betrachtete er selbst doch die Bildnerei als sein ureigenes Feld, auf dem er seine besten Kräfte ausleben lassen wollte.
Für seine künstlerische Thätigkeit kommen zwei Städte in Betracht: Florenz und Rom, und die verschiedenen Aufenthaltszeiten daselbst sind auch für seinen Entwicklungsgang bezeichnend.
^[Abb.: Fig. 465. Michelangelo: Pietá.
Rom. S. Peter.]
In Florenz verlebte er einen großen Teil seiner Kindheit und empfing dort auch seine künstlerische Bildung, als er 1488 in die Werkstatt des Malers Domeniko Ghirlandajo eintrat. Gleichzeitig begann seine Ausbildung in der Bildnerei durch einen alten Schüler und Gehilfen Donatellos, den Bildhauer Bertoldo, der die Aufsicht über die Antikensammlung im Garten der Medici hatte. So fand er frühzeitig Gelegenheit, neben den Lehren der florentinischen Schule auch jene der Antike in sich aufzunehmen, und diese Doppeleinwirkung macht sich in seinen ersten erhaltenen Arbeiten erkennbar. Die erste florentiner Zeit wurde nur durch einen kurzen Aufenthalt in Bologna unterbrochen und währte bis 1496. In letzterem Jahre kam er nach Rom und schuf hier sein erstes Hauptwerk, die trauernde Maria den toten Christus haltend - die sogenannte «Pietá» (Fig. 465) - und daneben ein der Antike sich anschließendes Werk: den trunkenen Bacchus. Um 1500 erfolgte die erste Rückkehr nach Florenz, wo nun das zweite Hauptwerk, der David, entstand, das den Abschluß seiner Jugendwerke bildet (Seite 467). 1505 folgte Michelangelo dem Wunsche Julius II., der ihn nach Rom zurückberief und ihm den Auftrag zu dem gewaltigsten Werke seines Lebens, dem Grabmal des Papstes, gab. Damit begann die stürmischste Zeit in Michelangelos Leben, zugleich auch die fruchtbarste. Mit dem Papste geriet er ein Jahr nach Beginn der Arbeiten am Grabmale in Streit, der seine Ursache in dem Auftrag hatte, die Decke der Sixtinischen Kapelle mit Gemälden zu schmücken. Michelangelo weigerte sich, die Arbeit zu übernehmen und entfloh nach Bologna.
Nach erfolgter Aussöhnung errichtete er in Bologna ein bald darauf zerstörtes Bronze-Standbild des Papstes und kehrte 1508 nach Rom zurück, wo er nun die Malereien in der Sixtinischen Kapelle begann, die ihn bis zum Jahre 1512 fast ausschließlich beschäftigten. Die Arbeiten am Juliusgrabe stockten während dieser Zeit vollkommen und wurden auch in den folgenden Jahren nicht erheblich gefördert, bis sie durch den Auftrag, einen Entwurf für die Ausschmückung von S. Lorenzo in Florenz zu machen und die Leitung der Ausführung zu übernehmen, ganz unterbrochen wurden. Dieser erneute Florentiner Aufenthalt begann 1515 und währte bis etwa 1527. Florenz verdankt dieser Zeit das zweite Riesenwerk: die Grabmäler der Mediceer. Die Arbeiten daran begannen etwa 1521, wurden aber bald durch den Kampf der Florentiner gegen die Medici unter-
^[Abb.: Fig. 466. Michelangelo: Madonna (an der Treppe).
Florenz. Galerie Buonarotti.]
^[Abb.: Michelangelo: David.
Florenz.]
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krochen, bei dem sich Michelangelo auf die Seite der Florentiner, also gegen seine Auftraggeber stellte und die Leitung der Befestigungen der Stadt übernahm. Im Jahre 1524 wieder aufgenommen, blieb das Werk schließlich 1527 ganz liegen, nachdem zwei Grabmäler fertig waren, die später ohne Michelangelos Zuthun in der von ihm erbauten Mediceischen Grabkapelle aufgestellt wurden. Nach seiner endlichen Rückkehr nach Rom begann die Weiterarbeit am Juliusgrabe, nach neuen, schon wesentlich eingeschränkten Entwürfen, das endlich im Jahre 1545 in ganz verringerter Gestalt beendet und in S. Pietro in Vincoli aufgestellt wurde. Inzwischen war noch das größte Wandbild Michelangelos, das jüngste Gericht, an der Altarwand der Sixtinischen Kapelle entstanden (1543). Dann begann die Thätigkeit als Baumeister an der Peterskirche und anderen römischen Bauten, die ihn bis an sein Lebensende hauptsächlich beschäftigten.
Aus seiner Jugendzeit sind nur Werke der Bildnerei erhalten und zwar zweierlei Art, die das Ringen nach selbständiger Ausdrucksweise erkennen lassen und zum Teil eine solche auch schon erweisen. Die eine Art sucht antike Gedanken wiederzugeben, wie ein hocherhabenes Flachbild, einen Kentaurenkampf darstellend, und der in Rom 1499 entstandene trunkene Bacchus. Auch gehört dazu, zwar nicht dem Stoff, aber der Auffassung nach, ein jugendlicher Johannes im Berliner Museum, bei welchem die Urheberschaft Michelangelos jedoch nicht ganz sicher ist.
Die andere Reihe wird durch biblische Stoffe vertreten, und hier folgt er mehr Florentiner Anschauungen, obwohl er darin noch viel selbständiger erscheint. - Als erstes Werk dieser Art ist die «Madonna an der Treppe» (Fig. 466) zu nennen, die eine Weiterbildung in der etwas späteren «Madonna mit dem Buche» erfuhr.
Das Hauptwerk ist jedoch die bereits vorerwähnte Pietá in S. Peter in Rom. Diese drei Werke sind für Michelangelos Madonnenauffassung bezeichnend. Aus der keuschen Jungfrau, der strahlenden Himmelskönigin, der Florentiner Patrizierin und dem schlichten Weibe Donatellos ist bei ihm die Mutter Gottes in wahrstem Sinne, das über das Menschliche hinaus erhobene, begnadete Weib geworden. Auf den beiden Flachbildern blickt sie mit dem Ausdruck einer Seherin geradeaus, der Ernst des streng geschnittenen Gesichts wird durch keinen freundlichen Zug gemildert.
Das Streben nach möglichst geschlossenem Aufbau, nach gedrängtem Ausdruck spricht sich in der Zusammenhaltung der Linien aus, welche bei dem zweiten Flachbilde noch durch das engumgrenzende Rund verstärkt wird. Die Darstellung des Kindes hat sich ebenfalls geändert; während es bei der «Madonna an der Treppe» noch auf den Armen ruht, wird es jetzt älter dargestellt, so daß es nicht mehr getragen werden kann, sondern neben der Mutter steht oder sich dicht an sie schmiegt, wie in der Madonna zu Brügge. Die Mutter hält den Sohn erst wieder, als er, tot vom Kreuze genommen, in ihrem Schoße ruht: das ist der Inhalt der Pietá. So hatte noch kein Künstler vor ihm diesen Vorgang aufgefaßt und darzustellen verstanden. Der tiefste Schmerz konnte nicht ergreifender verdeutlicht werden, als es hier
^[Abb.: Fig. 467. Michelangelo: Sklave.
Paris. Louvre.]
geschieht, und doch ist alles so maßvoll, ohne jede äußerliche heftige Bewegung. - Zeitlich gehören die schon besprochene «Madonna mit dem Buche», wie jene zu Brügge hinter das folgende Werk, mit dem die Reihe der Jugendwerke abschließt: dem «David». Dieser vertritt jedoch eine ganz andere Seite Michelangelos: das Ringen mit der Form, um in dem Ganzen des Körpers das Seelische, die innere Bewegung des Geistes und Gemütes zum Ausdruck zu bringen.
Der Körper des David zeigt die Ungelenkheit, die der männlichen Jugend anhaftet. Die Hände und Füße sind groß, wie sie schon Verrocchio in seinem David bildete. Es ist der Augenblick vor dem Wurf gewählt, in dem David, den Angriff des Riesen erwartend, in ruhigem, selbstbewußtem Kraftgefühl die Schleuder in Bereitschaft hält. Im Gesicht prägt sich ruhige, abwägende Entschlossenheit aus. Vom Standpunkte der Handfertigkeit aus ist der David insofern ein Kunststück, als er aus einem, zum Teil schon von einem anderen Künstler und für eine andere Arbeit behauenen Marmorblock gemeißelt wurde.
Den letzten Schritt zur Vollendung machte Michelangelo in den Bildwerken für das Juliusgrab, die etwa 1512 in Rom in Angriff genommen wurden. Nach dem ursprünglichen Plane wollte Michelangelo ein Werk schaffen, welches an Gewaltigkeit ebenso alle Bildnerei übertreffen sollte, wie die Peterskirche alle Bauten. Das Grabmal war als freistehender Bau mit mehreren Geschossen gedacht. Am unteren Teil sollten gefesselte Gestalten - die «Sklaven» - die eroberten Provinzen verkörpern, den Oberbau neben dem knienden, von zwei Engeln gehaltenen Papste sinnbildliche und biblische Gestalten und die Madonna schmücken. Im ganzen waren über 40 Standbilder, abgesehen von den Flachbildern, in Aussicht genommen. - Von all dem Geplanten wurde nur ein Bruchteil fertig, von dem auch nur das Standbild des «Moses» an dem Denkmal in seiner heutigen Gestalt Verwendung fand.
Man kann sich einen ungefähren Begriff von der Großartigkeit der Anlage machen, wenn man bedenkt, daß diese Gestalt für das Obergeschoß bestimmt war. Der Moses ist wohl die großartigste Schöpfung Michelangelos; er ist in dem Augenblick heftigster innerer Erregung dargestellt, in welchem er die Anbetung des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will, um seinem ungeheuren Zorn Luft zu machen, welcher die ganze Gestalt von der Stirne bis zu den Fußspitzen durchdringt. Es ist die Leidenschaftlichkeit eines «Ueber-
^[Abb.: Fig. 468. Michelangelo: Grabmal des Lorenzo Medici.
Florenz. S Lorenzo.]